Energiemärkte im Wandel Der lange Weg nach Paris

Um die Pariser Klimaziele zu erfüllen, muss der Energieverbrauch drastisch umgestellt werden. Der Wandel sei auf dem Weg, konstatieren jüngste Analysen. Fossile Brennstoffe werden dennoch nicht so schnell verschwinden.

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Keine Energiequelle wächst so rasant wie die Erneuerbaren. Dennoch beträgt ihr Anteil am globalen Energiemix weiterhin nur vier Prozent. Quelle: dpa

Frankfurt Die Herausforderung ist immens: Im Jahr 2050 werden 9,7 Milliarden Menschen die Welt bevölkern, knapp 2,2 Milliarden mehr als heute, schätzen die Vereinten Nationen. Die Mittelschicht wird wachsen und mit ihr der Hunger nach Autos, Konsumgütern und damit nach Energie. Trotzdem haben sich 195 Länder verpflichtet, die Klimaerwärmung bis 2100 unter zwei Grad Celsius gegenüber der vorindustriellen Zeit zu halten. Ein Mega-Konzept, das nur aufgehen kann, wenn die Welt ihren Energieverbrauch massiv verändert – weniger fossile, mehr erneuerbare Brennstoffe. Da sind sich Experten einig.

Die heute veröffentlichte Studie BP Statistical Review of World Energy bescheinigt immerhin: Der Wandel ist auf einem guten Weg. Im vergangenen Jahr sei der Energiebedarf der Welt bereits zum dritten Mal infolge nur um rund ein Prozent gestiegen. Das entspreche nur etwa der Hälfte des zehnjährigen Durchschnitts. Ähnlich positiv sei auch, dass der CO2-Ausstoß bereits zum dritten Jahr in Folge stagniere.

Eindeutig geht aus der Studie auch hervor, woher künftig mit Wachstum zu rechnen ist: Asien. Während der Verbrauch in den Industrieländern der OECD stagnierte, machten allein China und Indien die Hälfte des weltweiten Wachstums im vergangen Jahr aus.

Seit 66 Jahren gibt der vermeintlich parteiische britische Ölkonzern BP seine Studie heraus. Der Report genießt weltweit Beachtung und Renommee für seine objektiven Analysen.

Einmal mehr wuchs im vergangenen Jahr keine Energieform so stark wie die Erneuerbaren Energien, die um zwölf Prozent zulegten. Mehr als die Hälfte davon stammt aus Windkraft, ein weiteres Drittel aus Solar. „Die Erneuerbaren sind das leitende Licht des Energiewandels“, sagte der Chefökonom von BP, Spencer Dale, bei der Vorstellung des Berichts in London. Und auch hier ist eine Trendwende zu erkennen: Im vergangenen Jahr hat China erstmals die USA als größten Produzenten von erneuerbaren Energien abgelöst. Doch die Wachstumszahlen können nicht darüber hinwegtäuschen, dass Erneuerbare am globalen Energiemix nach wie vor eine untergeordnete Rolle spielen: Sie machen gerade einmal vier Prozent aus. So warnt Dale davor, in Euphorie zu verfallen: „Vor uns liegt noch ein langer Weg, bis wir die Ziele von Paris erreichen.“

Allein in den nächsten zwanzig Jahren würden zwei Milliarden Menschen von niedrigen Einkommen in die Klasse mittlerer Einkommen aufsteigen, erklärt Dale. Um den Energiebedarf weiter niedrig zu halten, müsse die Effizienz deutlich zunehmen.
Bereits in der vergangenen Woche setzte die Internationale Energieagentur (IEA) ein klares Signal, wohin die Reise gehen muss: Theoretisch könnten die Emissionen schon bis 2060 auf null zurückgefahren werden – gesetzt der Fall, die technischen Möglichkeiten würden bis aufs Äußerste ausgereizt.


