Dax-Umfrage „Bullen trampeln die Mahner tot“

Die extreme Sorglosigkeit der Anleger treibt Dax & Co immer höher: Droht bald ein böses Erwachen? Was sich aus der Gemütslage am Aktienmarkt für die eigene Positionierung herauslesen lässt.

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Nie zuvor haben mehr Anleger, die an der Handelsblatt Sentiment-Umfrage teilnehmen, auf weiter steigende Aktienkurse gesetzt. Quelle: dpa

Frankfurt Keine andere Frage treibt Anleger hierzulande stärker um: Wie lange kann der raketenhafte Auftrieb am deutschen Aktienmarkt noch gutgehen? Zuletzt hatte der Dax nahezu jeden Tag einen neuen Rekord aufgestellt. In nur etwa 16 Monaten ist der Leitindex um mehr als 42 Prozent auf ein Allzeithoch bei über 13.500 Punkten nach oben geklettert.

Die fulminante Rally spiegelt sich immer deutlicher in der Stimmung der Investoren wider: Es herrscht völlige Sorglosigkeit auf breiter Front. Gleichzeitig spekulieren so viele Anleger wie nie zuvor auf weiter steigende Kurse. Das geht hervor aus den neuesten Ergebnissen der regelmäßigen Handelsblatt-Umfrage zur aktuellen Börsenstimmung.

Das sogenannte Dax-Sentiment notiert dabei mit einem Wert von sechs Prozent weiterhin in unmittelbarer Nähe des Allzeit-Stimmungshochs – und das nun schon in der sechsten Woche in Folge. Wöchentlich werden bei dieser Erhebung mehr als 2.300 Anleger gefragt, wie sie die Lage an den Aktienmärkten einschätzen. Die Ergebnisse bewertet Stephan Heibel, Inhaber des Analysehauses Animusx. Der Experte leitet daraus Prognosen ab zur künftigen Dax-Entwicklung, die Anlegern bei ihrer Geldanlage Orientierung bieten.

„Die überschäumende Stimmung der Privatanleger ignoriert beispielsweise die Kriegsgefahr in Nordkorea, das in Sicht kommende Brexit-Chaos und die immer stärker werdenden Unabhängigkeitsbewegungen vieler Regionen in Europa“, sagt Heibel.

In der Regel fördert extreme Jubellaune an der Börse zwar steigende Rückschlagrisiken. Dennoch droht derzeit nach Einschätzung Heibels nicht zwingend eine kräftige Korrektur der Aufwärtsbewegung. „Ich würde die heutige Situation an den Aktienmärkten mit der Phase 1998 bis 2000 verglichen“, urteilt der Fachmann.

Damals habe es jedoch noch keine Sentiment-Erhebung in Deutschland gegeben. Erst 2003 begann AnimusX, auf Basis eines wissenschaftlichen Konzeptes entsprechende Daten zu sammeln. „So betrachtet, deuten die aktuellen Ergebnisse der Sentiment-Umfrage zwar auf extreme Euphorie unter den Anlegern, aber vielleicht gab es vor 2003 schon einmal eine so euphorische Phase, ohne dass die Aktienmärkte schon am folgenden Tag einbrachen“, so Heibel.


Privatanleger spekulieren auf steigende Kurse

Die Ergebnisse der jüngsten Auswertung im Detail: Unverändert attestieren 61 Prozent der befragten Anleger dem Dax einen Aufwärtsimpuls, weitere 31 Prozent (plus fünf Prozentpunkte) gehen nun von einer Topbildung aus. Eine Seitwärtsbewegung oder gar einen Abwärtsimpuls sehen nur noch so wenige, dass dies unter die statistische Fehlerquote fällt.

Und 35 Prozent der Anleger (plus neun Prozentpunkte) geben an, auf diese Kursrally im Dax gewettet zu haben. Nie zuvor haben so viele Privatanleger auf steigende Kurse spekuliert. Weitere 43 Prozent (minus zwei Prozentpunkte) sehen ihre Erwartungen zum größten Teil bestätigt. Nur noch 13 Prozent (minus sechs Prozentpunkte) sehen ihre Erwartungen der Vorwoche durch die aktuelle Dax-Entwicklung kaum erfüllt, und neun Prozent (minus ein Prozent) geben an, von der Rally auf dem falschen Fuß erwischt worden zu sein.

