Bilanzen unter der Lupe Wie Dax-Unternehmen ihre Bilanzen aufpumpen

Dax-Unternehmen haben in ihren Bilanzen eine Riesenblase aufgebaut. Es geht um aufgeschobene Abschreibungen von 217 Milliarden Euro. Lösen sich die Luftbuchungen auf, drohen Aktionären massive Verluste.

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Aufgeblähter Bulle vor einem Aktienchart Quelle: dpa, Montage

Wahre Gemeinheiten spielen sich immer im Hintergrund ab. So ist es wohl kaum einem Aktionär der Deutschen Lufthansa aufgefallen, dass sich das Eigenkapital seines Unternehmens mit einem Federstrich um gleich 2,3 Milliarden Euro reduzierte. Erkennbar wurde dieser Einbruch nur für diejenigen, die kontinuierlich die Berichte der Kölner Fluggesellschaft verfolgen und gleichzeitig ein bisschen Bilanzregelkunde mitbringen. Jahrelang durften Unternehmen ziemlich lax mit den Rückstellungen in der Bilanz für ihre aktuellen und künftigen Pensionäre umgehen. Seit 2013 ist damit Schluss, seither müssen börsennotierte Aktiengesellschaften realitätsnäher die Ansprüche für die Altersvorsorge bilanzieren. Die Effekte sind – wie erwartet – teils dramatisch. Bei der Lufthansa wanderte fast ein Drittel des Eigenkapitals weg von den Aktionären hin in die Taschen der Pensionäre. Die Eigenkapitalquote rutschte zum Anpassungszeitpunkt von erträglichen 28,6 auf recht magere 20,4 Prozent.

Das Beispiel des Dax-Konzerns zeigt: Ein Blick, der über die aufgehübschten und oft verdrehten Gewinnmitteilungen ihrer Unternehmen hinausgeht, lohnt für alle Anleger. „Wer nicht auch einmal einen kritischen Blick auf die Bilanz seines Unternehmens wirft, der verpasst oft substanzielle Veränderungen“, sagt Peter Leibfried, Professor für Rechnungslegung und Wirtschaftsprüfung an der Universität St. Gallen. Nicht erkannt haben viele Investoren schon viele Gefahren, die in den Bilanzen der Unternehmen schlummern. So durften und dürfen etwa Banken einen Großteil ihrer Vermögenspositionen selbst schätzen.

Bilanzen sind immer noch nicht sauber

Der Effekt ist bekannt: Billionen an dem Anschein nach wertvollen Vermögen bilanzierten die Geldinstitute. Und – naive Investoren zogen lange Zeit mit: Sie jazzten die Papiere der Banken angesichts vermeintlich blendender Bilanzen so hoch, dass der Sektor vor Beginn der Finanzkrise beispielsweise mehr als 22 Prozent der Gesamtkapitalisierung des breiten S&P-500-Index ausmachte. Das Ergebnis der Luftbuchungen ist bekannt. Pleiten und Rekapitalisierungen sind bis heute die Folge; mit Beginn der Krise im Sommer 2007 verloren S&P-500-Bankpapiere binnen 18 Monaten 77 Prozent an Wert; der Kurs der Deutschen Bank liegt heute, fünf Jahre nachdem die Blase in den Bilanzen platzte, immer noch drei Viertel unter seinem Hoch.

Auch jetzt sind viele Bilanzen nicht sauber, lassen sich in den Zahlenwerken der Unternehmen Milliardenbeträge an fehlgebuchtem Kapital finden, bildet sich eine neue gigantische Blase, die von vielen Investoren und Analysten ignoriert wird.

Zu viel Geld hingeblättert

Der Bilanzposten, der derzeit die größte Gefahr für das Vermögen der Aktionäre an ihrem Unternehmen in sich birgt, heißt Goodwill, im Deutschen auch Firmenwert genannt. „Hier gibt es ein enormes Abschreibungspotenzial, das zu erheblichen Gewinneinbrüchen führen kann“, sagt Gerrit Brösel, Professor für Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Wirtschaftsprüfung, an der Fernuniversität Hagen.

Ein Firmenwert oder eben Goodwill taucht immer dann in der Bilanz als eine Vermögensposition auf, wenn Unternehmen bei Übernahmen zu viel Geld auf den Tisch gelegt haben; wenn sie mehr bezahlten, als das im Nachgang der Übernahme ermittelte Vermögen der neuen Tochter wirklich wert ist (siehe Grafik). Skurril, aber wahr: Dann erlauben die Bilanzregeln, diese Prämie auf die neu eingekaufte Tochter als Zusatzvermögen in die Bilanz zu buchen, eben als sogenannten Goodwill oder Firmenwert. Noch hübscher für die Finanzchefs der Unternehmen: Früher mussten sie dieses Zusatzvermögen, die Übernahmeprämie also, regelmäßig abschreiben, über 10 bis 15 Jahre. Investoren hatten also die Gewissheit, dass heiße Luft nach Übernahmen sukzessive aus der Bilanz genommen wurde. Seit zehn Jahren jedoch dürfen die Unternehmensvorstände nach einer dramatischen Änderung der Bilanzregeln mehr oder weniger nach Lust und Laune abwerten oder nicht.

Keine Überraschung: Sie tun es seither so gut wie nicht mehr oder nur dann, wenn sich überbewertetes Vermögen nicht mehr vertuschen lässt.

Bei Abschreibung droht Kapitalerhöhung

So geht's den Dax-Konzernen wirklich

Letzteres kommt regelmäßig bei Verkäufen von Tochtergesellschaften vor. Bei der Deutschen Telekom etwa radierten Abschreibungen auf den Goodwill vor drei Jahren 3,1 Milliarden Euro aus. Als wieder mal die Tochter T-Mobile USA verkauft werden sollte, mussten die Bonner den wahren Wert ihrer Tochter offenlegen und einräumen, dass der Buchwert in der Bilanz massiv höher als der wirkliche Gegenwert war. Solche Abschreibungen bei der Telekom sind schon Legende. Einst machte die Goodwill-Position enorme 40,6 Milliarden Euro aus. Bis heute sind davon noch 14,6 Milliarden Euro übrig. Obwohl die Telekom bei Zukäufen auch munter Goodwill wieder zubuchte. So stockte 2013 der Erwerb des regionalen US-Mobilfunkanbieters MetroPCS für sich betrachtet den Goodwill um 955 Millionen Euro auf. Alles in allem summieren sich die Abschreibungen auf nicht fassbares Vermögen in der Telekom-Bilanz – neben dem Goodwill sind das zum Beispiel Mobilfunklizenzen – allein in den Jahren 2011 bis 2013 auf fast 23 Milliarden Euro. Effekt: Kumuliert schrieb die Telekom binnen drei Jahren vier Milliarden Euro Verlust; und die Eigenkapitalquote sackt immer weiter ab – auf nur noch 27,1 Prozent. Eine Kapitalerhöhung ist da nicht mehr fern, legt sich die Telekom doch selbst als untere Marke 25 Prozent.

