BRIC-Boom Mit Aktien richtig in Schwellenländer investieren

Papiere aus Asien und Lateinamerika gelten als riskant. Zu Recht, wie der jüngste Einbruch der dortigen Börsen beweist. Anleger können aber indirekt vom starken Wachstum der Schwellenländer profitieren – mit Aktien global operierender Konzerne.

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Coca-Cola macht gute Geschäfte in China Quelle: dpa

Sechsspurige Straßen, von Heldenstatuen gesäumte Plätze, hektargroße Parks, Einkaufszentren, Autobahnen und natürlich Hochhäuser, jede Menge Hochhäuser: Kangbashi im Süden der Millionenstadt Ordos hat alles, was eine moderne chinesische Metropole ausmacht. Nur eines fehlt: die Bewohner. In der für 300 000 Einwohner ausgelegten Stadt leben höchstens 28 000 Menschen. 90 Prozent der Wohnungen stehen leer.

Geisterstädte wie Kangbashi gibt es Dutzende in China. Weil die Inflation ihre Ersparnisse entwertet, stecken wohlhabende Chinesen ihr Geld in Immobilien. Doch die hohen Mieten kann sich kaum jemand leisten. Nun bremst die Regierung bei der Kreditvergabe: Vom Hoch 2010 sind die Wohnungspreise bereits um 30 Prozent eingebrochen, und sie fallen weiter. Als Nächstes könnten die Banken von einer Welle fauler Hypothekenkredite überspült werden, fürchten viele – so wie 2008 in den USA und aktuell in Spanien.

Immenser Einfluss auf die Weltwirtschaft

Der gebremste Bauboom und weniger Exporte in den schuldengeplagten Westen drücken auf das Wachstum: 2012 dürfte die chinesische Wirtschaft noch um 7,9 Prozent zulegen; in den vergangenen 20 Jahren lag das Wachstum in der Spitze bei 11,8 Prozent pro Jahr. Alle wichtigen Indikatoren, wie Strom-, Zement-, Stahlproduktion und Rohstoffimporte, gingen zuletzt gegenüber 2011 zurück.

Chinas Einfluss auf die Weltwirtschaft ist immens. Sinkende Rohstoffimporte treffen andere Schwellenländer, etwa Brasilien. Die internationalen Anleger hat das Abflauen des Wachstums verschreckt: 2011 zogen sie netto über 20 Milliarden Euro aus den vier größten Schwellenländern Brasilien, Russland, Indien und China (BRIC) ab. 2009 und 2010 waren zusammen noch rund 100 Milliarden Dollar netto in die vier Kapitalmärkte geflossen. Der Schwellenländer-Aktienindex MSCI-Emerging Markets hat in einem Jahr 30 Prozent verloren.

Die ersten Analysten haben jetzt den Abgesang auf die Schwellenländer angestimmt. Die Deutsche Bank, bis vor Kurzem nimmermüde Werberin für Schwellenländerfonds, sieht "strukturelle Probleme" wuchern, etwa die hohe Inflation und die Immobilienblasen. Beides ist aber nicht neu, auf dem Höhepunkt des Chinabooms 2008 war die Inflation sogar höher.

Dauerkrisen sind unwahrscheinlich

Alle Jahre wieder: verlassen und verkauft.

Mittelabflüsse und temporäre Einbrüche von Wachstum und Börsen sind in schnell wachsenden Volkswirtschaften aber nichts Ungewöhnliches; sie haben sich für Anleger oft als gute Einstiegsgelegenheit erwiesen. "Flüchten Kurzfristanleger wie Hedgefonds aus riskanten Anlagen, trifft es die Schwellenländeraktien besonders", sagt Fondsmanager Jens Ehrhardt.

