




Im Oktober vergangenen Jahres beschloss der Bundesgerichtshof (BGH), dass Unternehmen ihre Aktie ohne großes Aufhebens von der Börse nehmen können. Ein Beschluss des Vorstandes genügt.
Der Haken für die Aktionäre: Die Unternehmen müssen ihren Anteilseignern kein Übernahmeangebot unterbreiten. Ein angenehmes Gegenbeispiel war der Finanzkonzern Wüstenrot & Württembergische (W&W), der am 10. Dezember ankündigte, die Lebensversicherungstochter WürttLeben binnen sechs Monaten von der Börse nehmen zu wollen.
Die Kleinaktionäre der Württembergische Lebensversicherung bleiben auch in Zukunft an der Gesellschaft beteiligt, können ihre Anteilsscheine aber nicht mehr öffentlich zum Verkauf anbieten. W&W bietet ihnen deshalb 17,75 Euro je Aktie. Am Tag der Ankündigung des Delistings lag der Aktienkurs bei 17,10 Euro.
Delisting ist Unwort des Jahres
Aktionärsschützer sprechen im Zusammenhang mit dem BGH-Urteil dennoch von einer faktischen Enteignung der Anleger. "Delisting", also der Rückzug von der Börse, sei für Anleger das Unwort des Jahres, heißt es bei der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW). Und dieses Unwort hörten Aktionäre in diesem Jahr sehr häufig. Denn die Tragweite des Urteils ist erst 2014 spürbar geworden.
"Ein Delisting stellt einen groben Eingriff in die Rechte der Aktionäre dar. Schließlich fällt dadurch die problemlose Handelbarkeit der Aktien ebenso weg wie die transparente Preisbildung", sagt Marc Tüngler, Hauptgeschäftsführer der DSW. Allein in diesem Jahr haben mehr als 30 Unternehmen ein Delisting angekündigt, viele sind bereits weg vom Parkett.
Diese Unternehmen ziehen sich von der Börse zurück
Die AGO AG Energie + Anlagen (WKN A12UK4) fokussiert sich auf die Geschäftsfelder Planung und Bau von Energieversorgungsanlagen für Industriekunden und Kommunen. Angekündigt hat das Unternehmen sein Delisting am 17. April 2014, am 30. Dezember 2014 wird sich die AGO AG von der Börse zurückziehen.
Die Biolitec AG (WKN A1JXLS) ist einer der führenden Hersteller von Lasermedizin-Geräten. Seit dem 15. November ist das Unternehmen nicht mehr an der Börse, angekündigt hatte es das Delisting am 6. Mai 2014.
Die Wohnungsbaugesellschaft CD Deutsche Eigenheim AG (WKN: 620833) hat auf ihrer Hauptversammlung am siebten November 2014 ihr Delisting angekündigt. Einen konkreten Termin für den Börsenrückzug gibt es jedoch noch nicht.
Die Cycos AG (WKN: 770020), eine Tochtergesellschaft der Unify, hat ihr Delisting Anfang Juli angekündigt. Zum 22. Januar 2015 wird das Unternehmen von der Börse verschwunden sein.
Der Keramik-Konzern Deutsche Steinzeug Cremer & Breuer AG (WKN: A1TNLL) hat sich bereits am 28. Oktober 2014 von der Börse verabschiedet.
Die DTB-Deutsche Biogas AG (WKN: A1E898) erzeugt und vertreibt Strom und Wärme aus Biogasanlagen. Das Unternehmen hat sein Delisting am 1. September 2014 angekündigt und am 20. Oktober umgesetzt.
Der Anbieter von Automatisierungstechnik, Elite World S. A. (WKN: A0JK6E), ist schon 1999 an die Börse gegangen. Heute gehören fast 89 Prozent der Aktien der Bernhard-Weiss-Stiftung. Zwischen 2004 und 2011 war die Aktie sogar im SDax gelistet. Seit dem 3. Oktober ist sie nicht mehr frei handelbar.
Die Elite World S. A. (WKN: A0JK6E) hat ihr Delisting am 7. Oktober 2014 angekündigt. Einen Termin für den Rückzug von der Börse gibt es noch nicht.
Die EPG AG (WKN: A12UK9), Spezialist für chemische Nanotechnologie, kündigte am 2. April 2014 den Rückzug von der Börse an. Noch sind die Aktien handelbar.
