„Welcome to FrankfurtRheinMain – a region that is home to the world“ (eine Region als Zuhause der Welt) heißt es auf der Webseite der Frankfurter Standortvermarkter der FrankfurtRheinMain GmbH. Die Marketing-Profis haben nichts dem Zufall überlassen: Sobald am 24. Juni feststand, dass eine knappe Mehrheit der Briten für den Brexit gestimmt hat, wurde die speziell dafür eingerichtete Webseite live geschaltet. Rund 25.000 Abrufe habe es seitdem gegeben, sagt Eric Menges, der Geschäftsführer der FrankfurtRheinMain GmbH.
Frankfurt hofft darauf, ein paar Banker an den Main locken zu können. Künftig, so Menges, wird es auch Roadshows geben, bei denen den Bankern in der Londoner City ein Umzug nach Frankfurt schmackhaft gemacht werden soll. Die Infomaterialien zeigen, dass die Frankfurter wissen, welche Knöpfe sie in London drücken müssen. Ein Magazin zeigt die hippsten Locations in der Rhein-Main-Region, das Titelbild ziert eine szenige Dachterrasse bei Sonnenuntergang, im Hintergrund die Türme der nationalen und internationalen Banken.
Nach dem Brexit gilt Frankfurt als einer der Favoriten auf den Thron der künftigen Finanzmetropole Europas. Sollte den Banken im Vereinigten Königreich durch den Austritt aus der EU das Recht auf das sogenannte Passporting entzogen werden, dürften sich viele Großbanken nach einem neuen Standort für ihre Europa-Zentrale umsehen. Passporting erlaubt den Instituten in Großbritannien bisher, von dort das EU-Geschäft zu erledigen, ohne in allen 27 Mitgliedstaaten eine Niederlassung zu haben.
Ob die rund 300 in London ansässigen Auslandsbanken dieses Recht nach dem Brexit behalten werden, ist mehr als fraglich. Einige Investmentbanken, wie etwa JP Morgan, hatten bereits vor dem Referendum angekündigt, wenn nötig eine große Zahl an Mitarbeitern zu verlegen. Neben Frankfurt kommen auch Paris und Dublin als Brexit-Profiteure in Frage. Denn nicht bei allen Bankern ist Frankfurt die erste Wahl.
Geht es nach einer aktuellen Umfrage der Boston Consulting Group (BCG), liegen die Finanzplätze in New York und Dublin als Alternative zu London allerdings nur auf Platz zwei und drei.
"In der Gesamtwertung liegt Frankfurt auf Platz eins“, sagt Wolfgang Dörner, Leiter des Frankfurter BCG-Büros. Dabei punktet die Mainmetropole vor allem mit harten Fakten wie wirtschaftlicher und politischer Stabilität und einem aus Sicht der Londoner Banker erfreulichen Wohnungsmarkt. Für die Studie haben die Unternehmensberater kurz vor dem Referendum rund 360 leitende Banker aus Großbritannien, Frankreich, den USA und Deutschland zu den möglichen Folgen des Brexit befragt.
Viele Frankfurter mögen zwar aufhorchen, aber im Vergleich zu den Mieten in London werden in der Mainmetropole Peanuts verlangt. Wohl dem, der vor einigen Jahren bereits eine Immobilie gekauft hat, denn sollte der Umzugstross tatsächlich von der Themse an den Main rollen, dürften die Mieten in den beliebten Lagen wie dem Westend oder Sachsenhausen in bislang unbekannte Höhen steigen.
Gibt es überhaupt genug Wohnungen?
Aufatmen dagegen für die Daheimbleibenden. "Die Brexit-Gewinner werden Frankfurt und Paris sein", sagt Guy Barnard, Fondsmanager bei Henderson in London. Der Immobilienexperte glaubt, dass einige große Investmentbanken wie angekündigt Teile ihrer Mitarbeiter an den Main oder die Seine schicken werden und die Mieten in der Londoner City fallen. Grämen müssten sich die Besitzer der Bürotürme aber trotzdem nicht: Private Equity-Investoren und chinesische Interessenten stehen schon bereit und wittern Schnäppchenpreise.
