Deutsche Börse Wieso das Millionenbußgeld so oder so zum Verhängnis wird

Der Vorstand muss entscheiden: Zahlt die Börse das Bußgeld über 10,5 Millionen Euro wegen Ad-hoc-Pflichtverletzung oder nicht? Beide Lösungen werden dem Unternehmen am Ende zum Verhängnis.

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Kengeter.

Bei der Börse könnte der Aufsichtsrat bald die Wahl zwischen Pest und Cholera haben. Beschließt der Vorstand der Börse, ein Bußgeld über 10,5 Millionen Euro zu zahlen, müssen anschließend die Aufsichtsräte die Zahlung absegnen. Allein: Egal, ob sie es durchwinken oder nicht – beide Lösungen dürften dem Unternehmen am Ende zum Verhängnis werden.

Doch der Reihe nach: Die Staatsanwaltschaft Frankfurt hat Carsten Kengeter als Chef der Börse Insiderhandel vorgeworfen, weil er am 14. Dezember 2015 für 4,5 Millionen Euro Aktien der Börse gekauft hat, obwohl er bereits über die Fusion mit der Börse London Stock Exchange (LSE) verhandelt haben soll. Eine Beteiligung Kengeters an der Börse wünschte sich einer, der ihn für ein großes Wachstumsprojekt geholt hat: Aufsichtsratschef Joachim Faber. Investmentbanker Kengeter sollte die Börse aus Jahren des Siechtums führen, an die Spitze der Welt. Als neuer Börsenchef sollte er eng mit dem Unternehmen verbunden sein. Als Dank für sein Engagement sollte er für jede mit eigenem Geld gekaufte Aktie eine weitere virtuelle Aktie dazubekommen, wenn gewisse Vorgaben eintreffen. Die Zahlen der Börse müssten stark wachsen, ein Aktienindex steigen. Faber wollte, dass Kengeter nicht mit hohen Boni weglaufen könnte, ohne selber Wert geschaffen zu haben.

Die Kehrseite: Das Vergütungsprogramm, sagen damals Beteiligte, habe „keine wirkungsvolle Obergrenze“. Würden sich alle ambitionierten Maßstäbe erfüllen, könnte Kengeter einen hohen zweistelligen Millionenbetrag kassieren. Manch einem Aufsichtsrat war das Programm schon damals zu groß und Beteiligte attestieren, dass das Paket wohl auch im Vergleich zu anderen Unternehmen „ziemlich überdimensioniert“ sei. So war das Programm im Aufsichtsrat umstritten, einige Aufsichtsräte stimmten am Ende gar dagegen.

Fabers Kardinalfehler war sein Timing

Doch Faber ließ sich als Architekt des Programmes nicht beirren. „Hat er sich seine Meinung einmal gebildet, ist er beratungsresistent“, meint einer, der ihn kennt. Er schaltete einen Vergütungsberater ein, sprach mit Investoren. „Faber wollte das Kaufprogramm unbedingt“, sagt ein Insider.

Doch Fabers Kardinalfehler war nicht das Programm an sich – es war sein Timing. Laut Geschäftsbericht 2015 hatte Kengeter nur „einmalig die Möglichkeit zur Teilnahme“ an dem Programm. Und Insidern zufolge schloss sich das Zeitfenster für seinen Aktienkauf schon Ende 2015.

Nun wirft die Staatsanwaltschaft Kengeter Insiderhandel vor. In einem Brief an die Börse heißt es, Kengeter habe „unter Verwendung einer Insiderinformation Insiderpapiere“ erworben. Dem Schreiben der Behörde zufolge habe Kengeter mit „bedingtem Vorsatz“ gehandelt, da er als „Verhandlungsführer“ der Börse „um das Entstehen einer Insiderinformation bei Fortgang der Gespräche“ nach dem 3. Dezember 2015 gewusst habe. An diesem Tag hatte sich Faber mit dem LSE-Chairman, Donald Brydon, in London getroffen. Bei den Gesprächen sollen die beiden bereits festgezurrt haben, dass der Sitz der zusammengeschlossenen Börse in UK sein solle. So lesen es die Ermittler Recherchen der WirtschaftsWoche zufolge aus einem englischsprachigen Protokoll des Gespräches.

Kengeter hat weiteren Ärger

Die Börse wollte sich nicht äußern, zu keinem Thema. Träfen die Informationen zu, hätte Faber Kengeter allerdings einen unheilvollen Weg geebnet, sich mit ihm in eine Art Schicksalsgemeinschaft begeben. Müsste Kengeter gehen, stünde Faber zur Disposition. Letzterer sieht das anders: „Ich kann doch nicht einfach hinwerfen“, soll er schon mal gesagt haben. Er wolle schließlich Schaden von der Deutschen Börse abwenden.

