Sie kennen doch noch den Scheinriesen Tur Tur? In den legendären Geschichten von Michael Ende begegnen ihm Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer in der Wüste. Je mehr sie sich Tur Tur nähern, desto mehr schrumpft er zusammen, bis er am Ende Normalgröße hat.
Auf Normalgröße schrumpfen auch die Gewinne der 30 Unternehmen des Deutschen Aktienindex (Dax) zusammen, je mehr man sich ihnen nähert. Noch Ende 2011 erwartete die Schar der Analysten, dass die 30 Dax-Unternehmen zusammengenommen rund 72,5 Milliarden Euro an Jahresüberschüssen (Nettogewinnen) einfahren würden. Jetzt liegen alle Bilanzen vor. Eine exklusive Auswertung der WirtschaftsWoche zeigt nun, dass die Schätzungen zu hoch waren. Der Riesengewinn ist geschrumpft: Gut 63 Milliarden Euro Nettogewinn fuhren die Dax-Konzerne von Adidas bis Volkswagen zusammen ein – nur homöopathisch mehr als im Vorjahr.
Das bedeutet: Investoren, die in den vergangenen Monaten Aktien kauften, taten dies in Erwartung von deutlich zu hoch prognostizierten Gewinnen. Noch dramatischer wird die Diskrepanz bei den Dax-Werten, wenn man die Gewinnerwartung und den tatsächlichen Ertrag von VW herausrechnet. VW hatte die Erwartungen der Analysten deutlich übertroffen. Ohne VW schafften die übrigen 29 Dax-Unternehmen 41,3 Milliarden Euro Gewinn. Erwartet wurden für die 29 ursprünglich jedoch 64,2 Milliarden – 50 Prozent mehr.
Achtung bei Marktschreiern
Diese Rechenspiele sind keineswegs nur von theoretischer Bedeutung. Sie belegen vielmehr, dass die starke Erholung der Aktienkurse über die vergangenen zwölf bis 18 Monate mitnichten durch starke Unternehmensergebnisse untermauert wurde, zumindest nicht im Durchschnitt. Anleger sollten sich also in Acht nehmen vor Marktschreiern, die Tag für Tag die Mär vom günstigen Aktienmarkt verbreiten.
Die zehn wichtigsten Aktien-Regeln
Gegen die größer werdenden Unwägbarkeiten sollte man sich zuallererst mit einer Strategie wappnen: Wer an kräftiges Wachstum in Deutschland glaubt, an einen anhaltenden Boom der Schwellenländer und hohen privaten Konsum, kann weiter am Aktienmarkt investieren. Wer skeptisch ist, sollte seine Bestände hingegen nicht aufstocken.
Eng verbunden mit der ersten Regel: Immer wieder kommt es vor, dass sich Dinge anders entwickeln, als man erwartet hat. Es ist wichtig, sich selbst immer wieder zu hinterfragen und nicht jeder Entwicklung hinterherzulaufen. Eine solche Reaktion zeugt nicht von einem geringen Vertrauen in die eigene Strategie. Es kostet meist auch Geld, weil die Masse schon vorher diese Richtung eingeschlagen und das Gros an Rendite eingefahren hat.
Groß oder klein, spekulativ oder konservativ, liquide oder illiquide, dividendenstark oder dividendenschwach, Substanz oder Wachstum: Bei Aktien ist die Auswahl riesig. Der richtige Mix aus spekulativen und konservativen Titeln hilft, Schwankungen zwischen guten und schlechten Zeiten auszugleichen. Nicht zu unterschätzen sind starke Dividendenzahler, die Jahr für Jahr den Grundstock für eine solide Rendite legen.
Keine Frage, die Börsen haben in den vergangenen zehn Jahren stärker geschwankt als in allen Dekaden zuvor. Das wird so bleiben, mit wachsendem Computerhandel sogar noch zunehmen. Wer sein Risiko minimieren will, baut Barrieren ein – sogenannte Stopps. Gerne werden Stopps bei 20 Prozent über und unterhalb des aktuellen Kurses gewählt. Dann wird automatisch verkauft, wenn diese Grenzen erreicht sind. Kommt eine Phase überraschend steigender Kurse mit anhaltendem Aufwärtstrend, lässt sich die Barriere leicht nach oben verschieben. Wichtig ist dann, auch die Barriere am unteren Ende nachzuziehen.
