Börsenhandel

Revolution im Freiverkehr

Unternehmen im Freiverkehr der Börsen haben oft einen zweifelhaften Ruf, sie gelten teilweise als klein und intransparent. Nun aber hat die EU neue Regeln erlassen. Die sind nicht weniger als eine Revolution im Börsenhandel.

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An der Frankfurter Wertpapierbörse besteht der Regulierte Markt aus zwei Segmenten: General und Prime Standard. Quelle: REUTERS

Nicht alle an einer Börse gehandelten Wertpapiere, wie Aktien oder Anleihen, unterliegen den gleichen Berichts- und Transparenzpflichten.
In Deutschland wird zwischen dem sogenannten Regulierten Markt und dem Freiverkehr unterschieden. Die im Regulierten Markt geltenden Zulassungsvoraussetzungen und Folgepflichten sind gesetzlich geregelt und entsprechen EU-Vorgaben.

Der Regulierte Markt ist öffentlich-rechtlich ausgestaltet. Er richtet sich vor allem an größere Unternehmen, die bereit und in der Lage sind, diesen Anforderungen Rechnung zu tragen und die professionelle Investoren ansprechen möchten. Im Gegensatz dazu ist der Freiverkehr privatrechtlich über die allgemeinen Geschäftsbedingungen (sogenannte AGB für den Freiverkehr) der jeweiligen Börsen organisiert.

Zur Person

An der Frankfurter Wertpapierbörse besteht der Regulierte Markt aus zwei Segmenten: General und Prime Standard. Letzterer sieht weitere Zulassungsfolgepflichten als der General Standard und damit erhöhte Transparenzanforderungen vor. Die Notierung im General Standard ist auch Voraussetzung dafür, dass ein Unternehmen sich für eine Index-Aufnahme, wie den Dax, qualifiziert.

Im Freiverkehr der Frankfurter Wertpapierbörse (auch Open Market genannt) haben Emittenten die Wahl zwischen den Segmenten Entry Standard (mit bestimmten Transparenzanforderungen) oder dem Quotation Board (ohne Transparenzanforderungen).  Im Entry Standard beziehungsweise den Freiverkehrssegmenten der anderen Regionalbörsen sind in erster Linie kleine Gesellschaften notiert. Häufig werden auch ausländische Emittenten, die bereits ein Primärlisting (meist in ihrem Heimatland) haben, im Rahmen eines Zweitlistings in den deutschen Freiverkehrssegmenten gehandelt. Freiverkehrswerte gelten aufgrund ihrer meist geringen Liquidität (geringes Angebot, niedriges Handelsvolumen) als schwankungsfreudig und riskant, zumal den Anlegern weniger Informationen zur Verfügung stehen. Die von der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) ausgesprochenen Warnungen vor Kaufempfehlungen betreffen zumeist Freiverkehrsinstrumente.

von Anton Riedl, Frank Doll, Heike Schwerdtfeger

Zukünftig werden jedoch im Freiverkehr erstmals ausgewählte gesetzliche Transparenzpflichten gelten. Damit versucht der Gesetzgeber, kriminelle Aktivitäten an den Börsen wie Kursmanipulation zu unterbinden. Anleger dürfen gespannt sein, wie sich das auf den Wertpapierhandel und die Transparenz der dort gelisteten Unternehmen auswirkt.

Mehr Transparenz im Freiverkehr

Seit 3. Juli ist nämlich die neue Markmissbrauchsverordnung („Market Abuse Regulation“, MAR) der Europäischen Union direkt anwendbar. Ziel der MAR: Sie soll das seit der Finanzkrise gesteigerte Bedürfnis nach Marktintegrität, Investorenschutz und der europaweiten Harmonisierung des Kapitalmarktrechts erfüllen. Und das bedeutet für den Freiverkehrshandel nicht weniger als eine Revolution.

Bisher war es so: Da jede Börse die Regeln für ihren Freiverkehr im Wesentlichen festlegte, erfolgte auch die entsprechende Überwachung durch die Börsen selbst. Die Teilnahme am Freiverkehr ist grundsätzlich einfacher, schneller und mit geringeren Kosten verbunden, als in den strenger regulierten Handelssegmenten.

