
Schon seit dem Ausbruch der US-Immobilienkrise und der daraus entstehenden weltweiten Finanzkrise reißt die Kritik an den Bonitätswächtern nicht ab. Insbesondere den drei marktbeherrschenden Ratingagenturen aus den USA, Standard & Poor’s, Moody’s und Fitch Ratings, wird vorgeworfen, die Finanzkrise befeuert zu haben, weil sie mit Immobilien besicherte und gebündelte Schuldverschreibungen viel zu lange mit hohen Bonitätsnoten ausgestattet hatten. Erst als die Immobilienkrise bereits im Gange war, hatten die Ratingagenturen den Schrottpapieren die guten Noten entzogen.
Die Kritik entzündete sich zudem nicht nur an der Qualität der Noten für die Kreditwürdigkeit von Staaten, Unternehmen und Banken, sondern auch an der Arbeitsweise. Wie genau die Noten zustande kommen, welche Kriterien wie gewichtet werden und warum Ratings zu bestimmten Zeitpunkten unter Beobachtung gestellt oder geändert werden, erschließt sich den Marktteilnehmern bestenfalls unvollständig. Dabei ist der Einfluss der Beobachtung und Benotung gewaltig. Das bewies nicht zuletzt das Beispiel Frankreichs im vergangenen November. Irrtümlich – angeblich wegen eines Programmierfehlers – senkte S&P die Kreditwürdigkeit Frankreichs ab.
In den nicht einmal zwei Stunden bis zur Richtigstellung durch den US-Dienstleister stiegen Frankreichs Anleiherenditen – und lagen rekordverdächtige 1,7 Prozentpunkte über den Zinsen, die Deutschland zahlen muss.
Fehlende Objektivität und Unabhängigkeit
Einige Kritiker bemängeln, dass Moody’s und S&P zudem zum größten Teil den gleichen Investoren gehören. Letzten Endes würden beide von rund einem Duzend großer US-Fondsgesellschaften und Finanz beherrscht. Da stellt sich die Frage, ob die beiden Branchenriesen im Ernstfall tatsächlich zu unterschiedlichen Benotungen für einen Staat oder ein Unternehmen gelangen würden. Bislang ist eher zu beobachten, dass die Ratingagenturen mit ihren Noten immer brav in die gleiche Richtung marschieren, wenn auch mit zeitlicher Verzögerung.
Jetzt wehrt sich auch die deutsche Industrie gegen die Macht der Ratingagenturen: In einem Brandbrief werfen zwölf deutsche Großkonzerne dem Marktführer Standard & Poor’s Preistreiberei vor, berichtet die Financial Times Deutschland (FTD). Der Vorwurf: Deren neues Gebührenmodell bedeute unter dem Strich eine Verdoppelung der Preise oder gar noch mehr. Das sei vollkommen inakzeptabel, so die Unterzeichner Bayer, Bertelsmann, Continental, Daimler, Deutsche Post, E.On, Henkel, Linde, Lufthansa, RWE, Siemens und VW. Der Brief verstärkt den seit Langem im Raum stehenden Zweifel, ob die Bonitätsnoten überhaupt objektiv und unabhängig sein können, wenn die letztlich benoteten Unternehmen das Rating selbst bezahlen müssen.
Auch wenn viele Unternehmen über ihre Ratings und die damit verbundenen Kosten unzufrieden sind, ist bei den Ratingagenturen bislang noch keine Erosion ihres Geschäftsmodells festzustellen. Im Gegenteil: die Branche wächst und verdient prächtig. Allein Moody’s und S&P erstellen laut US-Börsenaufsicht mehr als mehr als eine Million Krediturteile, Fitch steuert ungefähr halb so viele bei. Dafür beschäftigen die drei großen nur jeweils 1000 Mitarbeiter, was die Kosten stabil hält.
So hat etwa Moody’s im vergangenen Jahr 2,28 Milliarden Dollar umgesetzt und dabei 888 Millionen Dollar vor Steuern und Zinsen verdient. Standard & Poor’s machte 2010 1,7 Milliarden Dollar Umsatz und einen Vorsteuergewinn von 768 Millionen Dollar. Die Gewinnmarge kletterte bei Moody’s gegenüber dem Vorjahr von 38 auf 39 Prozent – ein Wert, wie ihn sonst nur erfolgreiche Software-Hersteller kennen und von dem die Banken und Unternehmen, die ihre Ratings bezahlen, meist nicht einmal zu träumen wagen. In ähnlicher Größenordnung verdient S&P an seinen Ratings.
Die hohen Gewinnmargen sind ein Spiegel der großen Marktmacht. Die drei führenden Ratingagenturen S&P, Moody’s und Fitch beherrschen mehr als 95 Prozent des Geschäftes mit den Bonitätsnoten. Vor allem Standard & Poor’s und Moody’s, auf die schätzungsweise 80 Prozent der Umsätze entfallen, können offenbar die Preise setzen, wie es ihnen beliebt.