Die letzten Apriltage dürften die Anleger versöhnt haben. Nach deutlichen Kursverlusten hat die Börse in Frankfurt zum Monatsabschluss nochmal nach oben gedreht und sich allmählich wieder auf das Niveau vom Monatsbeginn gekämpft – wo der Aktienindex Dax auch schon zum Jahresbeginn lag. Unter dem Strich haben Anleger, die seit Jahresbeginn dabeigeblieben sind, also vergeblich auf Kursgewinne gehofft. Es sei denn, sie haben die starken Kursschwankungen im Dax für Käufe und Verkäufe genutzt und von Gewinnmitnahmen profitiert.
Jetzt steht der Mai vor der Tür und so mancher Anleger dürfte die Nase rümpfen. Denn vielen Börsianern gilt der Wonnemonat Mai als Beginn einer flauen Sommerperiode an den Börsen, die bis Ende September oder sogar Oktober andauern kann. Das ist kein alter Aberglaube, sondern von Wissenschaftlern und Analysten in vielen statistischen Untersuchungen zu den Aktienmärkten mit Zahlen untermauert worden. Das Problem: Es ist eine statistische Auffälligkeit, deren Ursache nicht klar auszumachen ist oder aber deren Begründung an den modernen Aktienmärkten nicht mehr so zutreffend sind, wie in den Jahrzehnten, die die Statistik geprägt haben. Anders gesagt: Dass die Sommermonate an der Börse eher schwach sind, ist statistisch wahrscheinlicher als eine Börsenrally im Sommer, dennoch kann es auch ganz anders kommen. Die entscheidende Frage lautet daher: Trifft die Regel „Sell in May“ im laufenden Jahr wieder oder sogar in besonderem Maße zu?
Unklare Ursache für schwachen Börsensommer
„Es gibt umfangreiche empirische Untersuchungen, die zeigen, dass sich die Monate Mai bis Oktober an den Aktienbörsen durchschnittlich schwächer entwickeln als die Monate November bis April“, sagt etwa Allan Valentiner, Leiter Portfolio Management bei AMF Capital. „Dennoch sei die Behauptung aufgeworfen, dass es sich bei dieser Börsenregel um eine 'self-fulfilling prophecy' der letzten Jahrzehnte handelt: Je mehr Investoren sich an einer vermeintlichen Börsenregel orientieren, desto mehr entwickelt sie eine Eigendynamik und erfüllt sich letztlich selbst.“
Der Blick auf die statistischen Erkenntnisse lässt Anleger weitgehend ratlos. Unabhängig davon, ob die Börsen von New York, London oder Frankfurt unter die Lupe genommen wurden: Im statistischen Mittel sind die Monate von Mai bis September eher schwächer. Ben Jacobsen, Finanzprofessor an der Massey University in Neuseeland, hat das zum Beispiel bei einer Untersuchung des US-Börsenindizes Dow Jones bestätigt. In seiner Analyse der Börsenentwicklung seit 1896 waren die Sommermonate von Mai bis Oktober mit einem durchschnittlichen Gewinn von zwei Prozent deutlich schwächer als die Wintermonate mit einem Plus von 5,4 Prozent. Der Renditeunterschied zwischen Sommer und Winter, so Jacobsen gegenüber dem US-Anlegermagazin Barron’s, sei in den vergangenen Jahrzehnten sogar noch größer geworden.
Ausnahmen von der Regel
Wie das Deutsche Aktieninstitut im vergangenen Jahr ausgerechnet hat, sind im Frankfurter Leitindex Dax vor allem der Mai und der September verlustträchtig. Als einzige Monate bescheren sie Anlegern im Durchschnitt seit 1948 ein Minus: der Mai -0,1 Prozent, der September sogar -0,6 Prozent. Legt man wie die hessische Landesbank einen Durchschnitt seit 1965 zugrunde, sind es der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zufolge sogar drei Verlustmonate: im Mai durchschnittlich -0,3 Prozent, im August -0,4 Prozent und im September sogar -1,7 Prozent.
Eine Strategie, bei der die Aktienbestände im Mai verkauft, das Geld fest verzinst geparkt und erst im September oder Oktober neu investiert werden, kann sich also lohnen – allerdings nur sehr langfristig. Denn einzelne Jahre weichen durchaus stark von den Durchschnittsrenditen ab. In der Untersuchung vom Deutschen Aktieninstitut gab es durchaus einzelne Jahre mit Kurssprüngen zwischen 15 und 22 Prozent in einzelnen Sommermonaten. Allerdings ging es manchmal auch gleich um zehn bis 25 Prozent abwärts.
