Der Goodwill, den Finanzchefs im Gegensatz zu einer Maschine oder einem Patent nicht einzeln veräußern können und der deswegen als wacklig einzustufen ist, entsteht so: Übernimmt ein Unternehmen einen Konkurrenten, ist das Management verpflichtet, das Vermögen seiner neuen Tochter buchhalterisch in Einzelteile zu zerlegen. Lizenzen, der Fuhrpark, Immobilien - jede Position wird neu bewertet. Fällt der gezahlte Kaufpreis für das Unternehmen höher aus als das neu bewertete Vermögen, wird diese Übernahmeprämie als Goodwill in die Bilanz gebucht. Das IASB hat vor gut neun Jahren den Unternehmen jede Menge Spielraum gegeben, wie sie den Goodwill nach der Ersteinbuchung in die Bilanz behandeln dürfen. Spielraum, den die Unternehmenschefs auch weidlich nutzen.
Anleger sind leicht zu täuschen
Früher unterstellten die Regelvorgaben, dass der Goodwill schrittweise schrumpft - so wie der Wert einer Maschine oder eines Computers. Seit März 2004 jedoch dürfen Unternehmen auf regelmäßige Abschreibungen verzichten. Statt wie früher jedes Jahr pauschal abzuschreiben - in der Regel wurde der Goodwill spätestens nach 15 Jahren auf null gesetzt - , müssen Unternehmen in einem komplexen Verfahren wenigstens einmal im Jahr prüfen, ob ihr Goodwill noch werthaltig ist (sogenannter Impairment Test). "Die Unternehmensbewertung, die ja eigentlich Anleger an der Börse vornehmen sollten, wurde so den Finanzchefs in den Schoß gelegt", sagt Peter Leibfried, Professor für Rechnungslegung und Wirtschaftsprüfung an der Universität St. Gallen.
Fakten zu Übernahmeprämien - Goodwill
In der Regel zahlen Unternehmen bei einem Erwerb eines Konkurrenten eine Übernahmeprämie (sogenannter Goodwill oder Firmenwert).
Dieser Goodwill bemisst sich aus der Differenz zwischen gezahltem Kaufpreis und dem bewertbaren Vermögen des erworbenen Unternehmens.
Bis ins Jahr 2004 galt die Regel, diesen Goodwill regelmäßig abzuschreiben, mit einer Laufzeit über 10 bis 15 Jahre. Früher wurde unterstellt, dass die gezahlte Prämie keinen ewigen Nutzen darstellt und sich etwa wie eine Maschine abnutzt. Seit neun Jahren ist diese Regel abgeschafft. Stattdessen müssen Unternehmen einmal jährlich testen, ob die einst gezahlte Prämie noch gerechtfertigt ist. Ist dies nicht der Fall, müssen sie auf den Goodwill abschreiben. Für den Test zählen unternehmensspezifische Indizien wie die Schätzung zukünftiger Mittelzuflüsse oder Zinsannahmen; extern wirken Konjunktur und Börsenentwicklung als Indikatoren ein. Rezession oder Finanzkrise – das alles ficht die 30 Dax-Unternehmen kaum an.
Anlegern drohen wegen der nur sehr geringen Abschreibungen böse Überraschungen: Bei plötzlichen hohen Abwertungen würden Aktien, gemessen am Kurs-Gewinn-Verhältnis, teurer; zudem bräche das Eigenkapital der Unternehmen ein.
Deshalb ist ein Leichtes für Vorstände, Anleger über den Impairment Test zu täuschen, um so höhere Gewinne und ein höheres Eigenkapital auszuweisen. Dafür nehmen sie - und später die Wirtschaftsprüfer - einzelne Geschäftseinheiten unter die Lupe. Zeigt sich bei einer Geschäftseinheit, dass die ursprünglich angesetzten Annahmen über Ertrag, Cash-Flow oder Kapitalkosten zu optimistisch waren, muss eine Abwertung erfolgen - in der Theorie. In der Praxis tricksen viele Unternehmen, sobald eine Einheit Abschreibungsbedarf hat. Beliebt ist der Dreh, schwach laufende Geschäfte in der einen Einheit mit guten laufenden in einer anderen neu zusammenzufassen: etwa schwache Verkäufe in Kroatien mit dem besser laufenden Geschäft in Serbien. Der Effekt: Seit die Unternehmen selbst bewerten dürfen, was ihre bei Zukäufen gezahlten Prämien noch wert sind, gibt es kaum noch Abschreibungsbedarf. Im Durchschnitt unterstellten die Dax-Unternehmen früher eine Nutzungsdauer für ihre Firmenwerte von knapp neun Jahren - sie schrieben jährlich 11,7 Prozent auf ihren Goodwill ab, so die Analyse der Universität St. Gallen. Seit 2005 aber fiel dieser Durchschnitt auf nur noch 2,7 Prozent.
Rückläufige Gewinne
Anleger tun gut daran, mögliche Abwertungen des Goodwill in Betracht zu ziehen. Denn die Zahl derer, die für die Rückkehr zur alten Regelung regelmäßiger Abschreibung plädieren, steigt seit Jahren. Auch wenn dies deutlich rückläufige Gewinne vieler Unternehmen bedeutete. Unter den Befürwortern sind etwa Vertreter der Berliner Bilanzwächter der Deutsche Prüfstelle für Rechnungslegung (DPR). "Auch die EU-Regulierung dringt tiefer in das Thema Bilanzierung ein. Ich habe den Eindruck, dass die Abschreibungspolitik der Unternehmen jetzt richtig auf der Agenda steht", sagt Leibfried.