
Kengeter grinst. Der Chef der Deutschen Börse grinst, als er vor der altehrwürdigen Villa Merton des renommierten Frankfurter Union International Club eintrifft. Dort soll er über die „Herausforderungen eines internationales Börsenbetreibers“ sprechen. Als man ihn vor Monaten eingeladen hat, waren seinen Fusionspläne vermutlich noch in den Kinderschuhen, wenn überhaupt.
Es ist Kengeters erster Auftritt in Deutschland, nachdem die Verhandlungen zwischen Deutscher Börse und London Stock Exchange (LSE) durchgesickert sind. Eigentlich dürfte der Börsenlenker jetzt kein Sterbenswörtchen zur geplanten Fusion sagen. Aus rechtlichen Gründen. Doch die Sonne scheint, Kengeter ist bestens gelaunt. Er lässt sich auch von seinem Aufpasser nicht davon abhalten, mit der Presse zu sprechen. „Achtung, wir kommen jetzt in die Interviewsituation rein“, mahnt sein Begleiter. Doch Kengeter redet. „Wir könnten auch noch ein paar Fintechs kaufen, machen wir vielleicht auch noch“, ruft er den Journalisten zu.
Ob das ein Scherz war? Bei Kengeter weiß man nie. Schließlich hat der sportliche Manager in den vergangenen Monaten schon ein ordentliches Tempo vorgelegt, hat seinen Börsenvorstand schlagkräftiger aufgestellt, sich die restlichen Anteile am Indexanbieter Stoxx gesichert und der Deutschen Börse mit der Übernahme der branchenweit umworbenen Devisenhandelsplattform 360T eine neue Anlageklasse erschlossen. Und das alles seit Mai. Da trat er sein Amt bei „der Firma“ an, wie er den Dax-Konzern später in seiner Rede bezeichnen wird. Seit Mai hat Kengeter schon 1,3 Milliarden Euro für Übernahmen ausgegeben. Jetzt zielt er also auf London, den größten Finanzplatz der Welt, der sogar New York überholt hat.
"Wenn wir nichts tun, werden wir in zwölf Monaten nur noch die Nummer sechs sein"
Kengeter betritt die Frankfurter Villa, schreitet durch den Pulk der illustren Gäste. Die Hochfinanz ist gekommen, um ihm zu lauschen, dazu einige Wirtschafts-Größen. Kengeter nimmt am Tisch von Lutz Raettig Platz, Aufsichtsratschef der Morgan Stanley Bank. Die Kellner schenken Wein ein. Kengeter nimmt ein Glas weißen.
Am Tisch diskutiert man ein wenig über den möglichen Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union (EU). Und Kengeter, heißt es, pflichtet bei, als einer am Tisch sagt, dass die mögliche Fusion auch ein Schritt der LSE gegen den Brexit sei.
Die gescheiterten Fusionspläne der Deutsche Börse AG
17. Juli 2000
Die Deutsche Börse präsentiert einen Plan für die Gründung de iX international exchange zusammen mit der Londoner LSE. Die beiden Partner hoffen, mit der paneuropäischen Handelsplattform weitere Börsenbetreiber mit ins Boot zu holen. Das Projekt scheitert allerdings an mangelnder Unterstützung.
Sommer 2003
Der damalige Chef der Deutschen Börse, Werner Seifert, trifft sich mit Euronext-Chef Francois Theodore. Die Gespräche über eine Fusion werden allerdings beendet, nachdem sich beide Seiten nicht über die Bewertung ihrer Häuser einig werden.
Frühling 2004
Seifert und Theodore nehmen ein weiteres Mal Kontakt auf. Ein Zwist über die Besetzung der Führungspositionen lässt sie abermals ergebnislos auseinandergehen.
August 2004
Die Schweizer Börse SWX lehnt Pläne der Deutschen Börse für eine Fusion, faktisch eine Übernahme, ab.
13. Dezember 2004
Die Deutsche Börse veröffentlicht ein Übernahmeangebot für die LSE über knapp zwei Milliarden Euro, das 2005 am Widerstand des Hedgefonds und Deutsche-Börse-Aktionärs TCI scheitert.
21. Februar 2006
Der neue Börsenchef Reto Francioni legt ein vorläufiges Fusionsangebot für die Pariser Euronext vor und facht damit ein Konsolidierungsfieber in der Branche an.
19. Mai 2006
Die Deutsche Börse dient Euronext-Chef Theodore die Führung eines vereinten Unternehmens an, besteht allerdings auf Frankfurt als Hauptsitz. Auch der Großteil des Managements sollte am Main angesiedelt sein.
Juni 2006
Die Deutsche Börse unterbreitet der Euronext einen überarbeiteten Fusionsvorschlag. Die Frankfurter geben in der Hauptquartiersfrage nach, doch der Vorstoß kommt zu spät: Die Euronext schließt sich mit der NYSE zusammen.
19. Mai 2006
Die Deutsche Börse dient Euronext-Chef Theodore die Führung eines vereinten Unternehmens an, besteht allerdings auf Frankfurt als Hauptsitz. Auch der Großteil des Managements sollte am Main angesiedelt sein.
Juni 2006
Die Deutsche Börse unterbreitet der Euronext einen überarbeiteten Fusionsvorschlag. Die Frankfurter geben in der Hauptquartiersfrage nach, doch der Vorstoß kommt zu spät: Die Euronext schließt sich mit der NYSE zusammen.
Dezember 2008
Deutsche Börse und NYSE Euronext loten eine Fusion aus. Die Pläne werden vorzeitig bekannt und scheitern.
April 2011
Die Börse wagt einen weiteren Versuch, mit der Nyse Euronext als Partner eine neue Größenordnung zu erreichen. Die US-Börsen Nasdaq OMX und ICE wollen die Fusion mit einer Gegenofferte für die Nyse torpedieren.
Februar 2012
Der Traum Francionis platzt erneut. Die EU-Kommission untersagt die Milliardenfusion mit den Amerikanern aus schwerwiegenden wettbewerbsrechtlichen Bedenken. Die EU fürchtet vor allem ein weltweites Monopol im Handel mit europäischen Finanzderivaten.
Dann tritt Kengeter ans Mikrofon. Er entschuldigt sich bei den Gästen, „falls er den Faden verliert“ aber er habe „die letzten zwei Tage und Nächte nicht so viel Zeit gehabt“, seine Rede vorzubereiten. Da steht er nun in seinem hellgrauen Anzug und klammert sich an einen Stapel kleiner, weißer Zettel. Zur Hochform aber läuft er immer dann auf, wenn er die Zettel aus dem Blick verliert.
Die Deutsche Börse, sagt er etwas betrübt, sei mal die Nummer eins in der Welt gewesen. „Die schlechte Nachricht ist: Heute sind wir nur noch die Nummer vier. Und wenn wir nichts tun, werden wir in zwölf Monaten nur noch die Nummer sechs sein. Und da bin ich noch freundlich.“ Also schaue er sich das Umfeld an – und das sei nun mal „recht dynamisch“. Er sieht dort die vielen agilen Fintech-Unternehmen, die mit neuen Ideen glänzen und die Branche revolutionieren.