Nur einmal in den vergangenen Jahren war die Selbstzufriedenheit größer: Anfang 2014. Damals befand sich der Dax mitten in seiner Rally von 8.500 auf 12.000 Punkte; um über 45 Prozent stieg er damals innerhalb von sechs Monaten. Das im Frühjahr 2014 erzielte Hoch wurde erst zwei Jahre später wieder erreicht.

Je länger die Feierlaune an den Aktienmärkten anhält, desto größer wird die Zukunftsskepsis bei den Anlegern. Für den Dax in drei Monaten erwarten inzwischen 33 Prozent (plus fünf Prozentpunkte) eine Seitwärtsbewegung, nur noch 18 Prozent (minus acht Prozent) gehen von einer anhaltenden Aufwärtsbewegung aus. 24 Prozent (plus vier Prozent) hingegen erwarten zu diesem Zeitpunkt eine Topbildung.

Einen Abwärtsimpuls hingegen fürchten nur 23 Prozent (unverändert), die Erwartung ist insgesamt damit nur leicht ins Minus gerutscht (minus 0,9 Prozentpunkte). Die Investitionsbereitschaft nimmt leicht ab, unverändert 26 Prozent wollen in den kommenden zwei Wochen Aktien zukaufen, 19 Prozent (minus zwei Prozent) hingegen wollen Aktien verkaufen. Mit 56 Prozent (plus zwei Prozent) verbleiben die meisten erst einmal an der Seitenlinie und warten ab.


Wann droht die nächste kräftige Korrektur?

Heibels Prognose, die er aus den aktuellen Sentiment-Daten ableitet: Auch wenn der Fünf-Wochenschnitt des Sentiments seit vielen Wochen auf höchstem Niveau notiert, rechnet der Experte nicht mit einem baldigen Crash: „Ein kurzer Rücksetzer, eine Verschnaufpause, ist weiterhin jederzeit möglich. Doch dieser wilde Bulle zeigt viele Charakteristika des Bullen von 1998 bis 2000. Und damals war es sinnvoll, jede Verschnaufpause zum Einsammeln der wildesten Bullen zu nutzen“, sagt Heibel.
Sechzehn Jahre lang haben seiner Einschätzung nach Mahner und Skeptiker die Börsenstimmung dominiert. „Am Ende eines Bullenmarktes werden diese Mahner jedoch in der Regel zu Tode getrampelt.“ Das stehe derzeit noch aus.

Das Szenario für die Stimmungsentwicklung, das dem Sentiment-Fachmann in den kommenden Monaten am wahrscheinlichsten erscheint: „In die steigenden Kurse hinein schwindet die Zuversicht, wie derzeit zu beobachten. Die Zukunftserwartung wird von Skepsis dominiert, während der Dax aber weiter auf neue Rekordhochs klettert.“ Irgendwann kapitulierten dann im Zeitverlauf auch die Skeptiker und schlügen sich auf die Seite der Bullen.

„Vernunft und Vorsicht gehen flöten, dann erst naht der Zenit des wilden Bullens“, so Heibel. Ob der Höhepunkt der Hausse bereits im kommenden Frühjahr erreicht sein wird, oder ob sie noch ein Jahr länger läuft, sei aber nicht vorhersehbar.

Bei seiner vorangegangenen Prognose für die Börsenentwicklung hatte Heibel noch etwas skeptischere Töne angeschlagen: Vergangene Woche hatte der Sentiment-Fachmann festgestellt, dass sich der Anteil derer, die über Verkäufe nachdenken würden, stark erhöht hätte. „Es fehle nun nur noch ein Auslöser, um eine Verkaufswelle loszutreten“, hatte Heibel damals gewarnt. Gleichzeitig hatte er aber bei anderen Anlegern eine steigende Investitionsbereitschaft erkannt. „Das spricht für eine deutlich stärkere Volatilität in den kommenden Wochen“, lautete sein Fazit. Entsprechend werde der deutsche Leitindex unter dem Strich anfälliger für Korrekturen.

Hinter Umfragen zur Börsenstimmung wie dem Dax-Sentiment stehen zwei Annahmen: Wenn die große Masse von Anlegern bereits investiert hat, bleiben eben wenige übrig, die noch zusätzlich kaufen und damit die Kurse in die Höhe treiben könnten. Umgekehrt gilt natürlich Entsprechendes: Wenn die Anleger mehrheitlich nicht investiert haben, können nur noch wenige verkaufen und damit die Kurse drücken.
Wenn Anleger investiert haben, werden sie sich optimistisch über den erwarteten weiteren Kursverlauf äußern, wenn sie nicht investiert haben, pessimistisch. Denn für den zukünftigen Verlauf von Wertpapieren etwa pessimistisch zu sein, aber gleichzeitig investiert zu haben, würde unter normalen Umständen wenig sinnvoll erscheinen.


