Erdgas Welche Aktien Gas geben

Der Erdgasbedarf der Welt steigt unaufhörlich. Dank regionaler Preisunterschiede wird der internationale Gashandel über Pipelines und Tankschiffe in den kommenden Jahren stark zulegen. Das bietet Anlegern zahlreiche Chancen.

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Ein Flüssiggastanker auf den Weg in den Hafen von Rotterdam. Dank großer Preisunterschiede ist der Transport von Gas per Schiff und Pipeline ein Riesengeschäft Quelle: dpa

Von oben wirkt die kleine Insel Melkøya wie ein Raumschiff aus einem Science-Fiction-Film, das in der Barentssee notgelandet ist. Zu sehen ist ein Gewirr aus Rohren und Gerüsten, Türmen und Tanks, das den Felsen vor der Hafenstadt Hammerfest fast vollständig bedeckt. Doch es ist kein Raumschiff, sondern eine Fabrik: Hier oben am Polarkreis steht Europas erste und bislang einzige Anlage zur Verflüssigung von Erdgas. 5,67 Milliarden Kubikmeter Gas aus Norwegen werden hier jedes Jahr aufbereitet und mit Tankschiffen exportiert – genug, um eine Million Menschen ein Jahr lang mit Heizenergie zu versorgen.

Engpässe sind nicht zu zu befürchten

Das Geschäft brummt. Laut neusten Studien der Internationalen Energie Agentur (IEA) in Paris wird der weltweite Konsum von Flüssiggas in den kommenden Jahren sprunghaft steigen, allein China dürfte seinen Verbrauch in nur fünf Jahren verdoppeln. Versorgungsengpässe sind trotzdem nicht zu befürchten, denn im Gegensatz zu Öl ist Erdgas auf diesem Planeten noch reichlich vorhanden. Die bis heute entdeckten Vorkommen reichen locker noch für mehrere Hundert Jahre.

Die Nachfrage nach Erdgas wächst

Nur liegen die Felder nicht immer dort, wo Erdgas gebraucht wird: in den kalten Industrieländern Ostasiens und Europas. Deswegen schätzen Experten ein Wachstum des globalen Gashandels bis 2017 von 35 Prozent. "Erdgas ist der letzte Energierohstoff, für den es noch keinen globalen Markt gibt, sondern lokale, oft zehn Jahre lang laufende Lieferverträge", konstatiert die IEA in ihrem jüngsten Weltenergieausblick. Doch das wird sich ändern. Der gesamte Markt für Gas ist in Bewegung geraten. Und damit auch die Kurse von Unternehmen, die auf diese Energieform setzen. Darunter sind nicht nur bekannte Namen wie die deutsche Linde oder Samsung Heavy Industries. Von der Entwicklung profitieren auch in den Depots der Anleger eher unterrepräsentierte Unternehmen wie der Anlagenbauer Aker Solutions aus Norwegen.

Enorme Preisunterschiede

Der hohe Ölpreis, der Energiehunger Chinas und der Ausstieg Japans aus der Kernenergie hat die Zahl der internationalen Gastransporte über See in den vergangenen vier Jahren bereits um rund 50 Prozent steigen lassen. Richtig Fahrt aufnehmen wird der globale Erdgashandel aber erst 2015 (siehe Grafik). Er wird befeuert von neuen Gasfunden, technisch verbesserten Fördermethoden und einem erhöhten weltweiten Bedarf. Vor allem aber profitiert der Handel von den enormen Preisunterschieden für Erdgas auf der Welt: In den USA, Australien und Afrika ist Erdgas inzwischen spottbillig – in Japan, Südkorea, Italien oder Deutschland weiter so teuer wie Öl.

Dank neuer Fördermethoden haben vor allem die USA plötzlich Zugriff auf immense heimische Erdgasvorkommen. Aber auch in Australien und Argentinien wurden riesige Gasvorkommen entdeckt. Kurzzeitig produzierten die USA sogar mehr Erdgas als Russland – so ändern sich die Zeiten.