Das sagen Ökonomen zum Brexit-Entscheid
„Wir müssen einen sanften Übergang in eine neue wirtschaftliche Beziehung sicherstellen. Der IWF unterstützt die Bank von England und die Europäische Zentralbank darin, für die nötige Liquidität des Bankensystems zu sorgen und Schwankungen nach der Abstimmung zu begrenzen.“
„Der Brexit ist für die deutsche Wirtschaft ein Schlag ins Kontor.“
„Die Briten werden die Ersten sein, die unter den wirtschaftlichen Folgen leiden werden.“
„Wir erwarten in den kommenden Monaten einen deutlichen Rückgang des Geschäfts mit den Briten. Neue deutsche Direktinvestitionen auf der Insel sind kaum zu erwarten.“
„Nach einem EU-Austritt sollte niemand Interesse daran haben, mit Zollschranken zwischen Großbritannien und dem Festland den internationalen Warenverkehr zu verteuern.“
„Es wird nicht lange dauern, bis unsere Maschinenexporte nach Großbritannien spürbar zurückgehen werden.“
„Weniger Wirtschaftswachstum in den EU-Staaten und ein schwächeres Exportgeschäft werden die Konsequenzen sein.“
„Die EU-Staats- und Regierungschefs müssen schnell die dringend erforderlichen Reformen für mehr Wettbewerbsfähigkeit und Fairness im EU-Binnenmarkt in Angriff nehmen.“
"Es kommt jetzt darauf an, ob wir eine saubere oder eine schmutzige Scheidung bekommen. Es geht vor allem darum, ob Großbritannien nach einem Verlassen der EU den Zugang zum EU-Binnenmarkt behält. Wichtig ist, dass die EU jetzt nicht die beleidigte Leberwurst spielt. Sie sollte ein starkes Interesse daran haben, mit den Briten in den kommenden zwei Jahren eine saubere Trennung zu vereinbaren. Das Land ist zweitwichtigster Handelspartner der EU, nach den USA und vor China. Die EU hat ein großes wirtschaftliches Interesse daran, Zölle im Warenhandel zu vermeiden und das Land im Binnenmarkt zu behalten.
Der Brexit stellt auch ein politischen Risiko für die EU dar. Denn das wird den Anti-EU-Parteien in vielen EU-Ländern Rückenwind geben. Die Regierungen werden noch weniger als bisher mehr Europa wagen, so dass die Probleme der Währungsunion weitgehend ungelöst bleiben. Was die EZB mehr denn je zwingt, die Probleme durch eine lockere Geldpolitik zu übertünchen.
Der Brexit schafft Unsicherheit und ist insofern schlecht für die deutsche Wirtschaft. Aber wir erwarten nicht, dass der Euro-Raum in die Rezession zurückfällt. Das gilt auch für Großbritannien und erst recht für den Fall, dass sich allmählich eine saubere Scheidung abzeichnet."
"Jetzt kommt eine große Phase der absoluten Unsicherheit. Denn etwas Vergleichbares hatten wir noch nicht. Unsicherheit ist schlecht für die Wirtschaft." Der Aufschwung in Großbritannien dürfte nun weitgehend zu Ende sein, in der Euro-Zone werde er sich abschwächen. Hersteller von Investitionsgütern wie Maschinen und Autos dürften die Folgen stärker spüren. "Deutschland ist also stärker betroffen als beispielsweise Spanien", sagte Schmieding.
"Die Entscheidung der britischen Wähler für den Brexit ist eine Niederlage der Vernunft", sagte er. "Die Politik muss jetzt alles tun, um den wirtschaftlichen Schaden zu begrenzen. Dazu gehört es, sicherzustellen, dass Großbritannien so weit wie möglich in den Binnenmarkt integriert bleibt." Es sei wichtig, die Verhandlungen darüber möglichst schnell zum Abschluss zu bringen, damit die Phase der Unsicherheit über die künftigen Wirtschaftsbeziehungen möglichst kurz bleibe.
"Die Finanzmärkte werden einige Tage brauchen, um den Schock zu verarbeiten. Die Politik muss jetzt versuchen, das Beste aus einer Entscheidung zu machen, die die EU schwächt. Das wird lange brauchen. Und so lange wird Unsicherheit das Geschehen prägen, zumal die Fliehkräfte in anderen EU-Ländern stärker zutage treten werden. Das Ergebnis kann auch die Nicht-Mainstream-Parteien in Spanien stärken, wo am Sonntag gewählt wird. Bis gestern hatte Europa ein Problem, jetzt ist erst mal Panik."
"Das Ergebnis des Referendums ist kein gutes Signal für Europa. Aber es ist vor allem kein gutes Signal für Großbritannien. Die politischen Strukturen der EU sind stark. Und anders als bei einem 'Grexit', also dem Ausscheiden eines Landes aus der Währungsunion, für das es keine rechtliche Grundlage gibt, ist die Prozedur für das Ausscheiden eines Landes aus der EU rechtlich klar geregelt. Die Folgen für den europäischen Integrationsprozess werden weniger gravierend sein, als jetzt oft vorschnell beschrieben. Auch wenn es schwierig wird: Die EU kann einen Austritt Großbritanniens verkraften.