Was die Aktienrally weiter befeuert

Langfristig kann sich die Hausse allerdings auch trotz euphorischer Anlegerstimmung fortsetzen: „Ein wilder Bulle kann wesentlich weiter laufen, als die meisten Anleger und Investoren es sich vorstellen können“, mahnt Heibel. In der aktuellen Sentiment-Auswertung habe er daher ein besonderes Augenmerk auf Indikatoren gelegt, die für eine anhaltende Rally verantwortlich sein könnten. Dazu zählt Heibel beispielsweise die niedrige Investitionsquote der US-Anleger, oder aber die wieder zunehmenden Absicherungsgeschäfte der deutschen Privatanleger.

Dazu komme eine Berichtssaison, in der Technologie-, Industrie- und Bauaktien durch überraschend gute Quartalszahlen weiteren Auftrieb erhielten, während Anleger um Versorger und Kosumartikel-Hersteller mit hoher Dividendenrendite einen großen Bogen machten. „Wenn wir uns die rosigen Wachstumszahlen vieler Unternehmen anschauen, dann erscheinen viele Aktien gemessen am Kurs/Gewinn-Verhältnis im Vergleich zur Wachstumsrate noch nicht als zu teuer – trotz der bereits lang laufenden Rally“

Ähnliche Schlussfolgerungen wie aus der Handelsblatt-Untersuchung lassen sich derzeit auch aus den Ergebnissen des an der Stuttgarter Börse gemessenen „Euwax-Sentiments“ ableiten:

Das Euwax-Sentiment der Privatanleger in Deutschland ist in den letzten Tagen zwar leicht gefallen. Privatanleger, die in die Dax-Rally hinein ihre Absicherungspositionen aufgelöst haben, sichern sich nun langsam wieder gegen fallende Kurse ab. Dieses Verhalten ist aber laut Heibel gesund für die laufende Rally, da Absicherungspositionen bei fallenden Kursen aufgelöst werden können, indem Aktien gekauft werden. Einem eventuellen Rückschlag am Aktienmarkt ziehe dies bereits sehr früh einen Boden oder auch eine Unterstützung ein.

Institutionelle Anleger hingegen sind nun wieder ziemlich offensiv gestimmt: Die Put/Call-Ratio der Terminbörse Eurex notiert mit 1,1 deutlich unter dem Mittel von 1,5 und zeigt dadurch eine ziemlich sorglose Haltung der Profis.

In den USA zeigt der technische Angst-und-Gier-Index des US-Aktienindexes S&P 500 mit 69 Prozent leichte Gier an, die US-Börsen gelten damit aber noch lange nicht als überhitzt. Die Investitionsquote der Institutionellen in den USA ist auf 60 Prozent eingebrochen. Laut Heibel müssen Hedgefonds ihren Kunden häufig nur einmal im Jahr die Möglichkeit bieten, Geld aus dem Fonds abzuziehen. „Häufig muss das bis Ende Oktober angemeldet werden und erfolgt dann Anfang November. Mag also sein, dass die überraschend niedrige Investitionsquote, die niedrigste seit dem Sommer 2016, auf diesen Umstand zurückzuführen ist.“

Damit einher gehe jedoch, dass die Barreserven – egal ob sie im Hedgefonds verbleiben, oder aber abgezogen und dann in der Regel einem anderen Hedgefonds zugesteckt werden – in den kommenden Wochen wieder am Markt angelegt würden. Der Bulle/Bär-Index der US-Privatanleger notiert mit 16,5 Prozent auf einem moderat „bullishen“ Niveau.

Die Handelsblatt-Umfrage startet jeden Freitag und endet am Sonntag. Die Auswertung lesen Sie tags darauf auf Handelsblatt Online. Einfacher haben es Leser, die sich für eine kostenlose Erinnerungsmail eintragen. Sie erhalten automatisch eine Mail mit der Bitte, an der Umfrage teilzunehmen, und eine, wenn die Experten-Auswertung auf Handelsblatt Online zu lesen ist.

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