
WirtschaftsWoche: Meine Herren, wir erleben einen der längsten Aufschwünge der Geschichte, die Hausse ist schon 77 Monate alt. Kommt 2016 das dicke Ende? Oder kaufen Sie weiter Aktien?
Jens Ehrhardt: Man kann nicht mehr wahllos den Markt kaufen. Aktionär zu sein wie zu Kostolanys Zeiten – kaufen und warten, dass durch moderate Kursgewinne und Dividenden das Vermögen wächst –, das geht nicht mehr. Bei einigen sehr wetterfesten Aktien mag das jetzt ein paar Jahre lang gut gegangen sein, vielleicht bei einer Nestlé und bei sehr großen, stabilen US-Konzernen wie Apple, die auch gute Dividenden zahlen. Aber das ist die krasse Ausnahme; solche Papiere werden noch seltener werden.
Zu den Personen
Bert Flossbach gründete und führt Deutschlands größten unabhängigen Vermögensverwalter. Er warnte als einer der Ersten vor weltweit steigenden Schulden und schichtete von Renten in Aktien um.
Jens Ehrhardt promovierte über den Einfluss der Notenbanken auf die Börse. 1974 gründete er seine Vermögensverwaltung. Er managt und berät Dutzende Fonds und gilt als Kenner der asiatischen Märkte.
Andreas Grünewald ist Vorstand und Gründer der Vermögensverwaltung FIVV AG. Seit 2014 leitet er zudem den Verband der unabhängigen Vermögensverwalter, VuV. Er ist Autor mehrerer Fachbücher.
Tilmann Galler ist globaler Kapitalmarktstratege bei JP Morgan Asset Management. Davor managte er diverse Aktien und Mischfonds bei der Tochter der US-Bank und bei UBS-Asset Management.
Was heißt das für die Märkte insgesamt?
Ehrhardt: Eine akute Crashgefahr, um das ganz deutlich zu sagen, sehe ich nicht. Aber man muss mit heftigen Schwankungen rechnen, und die werden noch zunehmen.
Mehr Schwankungen, das klingt so einleuchtend, alle können sich darauf einigen. Entscheidend ist aber die Richtung der Märkte insgesamt. Wie sehen Sie die?
Ehrhardt: Grundsätzlich noch positiv. Aber starke Schwankungen bedeuten hohe Verluste, wenn man zur falschen Zeit handelt. 2015 gab uns schon einen Vorgeschmack: Im Sommer waren plötzlich die Gewinne eines ganzen Halbjahres weg. Niemand hatte das kommen sehen. Anleger, die die Nerven verloren, gehen mit einem Minus aus dem Jahr, haben nichts von der Hausse.
Bert Flossbach: Die Schwankungen wirken sich auch deshalb stärker aus, weil jahrzehntelang herrschende Korrelationen der verschiedenen Anlageklassen nicht mehr gelten: Früher konnte man Aktienverluste in Mischportfolios ausgleichen, weil Rentenpapiere immer stiegen, wenn es an der Börse runterging. Auch auf den steigenden Dollar bei Problemen an der Börse konnte man sich verlassen. Seit 2008 steigen und fallen Assetklassen oft gemeinsam; Verluste schlagen da gleich ganz anders ins Kontor.
Tilmann Galler: Die aktuelle Hausse ist bereits eine der fünf längsten der letzten 150 Jahre. Da frage ich mich ehrlich gesagt schon, wie lange kann das noch gehen kann. Eine recht gute Orientierung bietet der Arbeitsmarkt: Historisch war die Börsenparty leider oft vorbei, wenn in vielen Industrieländern die Vollbeschäftigung erreicht war.
Wo stehen wir da aktuell?
Galler: Der Jobmarkt ist noch nicht ganz oben, wie etwa im März 2000, aber schon recht weit im Zyklus. Wir erwarten das Hoch am Jobmarkt im Mittel aller Industrieländer aber nicht vor 2017. Ein bisschen Luft nach oben haben wir noch.
Wie sehen Sie die Bewertung der Märkte? Teuer oder noch mit Potenzial?
Andreas Grünewald: Historisch gesehen sind Aktien im Schnitt nicht mehr günstig, und einige einzelne Werte sind bestimmt bereits zu teuer. Aber der Preis, den die Masse der Anleger Aktien zugesteht, hängt immer auch von den Alternativen ab ...
Ehrhardt: Richtig. Einzelne Aktien sind schon teuer, aber insgesamt ist der Markt günstiger als Anleihen oder Immobilien.
Galler: Die Alternative zu Aktien ist nach wie vor ein realer Vermögensverlust mit scheinbar sicheren Anlagen wie Staatsanleihen.