Das Hundert-Milliarden-Risiko Dax-Unternehmen gaukeln Aktionären heile Welt vor

Seite 3/6

Schockierende Ergebnisse

Kapital der 30 Dax-Unternehmen

Dazu beitragen dürfte auch "das schockierende Ergebnis" einer Untersuchung, die Karlheinz Küting gerade abgeschlossen hat. Seine erste große Publikation über die Bilanzierungspraxis deutscher Konzerne stammt von 1974. Auch heute noch widmet sich der Direktor des Centrums für Bilanzierung und Prüfung an der Universität des Saarlandes neben der Theorie gerne praxisnahen und börsenrelevanten Themen. Laut seiner noch unveröffentlichten Studie unter 134 deutschen börsennotierten Gesellschaften aus Dax, MDax, SDax und TecDax unterstellen die Unternehmen, dass sie aus den gezahlten Übernahmeprämien für neue Töchter 204 Jahre lang Nutzen ziehen werden. Herausgerechnet sind dabei die zuletzt hohen Abschreibungen der Deutschen Telekom. In 204 Jahren aber dürfte kaum noch eine der teuer gekauften Töchter vor Kraft strotzen. So sind aktuell 36 der 100 größten Firmen weltweit jünger als 40 Jahre. Das zeigt eine Untersuchung des Zürcher Private-Equity-Verwalters Adveq. Konsequenz: Da sich der "Goodwill als völlig falsch eingeschätzte Zukunftserwartung erweisen kann, die zu Verlusten führt" und der Impairment Test "Missbrauchspotenzial" in sich berge, fordert Küting, wieder regelmäßig abzuschreiben und für den Goodwill eine Nutzungsdauer von "10 bis 20 Jahren" zu unterstellen.

Denn früher oder später müssen die meisten Unternehmen ohnehin einräumen, dass ihre einst gezahlten Prämien bei Übernahmen (Goodwill) keinen echten Gegenwert haben. Bei der Deutschen Telekom etwa radierten Abschreibungen häufig den kompletten Gewinn aus. Zuletzt bescherte eine Abwertung über netto 7,4 Milliarden Euro den Aktionären einen Jahresverlust über 5,3 Milliarden Euro. Von in der Spitze 40,6 Milliarden Euro an Goodwill sind nur - oder immer noch - 14,4 Milliarden übrig. Die Telekom befindet sich dabei in schlechter Gesellschaft. Bei der spanischen Telefonica brach der Gewinn 2012 um 27 Prozent wegen Abschreibungen ein; Rivale France Télécom verlor deswegen drei Viertel seines Vorjahresertrages.

Papiererträge

Wenn Unternehmen zu wenig abwerten, entstehen Papiergewinne, die das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) schönen. Gemessen an früher üblichen Abschreibungen, hätten die 30-Dax-Unternehmen 2012 statt 63 Milliarden Euro nur rund 46 Milliarden Euro verdient. Solche Berechnungen beziehen aufmerksame Investoren immer stärker in ihr Kalkül ein: Das geschätzte KGV, auf das Anleger noch bereit sind zu handeln, ist in den vergangenen zehn Jahren deutlich geschrumpft: Der Dax handelte seit 2003 maximal mit dem 14-fachen erhofften Jahresgewinn, der Durchschnitt lag sogar bei nur gut elf, früher gestanden Anleger den Börsen auch mal das bis zu 20-Fache an erwarteten Gewinnen zu. Um das - geschätzte - KGV, die Kernkennzahl für die Aktienbewertung, zu ermitteln, dividieren Investoren den aktuellen Börsenwert eines Unternehmens durch den letztjährigen oder den erwarteten Jahresüberschuss des Unternehmens.

Die Folgen einer wieder regelmäßigen Abwertung des Goodwills, die viele Experten inzwischen fordern, wären dramatisch: Eine regelmäßige Abwertung über zehn Jahre würde die Gewinne der 30 Dax-Unternehmen, gemessen am letztjährigen Ertrag, um ein Drittel einbrechen lassen. Auch der Vermögensanteil des Aktionärs an seinem Unternehmen, der Buchwert, ist erheblich betroffen. Aktuell gestehen Investoren allen Dax-Unternehmen im Durchschnitt eine 50-prozentige Prämie auf den Vermögenswert, das dem Eigenkapital entspricht, zu. Das Kurs-Buchwert-Verhältnis (KBV) liegt deshalb bei 1,5. Die luftigen Goodwillpositionen machen inzwischen 36 Prozent des Eigenkapitals aller Dax-Unternehmen aus. Eine Komplettabwertung des Goodwill ließe das KBV um mehr als die Hälfte auf einen Faktor von 2,34 hochschnellen - was einer enorm hohen Bewertung der Aktien entspräche. Besonders gefährlich ist, wenn der Goodwillposten einen hohen Anteil am Eigenkapital hat, wie bei der Deutschen Post, Fresenius Medical Care, Linde oder Henkel etwa. Unerwartete Ertragseinbrüche wegen Abschreibungen auf den Goodwill sind dagegen bei BMW, Beiersdorf oder Infineon nicht zu erwarten, da der Bilanzposten homöopathisch ist.

Inhalt
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%