USA sind näher an der Unabhängigkeit vom Osten

Die Reserven der Gasförderer
Ein Arbeiter bei Gazprom Quelle: REUTERS
Eine Tankstelle von BP Quelle: REUTERS
Eine Shell-Tankstelle Quelle: dapd
Das Logo von Total Quelle: REUTERS
Eine Tankstelle von Chevron Quelle: dapd
Arbeiter an einer Gasleitung von Novatek Quelle: Presse
Eine Tankstelle von Statoil Quelle: REUTERS

Das Riesenangebot hat den Gaspreis in den USA seit 2010 um 70 Prozent sinken lassen. Der Boom bringt die Vereinigten Staaten näher an ihr Ziel, unabhängig zu werden von den politisch brisanten Öl- und Gasförderregionen im Nahen Osten. Die Kehrseite: Erdgas ist in den USA inzwischen so billig, dass Förderkonzerne wie Chevron oder Exxon ins Straucheln geraten sind: Die niedrigen Preise verhageln ihnen den Gewinn. Etliche Reserven, zum Teil teuer über Fusionen und Übernahmen eingekauft, mussten wertberichtigt werden. Dadurch gingen die Aktienkurse vieler Gaskonzerne auf Talfahrt. Das eröffnet Anlegern, die langfristig denken, Kaufchancen.

Gasbedarf der Industrieländer

Denn künftig wollen die Konzerne Teile ihres Gases exportieren. Kein Wunder: In nahezu allen anderen Erdteilen locken drei- bis fünfmal höhere Preise als in den USA. Die ersten Exportlizenzen haben die US-Behörden bereits erteilt. Doch es fehlt noch an der Infrastruktur für Gasexporte im großen Stil. Immense Investitionen sind nötig: Außer Japan und China hat in den vergangenen Jahren fast kein Land in neue Tankschiffe oder Hafenanlagen investiert, in denen die flüssige Energie in gasförmigen Zustand zurückversetzt und in die Rohrnetze eingespeist werden könnte. Die neusten Gasterminals in den USA, mit denen Gas nicht nur importiert, sondern ausgeführt werden könnte, stammen aus dem Jahr 1980.

Es fehlt an fast allem

In aller Welt werden nun neue Gasterminals aus dem Boden gestampft. Die Investitionen sind gigantisch: Ein einziger Terminal verschlingt Summen zwischen vier und elf Milliarden Euro. Für Anleger mit einigen Jahren Anlagehorizont ist das eine Riesenchance: Sie können in Tankerwerften und -reeder investieren, in Anlagenbauer und in Kältetechniker, denen Aufträge bei der Verflüssigung des Gases winken. Es fehlt derzeit fast an allem: An genügend LNG("Liquified Natural Gas")-Tankern, um das Gas über die Ozeane zu transportieren, an Pipelines, Waggons und Lkws, um es aus den Förderregionen im Mittelwesten der USA zu den Häfen zu karren, sowie an Bunkern zum Zwischenlagern des Gases. Zudem fehlen Fabriken wie auf der norwegischen Insel, die das Erdgas herunterkühlen, verflüssigen und auf Schiffe verladen.

Bislang ist etwa die europäische Gasversorgung fast ausschließlich auf den Transport von meist russischem Gas über Pipelines ausgelegt. Derzeit werden insgesamt noch rund 80 Prozent des weltweit grenzüberschreitend gehandelten Gases über Röhrensysteme transportiert.

Gaspipelines lohnen sich für die USA

Auch in Zukunft wird man diese brauchen. "Vor allem in den USA fehlt es an einem Netz für den Transport in die Metropolen und die neu entstehenden Exporthäfen", sagt der auf Energiewerte spezialisierte Fondsmanager Peter Dreide, der früher als Rohstoffhändler in Kanada arbeitete, "dort gibt es kein mit dem in Europa oder Japan vergleichbares Gasnetz." Bisher wird das US-Schiefergas meist an Ort und Stelle verflüssigt und per Zug oder Lkw in die Häfen transportiert. Je mehr Gaskraftwerke jedoch die Kohle- und Ölkraftwerke ersetzen, desto eher lohnen sich neue Gaspipelines. Röhrenhersteller wie Salzgitter, die immer mehr Aufträge aus der Energiewirtschaft bekommen, oder Vallourec spüren die anziehende Nachfrage bereits; die Franzosen sind Marktführer für Pipeline-Röhren in den USA (siehe Tabelle unten).

