Ihre Prognose für den Dax?
Ich bin der Meinung, dass der Dax zum Ende des Jahres bei 8800 Punkten steht. Und im nächsten Jahr dürfte er noch weiter klettern. Außerdem sind viele Anleger noch nicht dabei. Es gibt noch sehr viel Geld, das an den Seitenrändern steht und gar nicht investiert ist. Das ist eine gesunde Marktverfassung mit Potenzial. Den Untergangspropheten, die vom Zusammenbruch im Herbst sprechen, sage ich, sie sollen sich mal in die Lage von Frau Merkel, den Herren Obama, Hollande oder Draghi hineinversetzen. Die werden wie bisher alle Register ziehen, um die Finanzwelt vor dem Abgrund zu bewahren. Längerfristig muss man aufgrund der strukturellen Disharmonien der Eurozone dennoch von Existenzgefährdung sprechen.
Zuletzt sorgten auch Spekulationen um einen neuen Schuldenschnitt für die Griechenlandgläubiger und ein neues Rettungspaket für Unruhe an der Börse. Die Rettung der Eurozone dürfte uns noch länger begleiten. Ist das an der Börse kein Stimmungskiller?
An die Stabilisierung der Eurozone mit stabilitätsfremden Instrumenten haben wir uns mittlerweile gewöhnt. Und egal, wie die Bundesregierung nach der Wahl aussieht – auch sie wird das Wort Stabilität nicht mehr groß schreiben. Sie wird deutlich lockerer und duldsamer mit neuen Schulden und Sparauflagen in der Euro-Südzone umgehen. Auch so wird die Konjunktur gestützt. Schon aus Angst, dass etwas sozialpolitisch umkippt, wird sich auch die Politik in Berlin fragen, was ihr lieber ist. Stabilität macht nicht satt, aber sozialpolitisch bringt sie große Probleme. Bleiben nur noch mehr Schulden. In Berlin ist das schon akzeptiert: Okay, wenn es denn sein muss. Die klassische deutsche Stabilitätsmusik bekommt nämlich außerhalb unserer Grenzen so viel Anerkennung wie unsere Lieder beim Eurovision-Song-Contest: Germany zero points.
Welchen Wahlausgang erwarten die Börsenteilnehmer – und welcher wäre gut für die Investoren?
Der Wahlkampf spielt an den Börsen keine große Rolle. Ist ja alles Wohlfühlwahlkampf. An der Börse scheint man nicht an Rot-Grün zu glauben, Schon aus Tradition wäre an der Börse die Kombination Schwarz-Gelb wohl der Favorit der Herzen. Diese Konstellation würde die Regierungsarbeit aber wegen der rot-grünen Mehrheit im Bundesrat eher erschweren. Viele scheinen daher auch mit einer Großen Koalition unter Merkels Führung leben zu können. Und die Große Koalition könnte die heißen Eisen richtig anpacken: Euroland mit mehr Schulden stillschweigend stabilisieren, Griechenland retten und hinnehmen, dass die EZB den Staatsanleihemärkten der Euro-Südzone zur Not Feuerschutz gibt. An der Börse ist die Hoffnung ohnehin geschwunden, dass die gute alte deutsche Stabilität nochmal zurückkommt.
Sind Sparprogramme nicht Voraussetzung für eine Erholung in den Krisenländern in der Zukunft?
Griechenland werden wir – so sehr ich das den Griechen wünschen würde – kaum in einen mit uns konkurrierenden Industriestaat verwandeln können. Das geht schon allein aufgrund klimatischer, geographischer und topographischer Bedingungen nicht. Dort ist man weit weg von den Wirtschaftszentren Europas. Eine Infrastruktur wie in Deutschland, Holland oder Belgien ist dort einfach nicht möglich. Also müssen wir mit dem Schuldenmachen - etwa mit längeren Kreditlaufzeiten, Zinserleichterungen oder Konjunkturprogrammen - dagegen halten, damit Griechenland stabilisiert werden kann. Die politische Entscheidung, dass Griechenland in der Eurozone bleiben soll, ist ja längst gefallen. Das geht aber dann nur mit laufend neuen Krediten oder neuen Schuldenschnitten. Diese Tabula-rasa-Lösung wäre ohnehin die ehrlichste, ist aber politisch nur schwer durchsetzbar. Enttäuschend ist es für mich, dass selbst unsere großen Euro-Partnerländer keine wirklichen Reformen durchführen, obwohl diese längerfristig zu selbsttragenden Aufschwüngen führen würden. Dort vertraut man mehr auf Schulden und eine barmherzige Geldpolitik.
Eine Rückkehr zur Einhaltung der Maastricht-Grenzen zur Staatsverschuldung erwarten sie demnach nicht.
Die nationalen Regierungen haben Angst, dass die Erfüllung der Maastricht-Kriterien zu politischen Radikalisierungen führt. Und dann ist alles zu spät, dann endet die Leidensfähigkeit der Bewohner und die Eurozone ist unmittelbar gefährdet. Insofern werden sich Italien, Spanien oder Frankreich keinem Euro-Rettungsschirm mit seinen Spardiktaten beugen. Immerhin, solange die EZB geldpolitisch stützt, muss es nicht der deutsche Finanzminister mit seinem Haushalt zu tun. Halleluja.