Wie Goodwill entsteht (für eine komplette Ansicht bitte anklicken)

Das drückt auf den Kurs: Während der Dax in den vergangenen zehn Jahren um 80 Prozent zulegte, liegen T-Aktionäre im Minus. Kein Wunder, dass bei Schreckenszahlen Unternehmen wie die Telekom versuchen, Anlegern lieber Gewinndaten zu verkaufen, für die es keine Vorgaben gibt. Insgesamt geht es nicht nur bei der Telekom, sondern bei vielen Unternehmen um große Zahlen und viel Aktionärskapital: 217 Milliarden Euro Goodwill haben allein die 30 Unternehmen aus dem Deutschen Aktienindex inzwischen aufgetürmt – 173 Prozent mehr als zum Ende des Jahres 2000. Das entspricht 35 Prozent des gesamten Eigenkapitals der Dax-Unternehmen (siehe Chart) oder rund 20 Prozent ihres aktuellen Börsenwerts. Bei einer Komplettabwertung müssten die Dax-Unternehmen ihr Eigenkapital um gut die Hälfte erhöhen, um auf den alten Stand zu kommen. Auch ohne prophetische Gaben kann jeder voraussagen, dass dies die Kurse massiv unter Druck bringen würde.

Der Goodwill der Dax-Unternehmen

Bei der Mehrzahl der Dax-Unternehmen drohen Gefahren, weil der Goodwill entweder eine große Rolle in der Bilanz spielt oder nie vernünftig abgewertet worden ist. Wo die Finanzchefs aggressiv vorgehen und hohe Abschreibungen möglich sind, das hat die Universität St. Gallen exklusiv für die WirtschaftsWoche analysiert. Die Bilanzexperten durchforsten für die WirtschaftsWoche Jahr für Jahr die Geschäftsberichte der Dax-30-Unternehmen. Das Ergebnis der neuesten Untersuchung: „Die Milliardenrisiken aus Übernahmen steigen beinahe unaufhaltsam“, so Leibfried.

Alarmstimmung bei Experten

Inzwischen sind deshalb alle ernst zu nehmenden Bilanzexperten alarmiert: Da die Manager selbst den Goodwill bestimmen und dessen Werthaltigkeit nach selbst vorgegebenen Parametern testen, sehen Wissenschaftler jede Menge Spielraum, um die Zahlenwerke zu schönen, bis an den Rand der Manipulation. Und die Deutsche Prüfstelle für Rechnungslegung in Berlin (DPR), die regelmäßig Geschäfts- und Quartalsberichte an deutschen Börsen notierter Unternehmen unter die Lupe nimmt, äußert einen schlimmen Verdacht: Erst die dramatische Bilanzregeländerung im Jahr 2004 könnte viele Vorstände dazu gebracht haben, riskante Übernahmen anzugehen. Grund: Da der Goodwill nicht mehr regelmäßig abgeschrieben wird, gibt es keinen negativen Einfluss auf den Gewinn mehr. „Der vorsichtige Kaufmann schreibt ab, doch seit die Bilanzregeln keine regelmäßig Abwertung mehr fordern, passiert kaum noch etwas“, so Leibfried. Die Vorstände können so Fehlgriffe bei Übernahmen lange Zeit vor der Öffentlichkeit kaschieren, sie kassieren deshalb regelmäßig mehr variables, von Gewinnen abhängiges Gehalt oder Boni als ihnen eigentlich zustünde.

Die Goodwill-Blase

Im Durchschnitt unterstellten die Dax-Unternehmen früher eine Nutzungsdauer für ihre Firmenwerte von knapp neun Jahren – sie schrieben jährlich 11,7 Prozent auf ihren Goodwill ab, so die Analyse der Universität St. Gallen. Im Jahr 2002 schrieben die 30 Dax-Finanzchefs angesichts taumelnder Börsen und schwacher Konjunktur sogar jeden sechsten Euro ab. Die damals noch strengen Bilanzregeln zeigten also Wirkung – zum Schutz der Aktionäre. 2013 kamen gerade einmal 2,6 Milliarden Euro oder 1,2 Prozent an Abschreibungen zusammen. Dabei liegt etwa der Dax-Kursindex immer noch knapp 20 Prozent unter seinem Hoch.

Wie sich der Anteil des Goodwill am Eigenkapital der Dax-Unternehmen entwickelt hat (für eine komplette Ansicht bitte anklicken)

Übersetzt: Während die Unternehmen seit einem Jahrzehnt offenbar nur solche Töchter gekauft haben, deren Wert von keiner Konjunktur-, Finanz- oder geopolitischen Krise tangiert wird, gestehen Investoren vielen Unternehmen weniger Wert zu als vor 14 Jahren, als der Dax-Kursindex sein letztes Hoch erreichte. Der Dax-Kursindex spiegelt die echte Wertentwicklung der 30 Dax-Aktien wider; im bekannten Dax selbst werden Dividenden noch dazugerechnet. „Nach den aktuellen Bilanzierungsregeln lässt sich ohne Übertreibung von einer Goodwill-Blase sprechen, die stetig wächst“, so Thomas Möhlmann-Mahlau, Professor für Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Rechnungslegung und Steuern, an der Hochschule Bremen. „Dass es sich um eine Blase handelt, ist nicht auszuschließen und ist weder von Analysten noch von Anlegern erkennbar“, sagt Bilanzexperte Brösel von der Fernuni Hagen.

Möhlmann-Mahlau hat jüngst gemeinsam mit Frank Sündermann, Leiter Kreditanalyse der KBC Bank, und Tobias Gundel, Berater bei Boege Rohde Luebbehuesen in Hamburg, 18 bekannte deutsche börsennotierte Unternehmen abgeklopft, von RWE über Freenet bis hin zu Sky. Ergebnis: Das gesamte Eigenkapital der Unternehmen lag Ende 2012 bei 64 Milliarden Euro. Bereinigt um planmäßige Abschreibungen auf den Goodwill jedoch, läge das Kapital bei nur 14,6 Milliarden Euro. „Das sind stille Lasten von knapp 50 Milliarden Euro oder 77 Prozent des bilanziellen Eigenkapitals“, so Möhlmann-Mahlau.