Ab 2000 Kilometern ist verschiffen wirtschaftlicher

Von Investitionen in Flüssiggas profitieren

Das größte Potenzial aber hat LNG. Die großen Abnehmer Westeuroa, Japan, Südkorea und China sind nicht über Pipelines erreichbar oder nur mit Russland verbunden (Westeuropa); die großen Vorkommen liegen in Australien, den USA, Argentinien, Katar oder Südostasien – Tausende Kilometer von den Abnehmern entfernt. "Pipelines sind schon an Land sehr teuer und inflexibel", sagt Dreide, "wenn ein Gasfeld leer ist, müssen sie über Hunderte von Kilometern neu gebaut werden."

"Ab Distanzen von mehr als 2000 Kilometern ist das Verflüssigen und Verschiffen wirtschaftlicher als eine Pipeline", sagt Stefan Metz, Flüssiggasexperte von Linde. Angesichts des anhaltenden Importsogs (allein China wird seine LNG-Importe dieses Jahr um mehr als 40 Prozent steigern) wird die weltweite Tankerflotte vorsichtigen Schätzungen zufolge bis 2020 um rund 100 Schiffe wachsen müssen.

2012 läuft nur ein LNG-Tanker vom Stapel

Doch der Bau neuer Riesentanker ist teuer – und er dauert. Von der Auftragsvergabe an die Werft bis zum Stapellauf vergehen locker zwei Jahre. Einer der 300 Meter langen und bis zu 60 Meter hohen Kolosse kostet im Schnitt 200 Millionen Euro. Er wird von den Reedern meist durch neue Anleihen finanziert; aber auch Gasversorger wie Osaka Gas und Lieferanten wie Exxon finanzieren die Schiffe, lassen sie teilweise sogar unter eigener Flagge laufen.

Derzeit sind 70 LNG-Tanker weltweit im Bau oder bestellt. 2012 wird nur ein einziger vom Stapel laufen, 2013 voraussichtlich 13 Stück. Der Großteil wird 2014 und 2015 in Dienst gehen. Die meisten Aufträge für den Bau neuer LNG-Tanker haben die koreanischen Werften Hyundai, Daewoo und Samsung Heavy Industries an Land gezogen. Konjunktursorgen sowie ein Überangebot an Öltankern und anderen Frachtschiffen haben die Aktienkurse der drei Koreaner auf langjährige Tiefs fallen lassen. Für weitsichtige Anleger ist dies eine Chance, denn den LNG-Tankerboom haben die Kapitalmärkte offenbar noch nicht auf dem Radar.

Aktien der LNG-Tanker-Reedereien sind günstig

Den kurzfristigen LNG-Transportbedarf (vor allem nach Japan und China) werden diese neuen Ozeanriesen aber nicht decken. So sind die Aktien der Reedereien einen Blick wert. Die Frachtraten für LNG-Tanker haben zuletzt stetig zugelegt; 2011 kostete es pro Tag durchschnittlich 97 630 Dollar, einen LNG-Tanker zu mieten, 2010 waren es nur 43 663 Dollar. Laut einer Umfrage von Bloomberg schätzen Analysten den durchschnittlichen Tagespreis 2012 auf 147 000 Dollar.

Die US-Bank Morgan Stanley sieht daher "ein attraktives Umfeld für LNG-Tanker-Reedereien", zumal deren Aktien wegen der Konjunktursorgen der Anleger und wegen der gefallenen Frachtraten für Öltanker gerade günstig seien. Der US-Reeder Overseas Shipholding hält 49,9 Prozent an vier LNG-Tankern. Die norwegische Golar LNG besitzt neun LNG-Schiffe. Die Norweger sind damit der größte unabhängige LNG-Reeder der Welt. Für 2012 erwarten Analysten einen operativen Gewinn von fast 200 Millionen Euro, das wäre ein Plus von 120 Prozent gegenüber 2011. Golar ist stark auf Routen in den Schwellenländern und hat gerade 400 Millionen Dollar in zwei zusätzliche neue LNG-Tanker investiert.