Die MAR wird nun die bis jetzt bestehenden nationalen Regulierungen zu Insiderhandel und Marktmissbrauch ersetzen. Sie wird nicht nur Banken und Handelsplätze betreffen, sondern auch zahlreiche Emittenten, deren Finanzinstrumente an einer europäischen Börse oder einem sonstigen multilateralen Handelssystem (MTF) notieren. Die deutschen Freiverkehrssegmente (z.B. in Frankfurt, München oder Stuttgart) gelten als MTF.

Die aus der MAR resultierenden Hauptpflichten für börsennotierte Emittenten betreffen die Veröffentlichung von Ad-hoc Miteilungen über kursbeeinflussende Informationen, die Pflicht zur Führung von Insiderlisten sowie die Meldung der Eigengeschäfte von Führungskräften (sogenannte Managers‘ Transactions).

Damit gelten entsprechende Pflichten für Emittenten im Freiverkehr genauso, wie sie im Regulierten Markt schon länger galten. Lediglich in den privatrechtlichen Regelwerken der Börsen für die sogenannten Qualitätssegmente (wie den Entry Standard) gab es bereits eine Pflicht zur Veröffentlichung von kursbeeinflussenden Ereignissen, die sogenannte Quasi-Ad-hoc-Pflicht.

Im Ergebnis macht es jedoch einen großen Unterschied, ob die Überwachung entsprechender Pflichten durch eine Börse erfolgt oder aber ob eine Aufsichtsbehörde, wie die BaFin für die Überwachung gesetzlich zuständig ist.

Betroffene Freiverkehrsemittenten

Der exakte Kreis der von der MAR im Freiverkehr betroffenen Emittententypen erfordert jedoch eine vertiefte Analyse, denn die Pflichten in Bezug auf Ad-hoc Publizität, Managers‘ Transactions sowie Insiderlisten gelten im Freiverkehr nur, sofern der jeweilige Emittent die Einbeziehung selbst (mit)beantragt oder genehmigt hat („approved trading or requested admission“).

Entsprechend definiert der deutsche Gesetzgeber MTF-Emittenten in § 2 (7a) Wertpapierhandelsgesetz (WpHG) n.F. wie folgt: „Emittenten, die […] eine Zulassung zum Handel auf einem MTF […] oder […] Einbeziehung in den Freiverkehr […] beantragt oder genehmigt haben“. Damit wäre zunächst geklärt, dass die Emittenten aus einem Qualitätssegment, wie dem Entry Standard, als MTF-Emittenten gelten, da sie Mitantragsteller sind.

Fraglich bleibt die Behandlung der sonstigen Freiverkehrswerte. Für die Interpretation des Begriffs „genehmigt“ wird in der Gesetzesbegründung ausgeführt, dass der Emittent an der Notierung aktiv beteiligt gewesen sein muss, so dass er im Rahmen des Notierungsvorgangs die Geltung entsprechender Folgepflichten akzeptiert hat.

Auffassung der BaFin

Dabei ist es unerheblich ist, ob der Emittent den aktuellen Folgepflichten der MAR zustimmen wollte oder nicht. Für die BaFin sind nämlich drei Arten der Zustimmung von MTF-Emittenten denkbar:

a) Direkte Antragstellung auf Zulassung/Einbeziehung;

b) Beauftragung eines Dritten, einen solchen Antrag zu stellen;

c) Genehmigung der Zulassung/Einbeziehung durch den Emittenten, wobei eine solche Genehmigung mehr beinhalten muss, als ein bloßes zur Kenntnisnehmen. Vielmehr muss der Emittent wissentlich und willentlich dem Handel zugestimmt haben.

Zunächst sind daher neben den antragsstellenden Emittenten in den Qualitätssegmenten (Punkt a) alle Emittenten mit einem sogenannten Primärlisting als MTF-Emittenten zu klassifizieren, da ausgeschlossen werden kann, dass ein Finanzinstrument ohne eine aktive Mitwirkung des Emittenten erstmalig gehandelt werden kann. Hier kann die Beauftragung eines Dritten (Punkt b) oben) regelmäßig unterstellt werden.

Aber es dürften auch weitere Fälle einschlägig sein, etwa mit Zweitlistings von Emittenten aus Drittstaaten: Hier gilt es zu unterscheiden, ob der Emittent die Notierung aktiv unterstützt und somit genehmigt hat (Punkt c). Eine Genehmigung kann zum Beispiel aufgrund der Beauftragung/Bezahlung von Research oder Designated Sponsoring sowie der Darstellung auf der Homepage (Investor Relations Rubrik) angenommen werden. Im Umkehrschluss dürften „passive“ Emittenten (ohne jegliche Mitwirkung und Unterstützung der Notierung) nicht Adressat der Pflichten bezüglich Ad-hoc-Publizität, Insiderlisten bzw. Managers‘ Transactions sein.