Neuer Vorstand kehrt bei Siemens aus

Einer der Gründe: Selbst während der Finanzkrise, als sich die Kurse der Dax-Unternehmen im Durchschnitt mehr als halbierten, ebenso wie mehrheitlich die anderer europäischer Unternehmen, waren höhere Goodwill-Abschreibungen „wider Erwarten überwiegend ausgeblieben“. Das ist die Quintessenz einer Studie, die Silvia Rogler, Professorin für Rechnungswesen und Controlling an der TU Bergakademie Freiberg, vergangenes Jahr vorstellte. Nach der Durchsicht von 640 Bilanzen von 160 deutschen börsennotierten Unternehmen zogen Rogler und ihr Team ein erschreckendes Fazit: Größere Abschreibungen auf die Wackelposition Goodwill gab es fast nur, wenn Vorstände ausgetauscht wurden. Neue Manager räumen offenbar die Bilanzen schnell auf, damit ihnen milliardenschwere Fehlinvestitionen ihrer Vorgänger nicht irgendwann vor die Füße fallen. Ein neuer Finanzvorstand hält dann gleich 39 Prozent der Goodwill-Position für nicht mehr tragbar, Vorstandschefs veranlassen eine ebenfalls noch dramatische Abwertung um im Durchschnitt 31 Prozent, so das Ergebnis der Uni Freiberg.

Siemens etwa begann erst nach einem Chefwechsel auf dem Posten des Diagnostik-Vorstands vor gut vier Jahren seine für elf Milliarden Euro zusammengekaufte Diagnostik-Sparte abzuwerten. Nur vier Monate nachdem seinerzeit Michael Reitermann dort den Chefposten übernommen hatte, vermiesten Abwertungen über 1,4 Milliarden Euro erstmals das Konzernergebnis. Auch der im vergangenen Jahr neu angetretene Puma-Chef Björn Gulden kündigte kurz nach seinem Amtsantritt Ende 2013 erst einmal Firmenwertabschreibungen und einen Gewinneinbruch an.

Verschleierung von Zahlen ist die Regel

Jüngstes Beispiel im Dax ist der Chemiker Lanxess, der just zum Zeitpunkt des Stabwechsels auf dem Posten des Vorstandschefs Ende Februar dieses Jahres den Goodwill abwertete und gleichzeitig die Dividende um die Hälfte strich. Grund war nach offizieller Lesart nicht die möglicherweise längst fällige Beseitigung von Altlasten, sondern angeblich „Veränderungen im Wettbewerbsumfeld“. So oder so tickerten die Nachrichtenagenturen „Schock für Aktionäre“, nachdem der Lanxess-Kurs binnen Sekunden um sechs Prozent abgerutscht war.

Aktuell dürften sich Bilfinger-Aktionäre fragen, ob nach Vorstandswechsel und drei dramatischen Prognosekürzungen binnen weniger Monate die knapp 1,9 Milliarden Euro Goodwill in der Bilanz des Baudienstleisters noch zu rechtfertigen sind.

Notorischer Überoptimismus

Was vielen entgeht, das hat die europäische Wertpapierbehörde ESMA in einer umfangreichen Studie in den Bilanzen von 235 europäischen Konzernen aus 23 Ländern ermittelt: Eine Verschleierung von Zahlen sei nicht die Ausnahme, sondern die Regel, heißt es da. Die Prüfer aus Paris ermittelten auch, dass nahezu alle Unternehmen von sehr optimistischen Wachstumsraten ihrer Töchter ausgingen. Grund: Wer die Zukunft rosarot malt, der muss heute auf den Goodwill nicht abwerten und bleibt in seiner Gewinnrechnung in den schwarzen Zahlen.