Wichtig in Phasen überraschender Kurssteigerungen oder -stürze ist es, das Verhalten der Masse zu beobachten. Ist es noch nachvollziehbar oder völlig irrational? Häufig ist es irrational. Dann hilft meist die zweite Regel: Widerstandskraft zeigen. Nach einigen Monaten kehrt die Rationalität von ganz allein zurück. Der Kurssturz aus dem vergangenen Jahr und die jüngste Entwicklung beweisen das gerade wieder.
Sind Aktien wie seit Jahresbeginn schon um 30, 40 oder gar 50 Prozent gestiegen, dann sind Anschlussgewinne in der Regel nur noch schwer zu erzielen. Phrasenverdächtig ist zwar die alte Weisheit: „An Gewinnmitnahmen ist noch niemand zugrunde gegangen.“ Richtig ist sie trotzdem.
Firmenchefs haben einen gewaltigen Vorteil gegenüber normalen Aktionären. Sie wissen weit mehr als jeder Analyst oder Kommentator, wie es in ihrem Unternehmen aussieht. Insider nennt man sie deshalb. Sie melden ihre Orders innerhalb von fünf Handelstagen an die Börsenaufsicht Bafin. Das Handelsblatt veröffentlicht alle zwei Wochen das sogenannte Insider-Barometer, das aus der Summe aller Kauf- und Verkaufsorders Schlüsse für den weiteren Verlauf in Dax & Co. zieht. Jüngste Tendenz: Vorstände und Aufsichtsräte verkaufen mehr als sie kaufen. Vorsicht also!
Terroranschläge und Naturkatastrophen kommen unerwartet. Politische Konflikte wie aktuell zwischen Israel und dem Iran schwelen meist länger. Entscheidende Wahlen wie jüngst in Russland und in diesem Jahr noch in Frankreich und den USA sind vorhersehbar und haben immer Einfluss auf die Börse. Dabei gilt generell: Wahljahre sind gute Börsenjahre.
Mit Optionsscheinen oder Bonus-Zertifikaten lässt sich zwar aus einem Aufwärtstrend ein noch größerer Profit schlagen. Dies sind jedoch in der Regel Wetten ohne realen Hintergrund. Aktien sind reale Werte.
Vor allem Aktien einzelner Branchen unterliegen immer wieder gewissen Moden. Doch die wechseln wie im realen Leben, und manchmal geht das schneller, als man denkt. Das bekommt gerade die einst angesehene Solarenergie-Branche bitter zu spüren.
Haupttreiber der Aktienkurse weltweit ist vielmehr die „ultra-expansive Geldpolitik“ der Notenbanken, sagt Eberhardt Unger, Chefvolkswirt von Fairesearch in Kronberg. Zwar werde diese Politik die „Aktienmärkte weiter stützen“, so Unger. Anleger sollten sich jedoch bewusst sein, dass das Verhältnis von Kursen zu Gewinnen „schon ehrgeizig hoch ist“.
Unter „Berücksichtigung verschiedenster Bewertungsmethoden“ wie dem Verhältnis aus Marktwert zu bilanziellem Vermögenswert (Buchwert), Kurs zu den Barmittelzuflüssen und dem Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) kommt auch Eugen Keller, Leiter der Renten- und Devisenstrategie des Bankhauses Metzler in Frankfurt, zu dem Schluss, dass „die Aktienmärkte alles andere als preiswert sind“. Das gilt aber für alle Anlageklassen. Anleihen sind überteuert, für Tagesgeld gibt es so gut wie keinen Zins, Immobilien eignen sich nicht für einen schnellen Kauf und Verkauf, der Goldpreis steht zumindest temporär unter Druck.
Riskante Wetten
Im Dax gibt es immerhin noch Werte, die entweder einen schnellen Euro versprechen oder sich auch auf aktuellem Niveau langfristig lohnen. Andere wiederum sollten Anleger nach starken Kurszuwächsen verkaufen, weil ihre Bewertung inzwischen übertrieben ist. Alternativ können nahe am aktuellen Kurs Stoppkurse gesetzt werden, bei deren Unterschreiten automatisch verkauft würde. Bei einigen Papieren bietet sich ein Einstieg erst nach Kursrückschlägen an. Zuletzt gibt es auch Dax-Aktien, auf die Anleger ganz verzichten können.
