Wer kaufen will, wenn die Kanonen donnern, wie die martialische Börsenweisheit rät, der kann auch ins offene Messer laufen. Zwar machten vom Ukraine-Konflikt und Westboykott betroffene russische Aktien seit ihrem März-Tief bis dato rund ein Viertel gut – aber nur in Rubel. Euro-Anlegern fraß der Verfall der russischen Währung jeden Gewinn auf.
Auch an den beiden anderen großen Schwellenländerbörsen war nicht viel zu holen. Brasilien drückten Wahl und Währungsverluste, in China sehen Aktienanleger trotz massiven Wachstums schon seit sieben Jahren unterm Strich kein Land mehr. Marktkenner üben sich deshalb in Zurückhaltung, investieren nicht breit, sondern selektiv. „Wir machen keine Marktprognosen, sondern suchen nach Unternehmen mit starker Marktstellung und steigenden Gewinnen“, sagt Emil Wolter, Portfoliomanager des Comgest Magellan Fonds, der sich auf Papiere aus Schwellenländern spezialisiert hat.
Putin spricht...
„Russland hat keine Absicht, Krieg gegen das ukrainische Volk zu führen.“
am 4.3. in einer Pressekonferenz
„Wenn ich will, kann ich in zwei Wochen Kiew einnehmen.“
in einem am 01.09. bekanntgewordenen Telefonat mit EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso
„Die Militarisierung des Weltraums und die US-Stützpunkte in Europa und Alaska, direkt an unserer Grenze, nötigen uns zu einer Reaktion.“
am 10.09. in einer Pressekonferenz
„Russland behält sich das Recht vor, alle vorhandenen Mittel zu nutzen, sollte es in östlichen Regionen der Ukraine zu Willkür kommen.“
am 4. 3. in einer Pressekonferenz
„Diese Gebiete (im Süden und Osten der Ukraine) waren als Neurussland historisch ein Teil des Russischen Reiches. Erst in den 1920er Jahren wurden die Territorien von den Bolschewiken der Ukraine gegeben. Gott weiß warum.“
am 17. 4. im russischen Staatsfernsehen
„Es müssen umgehend substanzielle inhaltliche Verhandlungen anfangen - nicht zu technischen Fragen, sondern zu Fragen der politischen Organisation der Gesellschaft und der Staatlichkeit im Südosten der Ukraine.“
am 31. 8. vor dem Treffen der Ukraine-Kontaktgruppe
„In der Ukraine gibt es bislang keine legitime Macht, mehrere Staatsorgane werden von radikalen Elementen kontrolliert.“
am 18. 3. in der Rede an die Nation
„Sind sie da jetzt völlig verrückt geworden? Panzer, Schützenpanzerwagen und Kanonen! (...) Sind sie total bekloppt? Mehrfachraketenwerfer, Kampfjets im Tiefflug! (...) Sind sie dort jetzt völlig bescheuert geworden, oder was?
am 17. 4. im russischen Staatsfernsehen
„In der Ukraine überschritten die westlichen Partner die rote Linie, verhielten sich grob, verantwortungslos und unprofessionell.“
am 18.3. in der Rede an die Nation
„Die Vereinigten Staaten dürfen in Jugoslawien, Irak, Afghanistan und Libyen agieren, aber Russland soll es verwehrt sein, seine Interessen zu verteidigen.“
am 18.3. in der Rede an die Nation
„Nach dem Zerfall der Sowjetunion wurden die Russen zu einem der größten geteilten Völker der Welt. Millionen von Menschen gingen in einem Land ins Bett und erwachten in einem ganz anderen und wurden zur nationalen Minderheit.“
am 18.3. in der Rede an die Nation
„Ich glaube daran, dass die Europäer, vor allem aber die Deutschen, mich verstehen werden (...). Unser Land hatte das starke Bestreben der Deutschen nach Wiedervereinigung unterstützt. Ich bin sicher, dass sie das nicht vergessen haben und rechne damit, dass Bürger Deutschlands das Bestreben der russischen Welt, ihre Einheit wiederherzustellen, (...) ebenfalls unterstützen werden.“
am 18.3. in der Rede an die Nation
Die Börsen in Brasilien, Russland oder China sind nichts für Anleger, die zum ersten Mal vom Minizins-Sparbuch in Aktien umschichten; die politischen Verhältnisse sind wenig berechenbar, Wirtschaftsstatistiken mit Vorsicht zu genießen, die Transparenz, etwa in den Bilanzen oder was gute Unternehmensführung betrifft, lässt deutlich zu wünschen übrig. Aber „im Vergleich zu anderen Börsen sind die Schwellenländermärkte günstiger bewertet als vor vier Jahren“, sagt Wolter. Damals kam die Hausse in New York, London oder Frankfurt ins Laufen, in São Paulo, Shanghai und Moskau dagegen ging eher wenig.
