Zehntausende Aktionäre europäischer Unternehmen müssen sich wegen der Coronakrise in diesem Jahr mit deutlich weniger Dividende begnügen oder gehen ganz leer aus. Fast ein Viertel, exakt 141 der 600 Unternehmen im europäischen Aktienindex Stoxx haben einer Übersicht der DZ Bank zufolge bisher eine Streichung oder Aussetzung ihrer Gewinnausschüttung bekanntgegeben.
„Eine bisher noch nicht zu beobachtende Welle von Dividendenstreichungen rollt über die Aktienmärkte“, heißt es in der Analyse. Die erwartete Ausschüttung im Stoxx für das Geschäftsjahr 2019 falle um 23 Prozent auf rund 310 Milliarden Euro, rechnet DZ-Bank-Experte Michael Bissinger vor. „Wir gehen davon aus, dass in den kommenden Monaten die Ausschüttungen weiter reduziert werden.“
Ein Rückgang der Dividenden um etwa 40 Prozent erscheine realistisch. Dies wäre vergleichbar mit den Kürzungen für Aktionäre in Europa während der Finanzkrise 2008/2009. „Wir gehen davon aus, dass die Dividenden dieses Mal mindestens so stark wie zur Finanzkrise fallen werden“, schreibt Bissinger in seiner Analyse.
Überdurchschnittlich häufig fällt die Dividende demnach bei Banken, Industrieunternehmen, in der Tourismusbranche und im Einzelhandel weg. Fast zwei Drittel der europäischen Banken im Stoxx haben die Gewinnausschüttung vorerst gestrichen.
Hier war der Druck der Aufseher groß: Sie hatten die Finanzinstitute aufgefordert, wegen des wirtschaftlichen Abschwungs ihr Geld lieber zusammenzuhalten. Relativ konstant ist der Analyse zufolge das zu erwartende Ausschüttungsvolumen in den Sektoren Gesundheit, Chemie und Telekommunikation.
„Böses Erwachen“ für Anleger möglich
„Zwar hat eine Reduktion oder Streichung der Dividende immer einen großen Vertrauensverlust zur Folge“, schreibt Bissinger. „In der aktuellen Krise führt aber bei vielen Unternehmen kein Weg an einer Sicherung der Liquidität und Stärkung der Bilanz vorbei.“ Und auch die Aussichten trüben sich ein: Seit Mitte Februar wurden die Dividendenschätzungen für das laufende Geschäftsjahr 2020 um 14 Prozent verringert. „Diese Reduzierung erscheint uns zu gering“, heißt es in der Studie des genossenschaftlichen Spitzeninstituts.
Die wichtigsten Fragen und Antworten zur Dividende
Dividenden sind als Beteiligung der Aktionäre an den Unternehmensgewinnen gedacht. Vorstand und Aufsichtsrat beraten daher, welcher Anteil an den Gewinnen ausgeschüttet werden soll und schlagen der Hauptversammlung eine entsprechende Dividende vor. Die Hauptversammlung stimmt über den Dividendenvorschlag ab. Wird er ablehnt, muss über einen neuen Vorschlag abgestimmt werden. Wegen der aktuellen Unsicherheiten über die Auswirkungen der Coronakrise streichen oder kürzen einige Unternehmen ihre Dividende. Will ein Unternehmen viel investieren oder muss hohe Schulden zurückzahlen, kann die Ausschüttungsquote, also der Anteil der Dividendenzahlungen am Gewinn, sehr niedrig sein oder auch null betragen. Manche Unternehmen finanzieren ihre Dividende auch über Kredite. Das geht aber zulasten der Unternehmenssubstanz, da dann Geld für Investitionen oder Schuldendienst fehlt.
Um eine Dividende zu erhalten, müssen Anleger deutscher Aktien diese am Tag der Hauptversammlung im Depot haben. Für Aktien aus anderen Ländern können andere Regeln gelten. Entscheidend ist dann meist der sogenannte Ex-Day, oder auch der sogenannte Record-Day, wenn kein Ex-Day bekannt ist. Diese Termine geben die Aktiengesellschaften bekannt. Anleger müssen für einen Dividendenanspruch das Papier vor dem jeweiligen Tag besitzen
Für deutsche Aktien gilt: Am dritten Geschäftstag nach der Hauptversammlung erfolgt die Ausschüttung. Ausnahme: Die Hauptversammlung beschließt einen anderen Termin für die Zahlung.
