Börsenhandel Kreative Zerstörer drängen nach Europa

Die alternative US-Börse IEX bremst superschnelle Spekulanten aus, die normale Anleger abzocken. Jetzt kommt die Idee nach Europa.

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Katsuyama, Gründer der US-Börse IEX bremst Hochfrequenzhändler aus. Quelle: Bloomberg

Manchmal kann ein Wimpernschlag über den Erfolg entscheiden – das weiß auch Hendrik Leber. Er hat als Vermögensverwalter in den vergangenen Jahren die anderen Geldmanager abgehängt, wie das Vermögensverwalter-Ranking der WirtschaftsWoche gezeigt hat. Doch an der Börse stößt er auf unangenehme Konkurrenz: ultraschnelle Hochfrequenzhändler.

Für Leber haben die zwei Gesichter: „Einerseits macht uns der Hochfrequenzhandel das Leben leichter, denn er bringt eine hohe Liquidität in den Markt. Andererseits wird man im Schnitt immer etwas abgezockt.“ Leber ist Gründer und Manager des Acatis Investmentfonds, mit einem Anlagevolumen von rund 3,5 Milliarden Euro einer der größten unabhängigen Vermögensverwalter in Deutschland. Als gefragter Fondsmanager will er für seine Kunden nicht nur die besten Aktien finden, sondern auch gebührenschonend kaufen und verkaufen.

Das wird angesichts der unberechenbaren Konkurrenz immer schwieriger. Hochfrequenzhändler in Frankfurt, New York und Tokio befeuern die Börsen täglich millionenfach mit ultrakurzlebigen Kauf- und Verkauforders. Sie drängeln sich in der Orderschlange vor, verstopfen mit Aufträgen die Leitungen oder spionieren den Markt nach großen Aufträgen aus, die sie dann zu ihrem Vorteil bedienen. Leber hat an manchen Tagen beim Blick ins Orderbuch das Gefühl, er stehe in der Schlange einer kafkaesken Kinokasse: „Man ist an der Reihe und will sein Ticket zahlen, da drängelt sich plötzlich jemand vor und schnappt einem das Ticket vor der Nase weg.“

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Doch das könnte bald ein Ende haben, wenn sich eine Idee aus den USA auch in Europa durchsetzt.

Unfairer Zeit- und Wissensvorsprung

Seit Jahren dominiert der blitzschnelle Handel zwischen Hochleistungsrechnern das Geschehen an den globalen Börsen. Bei denen entscheiden nicht mehr Menschen über Kauf oder Verkauf eines Wertpapiers, sondern komplexe Algorithmen, die kleinste Zeit- und Informationsvorsprünge ausnutzen, um für die Händler Preisvorteile zu erzielen. In den USA bringt der Hochfrequenzhandel aktuell rund die Hälfte des Aktienumsatzes, für London liegen die Schätzungen zwischen 40 und 70 Prozent. Das am aktivsten gehandelte deutsche Wertpapier, der Dax-Future, ein Termingeschäft auf den deutschen Aktienindex, kommt nach Stichproben der Bundesbank auf 40 Prozent Hochfrequenzanteil. Auch den Handel mit börsennotierten Indexfonds (ETF) dominieren oft Hochfrequenzhändler.

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Nicht nur klassische Anleger wie Vermögensverwalter Leber sehen die Entwicklung kritisch. Auch Börsenaufseher sind besorgt. Zwar tragen die Hochfrequenzhändler in guten Zeiten zu einem reibungslosen Handel bei, weil sie als Käufer und Verkäufer parat stehen. Doch in turbulenten Phasen ist es aus mit der Liquidität. Hochfrequenzhändler ziehen sich dann zurück, das Risiko, dass die Kurse stark fallen, weil es zu den angezeigten Preisen zu wenig Käufer gibt, nimmt zu. „Das Grundproblem ist die fehlende Verbindlichkeit des hyperschnellen Handels“, sagt Leber.

