
Als der erste Kurs für Börsenneuling Scout24 an der Anzeigetafel prangte, herrschte zunächst Jubelstimmung: 30,75 Euro für eine Aktie des Kleinanzeigen-Portalbetreibers, immerhin 75 Cent über dem Ausgabepreis.
Schon am Abend hatte sich Ernüchterung unter den frischgebackenen Aktionären eingestellt. Das Papier fiel bis auf 28,70 Euro. Das sagt allerdings weniger etwas über die Güte des Unternehmens und seiner Aktie aus, als über die Stimmung an der Börse insgesamt.
Als die Börsenkandidaten Scout24, Bayer-Tochter Covestro, Automobilzulieferer Schaeffler, Reeder Hapag-Lloyd oder der Solar- und Windparkbetreiber Chorus Clean Energy ihren Gang aufs Börsenparkett ankündigten, herrschte angesichts stabil guter Börsenlaune großer Optimismus vor. Mit der allgemein guten Stimmung sollten die Kassen der Unternehmen, Altaktionäre und Betreuerbanken Klingeln. Nun aber ist die Lage schwieriger als erwartet.
Scout24 im Börsenneulingscheck
Onlinemarktplätze
Quelle: Unternehmen, eigene Recherchen
Stand: 24.09.2015
2014: 345 Mio. Euro
2015: 380 Mio. Euro
2016: 436 Mio. Euro
2014: 141 Mio. Euro
2015: 95 Mio. Euro
2016: 109 Mio. Euro
Credit Suisse, Goldman Sachs
26,50 Euro bis 33 Euro
Wert der angebotenen Aktien¹: bis zu 1120 Millionen Euro
davon aus Kapitalerhöhung: bis zu 281 Millionen Euro
¹zum oberen Ende der Spanne einschließlich Mehrzuteilungsoption; Zahlen 2015 und 2016 jeweils geschätzt
Marktkapitalisierung¹: bis zu 3850 Millionen Euro
¹zum oberen Ende der Spanne einschließlich Mehrzuteilungsoption; Zahlen 2015 und 2016 jeweils geschätzt
Kurs-Gewinn-Verhältnis¹:
2014: 25,3
2015: 37,7
2016: 32,8
¹zum oberen Ende der Spanne einschließlich Mehrzuteilungsoption; Zahlen 2015 und 2016 jeweils geschätzt
21. bis 30. September
1. Oktober 2015
DE000A12DM80
hoch
nicht zeichnen
Die Aktien von Covestro beispielsweise will Bayer nun günstiger an die Börse bringen, als zunächst geplant. Nach Agenturmeldungen soll der Ausgabepreis nun zwischen 23 und 24 Euro liegen. Ursprünglich lag die Preisspanne zu Beginn der Zeichnungsfrist zwischen 26,50 und 35,50 Euro je Aktie – am oberen Ende ist das rund ein Drittel weniger. Außerdem wurde der Termin für die geplante Erstnotiz vom 2. auf den 6. Oktober verschoben und das zu platzierende Aktienvolumen um eine Milliarde Euro verknappt. All das, damit die Abspaltung vom Chemiekonzern Bayer doch noch gelingt.
Ein wenig wie Hohn klingt es da schon, wenn die Nachrichtenagentur Reuters eine mit der Sache vertraute Person zitiert, die trotz der Änderungen sagt: "Die Nachfrage nach den Aktien ist sehr hoch und deshalb wurde die Preisspanne am oberen Ende eingeengt." Vielmehr ließe sich der abgeschwächte Börsengang auch so interpretieren: Endlich sind die Covestro-Papiere so billig, dass sie trotz Rückwärtsgang im Dax und einem durch China-Schwäche und VW-Skandal vorherrschenden Börsenpessimismus noch Abnehmer finden.
Covestro im Börsenneulingscheck
Chemie
Quelle: Unternehmen, eigene Recherchen
Stand: 24.09.2015
2014: 11,8 Mrd. Euro
2015: 12,1 Mrd. Euro
2016: 12,5 Mrd. Euro
2014: 277 Mio. Euro
2015: 450 Mio. Euro
2016: 480 Mio. Euro
Deutsche Bank, Morgan Stanley
26,50 Euro bis 35,50 Euro
Wert der angebotenen Aktien¹: bis zu 2499 Millionen Euro
davon aus Kapitalerhöhung: bis zu 2499 Millionen Euro
¹zum oberen Ende der Spanne einschließlich Mehrzuteilungsoption; Zahlen 2015 und 2016 jeweils geschätzt
Marktkapitalisierung¹: bis zu 7469 Millionen Euro
¹zum oberen Ende der Spanne einschließlich Mehrzuteilungsoption; Zahlen 2015 und 2016 jeweils geschätzt
Kurs-Gewinn-Verhältnis¹
2014: 27,0
2015: 16,6
2016: 15,6
¹zum oberen Ende der Spanne einschließlich Mehrzuteilungsoption; Zahlen 2015 und 2016 jeweils geschätzt
21. September bis 1. Oktober
2. Oktober 2015
DE0006062144
mittel
bis 28 Euro zeichnen
Den anderen Börsenkandidaten droht ein ähnliches Schicksal. Der ursprünglich für Montag, den 5. Oktober, geplante Börsengang des Auto- und Industriezulieferers Schaeffler verzögert sich. Zum Wochenbeginn will Schaeffler zunächst die Preisspanne für das Papier bekanntgeben sowie über den neuen Zeitplan informieren. Dabei war mal geplant, bereits an diesem Freitag die Preisspanne zu verkünden, ab kommenden Montag sollte das Unternehmen mit einer Milliardenbewertung an der Frankfurter Börse die Notierung aufnehmen.