Wolter von Comgest ist ein klassischer Stock-Picker, wie es im Fachjargon heißt: Er investiert in ausgesuchte Unternehmen, nicht in den Markt. In China etwa hat er den Versicherer China Life gekauft, der vom Wachstum der Mittelschicht profitiere, sagt Wolter. Gut 17 Prozent des Fondsgeldes hat er in chinesische Papiere gesteckt, weil „China einen Plan hat, mit seinen Problemen umzugehen“. Brasilianische Titel stehen an zweiter Stelle mit einem Gewicht von 14 Prozent. Auch von Russlands Aktien hat er sich nicht komplett verabschiedet. Mit sechs Prozent haben sie die sechstschwerste Gewichtung im Fonds.
Russland: Ölpreis drückt
Für die gebeutelte russische Seele ist das Balsam: Kremlchef Wladimir Putin hat die Krim „zurück“ nach Russland geholt, er stoppt die angebliche Expansion des Westens – und die halbe Welt zittert.
Ökonomisch steht Putin allerdings vor den Trümmern seines Wirtschaftsmodells, das letztlich doch stets den Spielregeln des westlichen Kapitalismus folgte. Nach monatelanger Achterbahnfahrt an der russischen Börse warten Anleger nun auf einen stabilen Kompromiss in der Ukraine-Krise und einen Neustart in den Beziehungen zum Westen. Ein Zeichen für den Einstieg in russische Papiere aber fehlt noch. „Es ist eine schwierige Zeit“, gibt Barings-Fondsmanager Matthias Siller zu, „aber ich gehe nicht davon aus, dass Putin seinem Land ökonomisch völlig das Licht ausknipst.“ Russische Titel gehörten „in jedes diversifizierte Portfolio“.
Russlands hat zwei Probleme. Zum einen Putins Politik, zum anderen den niedrigen Ölpreis – und der ist für das rohstofflastige Land eine noch größere Gefahr als Sanktionen oder politische Unsicherheiten. Das Fass der Sorte Ural kostet weniger als 80 Dollar – die Alarmglocken schrillen deshalb unüberhörbar. Denn bei einem Preis unter der 100-Dollar-Marke fehlt dem Staat das Geld für Investitionen und Rentenzahlungen. Das bringt nicht nur Rohstoffunternehmen unter Druck, sondern bremst auch den Konsum und die Stimmung in der Industrie.
„Im Moment würde ich nicht in den russischen Rohstoffmarkt einsteigen“, sagt Jochen Wermuth vom gleichnamigen Vermögensverwalter. „Aber Russland besteht nicht nur aus Öl- und Gasunternehmen. Im Konsumgüter- und Logistiksektor sehe ich langfristige Chancen – erst recht, wenn endlich Reformen in Gang kommen.“
Danach sieht es im Moment allerdings nicht aus. Russland ist ein Hochrisiko-Investment. Halbwegs sicher ist der IT-Sektor: Entwickler wie die auf den Virgin Islands registrierte Softwareschmiede Luxsoft sind weltweit aufgestellt und so relativ immun gegen das politische Chaos zu Hause. Das gilt auch für die Internet-Dienstleister Yandex und die Mail.ru-Group, die nicht zuletzt dank des Antiamerikanismus am russischen Heimatmarkt ihre Wettbewerber wie Google und Facebook auf Distanz halten.
Russische Aktien locken mit guter Dividendenrendite
Auch einzelne Unternehmen der Konsumgüterbranche stemmen sich erfolgreich gegen den Abwärtstrend, etwa der Einzelhändler Magnit-Gruppe, dem das Importverbot für westliche Lebensmittel nur kurzzeitig einen Kurseinbruch bescherte. Dass der Einzelhandelsriese die Importe aus Europa so rasch durch Alternativen aus Brasilien oder China kompensieren konnte, spricht für das Management.
Vom schwachen Rubel profitieren derweil die Rohstoffexporteure – allen voran Stahlriese Severstal, das Flaggschiff im Konglomerat des Oligarchen und TUI-Großaktionärs Alexej Mordaschow. Auch die Düngemittelhersteller Phosagro und Uralkali sind dank hoher Exporte Weichwährungssieger. Ein weiterer Krisengewinner könnte Pharmstandard sein. Der größte russische Pharmahersteller dürfte profitieren, wenn Putin den Binnenmarkt mit der Knute des Protektionismus vor ausländischen Wettbewerbern abschottet.