Ebenfalls schlecht: Weil sie dank schneller Leitungen und enger räumlicher Nähe zur Börse einen Zeitvorsprung haben, können sie Geschäfte zulasten anderer, langsamerer Anleger betreiben. Um im Kinobeispiel zu bleiben: Vermögensverwalter Leber könnte dem drängelnden Konkurrenten dann ein Ticket abkaufen, aber mit Preisaufschlag.

„Speed Bumps“ für fairen Handel

Was Aufseher und klassische Anleger nicht mögen, ist für die Börsen ein einträgliches Geschäft. Sie verdienen am Verkauf schnellerer Zugänge zu ihren Handelsplattformen und kassieren fünfstellige Monatsmieten von Großbanken, die ihre Server direkt neben den Börsenrechnern aufstellen, damit ihre Kunden ein paar Mikrosekunden schneller als die Konkurrenz sein können.

Die kleine US-Börse IEX will wieder faire Bedingungen für alle schaffen. 2013 gestartet, operiert sie heute als Vollbörse am US-Aktienmarkt. Wer hier handeln will, hat die Ruhe weg, zumindest gemessen in den Zeiteinheiten der Börse. Bei der IEX dreht ein Handelsauftrag zunächst ein paar Schleifen durch eine 38 Meilen lange Spule aus Glasfaserkabel, bevor er auf der Handelsplattform landet. „Speed Bump“ nennt die IEX ihr System, nach den tempodrosselnden Bodenschwellen in verkehrsberuhigten Zonen. Die Order wird um nur 350 Mikrosekunden, die Zeit eines Wimpernschlags, abgebremst. Das reicht, um die ungeliebten superschnellen Händler auszubremsen, weil ihr Zeit- und Wissensvorsprung so nicht mehr reicht, um sich vorzudrängeln.

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Kampf der Be- und Entschleuniger

„Wir wollen mit der IEX eine faire, einfache und transparente Aktienbörse schaffen“, sagt Brad Katsuyama, kanadischer CEO und Co-Gründer der IEX. Die etablierten Börsen hätten ihr Geschäft einseitig zugunsten des hyperschnellen Handels verändert. Die echten Anleger, für die der Markt eigentlich da sein solle, würden „massiv unterbedient“ und ausgenutzt, so der Kanadier, der als einer der Protagonisten im Finanzmarkt-Bestseller „Flash Boys“ von Michael Lewis bekannt wurde. „Die Speed Bump ist für uns ein Weg, möglichst vielen Akteuren gleiche Wettbewerbsbedingungen zu geben.“

Immer mehr Investoren überzeugt das: Seit ihrem Start als Vollbörse im September 2016 hat die IEX bis Mitte Februar 2,3 Prozent des Handelsvolumens am US-Aktienmarkt an sich gezogen. Pro Tag werden dort Aktien für rund fünf Milliarden Dollar gehandelt.

Bremse für fairen Börsenhandel: Beim gewöhnlichen Börsenhandel haben Hochfrequenzhändler (HFTs) einen Informationsvorsprung, an der IEX verpufft er. Für eine detaillierte Ansicht bitte auf die Grafik klicken.

Die Märkte zu entschleunigen sei im Grundsatz eine gute Idee, sagt Vermögensverwalter Leber, auch wenn er einen anderen Weg bevorzugt – eine Mindesthaltezeit für Wertpapiere von einer Zehntelsekunde. „Das schafft Verbindlichkeit“, sagt er.