Darauf zu wetten, dass die Gewinne im Dax deutlich steigen, weitere Kurszuwächse also fundamental untermauert sein könnten, ist riskant. Insgesamt trauen die Analysten den Dax-Unternehmen aktuell rund ein Drittel Gewinnzuwachs zu. Rechnet man abermals VW heraus, deren Gewinne wegen der ständigen Neubewertung der von VW gehaltenen Porsche-Anteile stark überzeichnet sind, müssten die übrigen Unternehmen dieses Jahr sogar mehr als 50 Prozent mehr Gewinn machen.
Meilensteine des Dax
Der Dax wird aus der Taufe gehoben. Basis der Berechnung ist der 30. Dezember 1987 mit einem Wert von 1000 Punkten.
In Frankfurt geht das "Interbanken-Informations-System" - kurz Ibis genannt und eine Art Vorläufer des Xetra-Systems - an den Start.
Die Börse führt den MDax ein, dem zunächst 70 mittelgroße Unternehmen angehören. Im März 2003 wird der MDax auf 50 Unternehmen verkleinert.
Bei der Privatisierung der Deutschen Telekom wird die T-Aktie als Volksaktie vermarktet. Das Interesse der Öffentlichkeit am Dax nimmt dramatisch zu.
Start des Neuen Marktes. Nach einer Reihe von Skandalen wird das Segment am 21. März 2003 wieder abgeschafft. Am 24. März 2003 wird als inoffizieller Nachfolger der TecDax eingeführt, dem 30 Tech-Aktien angehören.
Mit dem neuen elektronischen Handelssystem Xetra - kurz für "Exchange Electronic Trading" - bricht für die Börse ein neues Zeitalter an. Zunächst werden 109 Aktien auf Xetra gehandelt. Später öffnet die Börse Xetra für alle deutschen sowie für europäische und US-Aktien.
Der Dax erreicht ein Rekordhoch von 8136,16 Punkten. Händler begründen die Euphorie mit Fusionsfieber. Ein geplanter Zusammenschluss der Deutschen mit der Dresdner Bank scheitert aber. Die Dresdner Bank geht an die Allianz, die sie im Mai 2009 an die Commerzbank weiterreicht.
Auf dem Höhepunkt der Börseneuphorie wird die Chip-Tochter von Siemens, Infineon, zu einem Emissionspreis von 35 Euro an den Anleger gebracht. Die Platzierung ist 33fach überzeichnet. Beim Börsendebüt am nächsten Tag erreicht die Aktie in der Spitze knapp 85 Euro. Heute notieren die Infineon-Titel bei 6,60 Euro. Danach beginnt eine langjährige Abwärtsbewegung, die von den Anschlägen in New York und Washington am 11. September 2001 verschärft wird.
Der Dax rutscht unter 2200 Punkte und notiert damit so tief wie zuletzt im November 1995. Im Laufe des Jahres dreht er. Mit der Erholung der Weltwirtschaft in den Folgejahren wächst auch das Vertrauen in die Gewinnentwicklung der Unternehmen wieder.
Erstmals seit März 2000 steigt der Dax wieder über 8000 Punkte.
Mit 8151 Zählern setzt der Dax einen neuen Meilenstein. Trotz erster Bankenpleiten und Notoperationen der EZB am Geldmarkt steht der Dax zu Beginn des Krisenjahres 2008 wieder über 8000 Zählern. Doch ab dann geht es bergab.
Der Absturz der damals im Dax gelisteten Aktien des Immobilienfinanzierers Hypo Real Estate um 35 Prozent leitet die Talfahrt des Dax ein.
Die Krise der Banken hat Tribut gefordert: 56 Prozent hat der Dax seit dem Hoch vom 13.7.2007 eingebüßt. Mit 3588 Punkten erreicht er zeitweise den niedrigsten Stand seit Oktober 2003. Doch es gibt Hoffnung. Denn nur wenige Tage später wirft die Fed die Notenpresse an. Von nun an geht es mehr oder weniger bergauf. Anfang Mai 2011 steht der Dax schon wieder bei 7500 Punkten.