Schon das vergangene Jahr war eine deutliche Ausnahme von der Regel: Nach einem verhaltenen Jahresauftakt waren die Kurse allein im Mai und im September um jeweils rund sechs Prozent in die Höhe geklettert. Am Ende bescherte das Börsenjahr 2013 den Dax-Anlegern ein Plus von etwa 25 Prozent. Auch 2012 war der Dax zwischen Mai und September um 25 Prozent gestiegen. Anleger, die sich in den Sommermonaten wegen der alten Saisonregel vom Aktienmarkt zurückgezogen hatten, dürften sich über die entgangenen Gewinne geärgert haben.
Kritiker bemängeln daher an den statistischen Belegen für die „Sell in May“-Regel, dass das Ergebnis wesentlich dadurch beeinflusst wird, über wie viele Jahre und welchen konkreten Zeitraum die saisonalen Börseneffekte untersucht werden. Die alte Börsenregel ist damit keine, auf die sich Anleger verlassen können.
Was für einen schwachen Börsensommer spricht
Dass diese saisonalen Effekte statistisch auftreten, begründen Börsenkenner gern mit dem Verhalten der professionellen Investoren, etwa von Fondsmanagern und Vermögensverwaltern von Pensionsfonds oder Versicherungen. Zum einen sind die Sommermonate traditionell von schwachem Handel geprägt, die Risiken durch größere Kursschwankungen nehmen zu. Daher würden viele Investoren ihr Portfolio bereinigen und schwankungsanfällige Aktien verkaufen. In den Wintermonaten hingegen würden sie wieder aktiv handeln, um zum Jahresabschluss zu zeigen, dass sie auf die richtigen Aktien gesetzt haben – Börsianer sprechen hier von „Window Dressing“. Auch im ersten Quartal sind diese Profis sehr aktiv, um sich am Markt richtig zu positionieren. Daher hätten die Wintermonate an der Börse besonders viel Schwung.
Andererseits ist kaum nachvollziehbar, dass die Börsen im Sommer nur träge vor sich hin dümpeln sollen, weil viele Investoren in den Ferien sind und sich nicht mit der Börsenentwicklung beschäftigen. Im Zeitalter von Internet, Smartphone und Tablet-Computer sind Börseninformationen und Börsenhandel bequem, jederzeit und überall zu bewerkstelligen.
Sonderfaktoren überdecken Saisoneffekte
Zumal es schon seit Jahren vor allem Sonderfaktoren sind, die für die großen Kurzsprünge oder –stürze an der Börse gesorgt haben. So wären Anleger etwa im Jahr 2011 mit der Mai-Regel sehr gut gefahren. Allerdings lag die Ursache für die massiven Verluste im August und September nicht in der normalen Sommerflaute, sondern in der Zuspitzung der Schuldenkrise begründet. "Im aktuellen Börsenumfeld halte ich die Suche nach solchen saisonalen Mustern für noch verwegener als sonst", sagt Tobias Basse, Aktienstratege bei der NordLB. Das liege vor allem an den zahlreichen Sonderfaktoren, die den Markt derzeit beeinflussen, erläutert Basse.
Tatsächlich profitieren die Aktienmärkte schon seit Jahren von der ultralockeren Geldpolitik der Notenbanken zur Bekämpfung der Schuldenkrise in Südeuropa, während es Anleihen aufgrund der niedrigen Zinsen schwerer haben. Die Börsenentwicklung ist daher oft derart politisch getrieben, dass die Entwicklung der Unternehmensgewinne in den Hintergrund tritt.
In diesem Jahr kommen etwa die politischen Spannungen zwischen der Ukraine, Russland und dem Westen erschwerend hinzu – mit unklarem Ausgang für die Börsen. "Das schwierige geopolitische Umfeld führt zwar kurzfristig zu volatilen Kursen, mittel- bis langfristig dürfte sich die Lage aber wieder beruhigen - und der Einfluss auf die Märkte entsprechend abklingen", sagt Basse. Für den Aktienstrategen haben stützende Faktoren perspektivisch die Oberhand, beispielsweise das Wirtschaftswachstum in den USA. Zwar könne auch die Politik der US-Notenbank Fed ebenfalls immer wieder für Kursrückschläge sorgen, indem sie die Anleihekäufe weiter kontinuierlich reduziert.