Welche Aktien Investoren verschmähen
Rang 10: Fielmann (36,8 Prozent der Analysten raten zum Verkauf)Der Brillenhändler Fielmann wächst weiter: Nach einem Gewinnanstieg in den ersten sechs Monaten blickt das Unternehmen auch weiter zuversichtlich auf das Gesamtjahr. Ganz so begeistert zeigten sich die Analysten jedoch nicht: 36,8 Prozent aller Analysten, die die Aktie beobachten, raten zum Verkauf. Damit gehört die Fielmann-Aktie zu den zehn unbeliebtesten deutschen Aktien unter Analysten. Die Privatbank Hauck & Aufhäuser begründete ihre Verkaufsempfehlung damit, das die Erwartungen leicht verfehlt wurden. Außerdem verliere das Wachstum des Unternehmens an Schwung und der Jahresausblick sei nur vage ausgefallen.Marktkapitalisierung: 4,1 Milliarden EuroBeobachtende Analysten: 19Analysten, die zum Verkauf raten: 7Zur Auswertung: Berücksichtigt wurden nur deutsche Unternehmen mit einer Marktkapitalisierung von mindestens einer Milliarde Euro. Außerdem sollte die Aktie mindestens von zehn Analysten beobachtet werden. Quelle: dpa
Rang 9: MAN (39,1 Prozent)Die schwache Wirtschaftsentwicklung im einstigen Boomland Brasilien macht dem Lastwagen- und Maschinenbauer MAN schwer zu schaffen. Weil das Geschäft im größten Markt Lateinamerikas auch im vergangenen Quartal um 17 Prozent einbrach, schraubte MAN-Chef Georg Pachta-Reyhofen seine Umsatzerwartungen für den gesamten Konzern zurück.Auch die Analysten sind nicht besonders optimistisch für die MAN-Aktie: Fast 40 Prozent aller Analysten, die die Aktie beobachten, raten die Aktie zu verkaufen. Marktkapitalisierung: 13,2 Milliarden EuroBeobachtende Analysten: 23Analysten, die zum Verkauf raten: 9 Quelle: dpa
Rang 8: Puma (40,7 Prozent)Der Sportartikelhersteller hat es nicht leicht. Die Gewinne des Konzerns sind im zweiten Quartal trotz des Fußballfests in Brasilien um 76 Prozent eingebrochen, der Sportausrüster machte lediglich einen Überschuss von 4,2 Millionen Euro. Auch der operative Gewinn (Ebit) knickte deutlich ein: Dort musste Puma ein Minus von 60 Prozent verbuchen. Die Aktie ist dementsprechend ein Trauerspiel. 40,7 Prozent aller Analysten, die die Aktie beobachten, raten diese zu verkaufen.Ein Grund, warum Analyst William Hutchings von Goldman Sachs rät die Aktie zu verkaufen: Der Gewinn je Aktie werde noch geringer ausfallen als erwartet – außerdem sei die Onlinestrategie des Konzerns nicht überzeugend.Marktkapitalisierung: 2,9 Milliarden EuroBeobachtende Analysten: 28Analysten, die zum Verkauf raten: 11 Quelle: dpa
Rang 7: Südzucker (42,1 Prozent)In rund drei Jahren, im Herbst 2017, brechen für die Branche in Europa neue Zeiten an, da die EU-Zuckermarktordnung endet und die bisher preisstützenden Angebotsregulierungen wegbrechen. Der deutsche Zuckerhersteller Südzucker dürfte damit noch vor großen Umbrüchen stehen. Die Aktie ist kein Augenschmaus: 2013 stieg sie in ungeahnte Höhen, um danach wieder abzustürzen. Goldman Sachs begründet seine Verkaufsempfehlung unter anderem mit stärkerem Gegenwind im zweiten Geschäftshalbjahr. Insgesamt raten 42 Prozent der beobachtenden Analysten zum Verkauf der Aktie.Marktkapitalisierung: 2,7 Milliarden EuroBeobachtende Analysten: 19Analysten, die zum Verkauf raten: 8 Quelle: dpa
Rang 6: RWE (47,2 Prozent)RWE machen (wie anderen Stromversorgern) die gefallenen Strom-Großhandelspreise zu schaffen. Diese purzeln wegen der Überkapazitäten in Europa und der zunehmenden Konkurrenz durch den staatlich geförderten Ökostrom. RWE klagt zudem als einziger Versorger gegen das Atommoratorium. RWE musste im vergangenen Geschäftsjahr Milliardenabschreibungen auf seine Kraftwerke vornehmen.Der deutsche Strommarkt werde noch für längere Zeit schwierig bleiben, schreibt Analystin Tanja Markloff von der Commerzbank in ihrer Studie. Daher habe sie ihre Ergebnis- und Dividendenschätzungen für 2014 bis 2017 gesenkt. Da im aktuellen Kursniveau bereits viele Hoffnungen eingepreist seien, ergebe sich Spielraum für Enttäuschungen.Marktkapitalisierung: 17,8 Milliarden EuroBeobachtende Analysten: 36Analysten, die zum Verkauf raten: 17 Quelle: REUTERS
Rang 5: Elringklinger (50 Prozent)Die Aktie des Autozulieferers ElringKlinger ist seit Jahren auf Erfolgskurs und hat sich innerhalb der vergangenen fünf Jahre mehr als verdoppelt. Zuletzt geriet die Aktie jedoch unter Druck. Der Autozulieferer habe im zweiten Quartal zwar die Erwartungen erfüllt, schrieb Analyst Tim Schuldt. Allerdings konnte trotz starkem Umsatzwachstum nur ein geringer Gewinnanstieg erreicht werden. Die Hälfte aller beobachtenden Analysten rät die Aktie zu verkaufen.Marktkapitalisierung: 1,6 Milliarden EuroBeobachtende Analysten: 22Analysten, die zum Verkauf raten: 11 Quelle: dpa
Rang 4: Wacker Chemie (54,2 Prozent)Der Spezialchemiekonzern Wacker kämpft sich Stück für Stück aus der Solarkrise. Im abgelaufenen Quartal konnte der auf Silizium- und Silikonprodukte spezialisierte Konzern seinen Überschuss binnen Jahresfrist auf 29,4 Millionen Euro annähernd verdoppeln. Wacker verdiente zudem mehr als Analysten im Schnitt erwartet hatten. Trotzdem rät mehr als die Hälfte aller beobachtenden Analysten zum Verkauf der Aktie.So begründet Andrew Benson von der Citigroup seine Verkaufsempfehlung mit der Sommerflaute, die ihn bezüglich des zweiten Halbjahres skeptisch stimme.Marktkapitalisierung: 4,7 Milliarden EuroBeobachtende Analysten: 24Analysten, die zum Verkauf raten: 13 Quelle: dpa

Einer neuen Analyse von Inge Wulf, Professorin am Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Unternehmensrechnung, an der TU Clausthal, zufolge, finden Anleger in den Zahlenwerken der Unternehmen sogar häufig nicht einmal Zukunftserwartungen, die sie infrage stellen könnten. So fehlten im Krisenjahr 2008 bei gleich 8 der 30 Dax-Unternehmen quantitative Angaben zum Wachstum im Geschäftsbericht, darunter die Deutsche Telekom oder SAP. Drei Jahre später drückten sich im Dax BMW, Daimler und ThyssenKrupp vor solchen eigentlich zwingenden Angaben. Ein weiteres Ergebnis der Studie der TU Clausthal: Während der Finanzkrise haben die Dax-Unternehmen „vermutlich“ interne Zinssätze so angepasst, um bei den Milliarden an Goodwill „keine“ oder nur „eine geringere Wertminderung zu buchen, jedoch kann keine Plausibilitätsprüfung vorgenommen werden, da Detailangaben fehlen“, so Wulf.

Lebensdauer der Unternehmen falsch eingeschätzt

In einer seiner letzten großen Studien widmete sich auch der im Januar dieses Jahres verstorbene Karlheinz Küting dem Thema Goodwill. Der wohl bekannteste deutsche Bilanzexperte leitete lange Jahre das Centrum für Bilanzierung und Prüfung an der Universität des Saarlandes. Er untersuchte 134 deutsche börsennotierte Gesellschaften aus Dax, MDax, SDax und TecDax. Der Studie zufolge unterstellen die Unternehmen, dass sie aus den gezahlten Übernahmeprämien für neue Töchter 204 Jahre lang Nutzen ziehen werden. Je nach Statistik und Datenbasis liegt die Lebensdauer von Unternehmen aber heutzutage im Durchschnitt bei 12 bis maximal 20 Jahren; bei 204 Jahren jedenfalls hat sie nie gelegen. „Die Firmenchefs setzen offenbar beim Goodwill im Durchschnitt eine nahezu unbegrenzte Nutzungsdauer an“, sagt Thorsten Sellhorn, Inhaber des Lehrstuhls für Rechnungswesen und Wirtschaftsprüfung an der Ludwig-Maximilians-Universität München, „sonst wäre ein Mehr an Abschreibungen zu beobachten.“ Dabei sehen die Bilanzregeln vor, dass der Zeitraum, über den ein Goodwill nutzbar ist, zwar unbestimmt, aber eben keinesfalls unbegrenzt ist. „Der einst eingebuchte Goodwill sollte also wieder bei null landen. Die Frage ist hierbei nicht, ob, sondern nur wann“, so Sellhorn.

