Börsenchancen und -risiken „Panikkäufe könnten die Kurse weiter nach oben treiben“

Seite 2/2

„Ein Riesenproblem der Fehlallokation“

Zurück zum ESG-Fetischismus. In einem Stromer wird etwa vier Mal so viel Kupfer verbaut wie in einem Verbrenner. Sie aber dürfen Tesla bis zum Abwinken kaufen, nicht aber Kupferproduzenten wie Southern Copper oder FreeportMcMoRan. 
Das ist das Riesenproblem der Fehlallokation. Ein Beispiel aus der Vergangenheit: Jeder hält die Banken für die Schuldigen der Subprimekrise. Tatsächlich war es aber die Regierung von George W. Bush, die 2003 mit dem „American Dream Downpayment Act“ wollte, dass jeder Amerikaner ein Haus erhält. Banken haben dieses Incentive ausgeteilt, was zu enormen Fehlallokationen geführt hat. Ähnliches passiert jetzt mit ESG. Um Klimaneutralität zu erreichen, werden Rohstoffe gebraucht. Gebraucht wird Lithium, Zink, Kupfer, Seltene Erden und vieles mehr. Deren Abbau ist gewiss CO2-intensiv, aber die Infrastruktur muss ja erst mal aufgebaut, Leitungen müssen gelegt werden. Aber Unternehmen, die diese Rohstoffe fördern, werden immer mehr vom Kapitalmarkt abgeschnitten, weil immer weniger Investoren dort investieren dürfen. In Europa verschärft sich das schon im nächsten Jahr mit der Taxonomie-Verordnung, quasi per Dekret. Wenn Sie allein das Vereinigte Königreich klimaneutral machen wollten, müssten sich die Schürfungen nach Rohstoffen verdoppeln – und zwar weltweit. Diese Fehlallokationen sorgen dafür, dass Unternehmen, die eine gute Geschichte erzählen, wie beispielsweise Nikola, mit Geld geflutet werden. Andere Unternehmen, deren Produktion unglaublich wichtig wäre auf dem Weg zur Klimaneutralität, werden es schwer haben, überhaupt noch an Geld zu kommen. 

Sind wir diesen Fehlentwicklungen machtlos ausgeliefert? 
Wahrscheinlich ja. Die Politik hat die Regeln vorgegeben. Es sieht so aus, als werde man daran festhalten wollen. So aber schaffen wir es nie, grün zu werden.

Sie sind ein auf Value-Aktien orientiertes Haus. Kapitalerhalt first, sozusagen. Ist Ihnen mit diesem Ansatz nicht einiges entgangen in dem von Corona befeuerten Techboom des vergangenen Jahres?
Wir sind keine Dogmatiker. Wir sind zeitweise mit dem Boom gegangen. Ein Viertel des Portfolios hatten wir zwischenzeitlich in Techaktien wie Amazon, Apple, Microsoft, Samsung oder Tencent.

Apropos Tencent. Bieten chinesische Techaktien nach dem Kursrutsch nicht jetzt ein gutes Verhältnis von Chancen zu Risiken?
Unter anderem Alibaba, Tencent und Baidu haben wir auf der Watchlist. Das sind alles Top-Unternehmen. Wir zögern noch, wegen des politischen Einflusses. Die Eingriffe waren im Vergleich zu früheren Ansagen aus Peking diesmal heftig. Langfristig betrachtet aber sind das wegen ihrer günstigen Bewertung eher Value-Aktien. Und komplett zerschlagen werden die Unternehmen wohl nicht. Es sind wichtige Arbeitgeber, mit ihnen ist ein gewisser Wohlstand verbunden. Die Regierung in Peking möchte viel, aber gewiss keine sozialen Spannungen im Land.

Um welche Aktien machen Sie einen Bogen?
Das sind eher Titel aus der zweiten Reihe, die hochgespült wurden während der Pandemie.

Also Titel wie Teamviewer oder Peloton
Genau, oder Zoom und Netflix.

Netflix? Bei denen läuft‘s doch.
Um die Konkurrenz auf Distanz zu halten, brauchen die aber permanent exklusive Inhalte. Die Kosten der Eigenproduktionen gehen durch die Decke. Unter dem Strich verbrennt Netflix Unmengen Cash.

Wenn ein Unternehmen kein Geld verdient, dann Finger weg?
Ja, deshalb bevorzugen wir eine gesunde Mischung aus defensiven Titeln, Zyklikern und natürlich auch Aktien von Technologieunternehmen, die Geld verdienen.

Welche sind das?
Wir halten Alphabet, Apple und Microsoft und aus dem Halbleitersektor Intel und wichtige Ausrüster wie ASML. Der Chipbedarf geht nicht zurück. Das Gegenteil passiert, gerade wegen des digitalen Schubs, den die Pandemie gebracht hat. Intel ist einfach günstig, gerade im Vergleich zu Nvidia und AMD. 

Ihre größte Einzelposition ist Gold. Warum?
Gold ist unsere Absicherung gegenüber den Zentralbanken mit ihrer expansiven Geldpolitik, unabhängig davon, ob diese Politik Inflation verursacht oder nicht. Alle Währungen werten ab gegenüber Gold, in den vergangenen 20 Jahren um durchschnittlich acht Prozent pro Jahr.

Darf‘s auch etwas Bitcoin sein?
Unsere Kunden präferieren eher Gold. Aber klar, Bitcoin ist eine der wenigen Vermögensklassen, die, bedingt durch das dezentral angelegte System, nicht direkt von den Zentralbanken beeinflusst werden kann. Das passiert eher indirekt durch gewisse Aussagen. Und es ist ein Wertaufbewahrungsgegenstand. Das darf man nicht verkennen. Die Preisfindung vom Bitcoin aber, also ob es jetzt Richtung 100.000 Dollar geht oder erst in Richtung 30.000 Dollar, ist für mich eher eine charttechnische Analyse.

Und was sagt uns der Chart?
Es geht vermutlich erst noch weiter nach oben – bevor die nächste Blase platzt. Als Absicherung gegen einen größeren Finanzunfall taugt Bitcoin aber nicht. Im Gegenteil. Sie verlieren dann vermutlich mehr als mit Unternehmensanteilen, mit denen ich ja immerhin reale Vermögenswerte halte.

Mehr zum Thema: Die Erfolgsgeschichte von Börsenpionier Hermann Zickert kann Anlegern bei der Vermögensbildung helfen. Wie Familien reich werden und es auch bleiben.

Inhalt
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%