Börsenchancen und -risiken „Panikkäufe könnten die Kurse weiter nach oben treiben“

Für Elektroautos wird viel Kupfer benötigt. Dennoch darf Vermögensverwalter David Wehner für seine Kunden zwar massiv in E-Auto-Aktien investieren, nicht jedoch in Kupferminen. Quelle: imago images

Wenn der Staat Anlegern Richtlinien vorgibt, führt das zu Fehlgewichtungen am Markt, mahnt Anlagestratege David Wehner. Warum er trotz Konjunkturrisiken auf steigende Börsen setzt, verrät er im Interview.

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Wehner, 35, ist seit 2019 Senior-Portfoliomanager bei der Do Investment AG in München. Die Vermögensverwaltung gehört zur Unternehmensgruppe von Silvius Dornier, dem dritten Sohn des Luftfahrtpioniers Claude Dornier. Neben dem Family Office der Familie Dornier betreut Do Investment vermögende Privatpersonen, mittelständische Unternehmerfamilien, Institutionen und Stiftungen. 2007 öffnete sich der Vermögensverwalter durch die Auflage von Publikumsfonds auch Privatanlegern. 

WirtschaftsWoche: Herr Wehner, Energieknappheit, gestörte Lieferketten, nachlassendes Wachstum in China – die Konjunktursorgen nehmen zu. Viele Fondsmanager sind vorsichtiger geworden und halten mehr Cash. Sie auch?
David Wehner: Wir haben die Aktienquote ausgebaut. 

Das ist mutig.
Die konjunkturellen Sorgen teile ich, aber das dominierende Thema für Anlageentscheidungen ist Liquidität. Das treibt die Finanzmärkte. Und in dem Moment, wo wir Bremsspuren sehen, und die sehen wir ja schon, werden die Zentralbanken nicht weniger, sondern mehr Liquidität bereitstellen. Und Liquidität sucht sich ihren Weg. Dann kommen die Renditen zurück und die Aktienmärkte werden gestützt. Dann müssen viele ihre Absicherungen auflösen und hinterherlaufen. 

Aus Angst, etwas zu verpassen? 
Ja, genau. Denn viele Portfoliomanager und Investoren orientieren sich an Kapitalmarktbenchmarks und da ist es schmerzhaft, wenn der Zug ohne einen wegfährt.

Goldman Sachs rechnet gar mit einem Melt-Up-Boom, Sie auch? 
Ausschließen lässt er sich nicht. Panikkäufe könnten die Kurse weiter nach oben treiben. 

Aber wenn die Inflation oben bleibt, dann sind die Notenbanken irgendwann in Zugzwang. 
Aus der Denke eines Staates oder einer Zentralbank ist Inflation erst mal das Beste, was passieren kann. So lässt sich der Schuldenberg weg inflationieren. Aber wenn wir eine Nachfrageschwäche haben, dann werden die Rohstoffpreise etwas zurückkommen, wie zuletzt ansatzweise bei Kohle. Das linderte den Inflationsdruck. 



Gibt es strukturelle Knappheiten bei einigen Rohstoffen?
Die gibt es, weil in den vergangenen Jahren zu wenig in neue Vorkommen investiert wurde. 

Warum nicht?
Wir haben seit Jahren einen Trend zu ESG-konformen-Investments, nächstes Jahr kommen voraussichtlich die delegierten Rechtsakte im Rahmen der EU-Taxonomie-Verordnung zur Anwendung.

Dann dürfen Sie nur noch „grün“ investieren...
...und das macht es gerade für Rohstoffunternehmen kaum noch möglich, an Kapital zu kommen. Deshalb investieren die Unternehmen auch nicht mehr.

Aber die Aktien sind preiswert.
So preiswert wie nie. Weil keine Kapitalinvestitionen gemacht werden, haben etwa die Ölfirmen so viel Geld und fahren hohe Free-Cash-Flow-Renditen ein. 

Damit lässt sich die Energiekrise nicht lösen. 
Grüne Energien sind wünschenswert. Nur sind diese Energien nicht prognostizierbar. Das haben wir dieses Jahr erlebt – ein verregneter Sommer ohne Wind. 