Dass Asien oder Lateinamerika zurück in Dauerkrisen wie den Achtzigerjahren fallen, ist aber unwahrscheinlich. Zu stark ist inzwischen der gesellschaftliche Mittelstand und damit der Konsum. Die Inflation geht zurück; die Realeinkommen der Bevölkerungsmehrheit steigen; die Nachfrage nach Gütern des täglichen Bedarfs und westlichen Markenartikeln ist ungebremst. Für Investoren mit einem mehrjährigen Anlagehorizont bietet die aktuelle Anti-Schwellenländer-Stimmung deshalb Chancen.

"Momentan sind die Schwellenländer ziemlich out, das kurzfristige Kapital, etwa der Hedgefonds, ist abgeflossen; das waren historisch immer gute Zeitpunkte für Käufe", sagt Philipp Vorndran, Kapitalmarktstratege bei Flossbach und von Storch.

Nachhaltiges Wachstum

Kinder vor einer Werbung von HeidelCement Quelle: dpa

Zumal die Welt in China nun wirklich nicht untergeht: "Wir gehen davon aus, dass sich das chinesische Wachstum weiter abschwächen wird, aber der größte Teil der Verlangsamung sollte hinter uns liegen", sagt Yu Song, Ökonom bei Goldman Sachs. Die Inflationsrate ging im Frühjahr überraschend auf 3,4 Prozent zurück. Eine niedrigere Inflation würde die Konsumneigung der Mittelschicht und einfachen Arbeiter befeuern, die der Gutverdiener ist ohnehin ungebrochen. "Steigende Einkommen der breiten Masse machen Wachstum nachhaltiger; es kann von einer stabilen Basis aus weitergehen. Auch in den USA und Westeuropa der Fünfziger und Sechziger waren die steigenden Realeinkommen der Mittelschicht der Motor", sagt Morgan-Stanley-Volkswirt Manoj Pradhan.

Die gefallenen Inflations- und Wachstumsraten liefern der Zentralbank Argumente, die Geldbremse wieder zu lockern. "Sobald das Wachstum unter den Zielkorridor von sieben bis neun Prozent rutscht, wird die Kreditvergabe erleichtert, und die Zinsen werden gesenkt", meint Rajiv Jain, Schwellenländerfondsmanager für die Bank Vontobel in New York. Die globalen Kapitalflüsse haben neuesten Daten zufolge gedreht: Laut Marktforscher Emerging Markets Portfolio Research flossen in den ersten vier Monaten 2012 netto wieder 25,6 Milliarden Dollar in die Schwellenländer; das ist immerhin die Hälfte dessen, was 2011 abgeflossen war.

Starke Aktien mit Schwellenländer-Plus
Ein Mann sitzt vor einem Laden der Adidas-Marke Reebok in Indien Quelle: dapd
Zwei Hände halten Zigaretten der Marke Gauloises Quelle: dapd
Ein Chinese telefoniert Quelle: REUTERS
Frauen machen in China Werbung für Coca Cola Quelle: AP
Eine Frau vor einem Regal mit Danone-Produkten Quelle: Reuters
Ein Glas voll Guinness Quelle: REUTERS
Eine Hand nimmt eine Flasche Heineken aus dem Regal Quelle: REUTERS

Geringe Verschuldung und konsumfreudige Bevölkerung

Schwellenländeraktien sind zudem nach dem Ausverkauf nicht mehr teuer: Das durchschnittliche Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) liegt bei 10,3. "Industrieländer-Standardwerte sind mit einem KGV von 13,5 teurer, obwohl die Wachstumsperspektiven der meisten Schwellenländeraktien besser sind als die der Etablierten", findet Francis Chung von HSBC in Hongkong. Langfristig sprechen die geringere Verschuldung und die junge, konsumhungrige Bevölkerung für die Aktien. "Woher, wenn nicht aus den Schwellenländern, soll künftiges Wachstum kommen, aus den Schulden abbauenden Industrieländern etwa?", fragt Ehrhardt.

