Deutsche Börse Dax-Aufsichtsräte brauchen einen hippokratischen Eid

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Warum wir jetzt einen hippokratischen Eid brauchen

Die Vereinigung der Aufsichtsräte in Deutschland schlägt deshalb eine Art hippokratischen Eid vor: Vorstände und Aufsichtsräte von Dax-Unternehmen sollten künftig verpflichtet sein, sich zu zentralen Berufsgrundsätzen zu bekennen. Eine solche Selbstverpflichtung ist für viele ernsthaften Berufe eine Selbstverständlichkeit. Aufsichtsräte, die unserer Vereinigung angehören, verpflichten sich dazu, sich „systematisch und regelmäßig“ fortzubilden, unsere Mandate „ausschließlich zum Wohl des Unternehmens und nicht einzelner Stakeholder“ auszuüben und die Verschwiegenheitspflicht „im Zweifel eng“ auszulegen.

Ein weiterer Papiertiger, meinen Sie? Ich kann Ihnen versichern: Die intensiven Diskussionen über die Grundsätze und deren Auslegung in konkreten Fällen schärfen das Bewusstsein und fördern die Reflexion über das Berufsethos.

Die Deutsche Börse reformiert die Regeln für die Dax-Zusammenstellung. Doch wenn sie bei der Auswahl der Mitglieder wirklich auf Qualität setzen will, müssten überraschend viele Unternehmen weichen.
von Christof Schürmann

Und anders als das abstrakte Leitbild des „Ehrbaren Kaufmanns“, von dem im Gesetz und im Corporate-Governance-Kodex die Rede ist, enthalten unsere Grundsätze konkrete Leitlinien für unternehmerisches Handeln. Denn der Aufsichtsrat als Berufsträger ist heute weit mehr als die Kunstfigur des „Ehrbaren Kaufmanns“. Im 21. Jahrhundert geht es bei der Ausübung des Aufsichtsrat-Mandats um Transparenz und klare Regeln, deren Überschreitung klare Konsequenzen hat. Nur das schafft Vertrauen - die Grundlage für einen starken, zukunftsfähigen Kapitalmarkt.

Weder Bürokratiemonster noch Papiertiger

Mit unserem Vorschlag eines hippokratischen Eides wäre eine wichtige Balance gewahrt: Es gäbe keine Vielzahl kleinteiliger Auflagen, die als Fremdbestimmung, Gängelung oder Bürokratiemonster wahrgenommen werden. Stattdessen müssten sich Entscheider zu zentralen Prinzipien bekennen, die sie in eigener Verantwortung umsetzen. Die Verpflichtung wäre damit kein Bürokratiemonster, aber eben auch kein Papiertiger.

Dieser Ansatz ließe sich auch auf die Corporate Governance übertragen: Die Deutsche Börse könnte Unternehmen verpflichten, einen unternehmens-individuellen Kodex zu schreiben und zu veröffentlichen. Dazu könnte sie den Verantwortlichen eine Gliederung an die Hand geben, wie es die Johannesburg Stock Exchange (JSE) mit dem „KING-IV“-Report getan hat.

Damit keine Missverständnisse aufkommen: Ich plädiere nicht dafür, es bei Selbstverpflichtungen in Form von Berufsgrundsätzen und Unternehmenskodizes zu belassen. Wer das Vertrauen gerade von Kleinanlegern zurückgewinnen will, muss jetzt einige klare Ansagen machen. So sollten Aufsichtsräte nicht für Aktionäre oder Geschäftspartner des Unternehmens arbeiten dürfen. Das würde die Unabhängigkeit stärken. Zudem plädieren wir für Rotationspflichten und die Veröffentlichung von Kompetenzprofilen.


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Unabhängig vom Wirecard-Skandal stellt sich darüber hinaus die Frage, ob und wie wir die Unabhängigkeit des Aufsichtsrats gegenüber einzelnen, aggressiven Investoren stärken können, ohne Aktionärsrechte auszuhebeln. Denn die Coronakrise hat erneut offenbart: Unternehmen pampern zu oft ihre Aktionäre mit hohen Dividenden oder Aktienrückkäufen, statt Reserven für schlechte Zeiten aufzubauen oder in die Zukunft zu investieren.

Zu den Leidtragenden gehören dann Aktionäre, die nicht rechtzeitig aussteigen. Die Profis sind weg, die Kleinanleger müssen es ausbaden. Auch darüber müssen wir reden, wenn wir die Börse zu einem besseren Ort machen wollen.

Mehr zum Thema: Dieser Geheimzirkel spielt bei der Dax-Reform eine tragende Rolle

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