Anleger tun gut daran, mögliche Abwertungen des Goodwill in Betracht zu ziehen. Denn die Zahl derer, die für die Rückkehr zur alten Regelung regelmäßiger Abschreibung plädieren, steigt seit Jahren.

Bilanzwächter fordern Bereinigung

Aufsehen erregt, dass es seit einem Jahr in den USA nicht börsennotierten Unternehmen wieder erlaubt ist, ihre Firmenwerte regelmäßig abzuschreiben, und es Überlegungen gibt, dies auch wieder für an den Börsen gehandelte Unternehmen einzuführen. Die Analysten der unabhängigen Schweizer Independent Credit View (ICV) haben aktuell ermittelt, dass Europas Banken 1044 Milliarden Euro an Kapital benötigen. Diese Megasumme kommt unter anderem deshalb zustande, weil die ICV-Analysten keinen Euro an Goodwill für werthaltig halten. Und in Japan haben die Bilanzregulatoren erst Ende Juli ein neues Papier zum Bilanzrecht vorgelegt: Goodwill, so heißt es unter anderem darin, sollte regelmäßig linear abgeschrieben werden, „maximal über 20 Jahre“.

Tokio ist nur scheinbar weit. Bei den Finanzmanagern in Paris, München oder Mailand löst aktuell die European Financial Reporting Advisory Group (Efrag) große Aufregung aus. „Dieses für die Übernahme der Bilanzregeln IFRS in Europa entscheidende Gremium hat sich nun auch öffentlich klar dafür ausgesprochen, wieder zu regelmäßigen Goodwill-Abschreibungen zurückzukehren“, so Leibfried. Zu den wesentlichen Aufgaben der Efrag gehört die Beratung der EU-Kommission im Rahmen der Umsetzung von Bilanzregeln in der Europäischen Union. Gemeinsam mit dem Accounting Standards Board Japan und der Organismo Italiano di Contabilità hat sie ein gut 50-seitiges Pamphlet verfasst mit dem provakanten Titel: Sollte Goodwill nicht getilgt werden? (Should Goodwill still not be amortised?) Noch bis Ende nächster Woche haben Investoren, Wirtschaftsprüfer und Unternehmen Zeit, dazu Stellung zu beziehen.

Druck der Bilanzwächter

Solange eine regelmäßige Tilgung der Firmenwerte noch nicht obligat ist, so lange legt die Berliner DPR, vulgo Bilanzpolizei, ihr Hauptaugenmerk auf den Bilanzposten Goodwill. Zu Recht. Denn dort fanden die Prüfer seit Gründung der DPR im Juli 2005 bisher die meisten Falschbilanzierungen.

Bilanzbegriffe und was sie bedeuten

Spektakulär ist unter anderem Adidas. Binnen zwei Jahren kassierte der Sportartikelkonzern jeweils eine Rüge von der DPR. Adidas hatte den Werthaltigkeitstest des Goodwill zunächst unerlaubterweise für Einheiten durchgeführt, die größer waren als die ansonsten in der Bilanz gezeigten Segmente. Später mussten die Herzogenauracher einräumen, dass 2011 in der Summe mehrerer Fehlbilanzierungen der Gewinn je Aktie um 27 Cent zu hoch ausgewiesen war. 2012 rang sich Adidas erstmals zu Wertberichtigungen durch, vor allem auf die 2005 für 3,8 Milliarden Dollar übernommene US-Tochter Reebok – nicht besonders wagemutig ist der Verdacht, dass dies auf Druck der Bilanzwächter geschah. Der Effekt der Abschreibungen über 265 Millionen Euro war ein nicht erwarteter Gewinneinbruch. Und auch für das laufende Geschäftsjahr könnte eine Abwertung drohen, nachdem Adidas im Sommer vor schwachen Geschäften unter anderem in Russland und in der Golfsparte warnte. Nach wie vor weist Adidas 1,2 Milliarden Euro Goodwill aus.

Kein Wunder, dass sich auch dieses Jahr die Berliner Prüfstelle auf den Goodwill Impairment Test, den Werthaltigkeitstest, konzentriert. Beim Impairment Test werden einzelne Geschäftseinheiten unter die Lupe genommen. Zeigt sich bei einer Geschäftseinheit, dass die ursprünglich angesetzten Annahmen über Ertrag, Cash-Flow oder Kapitalkosten zu optimistisch waren, muss eine Abwertung erfolgen – in der Theorie. Die Konsistenz und Verlässlichkeit der Cash-Flow-Prognosen, die Ableitung von Wachstumsraten und von Zinssätzen sowie „wesentliche Bewertungsprämissen“ stehen bei der DPR auf dem Prüfstand. „Vorsichtig gesagt, werten die Unternehmen seit der Pflichtumstellung auf internationale Rechnungslegungsvorschriften im Jahr 2005 den Goodwill zurückhaltend ab“, sagt Bettina Thormann, Vizepräsidentin der DPR.

Absichtlich kleingerechnet

Die frühere Professorin für Betriebliche Steuerlehre und Unternehmensprüfung an der Fachhochschule Bielefeld beobachtet, dass die „Kaufpreise bei Unternehmenszusammenschlüssen aufgrund der positiven Zukunftserwartungen an Synergien und zukünftige Mittelzuflüsse oftmals ein Vielfaches des aktuellen Vermögens der Kaufobjekte betragen“. Wachstum, so Thormann, finde „bei einigen Unternehmen nicht mehr vorrangig organisch statt, sondern durch regelmäßige Unternehmenskäufe“. Ein Motiv könnte sein, dass der Jahresgewinn der Unternehmen „nicht durch planmäßige Abschreibungen des Goodwill belastet wird“. Ein harscher Vorwurf: Statt mühevoll und (zunächst) zulasten des Gewinns ihr Unternehmen weiterzuentwickeln, wird wegen laxer Bilanzvorschriften auf Teufel komm raus akquiriert. Zudem, so der Verdacht, rechnen Unternehmen das Vermögen ihrer neuen Töchter absichtlich klein, und den Goodwill hoch. Grund: Lizenzen, Patente oder Gebäude müssen regelmäßig abgeschrieben werden; Goodwill eben nicht. „Dort gibt es eben nur butterweiche Bewertungsparameter“, sagt Leibfried von der Uni St. Gallen.