Schwellenländeraktien sind aber auch oft zu Recht billig, die Gründe:

  • Sie schwanken stärker als die der Industrieländer, weil bei schlagartigem Abzug von ausländischem Kapital heftige Kurseinbrüche drohen.
  • In vielen Ländern grassiert die Korruption, dass alle Gewinne bei Aktionären landen, ist unrealistisch.
  • Mit der Transparenz und Bilanzqualität der Aktiengesellschaften aus Asien, Afrika und Südamerika ist es oft nicht weit her. Die Aktie von Sino Forest etwa brach 2011 ein, nachdem dem Unternehmen vorgeworfen wurde, es habe zu große Waldflächen ausgewiesen. Selbst Hedgefonds-Starmanager John Paulson ging Sino Forest auf den Leim. Seither misstrauen Investoren chinesischen Bilanzen.
  • Die Unternehmen folgen kaum der westlichen Maxime der Gewinnmaximierung. Gerade in Russland und China bestimmt die politische Führung, nicht der Aktionär. "Für chinesische Unternehmen ist Gewinn immer nur ein Ziel, wichtigere sind die Versorgung der Bevölkerung mit Gütern und Arbeitsplätzen", sagt Vorndran.
  • Der Börsenhandel an vielen Schwellenländerbörsen, etwa in Indien, ist Privatanlegern wegen komplizierter Regularien und hoher Kosten versperrt. Oft bleibt nur eine kleine Auswahl asiatischer und lateinamerikanischer Konzerne, deren Aktien im Ausland gehandelt werden.

Aktien nicht nach dem Herkunftsland beurteilen

Ein Zigaretten-Verkäufer Quelle: Getty Images

Anleger, die sich dennoch in Schwellenländern engagieren wollen, sollten nicht nur nach den Heimatländern der Aktien auswählen, meint Jain: "Unternehmen wie Samsung oder die taiwanesischen Auftragsfertiger TSMC und Foxconn kommen aus asiatischen Wachstumsländern und werden von den meisten Anlegern als Schwellenländeraktien wahrgenommen, sie machen aber mehr als 85 Prozent ihrer Umsätze und Gewinne in Nordamerika und Europa." Umgekehrt ist Coca-Cola für die meisten Anleger eine US-Aktie. Doch die Marke ist in fast allen Schwellenländern auf dem Vormarsch. Die Käufer sind bereit, mehr Geld dafür auszugeben als für das heimische Zuckerwasser. "Coca-Cola hat zum Beispiel in Indien 75 Prozent Marktanteil; ich halte es für ausgeschlossen, dass je ein indischer Getränkekonzern das erreicht", sagt Jain.

Generell könnte es eine gute Idee sein, sich ein Portfolio aus westlichen Konzernen mit hohen oder steigenden Schwellenländeranteilen an Umsatz, Cash-Flow und Gewinn zuzulegen. "Wer die hohe Schwankungsanfälligkeit der Schwellenländerbörsen scheut, sollte lieber die Aktien westlicher Konzerne kaufen, als direkt an den asiatischen oder lateinamerikanischen Börsen zu investieren", so Jain. So kombiniert man die Wachstumsmärkte der Region mit westlicher Rechnungslegung und Börsentransparenz, etwa regelmäßigen Quartalsberichten und zuverlässiger Investor Relations.

Die Auswahl an geeigneten Aktien ist mittlerweile groß, auch im Dax (siehe Tabelle). Allein in den vier BRIC-Staaten setzten deutsche Unternehmen 2010 und 2011 Waren für mehr als 200 Milliarden Euro um. Die Ausfuhren in die USA waren 2011 mit 66 Milliarden Euro nur noch halb so groß wie die BRIC-Exporte.

