Elsässers Auslese

Warum es an der Börse rumpelt

Markus Elsässer Value Investor

Das Jahr 2016 hat die Aktionäre aufgeschreckt. Angst und Verunsicherung gehen um. Warum fallen Aktienkurse eigentlich und woran liegt es diesmal?

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Das wurde 2015 aus 100.000 Euro
Ukraine Quelle: dpa
Brasilien Quelle: dpa
Ölverschmierte Hände Quelle: dpa
Aktien Griechenland Quelle: dpa
Magere Schweine Quelle: dpa
Kaffee Quelle: dpa
Atomkraft Quelle: dpa

An allen wichtigen Börsenplätzen muss eine ganze Industrie von Reportern und Analysten täglich die Kursentwicklung der Aktien kommentieren. Für jedes „auf“ und „ab“ der Aktien wird versucht, eine Erklärung zu finden. Und immer sind Antworten da. Das ist schon erstaunlich. Aber nur so lassen sich die täglichen TV-Börsenformate füllen.

Hinter dem gewaltigen Börsengetöse wird meist übersehen, dass es sich bei den Aktienbörsen ja nicht um offizielle ökonomische Gradmesser oder volkswirtschaftliche Bewertungsanstalten handelt. Ganz im Gegenteil. Die Kurse kommen ja rein durch Angebot und Nachfrage zustande. Bei vielen Anlegern herrscht der Irrglaube, dass bei fallenden Kursen mehr Aktien verkauft werden, als gekauft werden. Das ist natürlich Unfug. Jeden Tag werden an der Börse genau gleich viel Aktien verkauft wie gekauft. Sonst käme ja gar kein Kurs zustande.

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Und das ist immer so, ganz gleich, ob an dem Tag die Kurse stark gefallen oder gestiegen sind. Auch in einem schlimmen Crash gibt es also jeden Tag genauso viele Investoren, die Aktien gekauft wie verkauft haben. Dennoch entsteht der Eindruck bei einem Börsensturz, dass die ganze Welt sich von den Aktien getrennt hat. Hier berühren wir zum ersten mal die psychologische Komponente der Börsenwirkung.

Gewollte und ungewollte Verkäufe

Ausschlaggebend für die tägliche Kursrichtung ist also, welche Seite bei einer Börsentransaktion es sozusagen „dringender“ hat. Will der Käufer „auf Teufel komm raus“ eine bestimmte Aktie in sein Depot aufnehmen oder hat es der Verkäufer eilig und ist bereit, zu tieferen Kursen auszusteigen. Hier kommen wir zu der Frage, warum es für Aktienkurse viel leichter ist, zu fallen als zu steigen. Der Verkaufsdruck an der Börse entspringt den Gegebenheiten des normalen Lebens. Die Anleger brauchen immer wieder aus den verschiedensten Gründen Geld und müssen sich - gewollt oder ungewollt - von Aktien trennen: Rechnungen sind zu bezahlen, Steuern zu entrichten, Hochzeiten werden gefeiert, Todesfälle erzwingen eine Änderung in der Depotstruktur und vieles mehr. Diesen Verkaufsentscheidungen liegen überhaupt keinerlei Überlegungen zum aktuellen Wert einer Aktie zu Grunde. Die Liquidität wird benötigt. In diesem Szenario dominiert nicht die Psyche der Geldanleger, vielmehr die nackten Fakten.

Wer trotz fallender Aktienkurse Millionen einstreicht
Herbert Hainer Quelle: dpa
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Damit haben wir den eigentlichen Treiber der Aktienkurse identifiziert, nämlich die Käufer von Aktien. Anders als die Verkaufsseite wurzeln Kaufentscheidungen nicht auf den realen Gegebenheiten des Lebens. Kein Mensch muss Aktien kaufen. Nein, die Käufer werden nur dann aktiv, wenn sie eine bewusste Investmententscheidung getroffen haben: Ein fester Entschluss zum Wert der Aktie und zur Aussicht auf eine positive Kursentwicklung. Diese Einschätzung hat ihre Verankerung in der Psyche des Geldanlegers. Das trifft sowohl für private wie institutionelle Investoren gleichermaßen zu. Auf der Kaufseite dreht sich alles darum, wie die Realität und die Zukunft subjektiv wahrgenommen werden.