Deshalb ziehen viele Unternehmen ihre einst gezahlten Übernahmeprämien durch die Bilanz, komme was wolle. Beispiel Fresenius Medical Care (FMC). Die Hessen schlossen im Jahr 2006 den Kauf der US-Dialysetochter Renal Care ab. Vom Gesamtkaufpreis über 4,16 Milliarden Dollar entfielen gleich 3,39 Milliarden oder 81,5 Prozent auf die Position Goodwill, gerade einmal 770 Millionen Dollar an echtem Vermögen wurden identifiziert. FMC zahlte also eine irrsinnig anmutende Prämie von 440 Prozent auf die Renal-Werte. Auch heute noch steht diese Prämie vollständig als Vermögen in der Bilanz. Dabei lahmten zuletzt die Geschäfte: 2013 konnte FMC den Mittelzufluss aus dem laufenden Geschäft gerade mal stabil halten. Grund sind Sparpläne im US-Gesundheitswesen, die Erstattungen für die Dialyse betreffen.

Sorglose Zukäufe

Wo der Dax am Ende des Jahres stehen wird
Deutsche BankDie Analysten der Deutschen Bank stechen mit ihrem unerschütterlichen Optimismus hervor. Trotz Ukraine-Krise und schwächelndem Wirtschaftswachstum in Europa hält die Bank an ihrer Prognose für den Dax von 11.000 Punkten fest. Frei nach dem Motto: Politische Börsen haben kurze Beine. Sollte die Prognose stimmen, wird der Dax noch um ganze 18 Prozent in diesem Jahr steigen.Prognose am Jahresanfang: 11.000 PunkteAktuelle Prognose: 11.000 Punkte Quelle: REUTERS
BarclaysAn seiner vorherigen Einschätzung hält die britische Bank Barclays nicht fest, gehört aber immer noch zu den optimistischsten Dax-Beobachtern. Die 100-Punkte Korrektur der Prognose hat angesichts des Dax-Absturzes von 1000 Punkten im Juli allerdings wohl nur eine symbolische Wirkung.Prognose am Jahresanfang: 11.000 PunkteAktuelle Prognose: 10.900 Punkte Quelle: dpa
SantanderDie Analysten der größten Bank Spaniens halten an ihrer Prognose fest und zeigen sich verhalten optimistisch. Damit der Dax den Stand von 10.500 Punkten noch in diesem Jahr erreicht, muss der Leitindex noch rund 1.200 Punkte zulegen. Keine leichte Aufgabe bei geopolitischen Krisen und schwachem Wachstum in Europa.Prognose am Jahresanfang: 10.500Aktuelle Prognose: 10.500 Quelle: REUTERS
CommerzbankEin Bulle, das Symbol für steigende Kurse, wurde im Juli aufgeknüpft: Der Dax brach wegen der Ukraine-Krise ein. Die Analysten der Commerzbank bleiben jedoch bei ihrer Einschätzung von 10.200 Punkten für den Dax. Langfristig werden die Fundamentaldaten entscheiden – so lang ist die Frist aber nicht mehr bis zum Jahresschluss.Prognose am Jahresanfang: 10.200 PunkteAktuelle Prognose: 10.200 Punkte Quelle: dpa
Baader BankDie gleiche Meinung vertreten auch die Anlagestrategen der Baader Bank und sehen den Dax zum Ende des Jahres ebenfalls bei 10.200 Punkten. Beim aktuellen Stand von 9.330 Punkten hat der Dax ein Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) von 17,3. Der Dax kostet damit das 17fache eines Jahresgewinns aller Dax-Konzerne. Das KGV von 17 ist zwar hoch und doppelt so hoch wie vor fünf Jahren, aber noch kein Zeichen für eine Überbewertung. Denn Aktien bleiben in der Niedrigzinsphase beinahe alternativlos.Prognose am Jahresanfang: 10.200 PunkteAktuelle Prognose: 10.200 Punkte Quelle: dpa
MacquarieDie größte Korrektur in seiner Prognose hat die Bank Macquarie vorgenommen: Ganz 700 Punkte tiefer sieht sie den Dax nun zum Ende des Jahres. Dass viele Banken ihre Prognosen senken liegt allerdings nicht nur an der Ukraine-Krise: Auch die schwächelnde Wirtschaft in Europa und speziell in Deutschland bereitet Sorgen.Prognose am Jahresanfang: 10.700 PunkteAktuelle Prognose: 10.000 Punkte Quelle: AP
Saxo BankDie dänische Saxo Bank zeigt sich verhalten optimistisch und korrigiert ihre Prognose um 500 Punkte nach unten, was allerdings immer noch rund 500 Punkte über dem Jahresstart des Dax ist. Fast alle Analysten knüpfen ihre Prognosen an eine Bedingung: Es dürfe kein Krieg zwischen der Ukraine und Russland ausbrechen.Prognose am Jahresanfang: 10.500 PunkteAktuelle Prognose: 10.000 Punkte Quelle: dpa

Kein großes Interesse an Abschreibungen zeigt auch ein anderer Konzern, der viele Geschäfte mit Krankheiten betreibt. Der Bayer-Konzern hatte 2006 den Konkurrenten Schering für rund 17 Milliarden Euro übernommen. Effekt: Die Firmenwerte sprangen im selben Jahr von 2,6 auf 8,2 Milliarden Euro. Abwertung seither: null Euro. Grund: Jahr für Jahr „erachtet“ der Bayer-Vorstand die „vorgenommenen Schätzungen“ für „angemessen“, wie es im Geschäftsbericht 2013 zu den Firmenwerten heißt. Und die Aufsichtsräte nicken diese Schätzungen munter ab. Wer über Jahre nach Übernahmen kein Haar in der Suppe findet, der kleckert nicht. Obwohl der Bayer-Goodwill schon zuletzt bei knapp zehn Milliarden Euro oder annähernd 50 Prozent des Eigenkapitals lag, trauen sich die Leverkusener, noch eins draufzupacken. Zumindest ist es äußerst unwahrscheinlich, dass Bayer nach seiner jüngst annoncierten Übernahme des Geschäfts mit rezeptfreien Medikamenten von der amerikanischen Merck & Co. über 14,2 Milliarden Dollar nicht erneut Milliarden an Goodwill kreiert. Für Produkte etwa zur Fußpflege zahlt Bayer einen frappierend hohen Preis: gleich das 21-Fache des Gewinns vor Steuern, Zinsen, Abschreibungen und Amortisation (Ebitda). Schon Preise um das Zehnfache Ebitda gelten gemeinhin als teuer. Je höher der Preis, gemessen am Gewinn des Kaufobjektes, desto höher der Goodwill, so ist es meist die Regel.