Die Tabelle zeigt, wie viel Umsatz die 30 Dax-Unternehmen aktuell in den Schwellenländern erzielen. Dazu hat die WirtschaftsWoche eine aktuelle Umfrage unter den 30 Dax-Werten durchgeführt. Ein Beispiel: Adidas machte 2011 48 Prozent seines Umsatzes in den Wachstumsregionen Lateinamerika, Asien (ohne Japan), Osteuropa und Afrika. Wer für 1000 Euro Adidas-Aktien kauft, erwirbt damit rund 600 Euro Umsatz aus den Schwellenländern. Bei K+S, die im Zuge des China- und Rohstoffbooms bis 2008 ihren Börsenwert in wenigen Jahren vervielfachte, kaufen Anleger mit 1000 Euro nur 205 Euro Schwellenländerumsatz ein.

China- und Brasilien-Geschäft über den Dax kaufen 
Wie viel Umsatz die Top-30-Konzerne im Ausland und in Schwellenländern machen 
Unternehmen/BrancheUmsatz 1Umsatz im  Ausland 2Umsatz in  Schwellenländern 3 Prognose 4wichtigste Zukunftsmärkte 5
Adidas/Sportartikel13,3

95

48

bis zu +10 %

Russland, China, USA
Allianz/Finanzen 96,5

70

11

bis zu +10 %

k. A.
BASF/Chemie73,561

34

mehr als +10 %

China
Bayer/Chemie, Pharma36,5

87

36

bis zu +10 %

China
Beiersdorf/Chemie5,63929k. A.China, Brasilien, Russland 
BMW/Automobil 68,8

80

 

35

bis zu +10 %

k. A.
Commerzbank/Finanzen17,3k. A.k. A.k. A.k. A.
Daimler/Automobil106,5

82

36

bis zu +10 %

China
Deutsche Bank/Finanzen 33,2k. A.k. A.k. A.k. A.
Deutsche Börse/Finanzen2,217k. A.k. A.k. A.
Deutsche Post/Logistik 52,868

34

bis zu +10 %

BRIC, Mexiko
Deutsche Telekom 58,955n. r.k. A.k. A.
E.On/Versorger112,8k. A.n. r.k. A.Brasilien, Türkei
Fresenius/Medizin16,5

78

17

bis zu +10 %

k. A.
FMC/Medizin 12,8

97

10

bis zu +10 %

k. A.
HeidelCement/Baustoffe12,9

90

42

bis zu +10 %

Indonesien 
Henkel/Konsum 15,6

85

28

bis zu +10 %

k. A.
Infineon/Technologie4,073

42

bis zu +10 %

China, Indien 
K + S /Düngemittel 5,2

84

25

mehr als +10 %

k. A.
Linde/technische Gase13,8

90

28

mehr als +10 %

Asien, speziell China
Lufthansa/Logistik*28,7

 

60*

  15*

bis zu +10 %

USA, Brasilien, China*
MAN/Lkw- und Anlagenbau16,5

79

40

bis zu +10 %

Brasilien
Merck KGaA/Pharma10,1

92

50

bis zu +10 %

China
Metro/Handel 66,760

30

mehr als +10 %

Russland
Münchener Rück/Finanzen49,6

71

12

bis zu +10 %

China, Vietnam
RWE/Versorger51,7k. A.k. A.k. A.k. A.
SAP/Software 14,2

84

k. A.

bis zu +10 %

k. A.
Siemens/Elektro u. Anlagenbau73,5

85

33

mehr als +10 %

China
ThyssenKrupp/Stahl49,16725k. A.k. A.
VW/Automobil*159,0

78

   24*k. A.Brasilien, Mexiko, China*
* keine Beteiligung an der Umfrage, Werte geschätzt; 1 in Milliarden Euro, jeweils letztes Geschäftsjahr (bei Finanzwerten: Gesamtertrag); 2 Anteil der Auslandsumsätze am Gesamtumsatz, währungsbereinigt, in Prozent; 3 Anteil der Regionen ‧Lateinamerika, Afrika, Asien (ohne Japan) am Gesamtumsatz, währungsbereinigt, in Prozent; 4 Selbsteinschätzung zur ‧Entwicklung des Anteils des Schwellenländergeschäftes in den kommenden fünf Jahren; 5 Einschätzung der Unternehmen;  Abkürzungen: BRIC = Brasilien/Russland/Indien/China, k. A. = keine Angaben, n. r. = nach eigenen Angaben nicht relevant; Quelle: Bloomberg, WirtschaftsWoche-Umfrage 2012 