Innerhalb Europas sollte der Fokus der nächsten Monate auf der Vertiefung des Euro-Raums liegen. Die Euro-Krise ist immer noch nicht ausgestanden. Die EZB hat die Grenze ihres Mandats erreicht. Nun müssen sich die Euro-Länder so schnell wie möglich auf einen Stabilisierungsplan einigen, der sowohl mehr Risikoteilung (vor allem schwierig für Deutschland) als auch mehr Souveränitätsteilung (vor allem schwierig für Frankreich) umfasst. Allerdings ist für einen solchen Plan kaum Zeit."
"Jetzt wird es turbulent an den Finanzmärkten. Das Pfund ist bereits auf einem 30-Jahres-Tief gegenüber dem Dollar. In absehbarerer Zeit sollten wir aber wieder eine Erholung sehen. Die Finanzmärkte fragen sich jetzt: Wie sieht das neue Verhältnis zwischen EU und Großbritannien aus? Die Briten könnten künftig Mitglied des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) werden, wie Norwegen. Ich gehe nicht davon aus, dass das Verhältnis EU-Großbritannien damit beendet ist. Die EU wird das Land nicht am langen Arm verhungern lassen.
Mit dem heutigen Tag ändert sich erst einmal gar nichts. Es wird jetzt Verhandlungen mit der EU geben. So lange bleibt GB Vollmitglied der EU, also die nächsten zwei Jahre. Ich gehe nicht davon aus, dass sich die wirtschaftliche Lage dramatisch verändern wird. Die Briten dürften es aber merken: Die dortigen Unternehmen dürften jetzt Investitionen überdenken. Aber ich denke nicht, dass das Land nun in eine Rezession fällt."
In Frankfurt dürften es im Fall eines Umzugs die Londoner sein, welche mit chinesischen Investoren um die besten Eigentumswohnungen rangeln. Oberbürgermeister Peter Feldmann (SPD) hat auf die Angst vor der Wohnungsnot bisher keine richtig überzeugende Antwort. Es werde, so der SPD-Politiker, in einem Interessengebiet von rund 45 Minuten rund um den Frankfurter Hauptbahnhof herum gebaut. Das gelte nicht nur für Wohnraum, sondern auch für Büroflächen.
Auch letztere dürften stärker nachgefragt werden, sollten einige Londoner Großbanken tatsächlich die Umzugslaster bestellen. Zumal sie auch da andere Preise gewohnt sind. Was in Frankfurts Bürotürmen an Monatsmiete fällig wird, zahlen die Institute in London für eine oder zwei Wochen. Feldmann wird Antworten finden müssen, um ein dramatisches soziales Gefälle zu vermeiden. Bisher betont der Oberbürgermeister aber die Chancen. „Das ist ein gutes Signal für die gesamte Region“, kommentierte Feldmann das Ergebnis der BCG-Umfrage.
Londons Banker meiden den Main
Noch allerdings ist gar nicht klar, ob überhaupt so viele Banken den Schritt nach Frankfurt wagen. Frankfurt sei doch langweilig, sagte ein Banker in der Londoner City noch vor kurzem. Und mit dieser Meinung ist er nicht alleine. Auch die BCG-Umfrage ergibt, dass viele Deutschlands Finanzstadt Nummer eins für langweilig halten. Zudem fürchten die angelsächsischen Banker die Sprachbarriere, für viele wäre Dublin daher die erste Wahl. Gerade bei Bankern aus Großbritannien schneidet Frankfurt in der Umfrage nicht so gut ab und landet nur auf Platz fünf, noch hinter Amsterdam. Vorne liegen dagegen New York und Singapur, welche ins Spiel kämen, wenn amerikanische Banken dem EU-Markt den Rücken kehren würden.
Die Marketingprofis von der FrankfurtRheinMain GmbH dürften also in den kommenden Wochen noch viel zu tun haben, um das Image der Mainmetropole bei den verwöhnten Londonern aufzubessern. Feldmann etwa lobt die „kurzen Wege“, die es in Frankfurt im Gegensatz zu London oder New York gebe. Auch das breite Kulturangebot und die „U-Bahn ins Mittelgebirge“ hebt der Oberbürgermeister hervor.
Das Magazin fürs Standortmarketing setzt dagegen auf Bewährtes. Die wichtigste Flaniermeile der Region, die Goethestraße, darf da nicht fehlen. Die Geschäfte dort dürften die kaufkräftige Londoner Kundschaft herzlich willkommen heißen.