Computerpannen An der Börse den Stecker gezogen

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Pannen beeinflussen immer wieder das Marktgeschehen

Wenn der Computer Millionen verzockt
Wegen technischer Probleme hat die Derivate-Börse Eurex den Handel am Montagmorgen vorübergehend gestoppt. "Die Aussetzung wurde durch eine fehlerhafte Zeit-Synchronisierung im System verursacht", teilte die Tochter der Deutschen Börse mit. Aus diesem Grund sei der Handel zwischen 08:20 und 09:20 Uhr (MESZ) angehalten und sämtliche Produkte auf den Stand vor Börseneröffnung zurückgesetzt worden. Dies ist die erste Unterbrechung an der Eurex seit dem 11. Oktober 2011. Damals hatten Probleme mit einem Großrechner den Handel mit Dax-Future, Bund-Future & Co. für mehrere Stunden zum Erliegen gebracht. Vergangene Woche hatte eine Panne die US-Technologiebörse Nasdaq drei Stunden komplett lahmgelegt. ´ Im Vergleich zum Vorjahr sind bei diesen Pannen aber immerhin keine Vermögen vernichtet worden... Quelle: Fotolia
440 Millionen in 45 MinutenNeu ist nicht immer besser. Die Börsenfirma Knight Capital verlor schnell die Freude an ihrer frisch installierten Software. In nur 45 Minuten bescherte die Software dem Börsenhändler einen Schaden von 440 Millionen US-Dollar. Das Programm kaufte und verkaufte fleißig verschiedene Aktien. Dabei kaufte der Computer zum Marktwert und verkaufte mit Rabatt. Pro Trade gingen zwar nur einige Cents verloren, doch der Computer war so schnell, dass bis zum Beheben des Fehlers 440 Millionen Dollar weg waren. Nur eine 400 Millionen Dollar schwere Finanzspritze einer Gruppe von Investoren sicherte letztlich das Überleben der Börsenfirma.Zur Umfrage: Das Software-Beratungsunternehmen SQS fragte die eigenen Berater nach den größten Software-Pannen 2012 und veröffentlichte die Ergebnisse. Quelle: AP
Der RohrkrepiererDas Börsenunternehmen Bats blamierte sich 2012 selbst. Beim Börsengang floppte die handelseigene Software des Börsenbetreibers und konnte nicht einmal den Kurs der eigenen Aktie anzeigen. Nach einer Serie von technischen Pannen musste die drittgrößte US-Börse Bats Global Markets schließlich die Notbremse ziehen und sich am Tag ihres Marktdebüts wieder aus dem Handel verabschieden. Die Aktie stürzte vom Ausgabepreis von 16 Dollar auf weniger als einen Penny ab. Quelle: AP
Größter Börsengang des Jahres wird größter FloppDer Börsengang des sozialen Netzwerks Facebook war das Thema an der Börse 2012. Doch der Börsengang floppte. Nicht nur weil sich der Wert die Aktie innerhalb weniger Tage halbierte, sondern auch weil die Nasdaq Probleme beim ersten Kurs der Aktie hatte. Die Anzeige des ersten Kurses verzögerte sich um mehrere Minuten. Dabei gingen wohl viele Orders einfach im Nichts verloren. Die Panne betraf laut SQS nicht weniger als 30 Millionen Aktien. Quelle: dpa
Peinliche Panne bei MicrosoftDer Cloud-Computing-Dienst „Azure“ von Microsoft hatte den 29.Februar schlicht und einfach vergessen. Der Dienst, der alle Daten von überall erreichbar machen soll, war zwölf Stunden lang nicht erreichbar. Microsoft entschuldigte sich für den Fehler, bei dem laut Microsoft keine Daten verloren gingen. Wegen des zusätzlichen 29. Februar kam auch ein Bezahlsystem der australischen Krankenversicherungen zwei Tage lang zum Erliegen. 150.00 Patienten konnten die Bezahlfunktion ihrer Versichertenkarte nicht nutzen. Quelle: dpa
Kündigungsgebühren aus dem NichtsEin deutscher Energieversorger kassierte bei seinen Kunden zu Unrecht ab. Eine Software hatte nämlich bei 94.000 Kunden Kündigungsgebühren angerechnet, obwohl keine angefallen waren. Das Energieunternehmen musste insgesamt 1,7 Millionen Euro zurückzahlen. Quelle: dpa
US-Regierung mit teurem UpdateTeuer ist nicht gleich gut. Ein Update der Steuer-Software der USA, das 1,3 Milliarden Dollar gekostet hatte, brachte den Steuerbeamten jede Menge Sorgenfalten. Insbesondere bei der Steuererstattung machte die Software Ärger. 85 Prozent aller Erstattungen kamen zu spät an. Quelle: AP

