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Chile Viel Wachstum, wenig Schulden

Seine Wirtschafts- und Finanzpolitik macht Chile zum Musterland für Emerging Markets. Seine Unternehmen stehen besser da als die der Nachbarn Argentinien, Peru und Bolivien.

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Ein Chilene hisst seine Flagge in der Atacama-Wüste. Quelle: dpa

Santiago Chiles Unternehmer hatten lange den Ruf, konservativ und risikoscheu zu sein. Doch das hat sich geändert: Einige der größten grenzüberschreitenden Übernahmen Lateinamerikas starteten zuletzt Konzerne aus dem Andenstaat. So fusioniert die chilenische Fluggesellschaft Lan derzeit mit der brasilianischen Tam zur Latam – entstehen wird der mit Abstand größte Flugkonzern Lateinamerikas. Wenn die Kartellbehörden keinen Einspruch erheben, dann wird das neue Unternehmen künftig von Santiago aus geführt. Und auch die vom deutschen Auswanderer Horst Paulmann geführte Cencosud aus Chile ist nach Investitionen in Argentinien, Peru und Brasilien zur zweitgrößten Supermarktkette Lateinamerikas geworden.

Chiles Konzerne profitieren von der wirtschaftlichen Stabilität des Landes – und das nicht erst in der Wirtschafts- und Finanzkrise. Chile glänzt bereits seit langem durch hohes Wachstum: Im ersten Quartal dieses Jahres legte das Bruttoinlandsprodukt (BIP) um zehn Prozent zu – so viel wie in den vergangenen 15 Jahren nicht mehr und weit mehr als der Rest Lateinamerikas. Auch die Qualität des Wachstums ist anderes, wird es doch vor allem von Investitionen getrieben. Die werden 2011 noch einmal um 17 Prozent zunehmen – nach knapp einem Fünftel im vergangenen Jahr, erwartet die Investmentbank HSBC. Das ist dreimal so viel wie etwa in Brasilien.

Das Kapital kommt nicht allein aus dem Inland: Bezogen auf seine Wirtschaftsstärke lenkt Chile die meisten Auslandsinvestitionen des Kontinents ins eigene Land. Dieses Jahr werden es etwa zehn Milliarden Dollar sein. Der größte Teil entfällt auf Konzerne, die die reichen Rohstoff- und Energievorkommen des Landes erschließen: Chile ist der weltgrößte Kupferexporteur. Aber auch Land- und Forstwirtschaft sowie die Fischerei sind hochproduktiv und kapitalintensiv.

Seit längerem versucht die chilenische Regierung, die Abhängigkeit der Wirtschaft vom Rohstoffsektor zu verringern. Vor allem die lokale Wertschöpfung im Hochtechnologiebereich will man ausbauen. „Unser Wirtschaftsmodell, das auf den Exporten von Rohstoffen beruht, war sehr erfolgreich“, sagt Raúl Rivera, vom privaten Institut Foro Innovación. „Aber jetzt müssen wir einen neuen Entwicklungsschritt von der Rohstoffwirtschaft hin zur Wissensgesellschaft machen.“

Weil die Lehrkapazitäten trotz hoher staatlicher Investitionen immer noch nicht ausreichen, hat die Regierung deshalb einen Bildungsfonds in Höhe von sechs Milliarden Dollar eingerichtet. Er soll unter anderem jährlich 6500 chilenischen Studenten die Promotion oder Forschung im Ausland finanzieren.


Chile lockt Firmengründer

Mit dem Förderprogramm Start-Up Chile schließlich will die Regierung binnen fünf Jahren 1000 ausländische Firmengründer ins Land locken: Es winken bis zu 40000 Dollar Startkapital. Außerdem spricht für den Andenstaat: Die Korruption ist niedrig, die offene Marktwirtschaft steht auf solidem Fundament, die Rechtssicherheit ist hoch, die Kriminalität gering – alles keine Selbstverständlichkeit in Lateinamerika.

Als geradezu vorbildlich gilt zudem die antizyklische Fiskalpolitik des Landes. Statt die hohen Einnahmen aus den Kupferexporten zu verprassen, spart die Regierung und sorgt für schlechte Zeiten vor. Gleichzeitig sind die Staatsausgaben per Gesetz an die Einnahmen gekoppelt – ein Überschuss von 0,5 Prozent des BIP im Staatsbudget ist die jährliche Zielgröße. Das begrenzt die Möglichkeiten der Kreditaufnahme. Die Folge: Der chilenische Staat ist mit einer Außenverschuldung von 2,8 Prozent des BIP fast schuldenfrei. „Chile hat eines der beeindruckendsten makroökonomischen Managements der Emerging Markets“, sagt Lateinamerika-Experte Walter Molano von der US-Investmentbank BCP Securities.

Die hohe Effizienz in der Wirtschafts- und Finanzpolitik garantiert allerdings noch keine politische Zustimmung, wie die Regierung des Präsidenten Sebastián Piñera gerade erleben muss. Der Milliardär und Unternehmer löste 2010 das zwei Jahrzehnte regierende Mitte-links-Bündnis ab. Seine zum Jahreswechsel noch hohe Popularität nach der Rettung der Bergarbeiter ist inzwischen tief gesunken. Chile erlebt eine politisch unruhige Phase: Studenten demonstrieren für einen größeren Bildungsetat, Umweltschützer gegen den Bau von Staudämmen in Patagonien und Minenarbeiter des Staatskonzerns Codelco gegen die Privatisierung. Die führende Meinungsforscherin Chiles, Marta Lagos, erläutert die Hintergründe: „Die Menschen demonstrieren gegen die Regierung, weil sie ihnen zu stark im Interesse der Unternehmer handelt.“

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