Wie sind MTF Emittenten zukünftig zu erkennen?

Gemäß Artikel 4 MAR sind die Handelsplätze, also die Börsen, verpflichtet, umfassende Listen mit Referenzdaten zu den dort jeweils gehandelten Finanzinstrumenten zu erstellen (sog. Referenzdatenmitteilung).  In den entsprechenden Feldern der Referenzdatenmitteilung ist anzugeben, ob eine „Emittentenzustimmung“ für die Notierungsaufnahme in den MTF vorliegt.

Allerdings ist unklar, ab wann diese Liste europaweit veröffentlicht wird. Darüber hinaus hat die BaFin kürzlich ein Tabellenformat veröffentlicht (MTF Emittenten Zustimmung Excel-Tabelle), welches sich an die Börsen richtet und worin diese aufgefordert werden die MTF-Emittenten einzutragen. Ob die finale Liste von der BaFin letztendlich veröffentlicht wird, ist ebenfalls noch unklar.

Eine Aufnahme in diese Listen wird jedoch keinen konstitutiven Charakter haben. Das bedeutet, dass sich kein Emittent sicher sein kann, im Falle einer Nichtaufnahme in die Referenzdatenmitteilung bzw. die freiwillige „MTF-Emittenten Zustimmung Tabelle“ dem MAR Sanktions-Regime zu entgehen.

Erste Emittenten verlassen den Freiverkehr

Die Zukunft des Freiverkehrs ist nach dieser regulatorischen Revolution vorerst ungewiss. Seit dem 3. Juli 2016 gibt es im Wesentlichen nur noch wenige Unterschiede zwischen dem Freiverkehr und dem Regulierten Markt: Im Freiverkehr fehlt weiterhin eine direkte Prospekthaftung des Emissionsbegleiters; die Bilanzierung nach nationalen Rechnungslegungsstandards (anstatt IFRS) ist möglich, es bestehen keine weiteren Meldepflichten nach WpHG und auch das Wertpapierübernahmegesetz ist im Freiverkehr nicht anwendbar. 

Wahrscheinlich werden daher einige Emittenten ein sogenanntes „Up-Listing“ in den Regulierten Markt anstreben, da dieser bei vergleichbaren Folgepflichten Zugang zu neuen Investorengruppen bieten kann. Die Mehrzahl der Emittenten wird sicherlich zunächst abwarten und im Freiverkehr bleiben.

Einige Emittenten beschäftigen sich aber derzeit schon mit einem kompletten Delisting bzw. „Downlisting“. Mit Downlisting ist die Aufnahme in den bislang größtenteils nicht regulierten  Telefonhandel gemeint.Hierbei ist jedoch erhöhte Vorsicht geboten. Zum einen dürfte der Telefonhandel mit Inkrafttreten der EU-Richtlinie über Märkte für Finanzinstrumente (MiFID II) ab 1. Januar 2018 ebenfalls erfasst werden, mit der Folge, dass die sich aus der MAR ergebenden Emittentenpflichten dann dort auch gelten.

Zum anderen besteht die Gefahr, dass die BaFin diese Angebote im Telefonhandel in Einzelfällen als „öffentliche Angebote“ auslegen wird. Dies würde entsprechende Pflichten aus dem Wertpapierprospektgesetz (etwa die Prospektpflicht) oder eine Untersagung des Angebots zur Folge haben.  Darüber hinaus dürften die Vorgänge im Telefonhandel auch unter das Sanktionsregime der MAR fallen und unter verschärfter Beobachtung durch Anlegerschützer und Aufsichtsbehörden stehen.

Hohe Strafen bei Marktmissbrauch

Bei Verstößen gegen die MAR drohen drakonische Strafen: So können Privatpersonen im Falle einer Ordnungswidrigkeit mit einer Geldbuße von bis zu fünf Millionen Euro und juristische Personen mit einer Geldbuße von bis zu 15 Millionen Euro oder 15 Prozent des konsolidierten Konzernumsatzes sanktioniert werden. Verstöße, die einen Straftatbestand darstellen, können mit Freiheitsstrafen von bis zu fünf Jahren, in Sonderkonstellationen sogar von bis zu zehn Jahren geahndet werden.

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