Der Dax notiert erstmals seit dem 2. Januar 2008 wieder über 8000 Zählern.
Sicher: Die Deutsche Bank könnte Milliarden statt nur Millionen verdienen; Telekom und ThyssenKrupp könnten aus den roten Zahlen herauskommen. Allerdings ist in den Bilanzen der meisten Unternehmen auch viel Luft für Abschreibungen, die wiederum Gewinne schnell um Milliarden drücken können.
Überdurchschnittliche Kosten
Unter dem Strich bewegen sich die Kurse der 30 Dax-Aktien auf dem Bewertungsniveau der vergangenen zehn Jahre. Selbst wenn die Analystenschätzungen ausnahmsweise einmal zutreffend wären, kostet der Dax den elffachen Jahresgewinn – durchschnittlich bezahlten Investoren in den vergangenen zehn Jahren das nur 10,3-fache Kurs-Gewinn-Verhältnis, hat die DZ Bank ermittelt. „In einer Phase, in der die Konjunktur gut läuft, kann das KGV in Richtung 13 steigen“, so Christian Kahler, Chefstratege Aktien bei der DZ Bank. „Mit Blick auf die Jahre 2014/15“ hält Kahler dann „Kurse deutlich jenseits von 8500 Dax-Punkten für möglich“ – das wären wenigstens 14 Prozent mehr als aktuell.
Gegen schnelle, kräftige Gewinnsteigerungen oder ein höheres KGV spricht derzeit, dass die Weltkonjunktur eben nicht rund läuft. „Bei uns läuft die Wirtschaft noch ganz passabel, aber in den USA dürfte es ab dem zweiten Quartal gedämpft zugehen. Dann dürften Bremseffekte durch die restriktivere Fiskalpolitik in den USA durchschlagen“, sagt Stefan Schilbe, Chefvolkswirt von HSBC Trinkaus & Burkhardt, und stimmt damit einer aktuellen Umfrage der Nachrichtenagentur Reuters unter 400 Ökonomen zu.
Wirtschaft in der Flaute
Diese kommen zu dem Schluss, dass die Weltwirtschaft 2013 nicht aus der Flaute herauskommen wird. Die Eintrübung in Europa und den USA hat den Optimismus der Volkswirte weitgehend erstickt. In der Euro-Zone erwarten die Experten 2013 ein Schrumpfen der Wirtschaftsleistung um 0,4 Prozent. Die Euro-Krise brodelt zudem weiter: Portugals Banken haben weitere acht Milliarden Euro Kapitalbedarf, schätzt die Ratingagentur Moody’s, Paris und Rom schaffen ihre Defizitziele nicht. Hoffnungsträger China schickte Anfang der Woche mit schwächer als erwartet ausgefallenen Wachstumszahlen die Börsen und Rohstoffmärkte weltweit auf Talfahrt.
In den USA hatte zuvor der im amerikanischen Dow Jones notierte Aluminiumriese Alcoa, der traditionell die US-Berichtssaison mit seinen Zahlen eröffnet, die Börse stark verunsichert. Das als Konjunkturbarometer geltende Unternehmen konnte zwar ein überraschendes Gewinnplus vorlegen. Gleichzeitig jedoch versetzte Alcoa-Chef Klaus Kleinfeld den Börsianern einen mächtigen Schreck, mit einem Umsatzrückgang im Quartal von drei Prozent und einem vagen Geschäftsausblick für das laufende Jahr. Der Kurs fiel daraufhin um rund drei Prozent.
