Von Stefan Hajek, Matthias Hohensee, Hauke Reimer, Christof Schürmann, Cornelius Welp und Sebastian Kirsch
Fressen oder gefressen werden? Kaum einem europäischen Unternehmenslenker stellt sich diese Frage so massiv wie Vodafone-Chef Vittorio Colao. Im September hatte er angekündigt, seine 45 Prozent am US-Mobilfunker Verizon Wireless für 130 Milliarden Dollar an den Partner Verizon zu verkaufen. Vor einem Monat genehmigten die Kartellbehörden den Deal. Nun steht Colao unter Zugzwang, er muss fressen, die Milliarden wie geplant für Zukäufe im Kernmarkt Europa einsetzen. Denn mit seiner prall gefüllten Kasse könnte Vodafone sonst selbst gefressen werden. US-Gigant AT&T soll ein Auge auf die Briten geworfen haben. Ein Zusammenschluss würde einen Giganten mit knapp 380 Milliarden Dollar Marktwert schaffen. Seit Ende August hat die Vodafone-Aktie fast 30 Prozent zugelegt, fast doppelt so viel wie der Index Eurostoxx 50.
Noch aber ist der Markt nicht heiß gelaufen. Übernahmen deutscher Unternehmen im Gesamtwert von 82 Milliarden Euro hat der Dienstleister Dealogic in seiner Datenbank, 37 Prozent mehr als 2012, aber deutlich weniger als die 137 Milliarden aus dem Rekordjahr 2007. Für Anleger ein gutes Zeichen: Der Markt für Fusionen und Übernahmen signalisiert noch nicht, dass die Börse übertreibt. „Nach einem Plus von 25 Prozent im Dax 2013 suchen Anleger Sondersituationen. Im reifen Haussezyklus tritt das Thema Übernahmen so in den Vordergrund“, beobachtet Michael Kollenda, Vorstand von Salutaris Capital Management in München.
Übernahmefantasie und bereits laufende Aufkäufe stützen die Kurse begehrter Unternehmen. Selbst wenn die Börse einbricht, verliert ein Aufkäufer nicht schlagartig das Interesse an seinem Zielobjekt. Er wird eher weiter Stücke einsammeln. Gerade bei heiß laufenden Börsen bieten Übernahmeaktien deshalb Kurschancen und Sicherheit. Was spricht dafür, dass es 2014 mehr Übernahmen geben wird?
- Historisch niedrige Zinsen ermöglichen günstige Finanzierungen.
- Unternehmen sind noch nicht zu teuer. „Die Bewertungen sind im Durchschnitt noch attraktiv“, urteilt Alexander Roos, Leiter des Geschäfts mit Übernahmen bei Boston Consulting. Unternehmen suchten bei Übernahmezielen Wachstum und Innovationen. „Allerdings sind viele aus Angst vor volkswirtschaftlichen Schocks immer noch zurückhaltend“, sagt Roos.
Die größten Übernahmen und Aktienpaket-Verkäufe 2013
Ziel: Kabel Deutschland
Käufer: Vodafone
Branche: Telekommunikation
Kaufpreis (in Mrd. Euro): 8,6
Quelle: Mergermarket, eigene Recherchen; betrachtet wurden nur börsennotierte Unternehmen
Ziel: GSW Immobilien
Käufer: Deutsche Wohnen
Branche: Immobilien
Kaufpreis (in Mrd. Euro): 3,9
Ziel: MAN
Käufer: Volkswagen
Branche: Industrie
Kaufpreis (in Mrd. Euro): 2,8
Ziel: GBWAG
Käufer: Patrizia Immobilien
Branche: Immobilien
Kaufpreis (in Mrd. Euro): 2,5
Ziel: Sky DE
Käufer: Twenty-First Century Fox
Branche: Funk und Fernsehen
Kaufpreis (in Mrd. Euro): 0,9
Ziel: Evonik
Käufer: Temasek
Branche: Industrie
Kaufpreis (in Mrd. Euro): 0,6
Ziel: Prime Office
Käufer: German Acorn Real Estate
Branche: Immobilien
Kaufpreis (in Mrd. Euro): 0,5
Ziel: Generali DE
Käufer: Assicurazioni Generali
Branche: Versicherer
Kaufpreis (in Mrd. Euro): 0,4
- Doch diese Ängste lassen offenbar nach. „Das Umfeld hat sich stabilisiert, die Unternehmen haben viel Bargeld und stehen unter Druck, für Wachstum zu sorgen“, sagt Alexander Doll, Co-Deutschland-Chef von Barclays. In stagnierenden Branchen, etwa der Telekomindustrie, könnten Firmen nur noch durch Übernahmen wachsen.
- „Viele der potenziellen Übernahmeziele haben sich schlankgespart und lupenreine Bilanzen, was sie noch attraktiver macht“, sagt Tim Schmiel, auf Übernahmen spezialisierter Manager von VM Vermögen in Düsseldorf. Potenzielle Ziele könnten dank hoher Cash-Flows Zinsen für Kredite aus Übernahmefinanzierungen selbst tragen.
- Auch der Kursaufschwung dürfte helfen. „Börsennotierte Unternehmen können den Weg der Kapitalerhöhung nutzen oder ihre Aktien als Währung einsetzen“, sagt Jens Maurer, Leiter des deutschen Übernahmegeschäfts bei Morgan Stanley.