Dark Pools Wie der Börsenhandel über Schattenmärkte Anlegern schadet

Dark Pools: Wie Börsenhandel über Schattenmärkte Anlegern schadet

Auf den Aktienmärkten handeln große Spieler außerhalb der regulären Börsen. Die Zersplitterung verzerrt die Kursbildung. Finanzaufseher greifen jetzt zu drastischen Maßnahmen.

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Frankfurt, Westend, 6. Stock eines unauffälligen Bürogebäudes. Arbeitsplätze mit Lieblings-Kaffeetasse und Familienfotos, wie in ganz normalen Büros. Nur jeweils vier große Monitore, im Halbkreis auf jedem Schreibtisch angeordnet, deuten darauf hin, dass hier Besonderes passiert. Mit ganz großem Geld: Pro Jahr gehen hier, bei der Händlertruppe von Allianz Global Investors, Aktien für 100 Milliarden Euro über den Tisch. Gelder vor allem von Fondssparern und Versicherten des Allianz-Konzerns. Die meisten Händler haben sich hinter ihren Monitoren verschanzt, ein Grüppchen hat das Einzelbüro des Chefs für eine Besprechung besetzt. Sie alle sehen sich als Dienstleister für die Portfoliomanager des Allianz-Konzerns. Wenn ein Allianz-Geldmanager Aktien kaufen oder verkaufen will, meldet er sich bei den Leuten von Eric Böss, Chef des weltweiten Handels der Allianz.

Eine Händlerin aus dem Frankfurter Team, dunkelblonde Haare, schwarzer Pulli, bequeme Hose, will gerade 2500 Aktien eines Industriewerts aus dem MDax loswerden. Würde sie alle zur gleichen Zeit anbieten, ginge der Kurs in die Knie – deshalb verteilt sie kleine Aufträge über den Tag, statt alles sofort auf den Tisch zu legen. Der Computer zeigt ihr, an welchen Börsen und Handelsplätzen die Kurse gerade am besten stehen. Sie verkauft ein Paket hier, gibt dort ein anderes in den Markt, klick, 100 Stück hierhin, klick, 200 dorthin, alles vorsichtig, „kursschonend“, wie sie das an der Börse nennen.

Auf Xetra hat sie verkauft, dem Handelssystem der Deutschen Börse. Und auf den privaten Plattformen BATS und Turquoise, die von großen Investmentbanken gegründet wurden.

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Mehr Handelsplätze, niedrigere Gebühren, wenig solide Kurse

Plötzlich blinkt eine Eilmeldung auf: Sie kann jetzt 10.000 Aktien eines anderen Unternehmens auf einen Schlag abstoßen, ein Käufer mit tiefen Taschen steht bereit. 10.000 Stück sind für diese Aktie eines deutschen Autozulieferers ein megagroßer Verkaufsauftrag – zehn Prozent des an einem Tag gehandelten Volumens. So viel über den Tag zu verteilen ist kompliziert und kann teuer werden. Andere könnten mitbekommen, dass hier ein großer Verkaufsauftrag abgearbeitet wird, und schnell noch selbst verkaufen. Die Allianz-Händlerin bekäme weniger für die Aktien als erhofft. Deshalb hat sie die Verkaufsorder in einen Dark Pool gegeben, eine diskrete Handelsplattform für Profiinvestoren, die größere Aktienpakete kaufen oder verkaufen wollen.

Digitalisierung und eine Lockerung der Regulierung haben den Börsenhandel revolutioniert. Eine Börse für eine Aktie, das war einmal. Der Wertpapiermarkt ist zersplittert, das Vertrauen in die Aussagekraft der Kurse schwindet. „In den vergangenen Jahren sind alternative Handelsplätze wie Pilze aus dem Boden geschossen“, sagt Oliver Hans, Geschäftsführer der Baden-Württembergischen Wertpapierbörse. Die EU hat mehr Plattformen zugelassen, um durch mehr Wettbewerb niedrigere Gebühren zu erzwingen. Gebühren sanken tatsächlich. „Doch durch die Zersplitterung verlieren die Börsenpreise an Aussagekraft“, sagt Hans.

Besonders kritisch sehen Aufseher die Dark Pools. Plattformen, die von Banken oder von Börsen betrieben werden, ohne staatliche Aufsicht und ganz und gar nicht im Licht der Öffentlichkeit. Die europäische Wertpapieraufsicht ESMA hat den Verdacht, dass der Handel in Dark Pools Anlegern schadet: „Wir wollen verhindern, dass die Preisbildung für Aktien verzerrt wird und sich hier womöglich Gefahren für das Finanzsystem aufbauen“, sagt ein Sprecher. Die ESMA geht deshalb jetzt mit drastischen Maßnahmen gegen die Pools vor.