Die Dividende wird direkt dem Depot gutgeschrieben. Die Summe errechnet sich aus der Zahl der dividendenberechtigten Aktien im Depot multipliziert mit der von der Hauptversammlung beschlossenen Dividendenhöhe pro Aktie. Die Depotgutschrift kann aber zum Beispiel bei ausländischen Aktien auch Wochen und Monate dauern. Bei deutschen Aktien sollte sie spätestens drei Tage nach der Hauptversammlung erfolgen.
Am ersten Handelstag nach der Hauptversammlung wird die beschlossene Dividende vom Kurs abgezogen, sie wird im Fachjargon „ex Dividende“ gehandelt, man spricht auch vom Ex-Tag. Häufig fällt der Aktienkurs an diesem Tag, andererseits kann ein guter Börsentag den Kursabschlag auch schnell überdecken, ein schlechter den Dividendenabzug auch verschlimmern. Somit lohnt es kaum, Aktien kurz vor der Hauptversammlung zu kaufen und nach Kassieren der Dividende sofort wieder zu verkaufen - zumal die realisieren Dividendeneinnahmen steuerpflichtig sind (siehe nächster Punkt).
Dividenden gehören zu den Einkünften aus Kapitalvermögen. Wer seinen Freibetrag dafür schon aufgebraucht hat, muss die vollen Steuern zahlen. Das sind im Wesentlichen 25 Prozent Abgeltungssteuer auf den Kapitalertrag, hinzu kommen derzeit noch 5,5 Prozent Solidaritätsbeitrag sowie gegebenenfalls Kirchensteuer. Bei ausländischen Aktien hängt es davon ab, ob das Land des Unternehmens eine Steuerabkommen mit Deutschland hat. Ausländische Quellensteuern bis 15 Prozent erkennt das Finanzamt automatisch an und schlägt nur noch die Differenz zur 25-prozentigen Abgeltungsteuer oben drauf. Bei 15 Prozent Quellensteuer im Ausland kommen also noch zehn Prozent Abgeltungsteuer auf den Anleger zu. Bei ausländischen Aktien ist der Einzelfall immer zu prüfen.
Von vielen Unternehmen gibt es Stamm- und Vorzugsaktien. Während Stammaktien ein Stimmrecht für die Hauptversammlung beinhalten, sind Vorzugsaktien stimmrechtslos. Dieser Nachteil wird bei Vorzugsaktien durch eine etwas höhere Dividende kompensiert. Insofern lohnen sich Vorzugsaktien für Dividendenjäger besonders. Allerdings führt dieser Unterschied dazu, dass sich die Kurse von Stamm- und Vorzugsaktien unterschiedlich entwickeln können, obwohl beiden den gleichen Anteil am Unternehmen repräsentieren. Inhaber von Vorzugsaktien dürfen ebenfalls an der Hauptversammlung teilnehmen.
Der Chefstratege der Privatbank Merck Finck, Robert Greil, hatte Mitte April seine Einschätzung kundgetan, dass im deutschen Leitindex Dax in diesem Jahr rund ein Zehntel weniger an Dividenden ausgeschüttet werden als im Vorjahr. Greils Fazit: „Die Dividenden europäischer Konzerne eilten in den vergangenen Jahren von Rekord zu Rekord. Für viele Anleger waren Dividenden in Zeiten niedriger Zinsen eine willkommene Ertragsquelle. Doch dieses Jahr gibt es für manchen Dividendenjäger ein böses Erwachen.“
Angesichts des Endes des Dividenden-Booms nach fünf Rekordjahren in Folge appelliert Marc Tüngler, Hauptgeschäftsführer der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW): „Aus Sicht der DSW sollten alle die Unternehmen, die aufgrund ihres Geschäftsmodells oder aufgrund ihrer hohen Liquidität nicht Gefahr laufen, durch die Pandemie in Probleme zu kommen, an ihrem Dividendenvorschlag festhalten.“
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