Finanzbranche fürchtet weitere Sanktionen Die US-Regierung ist unberechenbar

Quelle: imago images

Durch die Russlandkrise bekommt das Wirtschaftswachstum Bremsspuren. Bleiben dadurch Lohnforderungen moderat und fällt ein Zinsanstieg aus, können Aktien weiter steigen.

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Thomas Becker lebt seit Jahrzehnten in den USA und ist Fondsmanager für US-Aktien in Boston beim Fondshaus JO Hambro. „Die Umfragewerte für Donald Trump und die Republikaner waren vor den Sanktionen nicht gut und im November sind Kongresswahlen. Er versucht jetzt, seinen Wählern das zu geben, was sie möchten und dazu gehört der Druck auf China und Russland.“ Mit den Sanktionen lenke er davon ab, das ihm selbst Verstrickungen mit Moskau vorgeworfen werden. Es ist gar nicht der Syrien-Konflikt, der ihn jetzt zu Sanktionen greifen ließ, die Idee ist nicht neu.

Zum Gespött des Finanzmarktes wurden die USA Ende Januar. Damals hatten sie eine Sanktionsliste vorgelegt, die der bekannten "Forbes"-Liste der 100 reichsten Russen entsprach. Die Amerikaner stellten einfach noch alle russischen Regierungsmitglieder hinzu. Zwei Monate später lacht niemand mehr. Jetzt liegt eine Liste vor mit den Namen einer Handvoll Oligarchen und russischen Unternehmen, die es in sich hat. Denn Amerikaner dürfen mit den Unternehmen und Russen, die auf der Liste stehen, keinen Handel mehr treiben und die Genannten dürfen auch keine Dollar mehr handeln. Das blockiert sämtliche Zahlungen.

„Die erste Liste im Januar war sehr unspezifisch, daher hat niemand mit so scharfen Schritten gerechnet“, sagt Andreas Schwabe, Volkswirt bei der Raiffeisenbank International in Wien. Weitere Folgen jetzt: US-Ansässige müssen Aktien und Anleihen der Gelisteten innerhalb von 30 Tagen aus ihren Depots verbannen. Die exterritoriale Wirkung amerikanischer Gesetze führt dazu, dass die Auswirkungen nicht nur US-Banken und -Anleger betreffen, sondern auch europäische Banken bei Verstößen mit Strafen rechnen müssen. Die französische Bank BNP Paribas etwa wurde 2015 wegen Missachtung von Iran-Sanktionen in den USA zu einer milliardenschweren Strafe verdonnert.

Der Handel mit den Aktien und Anleihen etwa vom Aluminiumhersteller Rusal, einem Mitglied auf der US-Sanktionsliste, ist quasi tot, nur ein paar Stücke gingen noch in Darkpools um. Blockiert war etwa der Schweizer Maschinenbauer Sulzer, an dem der auf der Sanktionsliste stehende Russe Viktor Vekselberg indirekt eine Mehrheit hielt. „Der Schweizer Maschinenbauer Sulzer reagierte schnell und konnte sich dank seiner starken Bilanz mit dem hohen Eigenkapital und den freien Geldern schnell aus den Sanktionen befreien“, sagt Eleanor Taylor Jolidon, Co-Leiterin Schweizer und globale Aktien bei Union Bancaire Privée in Genf. Sulzer hat die eigenen Aktien zurückgekauft und den Anteil von Vekselberg unter die für die Sanktionen maßgebliche Grenze gedrückt.
Unternehmen mit weniger soliden Finanzen und ohne entsprechend hohe freie Mittel allerdings hätten einen größeren Schaden gehabt, denn alle Gelder wurden zwischenzeitlich blockiert. „Sulzer kann die eigenen Aktien zu einem späteren Zeitpunkt und guten Kursen wieder am Markt platzieren und dadurch den Freefloat bei der Aktien erhöhen, was vom Markt begrüßt würde“, sagt Jolidon. Die Kundenbeziehungen von Sulzer wurden ebenfalls nicht geschädigt und Sulzer wird auch in diesem Jahr seine Erwartungen erfüllen. Kurzfristig haben die Sanktionen aber auch wohl die 2000 Sulzer-Mitarbeiter in den USA und die US-Kunden besonders irritiert. Insgesamt scheint der Schaden aber auch am gesamten Schweizer Aktienmarkt begrenzt zu bleiben.