Generell sind russische Aktien mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) unter sechs nicht nur billig, sondern sie locken auch mit einer guten Dividendenrendite von im Schnitt vier Prozent. Gazprom etwa will 2016 sieben Prozent bieten.
China: neuerdings direkt
Jeder will am China-Boom teilhaben. Jahr für Jahr lockt der gigantische Markt Hunderte ausländische Unternehmen an. Nur der chinesische Aktienmarkt war bisher eher ein Albtraum. Der Shanghai Composite notiert rund zwei Drittel unter seinem Höchststand von 2007. Und das, obwohl die Wirtschaft mit für westliche Verhältnisse sagenhaften sieben plus x Prozent wächst und obwohl chinesische Unternehmen auf den Weltmärkten zunehmend wettbewerbsfähiger werden. „Der chinesische Aktienmarkt war bisher ein gutes Beispiel dafür, dass Wirtschaftswachstum und Aktienperformance nicht zwangsläufig korreliert sind“, sagt Jack Lin bei der Fondsgesellschaft Pioneer in Singapur.
Unzureichende Regulierung, Skandale und Kursstürze haben dazu geführt, dass die einheimischen Investoren den Aktienmarkt scheuen und ihr Geld stattdessen lieber in Immobilien oder in sogenannte „Wealth Management Products“ stecken – gebündelte Unternehmenskredite, die zwar mit hohen Renditen locken, aber kaum reguliert sind. Der Aktienmarkt gilt außerdem als extrem schwankungsanfällig. Privatanleger dominieren mit 80 Prozent Anteil den Börsenhandel – auf westlichen Märkten bestimmen die Profis.
Ausländische Anleger, die in China investieren wollen, mussten bisher den Umweg über Hongkong oder die USA wählen. Chinas E-Commerce-Gigant Alibaba etwa machte mit dem größten Börsengang aller Zeiten an der Wall Street Furore. Unterdessen tobt auf dem Heimatmarkt der Kampf um das Internet weiter. Einer der vielversprechendsten Angreifer heißt Tencent, das mit WeChat, einem mit WhatsApp vergleichbaren Nachrichtendienst, und zahlreichen Online-Games punktet. Chancen bietet auch die chinesische Suchmaschine Baidu. Tencent und Baidu konnten in dem vor ausländischen Wettbewerbern geschützten Markt ungestört wachsen. Jetzt breiten sie sich in anderen Schwellenländern aus. Ähnlich gehen Huawei und Lenovo vor. Nachdem sie ihre Stellung auf dem größten Konsumentenmarkt im wohl Smartphone-verrücktesten Land der Welt gefestigt haben, nehmen sie jetzt etwa Indien, Indonesien und Brasilien ins Visier. Als vergleichsweise sicheres Investment gilt der Telekomanbieter China Mobile mit rund 800 Millionen Kunden.
Mutigere Anleger, die trotz der Risiken lieber direkt auf dem Festland investieren möchten, haben seit dem 17. November die Gelegenheit dazu. Über das Projekt „Through Train“ („Direktverbindung“), das die Börsen Hongkong und Shanghai verbindet, können jetzt alle ausländischen Anleger Aktien in China kaufen. Bisher war das nur den großen Profi-Investoren möglich. Allerdings begrenzen Quoten den Kapitalzufluss: 13 Milliarden Yuan, umgerechnet 1,7 Milliarden Euro, soll das Maximal-Volumen pro Tag betragen; am ersten Handelstag am vergangenen Montag war das schon deutlich vor Börsenschluss ausgeschöpft. „Das ist eine positive Entwicklung“, sagt Jack Lin, Analyst beim Investmentfonds Pioneer. „Die chinesischen Kapitalmärkte sind vom Rest der Welt abgeschottet, und Through Train ist ein kleiner Riss in der Mauer.“
Alibaba-Börsengang zeigt Veränderung Chinas
Auf dem Festland notiert sind vor allem Staatsunternehmen. Einige, etwa Stahlgigant Baoshan Iron and Steel, Ölriese Sinopec oder die Bank of China, gehören zu den größten Unternehmen der Welt. Sie sind systemrelevant für die chinesische Wirtschaft und werden nach wie vor mit Krediten der Staatsbanken gepäppelt.
