Erste Hilfe für's Depot Sichern, halten oder verkaufen?

Lauter rote Zahlen im Depot? Nach einer Woche heftiger Kursverluste suchen Anleger nach der richtigen Krisenstrategie. Doch sollen sie ihre Wertpapiere halten, abstoßen der absichern? Eine Analyse.

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Anzeigetafel der Börse Quelle: dpa

Martin Reiff ist alarmiert; drei Tage hat der 61-Jährige Rheinländer zugesehen, wie seine "schönen abgeltungssteuerfreien Gewinne" abschmolzen; amFreitag, den 5.8. dann um neun Uhr dreißig das schon erwartete Unheil: Reiffs Depots ist erstmal seit dem März 2009 ins Minus gerutscht.

Dabei war der vermögende Privatanleger bisher so stolz darauf, dass er "Ende 2008, als die Kanonen noch donnerten" so mutig bei Aktien eingestiegen war und sich ein schönes Gewinnpolster aufgebaut hatte. Reiff ernüchtert: "Ich dachte, jetzt werde ich für meinen Mut belohnt, und nun das: die ganzen schönen Gewinne innerhalb einer einzigen Handelswoche weg."

Fast 15 Prozent verlor der Dax in dieser Schock-Woche, mehr als 110 Milliarden Euro Börsenwerte sind vernichtet; auch an den Depots vieler Privatanleger ging das nicht spurlos vorüber. Zwar fiel der Dax vorerst "nur" auf das Niveau zur Zeit der Fukushima-Katastrophe zurück, man könnte also meinen, es sei noch nichts wirklich Schlimmes passiert. Doch in Reiffs Depot sind - wie bei den meisten Anlegern - die roten Minuszeichen häufiger als damals, weil er auch danach sukzessive immer wieder mal Aktien nachkaufte; diese, im Schnitt zu höheren Kursen eingekauften Papiere, bescheren ihm nun die höchsten Verluste.

Dabei halten sich bei Martin Reiff die Verluste noch in Grenzen; nun plagt ihn wie viele Privatanleger die bange Frage:

Lieber jetzt ein Ende mit Schrecken und die Verluste realisieren, die Aktien also verkaufen, oder drin bleiben, die "Augen-zu-und-durch-Strategie" anwenden, in der Hoffnung, das Schlimmste könnte schon vorbei sein? Auf den folgenden Seiten analysiert wiwo.de daher die Ausgangslage und drei Strategien für Privatanleger.

Die Ausgangslage

Die Lage ist leider äußerst undurchsichtig; weder die US-, noch die europäische Schuldenkrise sind auch nur ansatzweise gelöst; die Finanzkrise ist nicht vorbei. Der Schulden-Kompromiss, auf den sich die US-Politiker nach zähem Gerangel vergangene Woche geeinigt haben, ist alles andere als Treibstoff für die Märkte: Wenn die noch immer mit Abstand größte Volkswirtschaft der Erde ein rigides Sparprogramm aufzieht, um mehrere Billionen Dollar einzusparen, wird das die Weltwirtschaft Wachstum kosten, so oder so.

Besser für die Börsen waren natürlich die großen Geld-Druckprogramme der US-Notenbank, weil sie Liquidität schufen und so den Druck aus den Märkten nahmen; natürlich war diese Medizin aber nicht ohne Nebenwirkungen: Die Inflationsgefahr wurde geschürt, und die wirklichen strukturellen Probleme der Weltwirtschaft nicht durch das Gelddrucken gelöst. Neue Gelddruckprogramme scheinen in den USA derzeit politisch schwer durchsetzbar, weil die Republikaner und allen voran die ultra-konservative weltfremde Tea-Party sich das Schuldenproblem als Wahlkampfthema ausgeguckt hat.

Hilfpaket verpufft

Der Widerstand gegen neues Gelddrucken könnte aber auch in der republikanischen Partei schnell wieder bröckeln, wenn sich herausstellt, dass die Börse und die US-Wirtschaft ohne ständig frisches Geld eben wieder in die Baisse oder in die Rezession zurückfallen könnten.

In Europa ist es nicht besser: Auch die Renditen der schwachen Euroländer steigen schon wieder; das umfangreiche Hilfspaket, das die EU-Politiker eben erst für Griechenland geschnürt und das die Märkte vorerst beruhigt hatte, scheint schon wieder zu verpuffen - so wie alle anderen Rettungsaktionen zuvor eben auch; zwar ist Griechenland erstmal auf dem Feuer, dafür wenden sich die Märkte nun Spanien und Italien zu, was ungleich gefährlicher ist, da diese beiden Märkte ungleich größer und wichtiger sind. Die Pleite eines dieser beiden Länder hätte verheerende Folgen, einerseits für die Wirtschaft, andererseits auch für die Finanzmärkte, da ihre Staatsanleihen viel weiter verbreitet sind als die Griechenlands.

Schwellenländer vorn

Besser scheint die Lage einzig in den Schwellenländern; doch diese werden nicht permanent auf dem jetzigen hohen Niveau weiterwachsen können, wenn dem Rest der Welt die Luft ausgeht; schlechte Nachrichten aus China, Indien, Brasilien und den anderen Wachstums-Stars wären also nur eine Frage der Zeit, wenn es nicht gelingt, die Probleme in Europa und den USA zu beheben.

Hoffnungsvolles, das gegen dieses eher pessimistische Bild sprächen, gibt es wenig: Der Aufschwung in den Schwellenländern müsste zum binnen-Boom und damit selbsttragend werden, in anderen Worten: weniger abhängig von den kranken Männern in den USA und Südeuropa.

Das mag langfristig ein realistisches Ziel sein, kurzfristig aber wird es nicht gelingen und daher vorderhand die Märkte auch nicht interessiere/beruhigen können.