Auch für schwächere Konjunkturaussichten in Russland gibt es momentan noch keine Anzeichen. „Die Wirtschaft wächst voraussichtlich ein bis zwei Prozent in diesem Jahr. Noch bleiben wir bei dieser Einschätzung, trotz des schwächeren Rubels. Ein großer Schock ist bislang ausgeblieben“, sagt Raiffeisen-Volkswirt Schwabe. Der russische Leitzins ist mit 7,25 Prozent im internationalen Vergleich hoch, die Inflation ist 2017 unter vier Prozent gesunken, was weitere Zinssenkungen erwarten lässt. Nach der in Schwellenländern üblichen Logik könnte die russische Zentralbank aber im Falle einer weiteren Sanktionsausweitung trotzdem von Zinssenkungen absehen oder die Zinsen sogar erhöhen, um Auslandsgelder anzuziehen und Kapitalabflüsse zu vermeiden, so Schwabe.

In der Finanzbranche geht die Angst um, dass eine weitere Liste kommen könnte und sich der Bannkreis vergrößert. Eine kürzlich in die Diskussion gebrachte Liste mit Sanktionen gegen Syrien-Geschäftspartner oder Zulieferer für Chemiewaffen scheint allerdings zunächst vom Tisch.

Großanleger und Banken spielen jetzt in ihren Risikomodellen trotzdem Worst-Case-Szenarien durch, denn die US-Regierung ist unberechenbar: Käme sie auf die Idee, auch noch russische Staatsanleihen mit Sanktionen zu belegen oder alle Unternehmen, in denen der russische Staat eine Mehrheit hält, dann wären die Auswirkungen an den Aktien- und Anleihemärkten massiv. Die Papiere sind in großen Börsenindizes enthalten und damit auch Bestandteil von Indexfonds. „Es ist davon auszugehen, dass große Finanzhäuser die US-Regierung von diesem Vorhaben abbringen werden“, glaubt ein Bankexperte.

Bei der Deutschlandkonferenz des Bankhauses Lampe im noblen Brenners Parkhotel in Baden-Baden , war Russland kein großes Thema. In den Gesprächen zwischen Investoren und Unternehmen ging es nach Eindruck von Teilnehmern allenfalls am Rande um die Sanktionen. Die Lage wird aber von allen beobachtet, denn sie kann die Konsumlaune und die Stimmung in der Wirtschaft trüben, weil auch der gesunkene Rubelkurs das Geschäft von Exporteuren belastet (siehe Interview Martin Hüfner, Assenagon).
Manfred Piontke, Vermögensverwalter und Manager des Aktienfonds MPPM Deutschland, sagt, er habe sich angewöhnt, in politisch beeinflussten Börsenphasen nur die Fakten zu berücksichtigen und ökonomisch zu beurteilen. Vom Stimmungen will er sich nicht anstecken lassen. Würde die Russland-Krise die Stimmung in der Wirtschaft trüben, stört Piontke das nicht. Das erste Quartal ist für viele Unternehmen gut gelaufen, wenn jetzt mit den schwächeren Indizes für Einkaufsmanager und Konsumlaune die Erwartungen etwas gedämpft würden, wäre das durchaus sinnvoll, meint Piontke.

Allzu horrende Lohnforderungen der Gewerkschaften könnten so vielleicht gebremst werden und auch die EZB könnte sich beim Thema Zinsanstieg zurücklehnen. Lohnforderungen von vier bis fünf Prozent würden die Unternehmen mit höheren Preisen weitergeben und wenn der Euro zum Dollar schwächer werden sollte, könnte über Material- und Rohstoffpreise Inflation aufkommen. „Gehen die Erwartungen mit der politischen Unsicherheit zurück, entweicht die Luft aus dem Ballon“, so Piontke.

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