Löhne und Preise steigen

Die größten deutschen Arbeitgeber in China
Knorr-Bremse Quelle: Screenshot
Heraeus Quelle: Foto: Heraeus
Henkel Quelle: Pressebild
Evonik Quelle: Pressebild
Bertelsmann Quelle: dapd
Schenker Quelle: dapd
Freudenberg Quelle: Pressebild

Die Zukunft dürfte vor allem Konsumwerten gehören. Chinas Wirtschaft profitiere zunehmend von der stärkeren Binnennachfrage, heißt es im jüngsten Ausblick des Internationalen Währungsfonds (IWF). "Sozio-ökonomische Verbesserungen" würden mittel- und langfristig das Wachstum stabilisieren und nicht mehr so einseitig vom Export abhängig machen, so der IWF. Damit gemeint ist: Höhere Pro-Kopf-Einkommen der breiten Masse und bessere Sozialsysteme helfen dem Konsum.

Wegen der gestiegenen Löhne sind chinesische Produkte längst nicht mehr so billig wie vor fünf oder zehn Jahren; auch der gegenüber Euro und Dollar ständig aufwertende Yuan trägt dazu bei. Kehrseite der gestiegenen Lohnstückkosten in der chinesischen Industrie sind logischerweise auch höhere Einkommen der Chinesen. "Die Produkte des täglichen Bedarfs wie abgepacktes Essen und Getränke, Zigaretten, Bier, Windeln, Papiertaschentücher weisen die stärksten und stabilsten Wachstumsraten in China, Indien und den meisten anderen Schwellenländern auf", sagt Jain, "dieses Wachstum wird auch weitergehen, wenn sich Chinas Wirtschaftswachstum nochmals halbieren sollte."

Dem Konsumkonzern Unilever (Domestos, Rama, Knorr) etwa bescherte der steigende Absatz zu höheren Preisen in den Schwellenländern im ersten Quartal einen Umsatzanstieg um 1,9 Prozent gegenüber 2011 auf 12,1 Milliarden Euro. 56 Prozent der Konzernumsätze bei Unilever kommen aus Schwellenländern; sie legten überproportional zu, um 11,9 Prozent.

Neben Drogeriebedarf wie Papierrollen, Cremes und Windeln sind es vor allem abgepackte westliche Markenlebensmittel, deren Absatz in den Schwellenländern zunimmt. Der Markt für Babymilchpulver etwa wächst trotz Ein-Kind-Politik in China seit 2006 um mehr als 30 Prozent pro Jahr. Viele Eltern ersetzen günstige heimische Produkte mehr und mehr durch teure Auslandsmarken von Danone, Nestlé oder Mead Johnson (USA). Hinzu kommt ein Trend, der auch in Westeuropa in den Sechzigern und Siebzigern zu beobachten war: Je mehr Mütter berufstätig sind und zum Familieneinkommen beitragen, desto mehr Kinder werden nur noch mit der Flasche ernährt. Vom selben Trend profitiert der Markt für Einwegwindeln, der ebenfalls mit zweistelligen Raten wächst.

Kaum den Windeln entwachsen, greifen viele Konsumenten in den Schwellenländern zum Glimmstängel; der Anteil der Raucher an der Gesamtbevölkerung ist im Gegensatz zu den meisten Industrieländern nicht rückläufig, sondern liegt bei den über 18-Jährigen konstant über 50 Prozent. Ähnlich wie bei den meisten anderen Konsumgütern ersetzen Inder, Brasilianer und Indonesier das günstige heimische Rauchkraut mit steigendendem Einkommen gern durch westliche Marken – die Markenschachtel auf dem Bistro-Tisch ist immer auch ein Statussymbol.