Chemie: Prognosen gekappt
Auch die meisten deutschen Großunternehmen machen aktuell kaum in Optimismus. Sie kämpfen entweder mit hausgemachten Problemen oder mit konjunkturellem Gegenwind. Selbst der Leverkusener Dax-Aufsteiger Lanxess, der in den vergangenen Jahren fulminant seine Ergebnisse verbesserte, ist offenbar in schwierigeres Fahrwasser geraten. Wegen der anhaltenden Autokrise in Europa und einer damit einhergehenden geringen Nachfrage nach chemischen Produkten – Lanxess ist der weltgrößte Hersteller von synthetischem Kautschuk, der in Reifen und Dichtungen verwendet wird – kappte Vorstandschef Axel Heitmann seine Prognose für den operativen Ertrag im ersten Quartal um mehr als die Hälfte. Die Börse quittierte den düsteren Ausblick mit Kursabschlägen von einem Viertel binnen eines Monats. „2013 wird uns das Leben nicht leichter machen. Eine grundlegende Verbesserung des wirtschaftlichen Umfelds ist bislang noch nicht festzustellen“, so Heitmann. Das schwache erste Quartal drückt wahrscheinlich auch das Jahresergebnis. Heitmann erwartet nicht, dass Lanxess wie im Vorjahr 1,2 Milliarden Euro bereinigten operativen Gewinn erreicht. Immerhin profitieren Aktionäre noch vom starken Jahr 2012 mit einer um 18 Prozent auf einen Euro je Aktie erhöhten Dividende.
Ganz andere Sorgen hat der zweite Chemiekonzern im Dax: BASF musste vor Monatsfrist seine Prognosen für die kommenden Jahre erheblich reduzieren. Grund dafür ist nicht die maue Konjunktur, sondern die Neuregelung wichtiger Bilanzstandards. Die neuen Regeln zur Bilanzierung von Altersansprüchen für die Mitarbeiter und zur Erfassung von Tochterunternehmen und Joint Ventures werden sich laut BASF deutlich negativ auf künftige Umsätze und Ergebnisse auswirken. 2015 erwarten die Ludwigshafener jetzt nur noch einen Jahresumsatz von 80 Milliarden Euro, fünf Milliarden weniger als bisher angenommen. Vor Zinsen, Steuern, Abschreibungen und Amortisation (Ebitda) kalkuliert BASF mit einem um eine Milliarde auf 14 Milliarden Euro gekappten Ergebnis. Zudem erwartet BASF nur noch einen Überschuss auf die Kapitalkosten von 2,0 Milliarden nach bisher erhofften 2,5 Milliarden Euro. Auch die Umsatz- und Ergebnisziele für das Jahr 2020 passte der Chemiegigant nach unten an. Wegen der neuen Bilanzregeln verschlechtern sich etliche Kennzahlen für die Bewertung des Dax-Konzerns. Kaum tangiert wird immerhin das KGV, da sich der dafür verwendete Jahresüberschuss nur wenig ändert. Dennoch stand der BASF-Aktienkurs zuletzt stärker unter Druck als der Gesamtmarkt. Das Papier der Ludwigshafener bleibt aber bei Kursrückschlägen kaufenswert.
Auto: Mittelklassewagen ziehen nicht
Gemessen an den Kursverlusten noch härter trifft es die Aktionäre von Volkswagen. Von ihrem Hoch Anfang Februar hat die im Dax notierte Vorzugsaktie bereits rund 25 Prozent an Wert verloren. Der über Jahre von Absatzerfolgen verwöhnte Konzern hat plötzlich mit Verkaufsproblemen zu kämpfen. Lange Zeit gelang es den Wolfsburgern, Misserfolge im Katastrophenmarkt Westeuropa anderswo zu kompensieren. Doch nun gehen die Absätze auch in Wachstumsmärkten wie Südamerika und Russland zurück. Im März schrumpften die weltweiten Verkäufe der Marke VW um knapp ein Prozent auf 532 400 Stück. Dies war der erste Absatzrückgang seit gut drei Jahren.
„Wie erwartet werden die Märkte teils deutlich schwieriger“, kommentierte Vertriebsvorstand Christian Klingler den ersten leichten Einbruch seit Dezember 2009. Im wichtigen Markt Brasilien fanden sich im ersten Quartal gut fünf Prozent weniger Käufer, in Russland 1,4 Prozent weniger. Gut schlugen sich China (plus 23,7) und die USA (plus 4,0). In Deutschland jedoch verstaubt selbst der noch frische Golf VII: Die Auslieferungen der Marke VW insgesamt sackten um 15,1 Prozent ab. Kaufzurückhaltung sollten auch Anleger bei VW-Papieren üben. Sollte die schwache Absatztendenz zu einem Trend werden, dürfte sich der Kursdruck noch mal erhöhen.