Übernahmen pumpen den Goodwill auf

Bayer ist nicht allein. 2006 schaufelte BASF rund 50 Prozent des Kaufpreises von 3,8 Milliarden Euro nach dem Kauf des Katalysatorenherstellers Engelhard als Goodwill in die Bilanz. Continental packte ein Jahr später knapp sechs Milliarden Euro Goodwill in die Bilanz, nachdem die Niedersachsen Siemens die Tochter VDO Automotive für elf Milliarden Euro abgekauft hatten. HeidelbergCement ermittelte gleich 8,9 Milliarden Euro als Übernahmeprämie auf das Vermögen des Konkurrenten Hanson; bezahlt hatte HeidelbergCement mit zwölf Milliarden Euro kaum mehr. Sellhorn von der Uni München stellte für 18 Dax-Transaktionen im Jahr 2012 fest, dass fast die Hälfte aller gezahlten Kaufpreise für neue Töchter als Goodwill in der Bilanz auftauchte. Nicht einmal ein Drittel der Kaufpreise war wirklich „hartes Vermögen“, so Sellhorn.

Sorglosigkeit signalisiert nicht nur der hohe Kaufpreis, den Bayer bereit ist, zu zahlen. Im ersten Halbjahr 2014 kündigten Unternehmen nach Daten von Thomson Reuters Fusionen über fast 1800 Milliarden Dollar an – knapp drei Viertel mehr als vor Jahresfrist. Das ist das höchste Volumen seit dem ersten Halbjahr 2007, kurz bevor der Finanzcrash begann. Ein Großteil der damaligen Übernahmen hatten den Goodwill weiter aufgepumpt, so wird es auch diesmal sein. Dafür sprechen die enormen einzelnen Summen, die annonciert sind. Der US-Telekomkonzern AT&T will den Satellitenfernseh-Betreiber DirecTV inklusive Schulden für 67 Milliarden Dollar kaufen; der Medienriesen Comcast will sich den Kabelanbieter Time Warner Cable für 45 Milliarden Dollar einverleiben; das Überwachungsnetzwerk Facebook hat den Kurzmitteilungsanbieter WhatsApp für rund 19 Milliarden Dollar erworben. Auch das in Deutschland per Ende Juli annoncierte Übernahmevolumen liegt mit knapp 64 Milliarden Dollar auf dem höchsten Stand seit sechs Jahren.

Wie sich die Vermögen bilanzierten Übernahmen der Dax-30-Unternehmen entwickelt haben

Kurs passt sich nach unten an

Anleger dürften über kurz oder lang vor allem bei Unternehmen bluten, bei denen der Goodwill einen hohen Anteil am Eigenkapital ausmacht oder absolut betrachtet sehr hoch ist (siehe Tabelle links). Denn wenn das Eigenkapital über Gebühr belastet wird, drohen Kapitalerhöhungen. Die Konzerngewinne verteilen sich dann auf mehr Aktien, das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) steigt entweder, oder der Kurs passt sich nach unten an. Die KGVs steigen auch kräftig in die Höhe, wenn Anleger regelmäßige Abschreibungen auf den Goodwill unterstellen.

In den vergangenen beiden Jahren, in einer Phase guter Konjunktur also, verdienten die 30 Dax-Unternehmen zusammen jeweils gut 60 Milliarden Euro. Sollten auch in diesem und im kommenden Jahr die ausgewiesenen Gewinne stagnieren, wofür einiges spricht, dann würde eine regelmäßige Abwertung des Goodwill ein Drittel dieser Gewinne ausradieren. Etwa 40 Milliarden Euro Jahresüberschuss im Dax würden bei einem derzeitigen Dax von aktuell 9650 Punkten ein KGV von 24 ergeben – enorm teuer. Um das – geschätzte – KGV, die Kernkennzahl für die Aktienbewertung, zu ermitteln, dividieren Investoren den aktuellen Börsenwert eines Unternehmens durch den letztjährigen oder den erwarteten Jahresüberschuss des Unternehmens. Bei Bayer, der Deutschen Bank oder E.On etwa ginge jeweils das KGV deutlich nach oben und könnte von Käufen der Aktie abschrecken. Ganz zu schweigen von Unternehmen wie FMC oder HeidelbergCement die plötzlich rote Zahlen schreiben würden.

Aktien sind weniger günstig als es scheint

Neben dem KGV spielt das Kurs-Buch-Verhältnis (KBV) die zweite wichtige Geige bei der Fundamentalanalyse der Märkte. Dieser Buchwert ist der rechnerische Vermögensanteil des Aktionärs an seinem Unternehmen. Aktuell gestehen Investoren allen Dax-Unternehmen im Durchschnitt schon eine 70-prozentige Prämie auf den Vermögenswert zu. Das Kurs-Buchwert-Verhältnis liegt deshalb bei 1,7. Eine Komplettabwertung des Goodwill ließe das KBV um zwei Drittel auf den enormen Faktor von 2,8 steigen. Solche Prämien gestehen Anleger bestenfalls stark wachsenden Technologieunternehmen zu, aber nicht den vielen trägen Dax-Konzernen. „Diese erhebliche Veränderungen, so hat man den Eindruck, haben viele Investoren nicht auf dem Radar“, sagt Leibfried.

Weil bis auf wenige Ausnahmen Vermögensverwalter und Fondsmanager in erster Linie schematisch Zahlen durchforsten, ohne deren Qualität zu prüfen, oder, schlimmer noch, Computer-Programme über Aktienkäufe entscheiden lassen, ist es für Vorstände ein Leichtes, Anleger über den Impairment Test zu täuschen, um so höhere Gewinne und ein höheres Eigenkapital auszuweisen. Fehlerhafte Bilanzierung erfasst keines der von Großinvestoren eingesetzten Terminals und schon gar nicht irgendein Algorithmus.