Pannen beeinflussen immer wieder das Marktgeschehen. Im April legten zum Beispiel Software-Probleme die Derivate-Börse CBOE aus Chicago für einen halben Tag lahm. Im Sommer 2012 sorgte der US-Aktienhändler Knight Capital für Schlagzeilen. Knight-Rechner hatten damals unbeabsichtigt den Markt mit Orders geflutet und für Chaos gesorgt. Dem Unternehmen entstand ein Verlust von 440 Millionen Dollar. Das Handelshaus stand dadurch vor dem Kollaps und musste von mehreren Investoren gerettet werden. In Erinnerung ist an der Wall Street zudem noch der sogenannte Flash Crash aus dem Jahr 2010. Damals fiel der Kurs des Standardwerte-Index Dow Jones binnen Minuten um rund 1000 Punkte. Hier lösten Computerprogramme von Hochfrequenz-Händlern eine Verkaufskaskade aus.

Die zunehmende Häufigkeit der Vorfälle wirft die Frage auf, ob der Wertpapierhandel nicht längst viel zu abhängig von technischen Systemen ist, die auch ausfallen oder andere Probleme verursachen können. Früher war zwischen Käufer und Verkäufer immer noch ein Händler aus Fleisch und Blut zwischengeschaltet. Er konnte abwägen und entscheiden, zu welchem Kurs ein Handel zustande kommt und als Konterpart einspringen, wenn Kauf- und Verkaufsorderkurse zu weit auseinander lagen.

Aber dieser Schluss wäre falsch. Denn zum einen sind auch Händler längst auf technische Systeme angewiesen. Zum anderen entstanden viele der Computerpannen der vergangenen Jahre durch Fehlbedienung und fehlerhafte Programmierung der Computersysteme durch den Mensch. Als es noch keine Computer gab, war der Mensch die Schwachstelle. In den 60er Jahren mussten US-Börsen den Handel regelmäßig unterbrechen, weil die Händler förmlich in Papierbergen erstickten und Aufträge nicht wie vorgesehen platzierten. Damals lag das tägliche Handelsvolumen noch bei zehn bis zwölf Millionen Aktien pro Tag, inzwischen sind es sechs Milliarden. Schon aus Kostengründen sind die Computersysteme der Börsen heute unverzichtbar. Börsenprofis zufolge zeige der Nasdaq-Vorfall vielmehr, dass es im digitalen Handel an Notfall- und Backup-Systemen mangelt.

Ohne den Menschen geht es nicht

Der Faktor Mensch spielt lediglich bei der Steuerung und bei der Behebung der Pannen die entscheidende Rolle. Und die nimmt er offenbar schnell und verantwortungsbewusst wahr. Die technischen Probleme seien bereits nach einer halben Stunde gelöst gewesen, teilte die Nasdaq mit. Die übrige Zeit sei nötig gewesen, um sich mit anderen Börsenbetreibern, Aufsehern und Marktteilnehmern abzustimmen und einen geordneten Neustart des Handels zu gewährleisten. Nach Angaben von Bankern und Brokern hatten deren Handelsabteilungen der Nasdaq nämlich dringend geraten, den Handel bloß nicht unvorbereitet wiederaufzunehmen. Sie fürchteten, dass weitere Pannen den ohnehin nervösen Markt weiteres Vertrauen kosten würden. "Das Feedback an die Nasdaq lautete: 'Überstürzt das bloß nicht - es würde zehnmal schlimmer sein, zu schnell online zu gehen als sich Zeit zu nehmen, um das Problem wirklich zu beheben."

Dennoch: Der Glaube an die Zuverlässigkeit und Genauigkeit des Computerhandels hat einmal mehr Risse bekommen. Insgesamt hat das Risiko von Handelspannen und dramatischen Kursbewegungen insbesondere durch den computergesteuerten Hochfrequenzhandel weiter zugenommen. Demnächst werden auch in den USA Ideen zur Begrenzung des Hochfrequenzhandels präsentiert. Das Problem wurde erkannt.

Ein kleiner Trost für jene, die Nachteile durch die technischen Pannen fürchten: Meist erholen sich die Börsen schnell davon, die Kurse erreichen wieder normales Niveau. Trotz der mehrstündigen Nasdaq-Panne ging der Technologiewerte-Index mit einem Plus von 1,1 Prozent aus dem Handel. Die Aktie der Börsenbetreibergesellschaft Nasdaq OMX büßte dagegen 3,4 Prozent ihres Wertes ein.

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