Das große Fressen Was das Börsenjahr 2015 prägte

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Hype im Silicon Valley

Von derartigen Verlusten sind Tesla-Aktionäre der ersten Stunde weit entfernt: Seit der Erstnotiz zum Börsengang 2010 hat sich der Kurs des E-Autoherstellers um 1200 Prozent beschleunigt. Längst ist Tesla-Gründer Elon Musk für die Autobranche das, was Apple-Gründer Steve Jobs einst in Sachen Elektronik war – eine Ikone: Egal, wo der 44-Jährige auftritt, die Leute stehen Schlange. Auch vor dem Bundeswirtschaftsministerium in Berlin. Im September nutze Musk dort Volkswagens Dieselgate für gezielte Seitenhiebe auf die deutsche Konkurrenz, wohl wissend, dass die den Elektroantrieb verschlafen hat: Der Verbrennungsmotor habe „seinen Zenit erreicht“ und könne „nur noch durch Trickserei“ geringere Verbrauchs- und Abgaswerte bei gleicher Leistung erreichen, sagte Musk. Vielleicht eine Retourkutsche auf den damaligen Porsche- und heutigen VW-Chef Matthias Müller, der Tesla in Interviews als verlustreiche Nischenerscheinung bezeichnet hatte.

Ende September ist Musk wieder zu Hause in Kalifornien; wieder stehen die Leute Schlange. Diesmal bei der Premiere des neuesten Tesla: Das Model X ist ein riesiger SUV mit sieben Sitzen und 772 PS und – wie alle Tesla – voll elektrisch. Dass Tesla noch immer kein Geld verdient, interessiert weiterhin niemanden. Auch an der Börse noch nicht: Selbst auf schlechte Nachrichten, wie eine drastisch verschlechterte Kundenzufriedenheit oder den Rückruf von 90 000 Teslas wegen Gurt-Problemen, reagiert der Aktienkurs nicht mehr.

Party wie einst 1999

Sicher: Keine Technologieaktien zu besitzen war 2015 ein Fehler. Der US-Technologieindex Nasdaq überwand mühelos sein bisheriges Allzeithoch aus dem März 2000. Zwei große Nasdaq-Werte, Netflix und Amazon, haben sich 2015 sogar mehr als verdoppelt. Dem Internet-Urgestein Amazon kreiden Investoren zwar regelmäßig zu schwache Gewinnmargen an. Amazon verdiente 2010 2,53 Dollar pro Aktie, 2011 nur noch die Hälfte und hat seither keine Gewinne mehr ausgewiesen.

Doch Rückschläge nach schwachen Quartalszahlen waren stets Kaufgelegenheiten. Anleger wetten darauf, dass Amazon auf Augenhöhe mit Apple, Facebook und Alphabet – die Künstler, die früher Google hießen – die nächste Techgewinnerstory schreibt. Bald wird Amazon-Chef Jeff Bezos liefern müssen: Anders als bei Apple, Google oder Facebook steigen Gewinn und Mittelzufluss bei Amazon nicht mit dem Umsatz.

Vorbörsliche Techblase

Nicht nur Amazon; die meisten Techwerte schlugen sich 2015 weit besser als der Gesamtmarkt. Manche meinen: zu gut. Schon wieder habe sich da eine gigantische Blase aufgepumpt im Techsektor. Diesmal, anders als 2000, weniger an der Börse, als vorbörslich: bei Start-ups, in die Wagniskapitalfonds viele Milliarden pumpen. Verlustreiche, meist erst wenige Jahre alte Firmen wie Uber, Dropbox, Evernote, Snapchat und Airbnb sollen mehr wert sein als manche Dax-Konzerne; Gewinn liefern werden sie, wenn überhaupt, erst in Jahren. Das dürfte nicht gut gehen, unken viele.

Doch 2015 hatte eine überraschende Lektion parat: Spekulationsblasen müssen nicht mit einem lauten Knall platzen und alles mit sich reißen; die Luft kann auch langsam entweichen. Immer mehr überbewertete Start-ups kommen an die Börse, mit kräftigen Preisnachlässen, aber sie kommen. Der Crash wird verhindert, weil Investoren bereit sind, deutliche Abstriche hinzunehmen: Zu spät und zu teuer in privaten Finanzierungsrunden eingestiegene Investoren geben Anteile zum Teil für deutlich weniger ab, als sie ein paar Monate zuvor selbst bezahlt haben. Die Verluste schreiben sie brav ab, so wie Fidelity kürzlich auf die Video-Chat-Platform Snapchat. Davor mussten Anleger beim Börsengang des Cloud-Anbieters Box Verluste einstecken, ebenso beim Digital-Bezahldienst Square.

Das ist neu; eigentlich wollen die Investoren beim Börsengang Reibach machen. Zu sehr wundern sollten sich Anleger darüber aber nicht: Neuerdings steigen Investoren bei besonders riskanten Start-ups nur noch ein, wenn ihnen die Firma einen Gewinn garantiert. Kommt die Aktie zu billig an die Börse, bekommen manche Investoren eben mehr Aktien. Ganz gleich sind an der Börse eben doch nicht alle. Wir haben es ja geahnt.

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