
Düsseldorf Deutsche Anleger leben derzeit in zwei Welten. In der einen Welt beherrschen die Worte "Krise" und "Rezessionsangst" die Schlagzeilen der großen Zeitungen.
In der anderen Welt schütten viele deutsche Konzerne im nächsten Frühjahr einen Großteil ihrer Gewinne an die Aktionäre aus. Insgesamt werden die 30 Dax-Unternehmen nach Berechnungen des Handelsblatts und der Commerzbank im nächsten Frühjahr 27,1 Milliarden Euro auszahlen. Das ist die zweithöchste Ausschüttung aller Zeiten - 1,1 Milliarden Euro mehr als in diesem Jahr.
Was auf den ersten Blick wie ein Zeichen der Stärke aussieht, erweist sich bei tieferer Analyse in vielen Fällen als eines der Schwäche. Die Firmen trauen sich nicht, den Anlegern die Wahrheit zu sagen. Sie wollen die Gegenwartsinteressen der Investoren befriedigen, auch auf Kosten der Zukunft. Aktionärsschützer und Analysten halten eine Ausschüttung von maximal 50 Prozent, in guten Zeiten von nur 30 bis 40 Prozent für angemessen, um so einen Puffer für schlechte Zeiten zu schaffen. Die andere Hälfte der Erträge wird gemeinhin für Investitionen und Rücklagen gebraucht.
Doch etliche Konzerne wollen mehr scheinen, als sie sind: So wird die Deutsche Telekom ihren Aktionären voraussichtlich für das Geschäftsjahr 2011 nicht weniger als drei Milliarden Euro auszahlen - das ist fast der gesamte Nettogewinn des Konzerns. Bei einer Dividende von 70 Cent und einem Aktienkurs von 9,10 Euro entspricht diese Summe einer Dividendenrendite von 7,7 Prozent. Damit liegt das Bonner Unternehmen klar an der Spitze der 30 Dax-Konzerne, die im Schnitt eine Rendite von 4,2 Prozent gewähren. Den leidgeprüften Telekom-Anleger will man auf diese Weise milde stimmen.
Andere Konzerne steuern den gleichen Kurs: Der in diesem Jahr von Naturkatastrophen und dem atomaren GAU im japanischen Fukushima schwer getroffene Rückversicherer Munich Re will auch 2012 wieder eine Dividende von 6,25 Euro pro Aktie zahlen. Konzernchef Nikolaus von Bomhard geht es darum, die Tradition des Unternehmens zu bewahren: Seit 1969 hat der Versicherer niemals die Dividende gekürzt. Jetzt muss von Bomhard bei einem voraussichtlichen Nettogewinn von rund 800 Millionen Euro 1,1 Milliarden Euro an die Anteilseigner zahlen: eine Gewinnausschüttung auf Pump. Auch der Versorger Eon, dessen Gewinne nach dem Atomausstieg der Bundesregierung einbrechen, und die Deutsche Post werden mehr als 50 Prozent ihres Nettogewinns weiterreichen.
Experten sehen die Großzügigkeit der Konzerne kritisch. "Die Quittung werden die Anleger im Frühjahr 2013 bekommen, wenn etliche Unternehmen ihre Dividenden angesichts der schwächeren Konjunktur wieder kürzen müssen", sagt Andreas Hürkamp von der Commerzbank. Dann dürften die Dividenden-Kaiser des Jahres 2012 nackt vorm Publikum stehen.
Die größten Verlierer werden die bislang verlässlichsten Zahler sein
Manchmal ist eine niedrige Dividendenrendite sogar ein Gütesiegel. So erhöht der Dialysespezialist FMC seit 14 Jahren jedes Mal die Dividende um rund zehn Prozent. Weil der Aktienkurs seitdem aber um 150 Prozent gestiegen ist, fällt die Dividendenrendite mit 1,4 Prozent mager aus.
Auf den ersten Blick allerdings animieren starke Dividenden und hohe Dividendenrenditen zum Kauf einer Aktie. Im Frühjahr 2012 werden 16 der 30 Dax-Konzerne ihre Dividenden erhöhen, nur vier wollen sie senken. Am stärksten profitieren die Anleger der boomenden Automobilhersteller BMW, Daimler und VW. Sie dürften insgesamt 5,7 Milliarden Euro ausschütten - so viel wie noch nie und 50 Prozent mehr als in diesem Jahr. Enorm gestiegene Nettogewinne, an denen sich die Dividenden üblicherweise orientieren, machen die Spendierfreude möglich.
Die Freude wird jedoch durch eine Tatsache getrübt: "Dividenden sind ein Blick in den Rückspiegel. Die Lufthansa dürfte den Trend für das nächste Geschäftsjahr vorgeben", sagt Finanzexperte Hürkamp von der Commerzbank. Die Airline wird das einzige Industrie-Unternehmen sein, das seine Dividende im Frühjahr kürzt. Angesichts eines um mehr als 60 Prozent sinkenden Nettogewinns fällt die Ausschüttung mit 35 Cent nach 60 Cent in diesem Jahr sogar noch relativ üppig aus.
Für konjunkturempfindliche Unternehmen wie BASF, Siemens und VW, die unter einer nachlassenden Weltwirtschaft besonders stark leiden, erwarten Analysten 2012 deutlich sinkende Gewinne. VW-Chef Martin Winterkorn warnte gestern im Handelsblatt vor einem schwierigen Jahr 2012. Zuvor hatte schon der Chiphersteller Infineon geringere Umsätze und Margen prognostiziert. Dies wird sich dann im Frühjahr 2013 in fallenden Dividenden widerspiegeln. Die großen Dividendenmonate April und Mai 2012 dürften deshalb erst einmal das letzte goldene Frühjahr werden.
Fast alle Firmenvorstände schlagen der Hauptversammlung zwar erst in den kommenden Monaten vor, wie viel sie für das abgelaufene Geschäftsjahr im nächsten Frühjahr ausschütten wollen. Auswertungen der Quartalsbilanzen, Vorstandsaussagen, Mittelzuflüsse, Nettogewinne und feste Ausschüttungsquoten ermöglichen aber schon jetzt zuverlässige Prognosen. So haben Bayer, Lufthansa und Merck in ihren Geschäftsberichten fixiert, 30 bis 40 Prozent ihres Konzerngewinns auszuschütten, Eon und RWE sogar 50 bis 60 Prozent, Henkel dagegen nur 25 Prozent. Daraus und aus den bisherigen Neun-Monats-Gewinnen entstehen die Dividendenprognosen von Handelsblatt und Commerzbank.
Die größten Verlierer werden ausgerechnet die bislang verlässlichsten Zahler sein: die Versorger. Eon und RWE halten zwar an ihren hohen Ausschüttungsquoten fest - doch Gewinneinbrüche nach dem Atomausstieg zwingen zu radikalen Kürzungen. Nach dem ersten Quartalsverlust der Firmengeschichte hatte Eon seine Zieldividende auf einen Euro je Aktie gesenkt. In diesem Jahr gab es noch 1,50 Euro. Auch bei RWE zeichnet sich ein 50-prozentiges Minus auf nur noch 2,10 Euro je Aktie ab.
Die üppigen Dividendenrenditen von über fünf Prozent trösten allerdings kaum. Eon-Aktionäre verloren in den vergangenen zwölf Monaten 24 Prozent ihres Kapitals, RWE-Anleger sogar 42 Prozent.