Vorläufiges Fazit: Weitere Verluste sind leider nicht unwahrscheinlich.

Was tun?

Börsenhändler in Frankfurt Quelle: dapd

Es gibt drei mögliche Ansätze für Privatanleger, mit der derzeit äußerst undurchsichtigen Situation an den Märkten umzugehen:

Natürlich kommt es im Einzelfall stark darauf an, welche Aktien ein Anleger derzeit genau im Depot hat. Einige Werte, vor allem aus Telekom und Pharma-Branche, haben bisher nur kaum oder gar nicht unter dem Crash gelitten.

Strategie 1: "Lieber ein Ende mit Schrecken, als ein Schrecken ohne Ende" > Alle Aktien verkaufen!

Vorteil: Risiko weiterer Kursverluste begrenzt

Nachteil: Keine Chance, von möglicher Erholung zu profitieren.

Bewertung: Die Strategie ist sehr radikal. Eines vorab: Fakt ist, dass Privatanleger leider in ihrer Gesamtheit zu pro-zyklischem Verhalten neigen, das heißt, sie kaufen tendenziell zu spät (erst, nachdem eine Aktie eine Weile gut gelaufen ist) und verkaufen meist erst nach großen Verlusten. Auf die lange Frist ergibt dies (unabhängig vom jeweiligen Zustand der Märkte, positiver Gesamtwetterlage oder struktureller Baisse) eine sub-optimale Performance.

Wer sich nicht zur seltenen Spezies jener Anleger zählen darf, die das so genannte Markt-Timing perfekt beherrschen, sollte diese Strategie nur anwenden, wenn er/sie ein äußerst pessimistischer oder konservativer Anlegertyp ist. Oder wenn das Geld auf jeden Fall in absehbarer Zeit dringend gebraucht wird (etwa für eine größere Anschaffung), so dass eventuelle noch größere Verluste ein unlösbares oder doch gravierendes Problem darstellten.

Jean-Claude Trichet Quelle: dpa/dpaweb

Strategie 2: "Augen-zu-und-durch" (Aktien jetzt nicht mehr in den schwachen Markt hinein verkaufen, sondern festhalten)

Vorteil/Nachteil: Umgekehrt wie Strategie 1

Bewertung: Diese Strategie ist nicht minder tückisch wie Strategie 1, birgt sich doch die Gefahr, dass die Verluste sich auswachsen bis zu einem Maß, an dem sie nicht mehr binnen eines Anlage-Horizontes korrigierbar sind. Denn ist das Minus erst einmal sehr groß, wird es schwer wieder auszuwetzen sein.

Rechenbeispiel:

Ein Anleger besitzt ein Depot zu 100 Prozent in DAX-Aktien.

Der Dax Verliert 40 Prozent.

Danach dreht die Börse und der Dax gewinnt 40 Prozent wieder hinzu.

Der Anleger ist nicht auf 0, sondern schleppt weiterhin 16 Prozent Verlust vom Ausgangswert mit.

Der Dax verliert bei dem selben Depot 60 Prozent, das Depot des Anlegers also auch.

Danach erholt sich die Stimmung und der Dax gewinnt 60 Prozent wieder hinzu.

Nun beträgt die Lücke auf den ursprünglichen Einstandswert des Depots schon 36 Prozent, und so weiter.

Das ist mathematisch banal, aber es wird von Anlegern gerne vergessen, deshalb ist Verlustbegrenzung im Zweifel immer wichtiger als Gewinn-Maximierung, die beiden Ziele sind in der nachhaltigen und langfristigen Geldanlage keineswegs gleich wichtig!

Fazit: Nur nichts tun, scheidet für die meisten Anleger auch aus.

Parkett der deutschen Börse Quelle: ZBSP

Anstatt die Aktien, die teilweise vor 2009 gekauft und deren (ganz erheblich abgeschmolzenen) Gewinne also noch abgeltungssteuerfrei sind, zu verkaufen, sichert der Anleger die Gewinne mit einigen Short-Spekulationen ab. Er kauft sich z.B. ein short-Zertifikat auf den Dax mit Hebel 10. Mit einem Zehntel des derzeit in Aktien investierten Geldes kann er also das Depot auf Null halten, wenn der Dax weiter verliert.

Strategie 3: Absichern.

Steigen seine Dax-Aktien hingegen ab nächste Woche wieder, verliert zwar das Zertifikat stark, es sind aber auch nur 10 % des Betrages des Aktiendepots investiert.

Bewertung: Diese Variante ist kein perpetuum mobile und keine eierlegende Wollmilchsau, aber psychologisch viel günstiger als die beiden Radikallösungen. Der sichert sich nach beiden Seiten ab und verzichtet dafür aus etwas Performance, falls die Börsen wieder ins Plus drehen. Hagelt es hingegen weiter Verluste, ist er zumindest nicht mit dem vollen Risiko dabei. Der Anleger "erkauft" sich gewissermaßen etwas Ruhe in den kommenden Wochen. Im Unterschied zur "Alles-Raus-Strategie" (1) ist er in weiter Aktien investiert, falls z.B. die Notenbanken im großen Stile Geld drucken und die Börsen nach oben drehen, dann würde sich der Anleger nämlich mit dem vielen Bargeld aus dem Radikalverkauf wieder unwohl fühlen.

Wem short-Zertifikate nicht behagen, der kann indirekt absichern: Er sollte zumindest konjunktursensible Aktien lieber verkaufen (notfalls auch mit Verlust) und dafür den Gold-Anteil und die Cash-Quote im Depot erhöhen. Mit diesem Geld sollten dann an schwachen Tagen solide Qualitätsaktien mit hoher Dividende und guter weltweiter Marktposition gekauft werden.

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