




Der Bitcoin hat bislang alle Krisen gemeistert und die Skeptiker mehr als einmal verblüfft. Der Zusammenbruch der größten Handelsplattform Mt.Gox legt die Schwachstellen des Digitalgeldes nun jedoch schonungslos offen. Die Probleme bringen die Idee vom freien Geld, das ohne Zentralbanken und staatlichen Einfluss funktioniert, an den Scheideweg. Das Aus von Mt.Gox könnte ein notwendiger Denkzettel auf dem Weg nach oben sein. Oder der Anfang vom Ende.
Die plötzliche Schließung des Handelsplatzes ruft die japanischen Behörden auf den Plan. Unter anderem die zuständige Finanzaufsicht, die Polizei und das Finanzministerium untersuchten den Fall, sagte ein Regierungssprecher am Mittwoch. Zu einem Bericht, wonach die Ermittler in New York Zwangsmaßnahmen gegen die Seite eingeleitet hätten, äußerte er sich nicht. Unternehmenschef Mark Karpeles versuchte die Anleger zu beruhigen. Er sei noch immer in Japan und arbeite mit anderen Parteien daran, eine Lösung der Probleme zu finden, erklärte er auf der Mt.Gox-Internetseite.
Die einst größte Börse für das virtuelle Geld hatte am Dienstag offenbar den Betrieb eingestellt. Ihre Webseite war nicht mehr erreichbar und das Büro in Tokio verwaist. Der Aufenthaltsort von Karpeles war unklar. Er hatte per E-Mail lediglich erklärt, das Geschäft befinde sich an einem "Wendepunkt". Für die Cyber-Währung, die man an den Bitcoin-Börsen in reales Geld tauschen kann, bedeutet der Fall Mt.Gox einen weiteren Rückschlag. Erst im Januar waren in den USA zwei Organisatoren von derartigen Handelsplattformen wegen des Verdachts auf Geldwäsche festgenommen worden.
Am Dienstagmorgen war Mt.Gox verschwunden. Wo sonst mehr oder weniger zuverlässig angezeigt wurde, zu welchem Dollarkurs der Bitcoin zuletzt den Besitzer wechselte, erschien nur noch eine leere weiße Seite. Das ist jedoch noch das Harmloseste: Laut einem im Internet veröffentlichten Papier könnten mehr als 740.000 Bitcoins zum aktuellen Wert von über 300 Millionen Dollar verschwunden sein. Spekulationen über Insolvenz und Betrug machen die Runde. „Das dürfte es dann jetzt gewesen sein“, hieß es im Forum „bitcointalk.org“.
Wie das Wall Street Journal berichtet, haben US-Bundesstaatsanwälte eine Vorladung an Mt.Gox verschickt. Darin sollen die Betreiber dazu aufgefordert werden, bestimmte Unterlagen als rechtlich relevante Dokumente zu verwahren. Die US-Justiz prüfe angeblich, welche rechtliche Handhabe ihr gegenüber den Börsenbetreibern zur Verfügung steht. Sollten Mt.Gox oder ihre Angestellten in irgendeiner Form E-Mails oder Finanztransaktionen über Manhattan geleitet haben, könnten die dort ansässigen Staatsanwälte ein Verfahren beginnen.
Ist der Kollaps Mt.Gox der Sargnagel für den Bitcoin? Die anderen Handelsplätze bemühen sich, diesen Eindruck zu zerstreuen. Die Probleme der Plattform seien hausgemacht, heißt es in einer gemeinsamen Stellungnahme der Wettbewerber Coinbase, Kraken, BitStamp, Circle und BTC China. Die „tragische Verletzung des Vertrauens“ der User von Mt.Gox habe sich das Unternehmen selbst zuzuschreiben. Wie in jeder aufstrebenden Branche gebe es schwarze Schafe. Dem stünden jedoch hunderte verantwortungsvoller Firmen gegenüber.
Das klingt etwas nach Pfeifen im Walde. Schon bevor Mt.Gox, das über die Hälfte aller Bitcoin-Transaktionen abwickelte, von der Bildfläche verschwand, war die „Hacker-Währung“ angeschlagen. Warnungen von Zentralbanken und Finanzaufsehern sowie Sicherheitslücken hatten sie zurückgeworfen. „Durch Hackerattacken auf Tauschplätze und Betrugsversuche von etlichen Pseudoanbietern hat das Vertrauen erheblich gelitten“, sagt Finanzanalyst Andreas Lipkow. Nach dem Riesenhype im vergangenen Jahr halbierte sich der Kurs 2014 auf zuletzt etwa 500 Dollar.
Wie geht es weiter? Die Lektion aus der Erfahrung mit Mt.Gox ist für viele Nutzer klar: Handelsplattformen sind keine Banken. Aber wo soll das digitale Geld sicher verwahrt werden? „Nun zeigen sich die Schattenseiten der mangelnden Regulierung“, sagt Geschäftsführer Manfred Hübner vom Forschungsunternehmen Sentix. Der finanzpolitische Sprecher der Grünen-Fraktion im Bundestag, Gerhard Schick, vermisst im „Handelsblatt“ stabilisierende Elemente wie bei einer Zentralbank - aber genau deren Einfluss wollen die Bitcoin-User ja verhindern. Ein Dilemma.