Abzulesen ist das an den schnell wachsenden Umsätzen der Tabakkonzerne in Schwellenländern; die Marken von British American Tobacco (Dunhill, Lucky Strike) etwa werden nach Aussage des Unternehmens in 180 Ländern vertrieben. Um Wechselkurseffekte und an die Staaten weitergereichte Steuern bereinigt, stieg der Umsatz 2011 um 7,7 Prozent; am stärksten dazu bei trug die Region Asien/Pazifik mit einem Umsatzplus von rund 13 Prozent.

Konsum und Fahrräder

Arbeiter Demonstrieren für höhere Löhne Quelle: AP

Vom Marken- und Statusdenken profitieren auch die Hersteller teurer Spirituosen wie Whisky oder Gin. Der britische Getränkekonzern Diageo etwa verkaufte 2011 so viele Alkoholika wie noch nie in Asien. Die weltweit aktiven Brauereikonzerne SAB Miller und Heineken profitieren vom wachsenden Bierdurst. Mengenwachstum, vor allem aber Preiserhöhungen in fast allen Teilen der Welt, brachten Heineken im ersten Quartal 2012 sieben Prozent mehr Umsatz als vor einem Jahr; nur in den USA und Westeuropa schrumpfte der Bierabsatz, und die Preise stiegen kaum. Ähnlich die Lage beim britischen Brauriesen SAB Miller (Pilsner Urquell, Foster’s) Allein in Afrika stieg dessen Bierabsatz 2011 um 13 Prozent; insgesamt wickelten die Briten 2011 bereits mehr als 70 Prozent ihrer Verkäufe in den Schwellenländern ab.

Damit nicht der falsche Eindruck entsteht, außer Rauchen und Trinken hätten die Bewohner Asiens und Südamerikas nichts im Sinn: Auch der japanische Fahrradteilehersteller Shimano profitiert von der Konsumlaune in der ehemaligen Dritten Welt: Im Gegensatz zu Daimler oder BMW ist das schicke Zweirad auch für die Masse der Einwohner Chinas, Indiens, Indonesiens oder Thailands erschwinglich. Weltweit fahren mehr als 80 Prozent aller neueren Fahrräder mit Schaltungen und Bremsen von Shimano. Inzwischen stammen mehr als 35 Prozent der Umsätze aus Asien außerhalb Japans.

Anders als Windeln, Zigaretten und Bier ist Telefonieren ein weitgehend lokaler Markt; das musste auch die Deutsche Telekom bei ihrem gescheiterten Versuch feststellen, in den USA Fuß zu fassen. Wer von der stetig wachsenden Zahl der Handykunden in Asien profitieren möchte, muss sich nach lokalen Playern umsehen. China Mobile ist bereits heute mit 650 Millionen Kunden der größte Mobilfunkkonzern der Welt und wächst, anders als fast alle europäischen Konzerne, stetig. 2011 stieg der Umsatz um 8,8 Prozent. Zwar schläft die Konkurrenz nicht und hat zuletzt zahlreiche Lizenzen gewonnen; doch China Mobile nutzt seinen Marktanteil von über 75 Prozent und seine Finanzkraft, um den Vorsprung zu zementieren, investiert gerade Milliarden in das neueste G4-Netz, in dem Smartphone-Kunden schneller surfen können.

Bis 2025, meint der Erfinder des Kürzels BRIC, Goldman-Sachs-Starökonom Jim O’Neill, werden allein Chinas Konsumenten zusätzlich Güter im Wert von 500 Milliarden Dollar nachfragen – pro Jahr. Die Kaufkraft der Schwellenländerbewohner wird dann nicht nur in der Spitze, sondern in der Breite die vieler Europäer überholt haben. Ob alle chinesischen Geisterstädte wie Kangbashi bewohnt sein werden, dazu wagt O’Neill keine Prognose. Wahrscheinlicher ist, dass sie bis dahin ohnehin abgerissen werden. Um Platz zu machen für neue, noch größere Projekte.

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