Die Stehaufmännchen des Ölmarkts

Umweltschützer sollten sich indes nicht zu früh freuen. Null Emissionen ist nicht gleich null fossile Energie. Selbst im optimistischen IEA-Szenario wird der Bedarf an Öl noch bei rund 35 Millionen Barrel pro Tag liegen. Das entspricht rund einem Drittel des heutigen Niveaus. „Das Szenario der IEA lässt sich nur erreichen, wenn wir umfassend Kohldioxid einlagern“, erklärt Statoil-Chefökonom Eirik Wærnes.

Wærnes hat selbst gerade einen Ausblick in die Energiezukunft veröffentlicht, die Statoil Energy Perspectives. Die Klimaziele von Paris seien ambitioniert, aber erreichbar, glaubt er. „Dafür müssen die nötigen Maßnahmen aber unmittelbar umgesetzt werden.“ Wie ambitioniert das wird, zeigen seine Berechnungen: Die Energieerzeugung von Wind müsse um das 13-fache, jene von Solar gar um das 39-fache steigen. Die EU-Staaten müssten schon bis 2030 komplett auf Kohle verzichten.

Gerade für Kohle scheint sich in diesen Jahren das Blatt zu wenden, erkennt auch Dale in seiner Energieanalyse. Zum zweiten Mal in Folge sei der Verbrauch gefallen, und zwar um minus 1,7 Prozent. In Großbritannien wurde in diesem Jahr die letzte Kohlezeche geschlossen. Im April verzichtete die Stromerzeugung Großbritanniens erstmals in seiner Geschichte für einen Tag gänzlich auf Kohle.

Doch die Energieumstellung wird sich noch Jahrzehnte ziehen. Gerade vom Ölmarkt gingen zuletzt gemischte Signale aus. Beispiel China: Dort wurden im vergangenen Jahr zwar so viele Elektroautos wie nie zuvor registriert. Zugleich wurden aber auch so viele SUV verkauft wie nie zuvor. Weltweit wurde 2016 zwar die Zwei-Millionen-Marke bei den Elektroautos geknackt. Damit stehen sie allerdings erst für 0,2 Prozent der Fahrzeugflotte. Bis die Effekte einer Umstellung durchschlagen, dürften Jahre vergehen. Die Öl-Nachfrage stieg 2016 um 1,6 Prozent. Veränderungen. Die wegen des Schieferölbooms in den USA und den bis Anfang dieses Jahres großen Produktionssteigerungen der Opec eingebrochenen Ölpreise verleiten die Menschen, mehr Öl zu verbrauchen.

Einen Höhepunkt der Nachfrage erkennt selbst Statoil-Chefökonom Wærnes in seinem optimistischsten Szenario frühestens 2030. Und auch wenn der Bedarf aus dem Transportsektor zurückgehen sollte, steigt er an anderer Stelle: Künftig wird mehr Plastik gebraucht. „Ohne Öl gibt es keinen Asphalt, auf dem Teslas fahren können, ohne Öl könnten wir noch nicht einmal unsere Zähne putzen“, erklärt der Statoil-Mann.

Dennoch gibt es auf dem Ölmarkt dieser Tage so große Veränderungen wie sonst kaum. Zwischen der Opec und den amerikanischen Schieferölproduzenten gebe es ein regelrechtes Tauziehen am Ölmarkt, konstatiert BP-Chefökonom Dale. Gerade die neuen Akteure aus den USA zeigten sich besonders widerstandsfähig. Sie erinnerten ihn an ein Spielzeug an seiner Kindheit, sagt Dale: Das Stehaufmännchen. Die Produzenten mögen umfallen – 2016 ging ihre tägliche Produktion um mehrere hunderttausend Barrel zurück – doch sie kommen in diesem Jahr noch stärker zurück als zuvor. Einen ähnlichen strukturellen Wandel habe es seit den 1980er-Jahren nicht gegeben: Damals etablierte sich Öl aus Alaska und der Nordsee am Markt – und ist bis heute geblieben.

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