Anders als an Börsen bekommen in Dark Pools nur ganz wenige Marktteilnehmer mit, wenn Aktien den Besitzer wechseln sollen. Zugelassen sind nur Großinvestoren. Sobald ein passender Handelspartner da ist, poppt eine Meldung auf – so wie vor Sekunden bei der Allianz. Die Händlerin bestätigt per Mausklick. Und schon ist das Geschäft gelaufen. Geräuschlos, ohne Kursverlust.

Angebote, die von außen niemand sieht

Dieses Spiel läuft jeden Tag am Markt. Große Investoren tun alles, damit ihre Deals die Kurse so wenig wie möglich bewegen. Gut für sie, möglicherweise aber schlecht für andere Anleger, auch für Privatanleger. Das Spiel mit verdeckten Karten verhindert, dass Privatanleger von günstigen Gelegenheiten profitieren können – etwa, indem sie durch eine große Verkaufsorder im Kurs gedrückte Aktien billig einsammeln. Der Preis ist verfälscht, weil nicht alle Kauf- und Verkaufsinteressenten an ihm mitgewirkt haben. An der regulären Börse kaufen Anleger brav zum Börsenpreis, obwohl gleichzeitig im Dark Pool ein Paket diskret den Besitzer wechselt, das die Kurse nach unten gedrückt hätte.

Das verstorbene Börsengenie André Kostolany hat die Börse mal als ein aus Millionen Molekülen zusammengesetztes Konstrukt beschrieben: Ein Käufer bietet 80 Dollar, ein Verkäufer verlangt 120. „Wenn nun lediglich ein einziges Molekül an der Börse wäre, könnte keine Transaktion zustande kommen. Doch besteht die Börse aus unzähligen Molekülen“, schreibt er. Ein anderer Käufer bietet 85 Dollar, ein dritter 90, ein Verkäufer wäre mit 110 zufrieden – und dann kommt einer, der verkaufen muss, weil er Geld braucht, „und der muss sich mit den 90 begnügen“. Er schlägt ein, der Kurs steht fest, die Aktie wechselt den Besitzer. Amtlich, und so, dass es jeder mitbekommt.

In dieser Sichtweise ist die Börse der vollkommene Markt, auf dem Verkäufer und Käufer den richtigen Preis aushandeln. So lernen das Ökonomiestudenten im ersten Semester. Doch die Realität ist nicht so perfekt. Die Zersplitterung auf reguläre Börsen, alternative Plattformen und Dark Pools mehrt die Zweifel an den offiziellen Börsenkursen. Wenn dasselbe Papier an immer mehr Börsen gleichzeitig gehandelt wird, sind an jedem Platz weniger Kauf- und Verkaufsinteressenten als an einer zentralen Börse. Es gibt weniger Kauf- und Verkaufsangebote. Damit steigt das Risiko, dass die Spannen zwischen Ankaufs- und Verkaufspreis von Aktien weit auseinanderlaufen. Bei breiteren Spannen zahlen Käufer mehr, und Verkäufer bekommen weniger – Anleger werden also schlechter gestellt. Umgekehrt gilt: Je mehr Anbieter und Nachfrager an einem Markt aktiv sind und Preise vorschlagen, zu denen sie handeln würden, desto mehr Geschäfte kommen zustande, und desto niedriger sind die Spannen.

Xetra, das System der Deutschen Börse, ist mit knapp 70 Prozent Umsatzanteil Marktführer beim Handel von Aktien aus dem Dax. Praktisch die Leitbörse, auf die alle schauen. Doch die von großen Banken gegründeten Konkurrenzbörsen Chi-X (15 Prozent Marktanteil im Dax), die mit ihr fusionierte BATS (6 Prozent) oder Turquoise (heute im Besitz der Londoner Börse, 7 Prozent Marktanteil) haben mittlerweile fast ein Drittel des Handels an sich gezogen.

Hier handeln Profis nicht nur offen, wie an klassischen Börsen, sondern auch verdeckt.

Die schwarze Liste der Aufseher

Welche Aktien bis September 2018 nicht mehr in Dark Pools gehandelt werden¹
Unternehmen/BrancheHandel insgesamt (in Mrd. Euro)²davon in Dark Pools (in Prozent)³
Covestro/Plastik21,18,3
Deutsche Börse/Börse16,78,4
Evonik/Energie11,910,2
Kion/Gabelstapler11,98,5
Stada/Pharma10,19,7
Zalando/Onlinehandel9,510,2
Innogy/Energie8,89
Rocket Internet/Beteiligungen3,48,8
Hapag-Lloyd/Logistik1,517,8
Puma/Sport/Mode0,98,9
¹ Auswahl. insgesamt 43 Werte aus Dax. MDax. SDax und TecDax betroffen; ² Handel in Europa im Jahr 2017; ³ Grenzwert = 8.0 Prozent. bei Überschreitung 6 Monate Sperre für Dark Pools; Quelle: ESMA. Deutsche Börse