Was gegen schwache Sommermonate spricht
Positiv für die Sommermonate stimmt hingegen die wirtschaftliche Stimmung. Zuletzt hatte die Quartalszahlen in den USA und Deutschland der hiesigen Börse Auftrieb verliehen. "Am Ende ist ein robustes Wirtschaftswachstum eine gesündere Stütze für den Markt als das billige Geld", erklärt Basse.
Grundsätzlich bessert sich die wirtschaftliche Lage in den USA und Europa, vor allem in Deutschland. „Die Gewinnsituation der Unternehmen verbessert sich und scheint in den USA bereits vergleichsweise kräftig zu wachsen“, sagt etwa Valentiner von AMF. „Es könnte also sein, dass die traditionell schwächeren Börsenmonate im Jahr 2014 nicht so stark nachgeben, wie es das Bonmot glauben macht.“
Welche Anlagestrategie vielversprechender ist
Gleichzeitig nimmt das hohe Kursniveau vieles von der positiven Erwartung vorweg, die im Markt steckt. Die derzeit präsentierten Zahlen für das erste Quartal 2013 werden erst noch zeigen, ob die Mehrheit der Unternehmen von einer Konjunkturerholung eben profitieren. „Und diese bieten in diesem Jahr Enttäuschungspotenzial“, sagt Anja Welz, Vorstand der Laureus AG Privat Finanz. „Letztlich sollten Anleger auch einmal einen Blick auf die enorme Dauer der derzeitigen Bullenphase werfen. Im März wurde in den USA das fünfte Jahr mit steigenden Kursen beschlossen. Der historische Durchschnitt liegt bei 4,5 Jahren“, argumentiert Welz. „Insofern deutet auch die Statistik an, dass die Gefahr von Rückschlägen durchaus real ist.“
Wer die Börsenregel in seiner Anlagestrategie berücksichtigen will, hat verschiedene Möglichkeiten. Am einfachsten geht das mit börsengehandelten Fonds, die auf die großen Indizes und damit den Gesamtmarkt setzen und noch am ehesten die statischischen Saisoneffekte auffangen. Allerdings müssen Anleger dann Jahre, in denen die Börsenregel „Sell in May and go away“ nicht greift oder sich sogar ins Gegenteil verkehrt, auch aushalten.
Die zehn wichtigsten Aktien-Regeln
Gegen die größer werdenden Unwägbarkeiten sollte man sich zuallererst mit einer Strategie wappnen: Wer an kräftiges Wachstum in Deutschland glaubt, an einen anhaltenden Boom der Schwellenländer und hohen privaten Konsum, kann weiter am Aktienmarkt investieren. Wer skeptisch ist, sollte seine Bestände hingegen nicht aufstocken.
Eng verbunden mit der ersten Regel: Immer wieder kommt es vor, dass sich Dinge anders entwickeln, als man erwartet hat. Es ist wichtig, sich selbst immer wieder zu hinterfragen und nicht jeder Entwicklung hinterherzulaufen. Eine solche Reaktion zeugt nicht von einem geringen Vertrauen in die eigene Strategie. Es kostet meist auch Geld, weil die Masse schon vorher diese Richtung eingeschlagen und das Gros an Rendite eingefahren hat.
Groß oder klein, spekulativ oder konservativ, liquide oder illiquide, dividendenstark oder dividendenschwach, Substanz oder Wachstum: Bei Aktien ist die Auswahl riesig. Der richtige Mix aus spekulativen und konservativen Titeln hilft, Schwankungen zwischen guten und schlechten Zeiten auszugleichen. Nicht zu unterschätzen sind starke Dividendenzahler, die Jahr für Jahr den Grundstock für eine solide Rendite legen.
Keine Frage, die Börsen haben in den vergangenen zehn Jahren stärker geschwankt als in allen Dekaden zuvor. Das wird so bleiben, mit wachsendem Computerhandel sogar noch zunehmen. Wer sein Risiko minimieren will, baut Barrieren ein – sogenannte Stopps. Gerne werden Stopps bei 20 Prozent über und unterhalb des aktuellen Kurses gewählt. Dann wird automatisch verkauft, wenn diese Grenzen erreicht sind. Kommt eine Phase überraschend steigender Kurse mit anhaltendem Aufwärtstrend, lässt sich die Barriere leicht nach oben verschieben. Wichtig ist dann, auch die Barriere am unteren Ende nachzuziehen.