Energie für eine Kleinstadt in einem Tank

Eine Chevron-Tankstelle Quelle: REUTERS

Vor dem Verladen muss das Gas allerdings flüssig gemacht werden. Dazu wird es entweder an der Quelle oder im Exporthafen auf minus 162 Grad Celsius heruntergekühlt. Das ist der Kondensationspunkt, Erdgas schrumpft beim Verflüssigen um das 600-Fache. So kann ein einziger Tanker genügend Gas transportieren, um eine deutsche Kleinstadt mit 10 000 Einwohnern zehn Jahre lang zu versorgen. "Das Verflüssigen und Kühlen kostet rund 10 bis 15 Prozent der im Gas enthaltenen Energiemenge", erklärt Metz von Linde, "hinzu kommen zwar noch Transportkosten; doch bei Preisunterschieden von 200 bis 600 Prozent zwischen Export- und Importmarkt ist das Verschiffen sehr lukrativ."

Vor allem in den USA hat Erdgas eine wahre Revolution in der Energieversorgung ausgelöst. Geplante Ölbohrungen in Alaska liegen auf Eis, alte Kohlekraftwerke sollen bald vom Netz, selbst über einen langfristigen Ausstieg aus der Kernkraft wird diskutiert. Alles nur, weil Gas plötzlich viel billiger ist. Der neue Gasboom hat viel mit einer Technik zu tun, die Umweltschützern kalte Schauer über den Rücken laufen lässt: dem hydraulischen Aufbrechen von gasführenden Gesteinsschichten, englisch hydraulic fracturing, kurz Fracking.

Die Angst vor den Folgen des Fracking ist groß

Die Technik erlaubt den Zugang zu sogenannten unkonventionellen Erdgaslagerstätten, deren Ausbeutung bis vor Kurzem als unrentabel galt, weil sie sich zum Beispiel in sehr festen Ton- oder Schieferschichten befinden. Weil beim Fracken nicht nur viel heißer Dampf, Wasser und Quarzsand in die Tiefe gepumpt werden, sondern auch giftige Chemikalien, um das Gas herauszulösen, befürchten viele eine Verseuchung des Grundwassers.

Die Konzerne beteuern natürlich, Fracking sei sicher. Doch in Europa ist die Politik vorsichtig: Fracking wird derzeit kaum genehmigt. Die französische Regierung zog eine dem Ölmulti Total bereits erteilte Genehmigung für Probebohrungen im Pariser Becken zurück. Dort lagert genügend Erdgas, um Frankreich jahrzehntelang zu versorgen. Doch es könnte gut sein, dass es für immer bleibt, wo es ist.

Riesige Reserven

In den USA hat man weniger Bedenken. Mehr als 3500 neue Bohrstellen entstanden in den letzten drei Jahren allein im Bundesstaat Pennsylvania. Farmer, die dort ihre Felder an die Bohrfirmen verpachten, sprechen von einem "Gasrausch". Die Reserven an Schiefergas in den USA sind gigantisch: Auf fast einem Viertel der Landesfläche werden Erdgaslagerstätten vermutet, die dank Fracking ausgebeutet werden könnten. Die US-Energiebehörde EIA schätzt, dass unter den USA rund 24 000 Milliarden Kubikmeter Schiefergas liegen. Die gesamten unkonventionellen Vorräte Nordamerikas dürften sich auf rund 60 000 Milliarden Kubikmeter belaufen – genug Gas auf jeden Fall für die nächsten Jahrzehnte.

In nur 20 Monaten versiebenfachte sich der Anteil des unkonventionellen Gases auf aktuell ein Drittel des US-Gesamtverbrauchs. Die US-Gaspreise haben sich seither mehr als gedrittelt. Der Kubikmeter kostet umgerechnet nur noch 34 Euro-Cent. Zum Vergleich: Deutsche Verbraucher bezahlen 2,5-mal so viel.