Die Franconofurt AG (WKN: 637262) erwirbt, verwaltet, vermietet, verkauft und renoviert Wohnimmobilien in Frankfurt und Umgebung. Obwohl das Unternehmen im Geschäftsjahr 2013 sehr erfolgreich gewesen ist und sogar Dividenden ausschüttete, hat sich die Franconofurt AG am 3. März entschieden, den Entry Standard Handel an der Frankfurter Wertpapierbörse zu kündigen.
Greater China Precision Components Ltd. (WKN: A0MZS3) hat sich zum 30. September von der Börse verabschiedet.
Auch die Hahn-Immobilien-Beteiligungs AG (WKN: 600670), Anbieter von Immobilien für den Einzelhandel, hat seinen Börsenrückzug beschlossen, weil nur wenige Aktien gehandelt werden, der Aufwand dafür aber hoch ist. Umgesetzt wird das Delisting am 18. Februar 2015.
Auch die Vermögensvermittler von der Informica Real Invest AG (WKN: 526620) haben der Börse bereits den Rücken gekehrt. Fünf Monate nach der Ankündigung folgte das Delisting am 15. August.
Für Jetter (WKN: 626400), den Hersteller von Automatisierungstechnik für Feuerwehrkraftzeuge, Traktoren und Laster verlor die Börsennotierung ihren Sinn, weil das Unternehmen zu einem großen Teil in das Schweizer Unternehmen Bucher aufging. Zum ersten Mai 2014 zog sich das Unternehmen von der Börse zurück.
Die Magix AG (WKN: 722078), Hersteller von Multimedia-Software, begründete den am 30. November vollzogenen Börsenabschied mit den Worten, es gehe dem Unternehmen auch ohne Eigenkapital von der Börse gut genug. Angekündigt wurde das Delisting im Mai 2014, danach fiel der Kurs.
Der Pflege- und Seniorenheimbetreiber Marseille-Kliniken AG (WKN: A1TNRR) nahm die Aktien nur zwei Monate nach der Ankündigung aus dem Handel, das Delisting erfolgte am 11. August 2014. Nach der Ankündigung im Juni brach der Aktienkurs um rund ein Drittel ein. Für die Aktionäre ein Tiefschlag.
Am 17. Februar kündigte die an der der Frankfurter Wertbörse notierte n.Runs AG (WKN: A0LEFF) ihr Delisting an. n.Runs ist über die Tochtergesellschaften in den Märkten Unified Communications und Videoconferencing als Systemhaus und Beratungsunternehmen positioniert. Am 5. Juni meldete das Unternehmen beim zuständigen Amtsgericht in Mainz Insolvenz an. Seit dem 10. September ist das Unternehmen von der Börse verschwunden.
Die Online Marketing Solutions AG (WKN: A0Z231) kündigte ihr Delisting am 18.Juli 2014 an. Am 30. September beendete das Unternehmen dann seine Notierung an der Börse.
Der Vorstand des finanzmarktorientierten Internetunternehmens Onvista (WKN: 546160) hat am 27. November 2014 beschlossen, den derzeit in Köln angesiedelten Geschäftsbetrieb nach Frankfurt am Main zu verlagern. Außerdem soll die Notierung im General Standard an der Frankfurter Börse im zweiten Quartal 2015 enden.
Das Informationstechnologie-Unternehmen Pironet NDH AG (WKN: 691640) bietet unter anderem ITK-Outsourcing- und Cloud- Computing-Lösungen an. Am 12. September tat das Unternehmen mit Sitz in Köln seinen Börsenrückzug kund, noch sind die Papiere jedoch handelbar.
Die Unternehmensberatung Plaut (WKN: A0LCDP) kündigte ihr Delisting am 19. Mai 2014 an. Am 27. Februar 2015 soll dann der Börsenrückzug erfolgen.
Die Primion Technology AG (WKN: 511700) kündigte das Delisting am 17. September an. Umgesetzt wurde es bisher nicht.
Die Schlossgartenbau AG (WKN: 730600) ist seit dem 12. November 2014 von der Börse verschwunden.
Die Schuler AG (WKN: A0V9A2) gehört zu den Weltmarktführern in der Umformtechnik. Am 4. April kündigte das Unternehmen seinen Rückzug von der Börse an.
Auch die Filmstudios Babelsberg (WKN: A1TNM5), das größte Filmstudio Europas, zahlen mehr für ihr Listing an der Börse, als es einbringt. Deshalb wurde am 30. September das Delisting bekannt gegeben.