Fragile Psyche

Am Ende des Tages stehen im Zentrum der Börsen-Kursfindungen nicht Rechenmodelle, sondern Menschen mit ihren Erwartungen, Ängsten und Wahrnehmungen. Seit Jahrhunderten ist die Psyche der Börsenteilnehmer ein fragiles und leicht angreifbares Konstrukt. Doch was löst eine Richtungsänderung der Psyche an der Börse aus? Woher kommt der Anstoß, dass Nachrichten aus Politik und Wirtschaft so interpretiert werden, dass sie eine Umkehr der Kursrichtung bewirken können und manchmal seltsamerweise eben nicht?

Wer vom billigen Öl profitiert – und wer verliert
Jemand arbeitet an einer Tragfläche eines Flugzeugs Quelle: PR
Autos Quelle: AP
Jemand greift nach Körperpflegeprodukten in einem Regal Quelle: REUTERS
Containerschiff Quelle: dpa
Lastwagen der Deutschen Post Quelle: dpa
Packungen mit Medikamenten Quelle: dpa
Anlage mit Tank, auf dem BASF steht Quelle: dpa

Die Antwort auf diese Frage ist im Mechanismus des internationalen Börsensystems zu finden. Nur wenigen Geldanlegern und Aktionären in Deutschland ist bekannt, dass die meisten Broker - vor allem in den Vereinigten Staaten von Amerika und in Asien – kein festes Gehalt beziehen. Sie werden rein variabel entlohnt. Ihr Verdienst richtet sich nach den getätigten Umsätzen der Kunden. Sie erhalten einen Prozentsatz der An- und Verkaufsspesen. Eine riesige Industrie von Aktienhändlern, Maklern und Wertpapierberatern ist auf Gedeih und Verderben auf die Börsenumsätze angewiesen. Bei flauen Umsätzen verdienen sie fast nichts, bei großen Umsatzbewegungen verdienen sie unbegrenzt „nach oben“. Angst und Euphorie geben sich die Hand.

Das gesamte Börsensystem ist von daher auf den Faktor „Umsatz“ aufgebaut. Hohe Kurse oder tiefe Kurse sind für das System hinnehmbar, aber in keinem Fall ein „Einschlafen“ der Börsentransaktionen. Deshalb ist der permanente Fluss an Geschäftskommentaren und -nachrichten so wichtig. Es bedarf täglich der Anlässe, Geldanleger und Aktionäre zur Aktion zu bewegen.

Schar der Geldanleger als Spielball des Systems

Verliert beispielsweise eine Aufwärtsbewegung der Kurse an Momentum, lassen sich immer weniger Anleger dazu bewegen, Aktien zu kaufen, dann muss etwas passieren. Früher oder später testet in diesem Fall die Börsen-Maschinerie, ob sich mit der entgegengesetzten Richtung, also mit fallenden Kursen, nicht mehr Umsätze generieren lassen. Die Schar der Geldanleger wird zum Spielball des Systems. Es müssen nun Argumente her, damit die Kursänderung auch an Fahrt aufnehmen kann. Ist das Votum für fallende Kurse hinter den Kulissen erst einmal gefallen, so werden Nachrichten entsprechend negativ interpretiert und lanciert.

Betrachten wir nun das aktuelle Szenario, die vergangenen Wochen mit ihren teils dramatischen Kursstürzen der Aktien. Drei Argumente werden weltweit permanent als Begründung angeführt:

Das Wachstum in China verlangsamt sich. Aber 2015 lag es bei 6,8 Prozent. Eine Beruhigung nach einem so hohen Niveau würde in einem anderen „Umfeld“ als gesund und positiv angesehen werden.

