Das Spiel auf Zeit mit vielen Unbekannten lässt neue Evonik-Aktionäre nicht unberührt. Schließlich wird die RAG-Stiftung eine Sperrminorität von gut 25 Prozent auf ewig halten. Vorbild ist das Modell der benachbarten Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung, die unter Vorsitz des heute 99-jährigen Beitz seit jeher den ThyssenKrupp-Konzern dominiert. Andere Aktionäre außerhalb der Stiftung werden bei Evonik also wenig zu sagen haben – oder möglicherweise entnervt das Handtuch werfen müssen, wenn es um wichtige Entscheidungen geht.
Das bis zum Börsengang von Evonik angesammelte Stiftungsvermögen beträgt 2,6 Milliarden Euro. Die künftigen Einnahmen der Stiftung ruhen auf drei Säulen: dem Erlös aus dem Börsengang und weiteren Aktienverkäufen, der Evonik-Dividende auf die verbliebenen Anteile und den Erträgen aus Kapitalanlagen. Die ersten Einnahmen aus dem aktuellen Börsengang von knapp 1,2 Milliarden Euro überweist die Stiftung zurück an Evonik, für den Kauf eines Anteils von 40 Prozent an der Evonik-Immobiliensparte Vivawest.
Bei allem, und das hat bei den Ruhrkohle-Nachfolgegesellschaften schlechte Tradition, fingert die Politik mit. Schon jetzt zeigt sich, dass mit steigendem Vermögen der Stiftung auch die Begehrlichkeiten aus Düsseldorf und Berlin steigen. Vor allem konservative Politiker und Finanzfachleute mutmaßen, dass Werner Müller die Stiftung zu einem Forum für Industriepolitik machen möchte. Es drohe die Gefahr, dass das Vermögen der Kohlestiftung Kriegskasse für alle möglichen Infrastrukturmaßnahmen der rot-grünen Landesregierung unter Hannelore Kraft (SPD) in Düsseldorf missbraucht werden könnte. Immerhin stammt Müller aus dem Umfeld der SPD: Unter Gerhard Schröder war er Wirtschaftsminister.
SPD-Politiker, die Müller nahestehen, schlugen schon vor, Stiftungsgelder in PR-Projekte aller Art zu stecken, zum Beispiel um die Bergarbeiterstadt Bottrop zur „Innovation-City“ umzumodeln. Auch kursiert die Idee, die Bergwerke zu riesigen Pumpspeicherwerken umzubauen – teuer, technisch riskant und auf Kosten der Stiftung.
Geld ist vorhanden, und aus dem Steinkohlebergbau ließe sich immer noch Kapital schlagen – dieser Eindruck wird hier vermittelt. Doch noch immer wird im Bergbau vor allem kräftig Geld ausgegeben, und zwar das des Steuerzahlers. In drei Zechen im Ruhrgebiet und im Münsterland wurden zum Jahreswechsel immer noch 18.000 Bergleute beschäftigt. Im vergangenen Jahr flossen noch 1,9 Milliarden Euro Steuergelder, um das Heer der Kohleschürfer zu unterhalten. Der Kostenabbau läuft „so langsam wie eine Lore im Streb“, lästert ein Düsseldorfer Strukturpolitiker auf der Oppositionsbank.
Immerhin lässt die lange Übergangszeit bis 2018 genug Zeit dafür, dass sich die Stiftung langsam an den Gedanken gewöhnen kann, von 2019 an für die Ewigkeitskosten der stillgelegten Bergwerke mit ihren Kernmannschaften aufkommen zu müssen. Die Kernmannschaften, Schätzungen belaufen sich auf ein paar Tausend Männer, werden die Pumpen bedienen und warten sowie Fördergeräte, die wiederverwertbar sind, aus den Tiefen bergen.
Besser als Bundesanleihen
Ob bis dahin das Stiftungsvermögen ausreicht, die anfallenden Arbeiten auch finanzieren zu können, ist heute kaum zu prognostizieren. Ohne den Einstieg von CVC hätte die Stiftung in den vergangenen fünf Jahren 1,85 Milliarden Euro an Dividenden kassiert. Auf diesem Niveau Dividenden auch für die kommenden Jahre zu erwarten grenzt nicht an Größenwahn. Allein die dieses Jahr gezahlte Ausschüttung liegt 140 Prozent über dem Betrag, den die Stiftung mit einer zehnjährigen Bundesanleihe erzielen könnte.
Stand heute wäre es für den Steuerzahler sogar deshalb besser gewesen, hätte die Stiftung keinen Anteil an Evonik verkauft – weder an einen Finanzinvestor wie CVC noch über die Börse. In Essen könnte man das eines Tages genauso sehen – und über Aktienrückkäufe und Übernahmeangebote Evonik wieder komplett in die Stiftung überführen.
So oder so müsste die Evonik-Aktie ein Heer von Fans haben: Nicht nur die neuen Anteilseigner, sondern auch alle Steuerzahler sollten kräftig die Daumen drücken, dass der Kurs steigt. Passiert das Gegenteil zahlen Letztere wieder – die Zeche.