Der Straßenbaukonzern Strabag AG (WKN: A0Z23N) hat den regulierten Handel an der Börse Düsseldorf bereits verlassen, aber noch sind die Aktien im Freiverkehr und an der Frankfurter Börse handelbar. Die Börsenstatuten in Düsseldorf schreiben vor, das Aktien nach einem Delisting noch ein Jahr in Frankfurt handelbar bleiben müssen. Strabag sucht nun nach einer Möglichkeit, auch den Handel in Frankfurt noch vor Ablauf der Frist im September 2015 zu beenden.
Der Verkehrssystemanbieter Swarco Traffic Holding AG (WKN: 723630) hatte ebenfalls nur einen Streubesitzt von zehn Prozent - zu wenig für einen wirklich liquiden Handel. Das Jahresergebnis soll durch die Einsparungen nach dem Delistig am 3. November 2014 jährlich um 100.000 Euro höher ausfallen.
Der Online-Flug- und Reisevermittler Travel Viva AG (WKN: A0HNGF) hat der Deutschen Börse am 19. Mai 2014 gekündigt und die Notierung am 26. Juni 2014 beendet.
Die VSM AG (WKN: 763700) ist auf Schleifmittellösungen für Metall- und industrielle Holzbearbeitung spezialisiert. Am 19. Mai verkündete die Vereinigte Schmirgel- und Maschinen-Fabriken Aktiengesellschaft ihr Delisting, am 31. Dezember wird sich das Unternehmen aus Hannover von der Börse zurück ziehen.
Auch für den Fondsvermittler und Finanzportalbetreiber wallstreet:online capital AG (WKN: A0HL76) steht der Aufwand einer Börsennotierung in keinem Verhältnis mehr zu seinem Nutzen. Am 28. November 2014, drei Monate nach der Ankündigung, verschwand das Unternehmen von der Börse.
Die Württembergische Lebensversicherung (WKN: 840502) soll vom Kurszettel verschwinden. Der Stuttgarter Finanzkonzern Wüstenrot & Württembergische (W&W) kündigte am 10. Dezember 2014 an, die Tochter binnen sechs Monaten von der Börse nehmen zu wollen, um Kosten zu senken.
Sobald die Ankündigung raus ist, hilft den Anlegern nur noch der Verkauf. Wer nur einmal im Jahr nach seinem Depot sieht und dann feststellt, dass er den Stichtag versäumt hat, geht leer aus. Doch auch, wenn die Anleger kurz nach Bekanntgabe des geplanten Delistings ihre Aktien verkaufen, machen sie in der Regel Verluste.
Beispiel: Nachdem Onvista am 27. November seinen Rückzug von der Börse bekannt gab, brach der Kurs um rund 25 Prozent auf 2,80 Euro ein.
Onvista ist jedoch auch ein gutes Beispiel, dass es sich lohnt, nach der Ankündigung nicht sofort zu verkaufen. In der Regel haben Anleger ein paar Monate Zeit, bis die Emittenten das Papier aus dem Handel nehmen.
In dieser Zeit können sich die Kurse auch wieder erholen. Die Onvista-Aktie hat ihren Verlust wieder reingeholt und notiert derzeit bei 3,10 Euro. Von Panikverkäufen ist also abzuraten.
Schäden durch Delisting begrenzen
Die DSW versucht derzeit, die Schäden für Anleger zu begrenzen. So können auch delistete Aktien weiterhin handelbar bleiben. Das funktioniert beispielweise über die außerbörsliche Plattform Valora Effekten Handel (VEH). Die VEH stellt auch für diese Papiere weiterhin Kurse, die allerdings nicht in die Systeme der Banken eingestellt werden.
Das kann für den Anleger problematisch werden. "Oft werden solche Wertpapiere dann einfach ausgebucht, weil ihr Wert in den Depots mit Null angegeben wird", so Tüngler.
Allerdings können auch die Börsen etwas tun, um die Folgen des Urteils für Anleger abzumildern. Wie das geht, zeigt die Börse Düsseldorf. Unternehmen, die ihre Notierung dort einstellen wollen, müssen nach wie vor einen Hauptversammlungsbeschluss vorweisen und zudem den Aktionären ein Kaufangebot für ihre Anteilsscheine machen.
"Die anderen Börsenplätze sollten diesem Beispiel schnellstmöglich folgen und ihre Börsenordnungen entsprechend anpassen." Letztlich sei es jedoch am Gesetzgeber, die verlorenen Aktionärsrechte wiederherzustellen, so Tüngler. "Geschieht das nicht, droht 2015 eine weitere Welle von Delisting-Fällen."