Chinas Internet-Riese Alibaba will beim Börsengang mehr Geld einsammeln als je ein Unternehmen zuvor. Damit will der Konzern Amazon und Ebay überholen. Aber Geld allein wird dazu nicht reichen.
von Andreas Toller, Stephan Happel

Denn viele Unternehmen greifen in die Trickkiste, sobald eine Einheit Abschreibungsbedarf hat. Ein Weg ist, den Zeitraum, der die Basis für die im Test verwendeten Planzahlen bildet, zu strecken. Gasehersteller Linde etwa verschob im schwierigen Jahr 2009 den Planungszeitraum einfach um ein Jahr auf 2014. Beliebt ist auch der Dreh, schwach laufende Geschäfte in der einen Einheit mit gut laufenden in einer anderen neu zusammenzufassen: In diesem Jahr böte sich an, schlechtere Verkäufe in Russland mit dem besser laufenden Geschäft in der Türkei oder das mies laufende Rüstungs- mit dem besseren Automotivegeschäft zu verknüpfen. So änderte beispielsweise die Deutsche Telekom im Jahr 2012 die Zuordnung ihrer Geschäftseinheiten. Ob damit eine noch höhere Goodwill-Abschreibung vermieden werden sollte, ist jedoch selbst für Fachleute wie Sellhorn „nicht zu erkennen“. „Keine Chance“, deshalb Manipulationen zu enttarnen, sieht auch Bilanzexperte Brösel. „Ganz generell ist eine Änderung der Strukturen bei den Geschäftseinheiten“ aber ein Grund, „genau hinzuschauen“, sagt DPR-Vizepräsidentin Thormann.

Analysten reagieren zu spät

Getäuscht würden damit nicht nur Aktionäre, sondern auch Gläubiger. So können Abschreibungen auf den Goodwill dazu führen, dass Unternehmen Vereinbarungen brechen, die sie Kreditgebern oder Eigentümern von Anleihen gegeben haben. Beim Stahlzulieferer SKW Stahl-Metallurgie etwa fiel vor Monatsfrist nicht nur der Aktienkurs binnen eines Tages um gleich 60 Prozent. Impairment Tests zum 30. Juni 2014 hatten „außerordentliche Wertberichtigungen in voraussichtlicher Höhe von 84 Millionen Euro“ ergeben, was auch einen Bruch von Kreditbedingungen mit Banken auslöste; die Geldinstitute stellten dem bayrischen Unternehmen trotz eigentlich nicht mehr haltbarer Finanzkennzahlen die Darlehen aber noch nicht fällig, sondern gewährten eine Gnadenfrist bis zum 30. September.

Eine Gnadenfrist könnte auch bei jenen Vorständen beginnen, die mit jeder Abschreibung einräumen müssen, Aktionärsvermögen verschleudert zu haben. „Eine Goodwill-Abschreibung birgt immer auch die Gefahr eines Reputationsverlustes für das Unternehmen und das Management“, so Sellhorn, „daher wird oft versucht, sie dem Kapitalmarkt als Neuanfang zu verkaufen und den Eindruck einer gescheiterten Akquisition zu vermeiden.“

Druck zu Abschreibungen wächst

Wenn hohe Abschreibungen nicht mehr aufgeschoben werden können, weil etwa selbst den meist gefügigen oder wenig kenntnisreichen Aufsichtsräten langsam mulmig wird, dann wird es für Anleger oft bitter. So rutschte im vergangenen Dezember der Kurs der Peugeot-Aktie um zehn Prozent, als der französische Autokonzern eine Goodwill-Abschreibung über 1,1 Milliarden Euro meldete. Zu spät reagieren dann oft auch Analysten. Erst als Reaktion auf die Abwertung stufte etwa Standard & Poor’s (S&P) die Aktie auf verkaufen. Das Schuldenrating setzte S&P nur kurze Zeit später in die schwache Kategorie B+.

Mächtig Gegenwind droht auch bei der französischen Société Générale. Trotz des Kriegs in der Ukraine setzt die französische Großbank weiter auf Russland. Bank-Chef Frédéric Oudéa bekräftigte dieses Jahr das langfristige Engagement seines Hauses in Russland, obwohl er im ersten Quartal seinen Aktionären bereits eine Goodwill-Abschreibung in Höhe von 525 Millionen Euro auf das dortige Geschäft bescherte.

Extreme Beispiele

Im Dax erwischte es zuletzt RWE, die in ihrer Jahresbilanz 1,4 Milliarden Euro an Goodwill abwertete. Aus der zweiten Reihe räumte beispielsweise der Pharmahändler Celesio Anfang Juli bei Firmenwerten auf, die aus Zukäufen in Brasilien stammten. Die Aktie des Nürnberger Marktforschers GfK steht seit vergangenem Dezember unter Druck, nachdem der Konzern für 2013 wegen unerwarteter Firmenwertabschreibungen erstmals seit seinem Börsengang 1999 einen Verlust angekündigt hatte. Beim Berliner Entsorger Alba stürzte 2013 nach Firmenwertabschreibungen ebenfalls das Ergebnis. Vor Steuern rutschten die Berliner mit 67 Millionen Euro in die Miesen. Mit solchen kleinen Zahlen gibt sich naturgemäß die Bankenbranche nicht ab. Innerhalb von fünf Jahren wertete etwa die italienische UniCredit unter anderem auf den Goodwill 75 Milliarden Euro ab.

Extrem ist das Beispiel Banesto. Die spanische Großbank hatte, wie die DPR feststellte, in ihrer Bilanz unter der Verwendung eines eigenen Modells für ihre Anteile an der Immobiliengesellschaft Metrovacesa einen Wert von 24,40 Euro je Aktie ermittelt, obwohl der relevante Börsenkurs bei nur 5,59 Euro lag, also drei Viertel niedriger.

Ein solches Extrem hat die DPR bei einem Dax-Unternehmen noch nicht festgestellt. Der Druck, Goodwill endlich auch mal abzuschreiben, wird aber immer größer. So würde es nicht verwundern, wenn Unternehmen Aktionären noch bis zum Jahresende so manche böse Überraschung bescherten. Denn erst im laufenden dritten und kommenden vierten Quartal steht bei den meisten turnusmäßig der Goodwill auf dem Prüfstand. Einige Milliarden davon vielleicht schon zum letzten Mal.

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