
Die Inhalte chinesischer Staatsmedien könnten sehr amüsant sein, wenn sie nicht so traurig wären. Vor einigen Tagen hieß es in einem Kommentar der Tageszeitung "Global Times", China und nicht Indien sei eigentlich die größte Demokratie der Welt. Sie funktioniere eben nur ein bisschen anders als westliche Demokratien, die ja eigentlich nur dem Kapitalismus dienten.
Der Kapitalismus hat das Land zwar in den letzten 30 Jahren aus der Armut geführt. Aber so richtig traut man der Wirtschaftsordnung in Peking nicht. Zwar verkündete die Partei zu Beginn der Amtszeit von Xi Jinping 2013, man wolle "Marktkräften eine entscheidende Rolle" zukommen lassen. Allerdings sollten die Marktkräfte auch bitte das tun, was in Pekings Augen nützlich ist.





Tun sie das nicht, müssen Sündenböcke gefunden werden. Als die Kurse zu fallen begannen, vermutete man "illegale, ausländische Short-Seller" hinter dem Kursabsturz. Auch der Spekulant George Soros sei daran beteiligt gewesen. Dann wurden einheimische Broker beschuldigt, die Kurse manipuliert zu haben. Der neueste Übeltäter: Ein Reporter des renommierten Wirtschaftsmagazin "Caijing" soll "Gerüchte" gestreut haben, die den Kursrutsch ausgelöst haben.
Neben ihm wurden fast 200 weitere Menschen als Verursacher für den Crash ausgemacht und von den Behörden bestraft, weil sie im Internet "Gerüchte verbreitet" hätten. Einem Bericht der staatlichen Nachrichtenagentur Xinhua zufolge hat die Polizei die User verfolgt, weil sie eine „Panik auslösen“ und die „Öffentlichkeit täuschen“ wollten. Ein Nutzer soll behauptet haben, dass sich in Peking ein Mann wegen der Börsenunruhen aus einem Fenster in den Tod gestürzt habe.
Die fünf großen Gefahren für Chinas Wirtschaftswachstum
Seit Jahren schießen die Immobilienpreise in Chinas Großstädten in ungeahnte Höhen - seit Monaten mehren sich jedoch Zeichen für einen Kollaps.
Neben den trägen Staatsbanken hat sich in China ein großer Markt von nicht-registrierten Geldinstituten etabliert, die der Staat bislang nicht kontrollieren kann.
Banken haben ohne genaue Prüfung Firmen immense Kredite für unproduktive und verschwenderische Investitionen gegeben.
Mit Subventionen der Regierung haben viele Branchen gewaltige Überkapazitäten aufgebaut, beispielsweise die Solarindustrie. Aber sie werden ihre Produkte nicht los.
Chinas Wirtschaft hängt vom Export ab. Geraten wichtige Abnehmerländer in Krisen, hat auch China Probleme.
Vor etwa einem Jahr begann Chinas Liebesaffäre mit der Börse. Die sieben Jahre zuvor lagen die Finanzmärkte in Shanghai und Shenzhen in einer Art Dornröschenschlaf. Nach einer heftigen Spekulationsblase, die 2007 geplatzt war, hatten die meisten Chinesen genug von Aktien und steckten ihre Ersparnisse in Wohnungen.
Die Hauspreise aber hatten bereits Höhen erreicht, die sich viele Städter vor allem in den Metropolen an der Ostküste nicht mehr leisten konnten. Auch das Wachstum schwächelte.
Chinas Unternehmen sind stark verschuldet
Der Aktienmarkt wurde zu einem willkommenen Neben-Theater für Peking - Chinas Unternehmen sind mit 125 Prozent der Wirtschaftsleistung stark verschuldet. Eine Nachwirkung des Konjunkturpakets 2008, als China mit rund 600 Milliarden Euro die Weltwirtschaft stabilisierte. Viele von ihnen konnten sich nun auf den Finanzmärkten refinanzieren
Die Kurse stiegen - der Shanghai Composite Index verdoppelte sich innerhalb weniger Monate, die Kurse des CSI300, in dem viele Hightech-Unternehmen notiert sind, stiegen noch rasanter an. Die chinesischen Staatsmedien feierten die neue Erfolgsstory.
Zum ersten Mal begannen sich auch chinesische Kleinanleger für Aktien zu interessieren. Viele von ihnen waren nie zuvor mit der Börse in Berührung gekommen. Sie hörten nur, dort könne man schnelles Geld verdienen. Da war ein Bauern-Dorf in der Provinz Shaanxi, dessen Bewohner ihre gesamten Ersparnisse in Aktien investierten. Noch Anfang Juni schrieb die Global Times: "Börsenrally ermöglicht Dorfbewohnern einen neuen Lifestyle!"