Bei Turquoise können Händler Kauf- und Verkaufsgebote einstellen, die von außen niemand sieht. Auch hier schickt die Plattform eine Nachricht, sobald sie einen passenden Handelspartner aus dem Dunkel ihrer Nutzerschaft herausgefiltert hat. Ausgeführt wird der Deal zum Kurs, der in dem Augenblick an der Hauptbörse für das jeweilige Wertpapier angezeigt wird. Bei den Dax-Aktien ist das meist der Xetra-Kurs. Die verdeckten Deals orientieren sich also an einem öffentlich zur Verfügung gestellten Kurs, zu dessen Ermittlung sie selbst nichts beitragen. Frankfurts ehemaliger Börsenchef, der 2015 abgetretene Schweizer Reto Francioni, schmähte die außerbörslichen Plattformen gern mal als „Parasiten“, weil sie von den Kursdaten der etablierten Börsen leben. Dark Pools und private Plattformen sparten die Kosten für eine solide Preisbildung und Handelsüberwachung ein, argumentierte er. Deshalb seien sie weniger transparent, ihre Preise weniger nachvollziehbar als die klassischer Börsen.

Manipulationsgefahr für die Kurse

„Börsenkurse sind öffentliche Güter, die nicht privatisiert werden sollten“, sagt Christoph Boschan, CEO der Wiener Börse.

Wenn Aktienumsätze an regulierten Märkten schrumpfen, steigt die Gefahr der Manipulation. Denkbar wäre zum Beispiel, dass ein Hedgefonds, der eine große Aktienposition in einem Dark Pool abstoßen will, zuvor mit kleinem Geld an der regulären Börse den Kurs nach oben treibt.

Dem Ruf des außerbörslichen Handels geschadet haben auch die Cum-Ex- und Cum-Cum-Deals, Aktiengeschäfte rund um den Dividendenstichtag. Um doppelte Steuererstattungen zu kassieren, verschoben Banken und Investoren Aktien außerhalb der Börsen hin und her. Zulasten des Steuerzahlers, den das bis zu 30 Milliarden Euro gekostet haben dürfte.

Finanzaufseher wie die ESMA fürchten zudem um die Finanzstabilität. Zersplitterung auf zu viele alternative Handelsplätze erhöht die Crashgefahr – auf manchen fehlen Investoren, die im Crash kaufen und so die Kurse stabilisieren. „Auf kleineren Handelsplätzen trocknet der Markt in heißen Phasen mit schnell fallenden Kursen rasch aus“, sagt Wiens Börsenchef Boschan.

Der österreichische Finanzbuchautor und ehemalige EU-Parlamentarier Martin Ehrenhauser sieht bei den Börsen allerdings eine Mitschuld am Boom des Schattenhandels. Zum Teil hätten sie seriöse, große Geldanleger selbst vertrieben. Denn die Börsen haben superschnellen Händlern, die minimale Kursunterschiede nutzen und Börsen hohe Umsätze bringen, Privilegien eingeräumt. „Hochfrequenzhändler bekommen schnellere Anschlüsse an die Handelssysteme der Börsen und sogar Gebührenrabatte, das ist unfair“, sagt Ehrenhauser. Deshalb flüchteten Investoren wie Allianz und Co. in Dark Pools, wo sie hoffen, ihre Order vor superschnellen Händlern und Hedgefonds verstecken zu können.

Auch Unternehmen irritiert das Spiel mit verdeckten Karten. „Es gibt immer mal Kursausschläge, die wir uns nicht direkt erklären können“, sagt Lutz Grüten, beim Düngemittelhersteller K+S zuständig für Investor Relations. Weil K+S-Aktien auf einer zweistelligen Zahl von Plattformen gehandelt werden, lassen sich die Ursachen solcher Kursänderungen nur schwer feststellen. „Je größer der Umsatz an einer Börse, desto fairer sind die Kurse“, ist Grüten überzeugt. K+S ist hier sensibel, ist die Aktie des Dax-Absteigers doch immer wieder Ziel von Spekulanten, die auf einen Kursverfall wetten. Vor dem Boom des außerbörslichen Handels und der Dark Pools genügten für den ehemaligen Banker und Aktienanalysten ein paar Anrufe in Frankfurt, um rauszubekommen, wer gerade K+S-Papiere verkauft. Das ist heute fast unmöglich. Und dass Grüten Einblick in die Orderlage eines Dark Pools bekommt, ist ausgeschlossen.

Die Aufsicht ESMA will die Dark Pools jetzt zumindest ein Stück austrocknen. Seit Montag gilt erstmals eine schwarze Liste. Auf der stehen 43 deutsche Aktien, die 2017 massiv über Dark Pools gehandelt wurden und jetzt für den Schattenhandel gesperrt werden. Ganz vorn mit dabei: die Aktie der Deutschen Börse. Die ist vor allem bei angelsächsischen Großinvestoren gefragt – und die handeln eben oft lieber im Dunkeln als auf Xetra.

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