Viele Gasförderer arbeiten mit Verlust

Weltweit lagern riesige Mengen Erdgas in schwierig zu erreichenden Gesteinsschichten. Neue Fördertechniken ermöglichen es jetzt, sie wirtschaftlich zu erschließen.

Der Gasrausch blieb nicht ohne negative Folgen für die Gaskonzerne selbst: Weil alle ihr billiges Gas sofort auf den Markt pumpten und die Preise kollabierten, arbeiten viele Gasförderer inzwischen mit Verlust; nur zögerlich legen die Konzerne die zeitweise überflüssigen Bohrstellen still. So musste BHP Billiton kürzlich 2,84 Milliarden Dollar auf seine Gasprojekte in den USA abschreiben; der Konzern hatte seine Vorkommen aufgrund der gesunkenen Gaspreise wertberichtigen müssen. Der Aktienkurs des US-Förderers Chesapeake Energy halbierte sich zwischen Juni 2011 und September 2012 nach Gewinnwarnungen, hat sich aber wieder um rund 30 Prozent erholt.

Der internationale Handel steigt

Prognosen für den internationalen Erdgasexport

Denn die Anleger schöpfen Hoffnung: Schon bald, so die US-Energiebehörde EIA, könnten die USA vom Netto-Importeur zum Netto-Exporteur von Erdgas werden. "Die Konzerne werden dem Preisverfall nicht tatenlos zusehen", sagt Fondsmanager Dreide, "die ersten haben sich bereits Exportlizenzen gesichert." 2007 wurden laut IEA weltweit 250 Milliarden Kubikmeter Erdgas verflüssigt und grenzüberschreitend verschifft; 2011 waren es bereits 370 Milliarden Kubikmeter. Für den Anstieg sind vor allem Japan und China verantwortlich, die mehr LNG aus Australien und dem Nahen Osten importieren, Japan besonders nach der Atomkatastrophe von Fukushima. Bis 2030 könnte knapp die Hälfte des weltweiten Gashandels über Flüssiggastanker abgewickelt werden. Das wären fast 500 Milliarden Kubikmeter LNG (siehe Grafik).

Es gibt auch skeptischere Analystenstimmen, die darauf verweisen, dass die für den Handel notwendige Infrastruktur bestenfalls zu klein und veraltet, oft aber schlicht nicht vorhanden sei. Doch die Öl- und Gaskonzerne gehen das Problem an: Zehn Milliarden Dollar wird allein Cheniere Energy in den ersten Exporthafen für verflüssigtes US-Schiefergas investieren. Der Komplex soll von 2015 an Flüssigerdgas von der Golfküste Louisianas in alle Welt exportieren, vor allem nach Europa.

Anlagen sind noch nicht auf große Transporte ausgelegt

Weltweit werden bis 2035 fast 2800 Milliarden Dollar in die Förderung von Erdgas aus Schiefer und anderen schwer zugänglichen Schichten investiert, schätzt die IEA. Insgesamt gehen unabhängige Energieexperten von der waghalsigen Summe von 9500 Milliarden Dollar aus (ohne Berücksichtigung der Inflation, also in der Kaufkraft des Dollar von 2010 gerechnet), die bis 2035 in die Erschließung und den Transport von Erdgas investiert werden müssen, davon rund die Hälfte in unkonventionelles Gas, Schiefergas hauptsächlich, aber auch Methan aus Kohleflözen.

Immense Geschäfte, die sich nicht nur für US-Gasförderer auftun, deren Gewinne sich dank der zu erwartenden Exporterlöse langfristig erholen dürften. "Ein großer Teil der Investitionen wird nicht nur in die weitere Exploration und Förderung, sondern zunächst vor allem in den Transport und die Verflüssigung gehen müssen", sagt Fatih Birol, Chefökonom der Internationalen Energieagentur in Paris, "denn die heutigen Anlagen sind auf große Gastransporte aus Übersee nicht ausgelegt."