Rückenwind erhält die junge Börse von mächtigen globalen Investoren wie der kalifornischen Capital Group, mit 1,4 Billionen Dollar an verwaltetem Vermögen eine der bedeutendsten Fondsgesellschaften weltweit, und dem norwegischen Staatsfonds. „Wir glauben, dass das Geschwindigkeitsrennen an sein Ende gekommen ist“, sagt Geir Oivind Nygard, leitender Vermögensstratege für den Fonds, in dem Papiere für umgerechnet 858 Milliarden Euro stecken. Die IEX habe den Fokus weg von der Geschwindigkeit verlagert, lobt Nygard. „Wir werden sie weiter unterstützen.“

Bedrohung der Platzhirsche

Für die etablierten Börsen ist der neue Konkurrent IEX hingegen eine Bedrohung, ein Neuankömmling, der den Platzhirschen im hart umkämpften Markt die Preise verdirbt. Mehr als 300 Beschwerde- wie auch Unterstützerbriefe gingen im Zuge des Börsenzulassungsverfahrens bei der US-Wertpapieraufsicht SEC ein, so viele wie noch nie in einem solchen Fall.

Der von der SEC dokumentierte Streit gibt Einblicke in einen vermeintlich liberalen Markt, der sich gnadenlos auf unliebsame Konkurrenten stürzt und dafür noch staatliche Rückendeckung sucht. Jeff Sprecher, Chef der Intercontinental Exchange, des Mutterkonzerns der New York Stock Exchange (Nyse), beschimpfte die IEX als „unfair“ und „unamerikanisch“. Nasdaq-CEO Bob Greifeld warnte vor Chaos an den Märkten durch einen „Wettbewerb der Verlangsamungsstrategien“.

Als klar wurde, dass die SEC die Börsenlizenz erteilen werde, schwenkten die Großbörsen um: Ende November kündigte die Nasdaq eigene Pläne für eine Tempobremse an, bei der Aufträge eine Sekunde lang nicht gelöscht oder geändert werden können. Ende Januar zog die Nyse nach und beantragte eine eigene 350-Mikrosekunden-Tempobremse, die künftig auf einer neuen Handelsplattform für kleinere und mittlere Unternehmen gelten soll. Die SEC prüft nun.

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Deutsche Börse sperrt nicht aus

Es scheint, als sei ein Stein ins Rollen gekommen. Europas Börsen, anfangs nur Zaungäste des Streits, sehen sich ebenfalls unter Zugzwang. Die paneuropäische Euronext kündigte vor wenigen Wochen eine neue Handelsplattform für Großaufträge an, auf der Hochfrequenzhändler unerwünscht sind. Auch dieses Konzept wird vom norwegischen Staatsfonds unterstützt.

Die Deutsche Börse hält sich bislang zurück. Mit zwei Börsenauktionen am Tag, die anders als der fortlaufende Handel bereits ohne Hochfrequenzhändler ablaufen, glaubt sie offenbar, die Anleger gut bedienen zu können. „Die Auktionen sind in Ordnung“, sagt Vermögensverwalter Leber, „aber sie helfen mir nicht zu anderen Tageszeiten, an denen ich an den Markt muss.“

Bei Politikern und Regulierern stoßen Modelle à la IEX oder Euronext auf positives Echo. „Alles, was dazu dient, die Preise fair und transparent zu machen, begrüßen wir“, heißt es bei der hessischen Landesbörsenaufsicht, die für den Finanzplatz Frankfurt zuständig ist. Anträge für eine Tempobremse oder ähnliche Modelle seien jedoch noch nicht eingegangen.

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„Marktplayer wie die IEX könnten wir auch am deutschen Markt gut gebrauchen, das sind sehr gute Initiativen“, sagt Grünen-Finanzpolitiker Gerhard Schick. „Das beste ist doch, wenn kundenschädliches Verhalten am Markt durch für die Kunden bessere Angebote von Konkurrenten ausgehebelt wird.“

Kritiker sagen, die IEX sei kein Robin Hood der Wall Street. Auch sie verfolge geschäftliche Ziele und bediene vor allem die Interessen großer Spieler. Einig ist man sich dennoch, dass die neue Börse ein Signal setzen könnte – ein Signal der Beruhigung in einer Branche, die mit immer höheren Drehzahlen außer Kontrolle zu geraten droht.

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