Börsen-Roundtable Warum Anleger und Gründer eine neue Tech-Börse brauchen

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Neuer Markt?

Der bayrische 3-D-Drucker Voxeljet hat es schon aufs Parkett geschafft – in den USA. In Deutschland ging in diesem Jahr kein junges Wachstumsunternehmen an die Börse. Dabei gäbe es durchaus Kandidaten.
von Annina Reimann, Jens Tönnesmann

Herr Conzatti, wollen Sie als Anleger ein neues Marktsegment für Technologieunternehmen?

Conzatti: Das Segment ist zweitrangig. Für mich zählt, dass eine Aktie liquide handelbar ist. Wenn 90 bis 95 Prozent der Aktien schon in festen Händen sind, kann ich da nicht investieren. Ein Problem für manche Investoren ist auch, dass es bei jungen Technologieunternehmen, die wachsen wollen, zunächst keine Dividende gibt. Das gilt etwa für Versicherer, die regelmäßige Einnahmen wollen. Börsengänge dienen vielfach vor allem der Gewinnmaximierung von Alteigentümern, Beratern und Investmentbanken. Der Knochen ist dann abgenagt, damit locken Sie keinen Hund mehr hinter dem Ofen vor. Andersherum formuliert: Ich bekomme nur die Risiken, aber die Chancen sind schon gelaufen. Also schauen Investoren oft lieber auf Unternehmen, die schon an der Börse sind. Da kenne ich Management und Historie.

Welche Kriterien müsste ein neues Börsensegment erfüllen?

Schambach: Es sollte nur Wachstumsunternehmen offenstehen. Man kann als Zulassungsvoraussetzung etwa ein Mindestwachstum verlangen – zum Beispiel 20 bis 30 Prozent pro Jahr. Es muss außerdem einen Mindestumsatz der Unternehmen geben, etwa 30 bis 50 Millionen Euro. Der Börsengang muss vorwiegend dazu dienen, den Unternehmen Wachstumskapital zu beschaffen, und nicht bloß zum Exit von Venture-Kapitalgebern, denn dann bekommen die Unternehmen kein frisches Geld. Es muss eine Mindestmarktkapitalisierung und ein Mindestprozentsatz an frei handelbaren Aktien, also an Freefloat, zusammenkommen. Und die Unternehmen müssen eine Platzierungsgröße von mindestens 50 bis 100 Millionen Euro schaffen, sonst macht das für institutionelle Investoren oder Investmentbanken keinen Sinn.

Conzatti: Wie viele derartige Unternehmen soll es denn geben?

Schambach: Wir haben aus verschiedenen Quellen Namen zusammengetragen. Es gibt in Deutschland an die 50 Unternehmen, die entweder jetzt oder in den nächsten zwei bis drei Jahren diese Kriterien erfüllen könnten. Und wenn es ein neues Börsensegment gäbe, würden es noch mehr Unternehmen werden.

Nun gibt es ein Börsensegment für junge Unternehmen, den wenig regulierten Entry Standard.

Schambach: Institutionelle Investoren investieren aber nicht im Entry Standard, weil die Voraussetzungen für ein Listing der Aktien dort zu lasch sind. Investoren brauchen mehr Informationen.

Conzatti: Das sehe ich nicht so. Es gibt Qualitätsunternehmen in allen Börsensegmenten. Ich habe zum Beispiel in ein Unternehmen investiert, das seither seinen Umsatz von zwei Millionen auf knapp 100 Millionen Euro gesteigert hat, und die notieren immer noch im weitgehend unregulierten Freiverkehr.

Herr Reck, gibt es für Sie genügend Kandidaten für ein neues Börsensegment?

Reck: Ich denke schon. Es gibt diese Gründerszene in Deutschland, und es gibt reife Unternehmen mit guten Geschäftsmodellen, bei denen man sich schon fragt, warum die keine Finanzierung für ihr weiteres Wachstum bekommen. Dass die dann immer gleich an die Börse müssen, bezweifle ich. Oft passt ein Geschäftsmodell auch in eine größere Gesamtheit, sodass große Unternehmen die Technologie kaufen.

Diemer: Manchmal entsteht es aber auch aus der Not heraus, dass ein deutscher Gründer verkauft.

Schambach: Und das ist schade. Selbst große Ideen skeptischer Startups werden oft bei einem frühzeitigen Verkauf weit unter Wert verschleudert.

Diemer: Wenn man sich hier mit einem Investor unterhält, fragt der als Erstes, wann das Unternehmen profitabel wird. Und er will ein Vorbild sehen, das beweist, dass das Geschäftsmodell funktioniert. In den USA heißt es: Wie groß kann es werden? Nicht: Wird es schwarze Zahlen im ersten oder zweiten Quartal schreiben? In den USA entstehen so innovative Unternehmen mit großen Visionen, in Deutschland ist es hingegen immer dieses Klein-Klein.

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