Zumindest hält der Autozulieferer noch am Börsengang fest. Allerdings lehren die Erfahrungen der Vergangenheit, dass Börsengänge auch gern buchstäblich in letzter Sekunde noch abgesagt werden. Zu groß erscheint in so einem Fall die Gefahr, dass der Börsendebütant seine Aktien unter Wert verkauft und diese an der Börse zunächst Verluste verzeichnen. Da in der Zeichnungsphase überwiegend institutionelle Anleger die neuen Aktien kaufen, ist es heikel, diese zu enttäuschen und womöglich monatelang auf Verlusten sitzen zu lassen, bis sich der Kurs wieder über den Ausgabepreis bewegt.
Begriffe zum Börsengang
IPO steht für "Initial Public Offering", was so viel wie "erstmaliges öffentliches Angebot". Im Angelsächsischen spricht man bei einem Börsengang auch von "going public". Es geht also um den Börsengang, der Anlegern erstmals öffentlich Teile des Unternehmens in Form vom Aktien anbietet. Die Aktien sind dabei ein - meist winziger - verbriefter Anteil am Eigenkapital eines Unternehmens.
Eine Neuemission ist ein Angebot neu geschaffener Wertpapiere. Das können Aktien, Anleihen, Zertifikate oder sonstige Wertpapiere sein. Kommen etwa bei einem Börsengang neue Aktien aus einer Kapitalerhöhung auf den Markt, spricht man von einer Neuemission.
Sie legt den Zeitraum fest, innerhalb dessen ein Anleger neu emittierte Wertpapiere zeichnen kann, also sich durch schriftliche Erklärung die Übernahme eines bestimmten Betrags zusichern kann. Nur wenn die Nachfrage schwach ist, wird eine Zeichnungsfrist auch mal verlängert.
Vor Beginn der Zeichnungsfrist nennt das Unternehmen eine Preisspanne, zum Beispiel von 20 bis 25 Euro. Die Investoren teilen dann mit, wie viele Aktien sie zu übernehmen bereit sind und nennen dafür einen Preis innerhalb der Preisspanne. Kommen nicht genug Anfragen zusammen, kann das Unternehmen - der Emittent - die Preisspanne auch senken. Aus den Zeichnungsaufträgen ermittelt der Emittent dann den Ausgabepreis, zu dem es die Aktien den Investoren überlässt.
Bei vielen Börsengängen können über das genannte Emissionsvolumen hinaus in den Tagen nach der Erstnotiz an der Börse weitere Aktien ausgegeben werden. Diese Mehrzuteilung wird auch Greenshoe genannt. Sie kommt bei hoher Nachfrage nach den Wertpapier zum Einsatz. Wie groß der Greenshoe ist, muss im Börsenprospekt stehen.
Nachdem die Aktien zum Ausgabepreis an die Anleger verteilt worden sind, wird es ernst: Die Aktien werden zum ersten Mal an der Börse gehandelt. Aus Kauf- und Verkaufsangebot wird der erste Kurs im Handel ermittelt - die Aktie notiert zum ersten mal an der Börse. Die Erstnotiz erfolgt zum angekündigten Datum, der erste Handelskurs sollte über dem Ausgabepreis liegen.
Wertpapiere, die an einer Börse gehandelt werden, unterliegen bestimmten Spielregeln. An einem regulierten Markt sind diese besonders umfassend und verlangen zum Beispiel Banken, die den Handel betreuen und Berichtspflichten, wie die Veröffentlichung von Quartalsberichten nach bestimmten Vorschriften. Am unregulierten Markt sind die Vorschriften lascher und die eine Überwachung des Handels - etwa bei der Kursbestimmung - greift nicht.
Beim Börsengang kommt eine zuvor festgelegt Zahl an Aktien in den Börsenhandel. Der Wert all dieser Aktien zusammen entspricht dem Platzierungsvolumen. Dabei kann es sich um neue Aktien aus einer Kapitalerhöhung (Neuemission) oder um Aktien der bisherigen Eigentümer und vorbörslichen Investoren handeln.