Eine Brücke schlagen könnte die Atomkraft.
So wollen es China, die USA und Frankreich lösen.

Deutschland vielleicht auch, spätestens nach dem ersten Blackout? 
Das wäre natürlich ein Treppenwitz mit grüner Beteiligung in der Bundesregierung, aber ich schließe das nicht aus. Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern – so ist das ja oft in der Politik. Spätestens im nächsten Jahr, wenn die Bürger ihre Nebenkostenabrechnungen erhalten, gehen die Diskussionen los. Dann wird die Frage gestellt, wie sinnvoll ist die Energiewende eigentlich, die uns letztendlich nicht unabhängig gemacht hat von fossilen Energierohstoffen. Man mag die Nuklearenergie kritisch sehen, aber es ist eine prognostizierbare Energie. Es wird kaum gehen, ohne Atomkraft als Zwischenlösung die Klimaziele zu erreichen. 

Berücksichtigen sie das in Ihrer Aktienauswahl?
Wir Europäer sind ja meist abgeschlagen, nur in Sachen Regulierung sind wir ganz weit vorne. Vom nächsten Jahr an wird es für uns als regulierte Investoren wohl noch schwieriger, überhaupt in Rohstoffunternehmen investieren zu können, die im Sinne der Taxonomie als ökologisch gelten. Die Unternehmen wollen unbedingt in den ESG-Filter reinkommen, alle wollen grüner werden. Total hat sich sogar unbenannt in TotalEnergies. Ölaktien sind unter ESG-Kriterien das „Schmutzigste“, was wir uns erlauben.

Wie hoch gewichtet im Portfolio?
Derzeit mit etwa neun Prozent. Wir werden das etwas reduzieren, weil uns der Markt auf kurze Sicht etwas zu heiß gelaufen erscheint. Das aber ist eher taktisch und ändert nichts an unserer positiven Einschätzung insgesamt.

„Ein Riesenproblem der Fehlallokation“

Zurück zum ESG-Fetischismus. In einem Stromer wird etwa vier Mal so viel Kupfer verbaut wie in einem Verbrenner. Sie aber dürfen Tesla bis zum Abwinken kaufen, nicht aber Kupferproduzenten wie Southern Copper oder FreeportMcMoRan. 
Das ist das Riesenproblem der Fehlallokation. Ein Beispiel aus der Vergangenheit: Jeder hält die Banken für die Schuldigen der Subprimekrise. Tatsächlich war es aber die Regierung von George W. Bush, die 2003 mit dem „American Dream Downpayment Act“ wollte, dass jeder Amerikaner ein Haus erhält. Banken haben dieses Incentive ausgeteilt, was zu enormen Fehlallokationen geführt hat. Ähnliches passiert jetzt mit ESG. Um Klimaneutralität zu erreichen, werden Rohstoffe gebraucht. Gebraucht wird Lithium, Zink, Kupfer, Seltene Erden und vieles mehr. Deren Abbau ist gewiss CO2-intensiv, aber die Infrastruktur muss ja erst mal aufgebaut, Leitungen müssen gelegt werden. Aber Unternehmen, die diese Rohstoffe fördern, werden immer mehr vom Kapitalmarkt abgeschnitten, weil immer weniger Investoren dort investieren dürfen. In Europa verschärft sich das schon im nächsten Jahr mit der Taxonomie-Verordnung, quasi per Dekret. Wenn Sie allein das Vereinigte Königreich klimaneutral machen wollten, müssten sich die Schürfungen nach Rohstoffen verdoppeln – und zwar weltweit. Diese Fehlallokationen sorgen dafür, dass Unternehmen, die eine gute Geschichte erzählen, wie beispielsweise Nikola, mit Geld geflutet werden. Andere Unternehmen, deren Produktion unglaublich wichtig wäre auf dem Weg zur Klimaneutralität, werden es schwer haben, überhaupt noch an Geld zu kommen. 

Sind wir diesen Fehlentwicklungen machtlos ausgeliefert? 
Wahrscheinlich ja. Die Politik hat die Regeln vorgegeben. Es sieht so aus, als werde man daran festhalten wollen. So aber schaffen wir es nie, grün zu werden.