BMW überzeugt mit Premium
Schnöde Mittelklasse zieht nicht mehr, Premium dagegen schon. BMW fährt 2013 wieder auf Rekordkurs. Im März setzten die Münchner mit ihren drei Marken BMW, Mini und Rolls-Royce drei Prozent mehr ab als im Vorjahreszeitraum. Und in Europa konnte BMW mit einem Minus von 1,5 Prozent, anders als die Konkurrenz, einen Einbruch vermeiden. Wer eine Autoaktie als Beimischung im Depot halten möchte, sollte zu BMW greifen, zumal sich die Aktie inzwischen auch über die Dividende sehr ordentlich verzinst.
Trost bei Daimler
Mal wieder auf bessere Zeiten vertröstet wurden dagegen Daimler-Aktionäre vorvergangene Woche auf der Hauptversammlung. Daimler-Chef Dieter Zetsche musste seinen Anteilseignern von einem schwachen Jahresauftakt berichten, versprach gleichzeitig, „nicht nur besser“ zu werden, „als wir gestern oder vorgestern waren“, sondern posaunte auch gleich eine Kampfansage an BMW, Audi und Lexus hinaus: „Wir wollen die Konkurrenz schlagen – dauerhaft.“ Zwar sind die Stuttgarter seit zwei Jahrzehnten mehr Ankündigungsweltmeister denn echter Industriechampion, aber deshalb ist auch die Aktie nicht wahnhaft überteuert und für etwas spekulativ eingestellte Anleger einen Blick wert.
Kaufzurückhaltung bei Conti
Hoffen, dass sich Vorstandschef-Voraussagen erfüllen, müssen auch Anleger mit Continental-Papieren. Der Automobilzulieferer spürt zum Jahresauftakt ebenfalls Kaufzurückhaltung, insbesondere im wichtigen Reifengeschäft. Obwohl die Nachfrage in den ersten Monaten zurückgegangen sei, sollen die Erlöse der Sparte im Gesamtjahr um sechs Prozent auf mehr als zehn Milliarden Euro steigen, versprach Vorstand Nikolai Setzer im Interview mit dem „Handelsblatt“. Nachdem sich der Aktienkurs von Conti binnen vier Jahren fast verzehnfacht hat, führen aber schon leichte Bremsspuren im Zahlenwerk zu Gewinnmitnahmen. So gab der Conti-Kurs vergangene Woche nach, nachdem Finanzchef Wolfgang Schäfer für die ersten drei Monate 2013 ein höheres Umsatzminus als erwartet angekündigt hatte.
Adidas: Insider verkauft
Auch bei Adidas kassierten Anleger erste Gewinne ein. Prominentester Verkäufer in den vergangenen Wochen war Aufsichtsrat Christian Tourres, der Mitte März zu Kursen von 77 Euro Adidas-Papiere abstieß. Gut 2,2 Millionen Euro strich der frühere Vize-Chef von Adidas ein. Möglicherweise kein schlechter Zeitpunkt: Der Konzern kostet an der Börse inzwischen mehr als einen Jahresumsatz und über das 30-Fache des letztjährigen Gewinns; die Nettoumsatzrendite 2012 lag bei gerade einmal 3,5 Prozent. Sprich: Das Papier ist ziemlich teuer, noch höhere Kurse sind fundamental kaum zu rechtfertigen.
Starke Konsummittel
Auch nicht gerade ein Schnäppchen, aber dafür ein zuverlässiger Lieferant von guten Zahlen – Erlöse, Gewinne und Barmittelzuflüsse steigen stetig – ist Linde. Der Industriegasespezialist zog gerade erst einen Großauftrag aus Indien mit einem Volumen von 500 Millionen Euro an Land. Schulden refinanzierten die Münchner über fünf und zehn Jahre gerade zu läppischen 1,5 und 2,0 Prozent Jahreszins, was der künftigen Aktionärsrendite zugutekommen sollte. Die Aktien bleiben an schwachen Tagen ein Kauf.