Dabei ist ruhiges Fahrwasser nicht in Sicht – stattdessen haben Kengeter und seine Vorstandskollegen weiteren Ärger, weil die Börse eine kursrelevante Mitteilung zur geplanten Fusion zu spät veröffentlicht haben soll. Hat ein Unternehmen eine Information, die den Kurs stark bewegen kann, muss es sie veröffentlichen. Alle Anleger sollen die gleichen Kenntnisse haben – das soll Insiderhandel unterbinden. Doch die Börse veröffentlichte ihre Ad-hoc-Meldung zur Fusion erst am 23. Februar 2016 – da war die Meldung nach einem Leck längst in den Medien. Die Staatsanwaltschaft wirft dem Vorstand der Börse daher Marktmanipulation vor. „Der Vorwurf lautet, dass angesichts der weiter fortgeschrittenen Verhandlungen bereits Mitte Januar 2016 eine Pflicht zur Ad-hoc-Mitteilung bestand“, so die Ermittler.

Die Staatsanwaltschaft hält auch das Unternehmen für schlecht organisiert. So habe die Börse ihre Pflicht verletzt, weil die Compliance-Abteilung das Fusionsvorhaben „nicht ausreichend (...) unter insiderrechtlichen Gesichtspunkten geprüft“ habe.

Aus der Causa Kengeter ist die Causa Deutsche Börse geworden

Das Unternehmen soll daher nun die Millionenbuße zahlen. Zunächst muss der Vorstand der Börse – Kengeter soll sich wohl enthalten – entscheiden, ob die Börse zahlt oder nicht. Der Vorstand könnte Kengeter so freikaufen, sein Verfahren könnte eingestellt werden. Die Rede ist von einem Deal mit der überlasteten Staatsanwaltschaft. Das Problem: Die Börse darf nicht zahlen, damit Kengeter vom Haken ist – die Buße müsste zum Wohl des Unternehmens gezahlt werden, oder gar nicht. Hinter den Kulissen ackern daher derzeit die Gutachter, Juristen feilen an wohlformulierten Sätzen.

Und Faber? Hat Kengeter, den er seit Mitte der 90er Jahre kennt, wiederholt sein „volles Vertrauen“ ausgesprochen. Faber sehe auch heute keinen Anlass, frühere Äußerungen zu revidieren, sagte ein Sprecher. Doch Faber sollte sich das gut überlegen. Denn stimmt auch der Aufsichtsrat für das Bußgeld, würde die Börse Fakten schaffen. Sie würde zugeben, dass die kapitalmarktrelevante Ad-hoc-Meldung zu spät kam – und Anlegerklagen Tür und Tor öffnen. Schadensersatzforderungen und Anwaltskosten könnten in die Millionen gehen. Faber könnte der Börse weiteren Schaden zufügen.

Börsenchef Kengeter in Schwierigkeiten

Stimmte der Aufsichtsrat allerdings gegen das Bußgeld, würde die Börse handlungsunfähig bleiben. Denn die Staatsanwaltschaft würde dann weiter ermitteln, die Rede ist von mindestens einem Jahr samt Amtshilfeersuchen in England. Am Ende dürfte sie Kengeter voraussichtlich anklagen. Doch selbst ohne Anklage würde der Börse die Zeit weglaufen – spätestens im März, wenn Kengeters Vertrag ausläuft. Den kann der Aufsichtsrat erst verlängern, wenn Kengeter rehabilitiert ist. Zahlt die Börse nicht, käme das einem Game over für Kengeter gleich.

Am Ende könnte nur noch ein Vorstand übrigbleiben

Für Faber und die Börse könnte es so oder so ganz dick kommen. Denn die Börsenaufsicht im hessischen Wirtschaftsministerium prüft gerade, ob Kengeter noch zuverlässig ist. Die Aufseher haben bereits durchblicken lassen, dass sie daran zweifeln. Denn sie wollen ihn anhören. Bevor ein Verwaltungsakt erlassen wird, muss die Behörde dem Beteiligten die Gelegenheit geben, sich zu äußern. Würde die Aufsicht keinen solchen Akt – Kengeters Abberufung – in Erwägung ziehen, müsste sie ihn nicht anhören.

Damit nicht genug: Ins Visier der Aufsicht sind neben Kengeter auch andere Vorstände der Börse geraten. Die Zuverlässigkeitsprüfung, teilten die Aufseher mit, werde sich „auf sämtliche Personen beziehen, die für mögliche Rechtsverstöße die Verantwortung tragen“. Gemeint ist die späte Ad-hoc. Verantwortlich wären alle Vorstände, die Mitte Januar 2016 von der Fusion wussten. Kengeters Stellvertreter Andreas Preuß war im Fusionsteam, auch Finanzchef Gregor Pottmeyer dürfte eingeweiht gewesen sein – die Frage ist aber, seit wann. Beriefe die Aufsicht alle drei ab, würde der Börse nur noch Hauke Stars bleiben. Der fünfte im Bunde, Jeffrey Tessler, geht Ende 2017 in Rente.

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