Reserven für die nächsten 60 Jahre

Anfang November will Peter Dreide nach Australien reisen. Dort liegt das derzeit größte Projekt zur Erschließung neuer Gasvorkommen, Gorgon, das Reserven für die nächsten 60 Jahre birgt und von 2014 an allein acht Prozent der weltweiten Flüssiggasproduktion liefern wird. Der Fondsmanager hat sich einen Namen als gründlicher Rechercheur gemacht; so tourte er 2004 wochenlang durch kanadische Bergwerke, ehe er größere Beträge in die Besitzer der Minen investierte. In China besuchte er 2010 sechs Hersteller von Solarmodulen – und verkaufte sofort die Aktien der deutschen, nachdem er gesehen hatte, welche Kapazitäten die Chinesen aufbauten. In Australien will er sich vor Ort ansehen, wie die Verflüssigung des Gases und dessen Verschiffung genau funktionieren – wo Probleme und Risiken liegen und welche Firmen an dem Monsterprojekt beteiligt sein werden.

Chancen für große und kleine Unternehmen

Bislang veröffentlichen die Hauptbetreiber Chevron, Exxon und Shell nur den Kostenplan – rund 35 Milliarden Euro –, nicht aber die Firmen, denen sie Aufträge gegeben haben. Kandidaten sind neben Bechtel (nicht börsennotiert) Aker Solutions und Foster Wheeler; die beiden Anlagenbauer haben bereits andere LNG-Terminals gebaut und suchen derzeit intensiv Personal in Australien. Auch Luftzerleger wie Air Liquide und Linde dürften beteiligt sein. Linde betreibt bereits Anlagen zur Verflüssigung im großen Stil, etwa in Norwegen. Kunden sind Energiekonzerne wie Statoil. Linde schätzt nach eigenen Angaben das Marktpotenzial für Erdgasverflüssigung auf bis zu 23 Milliarden Euro bis 2030. Air Liquide ist traditionell stärker in Südamerika und bei kleineren, dezentralen Anlagen; die Franzosen dürften bei der Verflüssigung von argentinischem Erdgas im Rennen sein; das Land besitzt nach den USA und Australien die drittgrößten Schiefergasvorkommen der Welt.

Weltweiter Trend

Profi-Investoren wittern ein Riesengeschäft: Die Private-Equity-Firma Blackstone beteiligte sich vor Kurzem mit zwei Milliarden Dollar an einer Verflüssigungsanlage an der US-Golfküste, über die der US-Gaskonzern Cheniere Energy von 2015 an Gas exportieren will. Cheniere gehörte auch zu den ersten US-Förderern, die Exportlizenzen beantragt haben.

Auch Versorger und Industriekonzerne beteiligen sich zunehmend direkt an den neuen LNG-Projekten. So sicherte sich der japanische Versorger Osaka Gas Beteiligungen an australischen Gasfeldern; die Japaner wollen zudem Tanker unter eigener Flagge laufen lassen. Die BASF-Tochter Wintershall kaufte sich erst vergangene Woche für umgerechnet 1,45 Milliarden Dollar in drei norwegischen Gasfeldern ein. Zusätzlich zu dem Geld bekommt deren Besitzer Statoil Anteile an deutschen Schiefergasfeldern. Die Bezirksregierung in Arnsberg habe die Erlaubnis zur geologischen Erkundung erteilt, heißt es bei Wintershall in Kassel. Ob in Westfalen jemals größere Mengen Gas gefördert werden, ist unsicher. Aber weltweit ist der Trend unverkennbar. "Alles, was über das immense Potenzial von LNG in den letzten Monaten geschrieben wurde, könnte sogar noch untertrieben sein", sagt Dreide, "aber man muss bei aller Euphorie klar sagen, dass es auch noch Risiken gibt."

In den USA hat ein Kongressabgeordneter einen Gesetzentwurf für einen Exportbann bis 2025 eingebracht; er sieht das Ziel der USA, energieautark zu werden, als wichtiger an als die Exportgewinne der Multis. Dreide, der noch immer gut vernetzt ist in die US-Energiebranche und -politik, gibt ihm nur "25 bis 30 Prozent Erfolgschancen, die Öl- und Gaslobby ist sehr stark und drängt auf den Export. Aber man muss die Sache im Auge behalten."

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