Brillen online zu verkaufen galt lange als unmöglich. Wer sich ein neues Gestell auf die Nase setzt, will es vorher anprobieren und im Spiegel betrachten. Das Berliner Start-up Mister Spex beweist das Gegenteil: Die Firma verkauft seit 2007 Brillen, Kontaktlinsen und Sonnenbrillen im Internet. In diesem Jahr wird der Online-Optiker mit etwa 600.000 Kunden voraussichtlich 48 Millionen Euro Umsatz machen, 85 Prozent mehr als 2012.
Trotz des Wachstums kommt Mister Spex in dem Fünf-Milliarden-Markt nur auf einen Anteil von etwa einem Prozent. Damit hat die Firma Online-Wettbewerber abgehängt, arbeitet aber unterhalb der Wahrnehmungsschwelle der Riesen Fielmann (Nettoumsatz 2012 in Deutschland: 831 Millionen Euro) und Apollo Optik (405 Millionen). Lange hat Günter Fielmann die Konkurrenz aus dem Netz nicht ernst genommen, bezeichnete deren Geschäftsmodell, Brillen ohne Beratung zu verkaufen, als „Rückfall ins Mittelalter“. Inzwischen dementiert der Marktführer mit fast 600 Filialen nicht mehr, über eine Online-Strategie nachzudenken. „Sollte Fielmann so den Markt absichern, hätte Mister Spex keine Chance“, sagt Mathias Gehrckens, Geschäftsführer der Beratung dgroup.
Dirk Graber kontert, Fielmann verstehe nichts von E-Commerce. Graber hat Mister Spex gegründet. Vor allem in den Anfangsjahren galt das Startup in der E-Commerce-Branche als Vorreiter. „Die hatten eine kluge Nische, eine eigene Shop-Software, arbeiteten sehr analytisch und waren technologisch vorn“, sagt ein ehemaliger Manager des Modeversenders Zalando.
Im Gegensatz zu Zalando hat Graber auch die Rücksendequoten einigermaßen im Griff. In Großbritannien, Frankreich und Spanien ist die Firma schon online, zuletzt hat Graber zwei kleinere Wettbewerber in Schweden übernommen. Das Geld dafür hatte der 36-Jährige aus der letzten Finanzierungsrunde über 16 Millionen Euro, bei der der Investor Scottish Equity Partners 25 Prozent der Anteile übernommen hat und den Unternehmenswert dabei auf etwa 70 Millionen Euro kalkulierte. Zum Vergleich: Die Börse bewertet Fielmann mit 3,5 Milliarden Euro.
Um nicht nur Zweitkäufer von Brillen für Mister Spex zu erwärmen, hat Graber seit Mitte 2011 ein Partnernetzwerk mit traditionellen Optikern aufgebaut. Dort können Kunden einen Sehtest machen, für den Mister Spex an den Optiker eine Servicepauschale und eine Umsatzprovision für online gekaufte Brillen zahlt. „Wir suchen nach Optikern in A-Minus- oder B-Plus-Lagen, die nicht voll ausgelastet sind“, sagt Graber. Bislang kooperiert er mit 350 Optikern. 2014 will er profitabel werden und spätestens 2015 rund 100 Millionen Euro Umsatz schaffen. Ein Börsengang sei kein Selbstzweck, sagt Graber, der nur noch drei Prozent an Mister Spex hält. Eigene Aktien seien aber sinnvoll, als Übernahmewährung – und zur Mitarbeitermotivation.