Ende einer Ära Tschüss, Libor!

Protest im Oktober 2013 vor dem Sitz der Deutschen Bank in Frankfurt nach einer Untersuchung zur Libor-Manipulation. Quelle: REUTERS

Der Referenzzinssatz Libor wird Ende Juni begraben. Wonach richten sich Kreditkosten dann, warum verschwindet der Libor, und was war da nochmal mit Manipulation? Ein Nachruf – und ein Blick in die Zukunft.

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Totgesagte leben länger. Irgendwann ist es aber doch vorbei. Der Libor stirbt seit 2021 einen Tod auf Raten. Am 30. Juni ist die letzte Rate fällig: Dann wird der Referenzzinssatz in seiner einzigen noch verbliebenen Form, der Variante in Dollar, nicht mehr veröffentlicht. Kreditgeber, die den Dollar-Libor als Referenz für die Preissetzung nutzen, müssen sich bis dahin umstellen.

Das betrifft viele: Obwohl das Schlussdatum lange bekannt ist, hängt laut „Financial Times“ in den USA immer noch ein beachtliches Kreditvolumen am Libor. Schlecht bewertete Unternehmenskredite mit einem Volumen von mindestens 700 Milliarden Dollar sind noch immer mittels Libor bepreist. Das ist die Hälfte des gesamten Marktsegments.

Der Abschied fällt offenbar schwer. Kein Wunder: Der Libor hat eine lange Tradition und galt als „wichtigste Zahl der Welt“. Nach seiner Einführung im Jahr 1986 war er jahrelang neben den Leitzinsen der Notenbanken der einzige existierende Referenzzins. Er wurde bei Anlageprodukten und Geschäften mit variablen Zinsen als Bezugsgröße für die Bepreisung verwendet, etwa bei Privat- und Geschäftskrediten, Baugeld, Derivaten oder speziellen Zinspapieren wie Floating Rate Notes.

Die fatale Schwachstelle

Libor steht für „London Interbank Offered Rate“ – Londoner Interbanken-Angebotszins. Er ergibt sich aus dem durchschnittlichen Zinssatz, zu dem sich Großbanken untereinander Geld leihen würden. Berechnet wurde er zuletzt für fünf Währungen (Dollar, Euro, britisches Pfund, japanischer Yen und Schweizer Franken) und mehrere Fälligkeiten. Übrig sind nur noch die Dollar-Sätze – und auch diese gibt es nicht mehr lange.

Dass der Libor abgelöst wird, ist einer Konstruktionsschwäche geschuldet. Er berechnet sich nämlich nicht aus realen Transaktionen, sondern beruht maßgeblich auf Einschätzungen von Experten. Das macht den Libor anfällig für Manipulationen. Und die gab es dann auch.

Im Jahr 2012 kam heraus, dass eine Gruppe von Bankern jahrelang den Libor und andere Referenzzinssätze der „Ibor“-Familie wie den europäischen Euribor und den japanischen Tibor manipuliert hatte. Sie hatten bewusst falsche Zahlen angegeben, um die Sätze in eine ihnen genehme Richtung zu lenken. So verschafften sie sich Vorteile – und pushten ihre Boni. Zahlreiche Geldhäuser waren an dem Skandal beteiligt, von Barclays über die UBS bis zur Deutschen Bank. Als die Tricksereien aufflogen, mussten die Institute teils Strafen im Milliardenbereich zahlen.

Nachfolger mit Nachteilen

Ersetzt wird der Libor durch sogenannte Risk-Free Rates (RFRs), alternative risikofreie Zinssätze. Sie beruhen, anders als der Libor, auf realen Transaktionsdaten und weisen eine Laufzeit von nur einem Tag auf. Je nach Währung tragen sie unterschiedliche Namen. In den USA heißt der neue Referenzzins Sofr, für Secured Overnight Financing Rate. Grob gesagt gibt er an, wie viel es kostet, sich über Nacht Bargeld zu leihen, das mit US-Staatsanleihen besichert ist. Veröffentlicht wird der Sofr von der US-Notenbank Fed. In Großbritannien heißt der Libor-Nachfolger Sonia (Sterling Overnight Index Average), in der Schweiz Saron (Swiss Average Rate Overnight), in Japan Tonar (Tokyo Overnight Average Rate).

Mit den neuen Referenzzinssätzen ist nicht jeder glücklich. Hauptkritikpunkt vieler Kreditgeber: Der Libor enthält einen Risikoaufschlag für den Fall, dass eine Bank einen Kredit nicht zurückzahlt. Die RFRs haben einen solchen Aufschlag qua Konstruktion nicht. Kreditgeber argumentieren daher, sie müssten als Bezugsgröße für den Preis von Krediten die RFR plus eine Kompensation für das Ausfallrisiko ansetzen.

Kreditnehmer sehen das anders – zumal ihre Kreditkosten zuletzt ohnehin gestiegen sind. Zur Erinnerung: Referenzzinssätze kommen bei Geschäften mit variablem Zins zum Einsatz. Die Zinswende der Notenbanken hat solche Geschäfte deutlich verteuert. Die Debatte um eventuelle Nachteile der Risk-Free Rates tobt vor allem in den USA, wo die Umstellung bis Ende dieses Monats abgeschlossen sein soll. Klappt das nicht, gibt es eine Reihe von Rückfalloptionen, die allerdings für Kreditnehmer nicht sonderlich attraktiv sind.

Einer hat überlebt

In Deutschland war der gängige Übernacht-Referenzzinssatz bis Ende 2021 der Eonia (Euro Overnight Index Average). Er wurde für die Bepreisung kurzfristiger, unbesicherter Geldmarktkredite herangezogen. Im Nachgang des Libor-Skandals wurde er durch die Euro Short-Term Rate €STR ersetzt – die Schwester von Sofr, Sonia, Saron und Tonar.

Für viele Zinsgeschäfte ist in Deutschland ein anderer Referenzzinssatz wichtiger: der Euribor, ein Überlebender der Ibor-Familie. Sein Name steht für Euro Interbank Offered Rate. Anders als der international und für mehrere Währungen ermittelte Libor bildet der Euribor seit jeher nur die in Euro stattfindenden Geschäfte zwischen Banken in Europa ab. Auch der Euribor war Opfer von Manipulation. Anders als der Libor wird er aber hybrid berechnet, aus echten Transaktionsdaten plus – wenn diese nicht ausreichen – Expertenschätzungen. Das kam ihm nach dem Skandal zugute: Der Euribor überlebte mit einer leichten Anpassung der Methodik.

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Auch der Libor wird am 30. Juni nicht ganz verschwinden. Einige synthetisch ermittelte Libor-Sätze sollen bis ins Jahr 2024 hinein noch erhalten bleiben, um den Übergang zu erleichtern. Sie ergeben sich in den USA aus dem Sofr plus einem Aufschlag. Der Libor wird also sozusagen noch eine Weile als Geist über den Märkten schweben.

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