Auch die Deutsche Börse konnte sich gerade erst zum Mickerzins von 1,125 Prozent refinanzieren. Die Frankfurter aber haben mit deutlich rückläufigen Umsätzen zu kämpfen. So gingen die Erlöse auf dem Computersystem Xetra, im Parketthandel in Frankfurt und bei der Berliner Börse Tradegate im März um 18 Prozent auf 97,3 Milliarden Euro zurück. Auch das Derivategeschäft, in dem das Unternehmen im Januar und Februar noch leichte Zuwächse verbucht hatte, enttäuschte im März. Großartige Kurssprünge sind in nächster Zeit nicht zu erwarten – es sei denn, es keimen in der in permanenter Konsolidierung befindlichen Börsenwelt wieder Übernahmegerüchte auf.
Bessere Margen dank Kernmarken
Besser kalkulierbar, dafür aber deutlich teurer bewertet, sind die Geschäfte der Konsumgüterhersteller Beiersdorf und Henkel. Der Hamburger Kosmetikhersteller Beiersdorf konnte seinen Gewinn 2012 zwar um 80 Prozent steigern, verfehlte aber dennoch die Ursprungsprognosen der Analysten. Investoren setzten bei Beiersdorf darauf, dass sich die vor rund zwei Jahren eingeleitete Konzentration auf Kernmarken wie Nivea und Labello in besseren Gewinnmargen bei steigenden Umsätzen auszahlt. Immerhin kostet der Konzern derzeit fast den dreifachen Umsatz (2012: 6,04 Milliarden Euro). Dafür kaufen sich Anleger in eine sehr hohe Eigenkapitalquote von 59 Prozent und eine Netto-Cashposition von gut 2,4 Milliarden Euro ein.
So stark wie Beiersdorf, was Eigenkapital und Barmittel betrifft, steht Henkel (Persil, Pril) zwar nicht da, allerdings haben die Düsseldorfer ihre Nettoverschuldung binnen vier Jahren von knapp 3,8 Milliarden auf nur noch 85 Millionen Euro heruntergefahren. Damit hat Henkel Großübernahmen wie die der amerikanischen Dial verdaut und gibt sich wieder angriffslustig. Man könne „zwischen 3,5 und 4,0 Milliarden Euro“ für Übernahmen ausgeben, sagte Konzernchef Kasper Rorsted am vergangenen Montag auf der Hauptversammlung. Nachdem die Düsseldorfer zuletzt strategisches Geschick bei Aufkäufen zeigten, spricht eine Übernahmeoffensive eher für als gegen das Papier, das seit fünf Jahren zu den Top-Performern im Dax gehört.
Sorgenkind E.On
Ganz anderes wissen E.On-Aktionäre zu berichten: Die Aktien zählen zu den Sorgenkindern im Dax. Der Kurs des Düsseldorfer Versorgers lag zurückgerechnet sogar 1997 schon einmal deutlich höher als aktuell. Gerade erst musste E.On 800 Millionen Euro nach Brasilien überweisen, um die dortige Energiebeteiligung MPX zu stützen. In normalen Zeiten wären die 800 Millionen Euro nicht mehr als der berühmte Griff in die Portokasse.
Doch die Zeiten für E.On sind schon lange nicht mehr normal. Die wirtschaftliche Nettoverschuldung liegt bei knapp 36 Milliarden Euro oder dem 3,3-Fachen des (bereinigten) Ergebnisses vor Zinsen, Steuern, Abschreibungen und Amortisation (Ebitda). Ein durchwachsener Wert. Das Verhältnis aus operativem Cash-Flow und wirtschaftlicher Nettoverschuldung ist mit dem Faktor vier noch schwächer. Übersetzt bedeutet dies, dass die Düsseldorfer vier Jahre bräuchten, um die Verschuldung auf null zu bringen – keinerlei Investitionen vorausgesetzt. Da wundert es schon, dass E.On noch Dividende zahlt. 1,10 Euro je Aktie fließen am 6. Mai in die Taschen der Aktionäre. Gemessen am aktuellen Kurs, ist das eine Rendite von gut acht Prozent. Die Ausschüttungsrendite ist jedoch nur deswegen so hoch, weil der E.On-Kurs sich vom Top fast geviertelt hat. Sie ist also mitnichten ein Zeichen von Stärke, sondern dient als fast letztes Argument für die Aktie.