Trotzdem liegt Veränderung in der Luft. „Der Alibaba-Börsengang hat vielen gezeigt: Auch chinesische Unternehmen können es an die Weltspitze schaffen“, sagt Jack Lin. Und auch die hohen Erwartungen an Through Train scheinen sich positiv auszuwirken. Der Shanghai Composite Index legte in den vergangenen Monaten eine kleine Rally hin und stieg seit Anfang des Jahres um 20 Prozent.
Brasilien: schlecht regiert
Der brasilianische Fondsverwalter Luiz Stuhlberger gilt in Brasilien als legendärer Investor. Sein Investmentfonds Fundo Verde hat mit einer Wertsteigerung von 8800 Prozent in 17 Jahren den Bovespa-Index um Längen geschlagen. Doch dieses Jahr kommt Stuhlbergers Fonds nicht vom Fleck: So wie die Börse dümpelt Verde vor sich hin. Dabei hat Stuhlberger bereits völlig auf brasilianische Aktien im Portfolio verzichtet – zu teuer. Er setzt vor allem auf brasilianische Staatsanleihen und einen schwächeren Real. Dass die bei der Wirtschaft unbeliebte Präsidentin Dilma Rousseff gerade hauchdünn die Wiederwahl gewonnen hat, bestätigt Stuhlberger nur in seinem Pessimismus. „Die Lage ist viel ernster, als es die Kurse ausdrücken“, sagt er. „Die Kurse werden sich noch deutlich verschlechtern, die nächsten vier Jahre werden noch schlechter als die letzten.“
Die Gründe für die nun seit fünf Jahren stetig abrutschenden Kurse in São Paulo sind schnell aufgelistet: Seit vier Jahren wächst Brasilien kaum. Die Inflation ist hoch, die Defizite im Staatsbudget wie in der Leistungsbilanz wachsen. Denn die Regierung gibt immer mehr aus und nimmt weniger ein. Zudem fallen die Exporte zurück, etwa von Soja und Erz.
Zusätzlich stören die zunehmenden staatlichen Eingriffe, etwa bei Banken oder in der Energiebranche. Der Fall des Ölkonzerns Petrobras zeigt, warum Investoren sich abwenden. Vor sechs Jahren war die Aktie ein Star, zeitweise der meistgehandelte ausländische Wert an der Wall Street, nach Börsenwert die Branchennummer drei der Welt, hinter Petrochina und ExxonMobil.
Heute ist das einstige Vorzeigeunternehmen nur noch ein Schatten seiner selbst: Der Kurs ist von 70 auf 9 Dollar eingebrochen. Staatliche Misswirtschaft und Korruption haben den Konzern heruntergewirtschaftet. Die Bilanzprüfer von PwC weigern sich gerade sogar, den Quartalsbericht abzusegnen: Die Staatsanwaltschaft vermutet, dass Verträge mit Zulieferern über umgerechnet rund 20 Milliarden Euro getürkt waren und vier Milliarden Dollar Schmiergelder geflossen sind. Die US-Börsenaufsicht SEC ermittelt.
Chancen mit Einzelwerten
Möglicherweise bietet aber die miese Gemengelage auch eine günstige antizyklische Einstiegsgelegenheit. So hat Fondsmanager Aberdeen zwei neue Brasilien-Fonds aufgelegt. „Trotz des schlechten Rufs Brasiliens gibt es gute brasilianische Unternehmen“, sagt Fondsmanager Mark Gordon-James.
Im Tief gekauft hat er Vale. Der Eisenerzriese leidet zwar unter den niedrigen Preisen – am Dienstag rutschte der Erzpreis auf ein Fünfjahrestief –, erwirtschaftet aber auch dann noch Gewinne, wenn viele Konkurrenten schon das Handtuch schmeißen müssen. Risiko: Die Regierung könnte den Staatseinfluss ausbauen.
Positiv sollten Bankaktien wie Itau Unibanco und Bradesco abschneiden (siehe Tabelle). Die Marktführer bei den Privatbanken „werden von den hohen Zinsen und der schwächeren Konkurrenz durch Staatsbanken profitieren“, sagt Will Landers vom Fondsanbieter Blackrock. Von der Schwäche des Real profitiert der Rindfleischproduzent JBS: Der weltgrößte Fleischkonzern macht die Hälfte seines Umsatzes in den USA und kann jetzt wegen der Währungsschwäche den Weltmarkt billiger bedienen.
Und Sanktionen oder eine Abschottung wegen kriegerischer Auseinandersetzungen, donnernde Kanonen also, die drohen in Südamerika Gott sei Dank nicht.