Multipliziert man den Aktienkurs mit der Zahl aller frei handelbaren Aktien eines Unternehmens, erhält man den Börsenwert eines Unternehmens. Dieser entspricht der Marktkapitalisierung gleichgesetzt. Die Aktien, die nicht zum Handel an der Börse zugelassen sind, - also im Bestand des Unternehmens verbleiben - sind dabei unberücksichtigt.
Unternehmen lassen selten alle Aktien an der Börse zum freien Handel zu, sondern lediglich einen Teil. Liegt etwa der Streubesitz bei 30 Prozent, sind auch nur 30 Prozent der Eigenkapitalanteile an der Börse handelbar. Je höher der Streubesitz, umso liquider ist der Handel und umso geringer die Kursschwankungen, die sich aus Kauf- und Verkaufsorders ergeben.
In der Regel verbleibt bei einem Börsengang ein großer Teil der Aktien in Besitz von den bisherigen Eigentümern. Während der Haltefrist - auch Lock-up-Periode genannt - dürfen sie aus diesem Bestand keine Aktien verkaufen. Eine lange Haltefrist gilt als Bekenntnis zu einem Unternehmen.
Die Konsortialbanken begleiten den Börsengang und anschließenden Aktienhandel für ein Unternehmen. Das lassen sich die Banken natürlich vom Unternehmen bezahlen. Eine besondere Aufgabe fällt den Konsortialbanken zu, die sich als Designated Sponsor engagieren. Sie sorgen dafür, dass der Handel liquide bleibt, auch wenn zum Beispiel Käufer keinen Verkäufer der Papiere finden. Dann übernehmen sie den Part des Verkäufers, damit immer ein Kurs gestellt werden kann.
Darunter versteht man das Verfahren, mit dem der Preis für neu an die Börse zu bringende Aktien festgelegt wird. Da vor der Emission von neuen Aktien kein Börsenhandel mit diesen Papieren stattfindet, kann dieser Preis nicht durch Angebot und Nachfrage an der Börse bestimmt werden. Beim angelsächsischen Auktionsverfahren geben die Banken, die das Unternehmen an die Börse bringen, eine Preisspanne vor. Innerhalb dieser können Investoren ihre Gebote abgeben. Auf Grund der vorliegenden Orderlage wird der tatsächliche Emissionskurs letztlich aus dem Gebots-Durchschnitt gebildet. Früher wurde das heute kaum noch gebräuchliche Festpreisverfahren angewandt, bei dem sich die beratenden Banken und die AG schon vor Verkaufsangebot auf einen Preis einigten, den Anleger dann akzeptieren mussten. Vor allem in Deutschland wurde in jüngster Zeit ein neues, beschleunigtes Verfahren für die IPO-Preisfindung genutzt. Dabei wird das Management ohne feste Preisspanne auf Werbetour (Roadshow) zu möglichen Investoren geschickt. Auf Basis des Investoren-Echos legen die Banken danach in Abstimmung mit dem Emittenten die Preisspanne für einen verkürzten Angebotszeitraum fest.
Die Roadshow ist eine Werbetour eines Unternehmens bei möglichen Investoren. Dabei wird versucht, möglichst viele Investoren zu gewinnen, die den angestrebten Preis für die Aktien zu zahlen bereit sind. Die Roadshow ist daher wichtig, um die richtige Preisspanne auszuloten.
Hinzu kommt, dass der VW-Abgasbetrug den Schaeffler-Börsengang besonders belastet, weil er in seinen Auswirkungen für die Zulieferer und die Automobilindustrie insgesamt noch nicht zu überblicken ist. Investoren halten sich deshalb bei allem rund um die Autobranche weitgehend zurück. Der hoch verschuldete Wälzlagerhersteller braucht die Investorengelder vor allem um Milliardenschulden abzubauen. Die Nettoerlöse aus dem Börsengang wurden zuletzt auf rund drei Milliarden Euro geschätzt.
Börse
Volkswagen ist der größte Kunde von Schaeffler. Laut informierten Kreisen stellten potenzielle Aktienkäufer Fragen zu den Auswirkungen des Skandals. Demzufolge erklärte das Unternehmen, seine Produkte seien nicht in den Skandal um gefälschte Abgasmesswerte bei Dieselfahrzeugen involviert. Dennoch dürfte Schaefflers Umsatz leiden, wenn VW aufgrund des Skandals weniger Fahrzeuge verkauft.
Wesentlich kleiner als bei Schaeffeler und Covestro dürfte der Börsengang von Chorus Clean Energy ausfallen. Noch bis zu diesem Freitag können Wagemutige die Aktien des Solar- und Windparkbetreibers im Wert von insgesamt bis zu 186 Millionen Euro zeichnen, pro Stück sollen sie zwischen 9,75 und 12,50 Euro kosten. Am kommenden Mittwoch soll die Erstnotiz gelingen. Mal sehen, was das Unternehmen nach Ende der Zeichnungsfrist bekanntgibt: Vergünstigung, Verschiebung oder Absage des Börsengangs? Dass er glatt und wie geplant verläuft, wäre hingegen eine echte Überraschung.