Die zweite Bedrohung der Börse: Der sinkende Ölpreis. Tatsächlich sind die Aussichten der meisten Firmen besser denn je, dank tiefer Einstandskosten beim Öl. Allen Unternehmen, die chemische Produkte verarbeiten, von Waschmitteln bis zu Automobilzulieferern, winken dank tiefer Ölpreise höhere Gewinnmargen. Schauen Sie sich mal zu Hause und bei der Arbeit um, wo überall Chemie verarbeitet ist. Und Chemie besteht im Kern aus Öl und Salz. Wird denn ein stark anspringender Ölpreis – sagen wir von 30 Dollar auf 110 Dollar – dann positiv von den Börsenmachern bewertet werden?

Es wird weiter gekauft

Das dritte Bild der Börsenbedrohung: Die sich verdüsternde Weltwirtschaft. Tatsache ist, dass Audi und Daimler 2015 einen Rekordabsatz verzeichnen konnten. Bewusster Konsumverzicht ist weltweit kaum anzutreffen. Die Restaurants sind voll, die Menschen kleiden sich jedes Jahr neu ein, es wird so viel gereist wie noch nie. Unser Schreiner ist auf ein Jahr ausgebucht. Auch anderen Handwerksbetrieben geht es gut. Große Unternehmen fahren gewaltige Milliarden-Gewinne ein. Viele Unternehmen haben gar keine Bankschulden mehr. Deutschland hat erneut ein Rekord-Exportergebnis erzielt. Trotz geringerer Einnahmen der Ölförderländer. Haben sich die Aussichten für den Verkauf der Nivea-Dose und von Fielmann-Brillen seit Jahresanfang verschlechtert? Sind die privaten Eigentümer der DM-Drogerie, von Lidl und Aldi oder von Schrauben Würth seit Silvester „hypernervös“, wie die Börse? Sicher nicht.

Wir haben es seit Anfang dieses Jahres mit der klassischen, oben beschriebenen Börsen-Konstellation zu tun. Von 2011 bis 2014, über vier Jahre lang, marschierte die Börse recht brav aufwärts. Das Jahr 2015 war dann schon zäh. Im Sommerloch 2015 gab es den ersten Versuch einer Trendumkehr. Mit vielen Aktien ging es nicht mehr so richtig bergan. Selbst die gute Berkshire Hathaway Aktie von Altmeister Warren Buffett hat im vergangenen Jahr an Wert verloren, während andere Aktien, wie Starbucks, gut zulegen konnten. Nur wenigen Fondsmanagern und Vermögensverwaltern gelang 2015 ein beachtliches Jahresresultat.

Die Zeit war reif, in der Stille der Weihnachtsferien, das Rad der Nachrichten stimmungsmäßig auf Moll zu drehen. Der Versuch ist gelungen. Der aktuelle Kurseinbruch ist also nicht das Resultat rationaler Abwägungen, sondern eines sich aufbauenden Angst-Sentiments geschürt vom Börsensystem der variabel bezahlten Teilnehmer. Fallen die Kurse erst einmal, so werden immer mehr Anleger nervös. Die Abwärtsspirale verstärkt sich. Hinzu kommen dann die automatisierten Computerprogramme. In der Gerüchteküche ist auf einmal Platz für viele dampfende Töpfe.

Wer sein Geld an der Aktienbörse oder in Aktienfonds anlegt, sollte sich dieser Mechanismen bewusst sein. Die Psyche der Massen, gesteuert vom Börsensystem, ist die eigentliche Bedrohung der Kursstabilität. Ich empfehle allen Family Offices und Aktionären einmal im Jahr, stets auf Neue, daher den ultimativen Lackmustest: Können Sie einen zeitweiligen Kursrückgang von 90% , auch Ihrer guten Aktien, nervlich und finanziell aushalten? Glauben Sie mir, das ist keine absurde Fragestellung. Geldanleger, die ruhig schlafen wollen, sollten mit einem klaren – Ja – antworten können.  

In meiner nächsten Auslese werde ich darauf eingehen, wie der Geldanleger sich in solchen Phasen fallender Kurse verhalten sollte und wie er von der Massenpsyche bestens profitieren kann.

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