Sie sind ein auf Value-Aktien orientiertes Haus. Kapitalerhalt first, sozusagen. Ist Ihnen mit diesem Ansatz nicht einiges entgangen in dem von Corona befeuerten Techboom des vergangenen Jahres?
Wir sind keine Dogmatiker. Wir sind zeitweise mit dem Boom gegangen. Ein Viertel des Portfolios hatten wir zwischenzeitlich in Techaktien wie Amazon, Apple, Microsoft, Samsung oder Tencent.

Apropos Tencent. Bieten chinesische Techaktien nach dem Kursrutsch nicht jetzt ein gutes Verhältnis von Chancen zu Risiken?
Unter anderem Alibaba, Tencent und Baidu haben wir auf der Watchlist. Das sind alles Top-Unternehmen. Wir zögern noch, wegen des politischen Einflusses. Die Eingriffe waren im Vergleich zu früheren Ansagen aus Peking diesmal heftig. Langfristig betrachtet aber sind das wegen ihrer günstigen Bewertung eher Value-Aktien. Und komplett zerschlagen werden die Unternehmen wohl nicht. Es sind wichtige Arbeitgeber, mit ihnen ist ein gewisser Wohlstand verbunden. Die Regierung in Peking möchte viel, aber gewiss keine sozialen Spannungen im Land.

Um welche Aktien machen Sie einen Bogen?
Das sind eher Titel aus der zweiten Reihe, die hochgespült wurden während der Pandemie.

Also Titel wie Teamviewer oder Peloton
Genau, oder Zoom und Netflix.

Netflix? Bei denen läuft‘s doch.
Um die Konkurrenz auf Distanz zu halten, brauchen die aber permanent exklusive Inhalte. Die Kosten der Eigenproduktionen gehen durch die Decke. Unter dem Strich verbrennt Netflix Unmengen Cash.

Wenn ein Unternehmen kein Geld verdient, dann Finger weg?
Ja, deshalb bevorzugen wir eine gesunde Mischung aus defensiven Titeln, Zyklikern und natürlich auch Aktien von Technologieunternehmen, die Geld verdienen.

Welche sind das?
Wir halten Alphabet, Apple und Microsoft und aus dem Halbleitersektor Intel und wichtige Ausrüster wie ASML. Der Chipbedarf geht nicht zurück. Das Gegenteil passiert, gerade wegen des digitalen Schubs, den die Pandemie gebracht hat. Intel ist einfach günstig, gerade im Vergleich zu Nvidia und AMD. 

Ihre größte Einzelposition ist Gold. Warum?
Gold ist unsere Absicherung gegenüber den Zentralbanken mit ihrer expansiven Geldpolitik, unabhängig davon, ob diese Politik Inflation verursacht oder nicht. Alle Währungen werten ab gegenüber Gold, in den vergangenen 20 Jahren um durchschnittlich acht Prozent pro Jahr.

Darf‘s auch etwas Bitcoin sein?
Unsere Kunden präferieren eher Gold. Aber klar, Bitcoin ist eine der wenigen Vermögensklassen, die, bedingt durch das dezentral angelegte System, nicht direkt von den Zentralbanken beeinflusst werden kann. Das passiert eher indirekt durch gewisse Aussagen. Und es ist ein Wertaufbewahrungsgegenstand. Das darf man nicht verkennen. Die Preisfindung vom Bitcoin aber, also ob es jetzt Richtung 100.000 Dollar geht oder erst in Richtung 30.000 Dollar, ist für mich eher eine charttechnische Analyse.

Und was sagt uns der Chart?
Es geht vermutlich erst noch weiter nach oben – bevor die nächste Blase platzt. Als Absicherung gegen einen größeren Finanzunfall taugt Bitcoin aber nicht. Im Gegenteil. Sie verlieren dann vermutlich mehr als mit Unternehmensanteilen, mit denen ich ja immerhin reale Vermögenswerte halte.

Mehr zum Thema: Die Erfolgsgeschichte von Börsenpionier Hermann Zickert kann Anlegern bei der Vermögensbildung helfen. Wie Familien reich werden und es auch bleiben.

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