„Cum-Ex"- Skandal Angeklagter will umfassend aussagen

Zwei Ex-Banker stehen in Bonn vor Gericht. Sie sollen den deutschen Staat um hunderte Millionen Euro gebracht haben. Die Materie ist kompliziert. Quelle: dpa

Im Prozess in Bonn sollen komplexe Steuertricks aufgeklärt werden. Aktuell stehen zwei Ex-Banker der HVB vor Gericht - Es drohen bis zu zehn Jahren Haft.

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Im Prozess um einen der größten Steuer-Skandale in der Geschichte der Bundesrepublik will einer der beiden angeklagten Ex-Banker auspacken. „Herr S. wird umfassend zur Sache aussagen“, sagte seine Anwältin Hellen Schilling am Mittwoch zum Verhandlungsauftakt am Landgericht Bonn. „Herr S. bestreitet seine Rolle nicht“, fügte sie hinzu. Die Staatsanwaltschaft bescheinigte dem Mann bereits, mit seinen Aussagen die Ermittlungen beschleunigt zu haben - und das auch mit Blick auf zahlreiche weitere anhängige Cum-Ex-Verfahren. Den Angeklagten droht eine Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahren. Wenn sie zur Aufklärung der komplexen Geschäfte beitragen, können sie eventuell auf Milde des Gerichts hoffen.

Vor der 12. Großen Strafkammer des Landgerichts Bonn müssen sich die beiden britischen Investmentbanker Martin S. - Jahrgang 1978 - und Nicholas D. - Jahrgang 1981 - verantworten. Sie sollen den deutschen Staat laut Anklage mit Tricksereien um Aktiengeschäfte („Cum-Ex“) zwischen 2006 und 2011 um knapp über 447 Millionen Euro gebracht haben sollen. Die Staatsanwaltschaft wirft ihnen Beteiligung an 34 Fällen der besonders schweren Steuerhinterziehung vor. Bei einem Fall sei es beim Versuch geblieben. Es sei bei den Deals „um Profit aus der betrügerischen Erlangung von Steuergeldern“ gegangen, sagte Staatsanwältin Anne Brorhilker. Der Prozessauftakt stieß auf reges Interesse: Zahlreiche Zuschauer fanden sich am Mittwochmorgen im Gericht ein.

In dem Musterprozess in Bonn gegen die zwei früheren HVB-Banker soll nach den Plänen des Gerichts an 32 Verhandlungstagen bis zum 9. Januar grundsätzlich geklärt werden, inwieweit die Cum-Ex-Geschäfte strafbar waren. Bei einem Schuldspruch dürften zahlreiche weitere Prozesse folgen. In dem Prozess gehe es um eine „sehr komplizierte Materie“, sagte Richter Zickler gleich zu Beginn der Sitzung. S. kann mit seiner Aussage nun Klarheit über die komplexen Konstruktionen schaffen, mit denen die Angeklagten und vor allem mit ihnen verbundende Gesellschaften in Geschäften rund um den Dividenden-Stichtag illegal Millionen-Gewinne eingestrichen haben sollen. Bei den sogenannten Cum-Ex-Geschäften ließen sich Anleger die einmal gezahlte Kapitalertragssteuer auf Aktiendividenden mit Hilfe von Banken mehrfach erstatten. Dazu verschoben sie um den Stichtag der Dividendenzahlung herum untereinander Aktien mit (lateinisch: „cum“) und ohne („ex“) Dividendenanspruch.

Hunderte Verdachtsfälle

Auch fünf Geldhäuser müssen den Richtern am Landgericht Bonn Rede und Antwort stehen. Laut Richter Roland Zickler handelt es sich dabei um die Holdinggesellschaft der Hamburger Privatbank M.M. Warburg, deren Tochter Warburg Invest, Fondshäuser der französischen Bank Societe Generale und des US-Instituts BNY Mellon sowie die Hamburger Kapitalverwaltungsgesellschaft Hansainvest. Als Ausgleich für den mutmaßlich entstandenen Schaden kann das Gericht Vermögen von den Banken einziehen.

Doch Richter Zickler machte klar, dass die Kammer die Schadenssumme hier mindern könnte: In einem Fall seien 47 Millionen Euro weniger geflossen als von der Staatsanwaltschaft angenommen, erklärte die Kammer in ihrem Eröffnungsbeschluss für das Verfahren. Dieser Betrag müsse bei einer etwaigen Abschöpfung der Schadenssummen abgezogen werden. Auch gehe die Kammer anders als die Anklage in einigen Fällen nur von einer Beihilfe zur Steuerhinterziehung aus.

Steuerexperten hatten Cum-Ex-Geschäfte lange als legalen Steuertrick erachtet. Erst seit einigen Jahren bewerten Ermittler und Strafverfolger das Vorgehen fast einhellig als Steuerhinterziehung und treiben ihre Ermittlungen voran. Insgesamt gibt es inzwischen 499 Verdachtsfälle mit einem Volumen von 5,5 Milliarden Euro, wie ein Sprecher des Bundesfinanzministeriums am Mittwoch in Berlin sagte. Immer wieder kommt es auch zu Durchsuchungen im Zuge der Ermittlungen. Jüngst hatte etwa die Deutsche Börse mit einer Cum-Ex-Razzia Schlagzeilen gemacht. Hier wurden auf Betreiben der Kölner Staatsanwaltschaft Büros der Tochter Clearstream durchsucht. Köln ist eine der bei den Ermittlungen federführenden Staatsanwaltschaften.

Ihr Mandant S. habe mehr als 30 Mal gegenüber der Staatsanwaltschaft Köln ausgesagt und damit das Verständnis der Ermittler für die Cum-Ex-Geschäfte gefördert, sagte Anwältin Schilling in Bonn. Dies sei eine „schwere und mutige Entscheidung“ gewesen. Nun will ihr Mandant in dem Prozess über die Geschäfte berichten. Der zweite Angeklagte D. äußerte sich zum Prozessauftakt zunächst nicht. Die Verhandlung soll am 18. September fortgesetzt werden.

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