Wichtig in Phasen überraschender Kurssteigerungen oder -stürze ist es, das Verhalten der Masse zu beobachten. Ist es noch nachvollziehbar oder völlig irrational? Häufig ist es irrational. Dann hilft meist die zweite Regel: Widerstandskraft zeigen. Nach einigen Monaten kehrt die Rationalität von ganz allein zurück. Der Kurssturz aus dem vergangenen Jahr und die jüngste Entwicklung beweisen das gerade wieder.
Sind Aktien wie seit Jahresbeginn schon um 30, 40 oder gar 50 Prozent gestiegen, dann sind Anschlussgewinne in der Regel nur noch schwer zu erzielen. Phrasenverdächtig ist zwar die alte Weisheit: „An Gewinnmitnahmen ist noch niemand zugrunde gegangen.“ Richtig ist sie trotzdem.
Firmenchefs haben einen gewaltigen Vorteil gegenüber normalen Aktionären. Sie wissen weit mehr als jeder Analyst oder Kommentator, wie es in ihrem Unternehmen aussieht. Insider nennt man sie deshalb. Sie melden ihre Orders innerhalb von fünf Handelstagen an die Börsenaufsicht Bafin. Das Handelsblatt veröffentlicht alle zwei Wochen das sogenannte Insider-Barometer, das aus der Summe aller Kauf- und Verkaufsorders Schlüsse für den weiteren Verlauf in Dax & Co. zieht. Jüngste Tendenz: Vorstände und Aufsichtsräte verkaufen mehr als sie kaufen. Vorsicht also!
Terroranschläge und Naturkatastrophen kommen unerwartet. Politische Konflikte wie aktuell zwischen Israel und dem Iran schwelen meist länger. Entscheidende Wahlen wie jüngst in Russland und in diesem Jahr noch in Frankreich und den USA sind vorhersehbar und haben immer Einfluss auf die Börse. Dabei gilt generell: Wahljahre sind gute Börsenjahre.
Mit Optionsscheinen oder Bonus-Zertifikaten lässt sich zwar aus einem Aufwärtstrend ein noch größerer Profit schlagen. Dies sind jedoch in der Regel Wetten ohne realen Hintergrund. Aktien sind reale Werte.
Vor allem Aktien einzelner Branchen unterliegen immer wieder gewissen Moden. Doch die wechseln wie im realen Leben, und manchmal geht das schneller, als man denkt. Das bekommt gerade die einst angesehene Solarenergie-Branche bitter zu spüren.
Die Variante, alle Aktien im Mai zu verkaufen und im Oktober wieder gezielt einzusteigen, ist sicher die radikalste, aufwendigste und riskanteste Methode, dem Börsenbonmot zu folgen. Wer das nicht über Jahre hinweg durchzieht und so die Ausreißerjahre ausgleichen kann, wird eher zufällig Erfolg damit haben – oder schmerzhafte Erfahrungen machen. Besser ist sicher ein selektives Vorgehen: Anleger können sich vor den Sommermonaten von besonders schwankungsanfälligen Aktien trennen und stabilere, saisonal unempfindlichere Papiere behalten. Vor allem Konsum- und Freizeitwerte bieten sich an, ebenso Handel und Versorger-Titel.
Zudem gibt es spezialisierte Fonds oder Zertifikate, die auf die saisonalen Effekte setzen und sich mitunter als Depot-Beimischung eignen. Damit lassen sich unter Umständen auch Kursverluste mit Aktien teilweise wieder wettmachen.
Dabei sollten Anleger allerdings nicht vergessen, dass alle Handelsaktivitäten Kosten verursachen, die durch die mögliche Extraperformance erst einmal verdient werden wollen. Wer also seine Aktien gewissenhaft auswählt und selektiv anpasst, kommt günstiger davon, als mit der Tabula-rasa-Methode.
Für 2014 ist kaum absehbar, wohin die Reise geht. Aber einiges spricht dagegen, dass es typischer Börsensommer wird. "Ich bin verhalten optimistisch - eine ausgeprägte Seitwärtsbewegung mit leichtem Drift nach oben", erwartet Aktienstratege Basse. Bei den Zukäufen sollten Anleger aber wählerisch sein. "Einige Papiere haben höhere Bewertungen und sind entsprechend teurer geworden".