Gemessen an den erwarteten Gewinnen und angesichts der hohen Schulden, ist die E.On-Aktie mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis für 2012 von rund zwölf gut bezahlt. Zwar erhalten Anleger auf dem Papier ein Vermögen, das über ihrem Einsatz liegt. Doch spiegelt das Kurs-Buchwert-Verhältnis von nur 0,7 eher bilanzielle Risiken wider als große Kurschancen. Die Aktie ist immer gut für eine Zwischenerholung, aber derzeit kein Baustein für ein langfristig ausgerichtetes Depot.
ThyssenKrupp noch riskanter
Noch riskanter als eine Investition in E.On-Papiere wäre ein Kauf von ThyssenKrupp-Aktien. Die Essener mit Hauptproduktion in Duisburg stecken in der tiefsten Krise seit der spektakulären Fusion 1999. Knapp 4,7 Milliarden Euro Verlust mussten ThyssenKrupp-Aktionäre im vergangenen Geschäftsjahr erleiden. Die Eigenkapitalquote lag zuletzt bei gefährlich niedrigen 11,3 Prozent, weshalb seit Wochen Gerüchte über eine Kapitalerhöhung die Runde machen. Weil 5,2 Milliarden Euro Schulden zu viel Ballast für den Konzern sind. In Brasilien und den USA hat ThyssenKrupp viel zu teure Stahlwerke hochgezogen, die der Konzern jetzt verramschen muss.
Dass das Desaster sogar die graue Eminenz der deutschen Wirtschaft hinwegfegte, spricht Bände: Gerhard Cromme musste Ende März nicht nur seinen Posten als Aufsichtsratschef bei Thyssen räumen, sondern gab auch seinen Posten als Vizechef des Thyssen-Großaktionärs Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung auf.
Unter anderem auch, weil der Konzern regelmäßig von Kartellverstößen und Korruptionsvorwürfen erschüttert wird. ThyssenKrupp drohen allein von der Deutschen Bahn Schadensersatzforderungen in dreistelliger Millionenhöhe. Obwohl sich der Aktienkurs binnen zwei Jahren fast gedrittelt hat, ist das Papier nach wie vor viel zu teuer. Auch spekulative Anleger sollten sich daran vorerst nicht versuchen.
Cromme darf bei Siemens weiterregieren
Während Cromme von seinem Ziehvater, dem 99-jährigen Berthold Beitz, vom Essener Hügel gestoßen wurde, darf er in München weiterregieren. Der 70-Jährige wacht über Siemens als Chef des Aufsichtsrats, dem er seit zehn Jahren angehört. Auch der Mischkonzern aus der bayrischen Landeshauptstadt ist von Affären durchschüttelt und bemüht sich – mehr schlecht als recht –, mit der Abspaltung vom Nichtkerngeschäft voranzukommen. So sollte die Leuchtentochter Osram einst per Börsengang Geld in die Kasse des per Ende 2012 mit zwölf Milliarden Euro verschuldeten Konzerns bringen.
Käufer für Nokia fraglich
Nun wird sie an die Siemens-Aktionäre verschenkt. Ähnliche Pläne könnte es für die jahrelang verlustreiche Tochter Nokia Siemens Networks (NSN) geben. Der 50-Prozent-Anteil an NSN, in der die finnische Nokia und Siemens im April 2007 ihr Netztechnikgeschäft zusammenlegten, ist seit Anfang April für Siemens theoretisch frei verkäuflich – nachdem eine sechsjährige feste Bindung mit Nokia nun ausgelaufen ist.
Ob sich jedoch Käufer für die von Machtkämpfen erschütterte Firma finden, die bei Siemens noch mit rund 1,5 Milliarden Euro in den Büchern steht, ist fraglich.
Probleme am Rand, aber auch Schwierigkeiten im Kern: Siemens dürfte auf absehbare Zeit bei Umsatz und Gewinn nicht richtig vom Fleck kommen. Im ersten Quartal des laufenden Geschäftsjahres stieg der Umsatz nur um zwei Prozent; der Nettogewinn sank um zwölf Prozent. Und der Auftragseingang als bester Indikator für die künftige Entwicklung der Münchner sackte bereinigt um fünf Prozent ab.
Siemens ist damit so etwas wie ein Menetekel für den Dax: nicht richtig schwach, aber bei Licht betrachtet auch ohne viel Kraft.