Gamestop Nützliche Geier: Ein Plädoyer für die Shortseller

Kampf gegen dunkle Mächte? Graffitis der Aktiensymbole von GameStop und der Kinokette AMC vor dem Fearless Girl an der New York Stock Exchange. Quelle: dpa

Im Moment tut alle Welt so, als entbrenne um die Gamestop-Aktie ein finaler Kampf zwischen jungen Helden und dunklen Mächten, zwischen hart arbeitendem Volk und bösen Kapitalisten. Völliger Unsinn. Hedgefonds riskieren eine Menge – und sie helfen allen Anlegern. Ein offener Brief an die neue Generation Aktie.

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Liebe Gamestop-Crowd, liebe Wallstreetbets-Nutzer, liebe Kunden von Robinhood und Trade Republic, 
Respekt. Wirklich. Wie Ihr gemeinsam die großen Hedgefonds-Manager aus ihren Villen in den Hamptons treibt, das hat was. „Meine Jungs kämpfen auf der guten Seite der Macht“ schreibt mir heute ein Freund, der auch dabei ist, ironisch mit Smiley, immerhin. Die Geschichte von Robin von Locksley, der mit seinem Haufen aus Bauern, Wilderern und entlaufenen Knechten den Sheriff von Nottingham ärgert, fasziniert mich, seit ich zehn Jahre alt war.

Nur: Die Wirklichkeit ist nicht so einfach, nicht schwarz oder weiß. Und im Moment ufert die Debatte um Hedgefonds und Shortseller aus, angeheizt von ungebeten zur Hilfe geeilten Ideologen, die so gar nicht begreifen, was Ihr da eigentlich tut. Als fände hier der revolutionär-sozialistische Endkampf statt, zwischen gemeinem Volk und bösen Kapitalisten. Robin Hood gegen Rockefeller. 

Ja, normale Menschen haben gelitten unter dem, was die Wall Street in der Finanzkrise angerichtet hat. Es ist erschütternd, wenn Kinder Ketchuptütchen aus der Schulkantine klauen, damit ihre Mutter ihnen daraus Tomatensuppe kocht. Deshalb haben wir die Anklage eines jungen Traders aus dem Forum Wallstreetsbets auch veröffentlicht. 

Eine rührende Anklage, aber sie trifft die Falschen

Denn Hedgefonds, die auf fallende Kurse wetten, haben die Finanzkrise nicht ausgelöst. Das waren Politiker, die großzügige Kredite förderten und forderten, um allen Menschen, auch denen mit ganz niedrigem Einkommen, Hausbesitz zu ermöglichen. Vor allem aber waren es Banker, die nicht genug bekommen konnten, und Ratingagenturen, die ihnen dabei halfen, faule Hauskredite neu zu verpacken, in Scheibchen zu portionieren und dann, wenn nicht mehr zu erkennen war, was darin für ein Müll steckte, diese dann weiterzuverkaufen. Die Hedgefonds haben nur als erste das Spiel durchschaut und auf den Kursverfall dieser Papiere gewettet – aber deswegen ist kein einziger Kreditnehmer mehr in Not geraten. Es wurde auch kein Hedgefonds mit Steuergeld gerettet. Hedgefonds sind keine Banken. 

Ihr genießt es, einmal die Großen vor Euch herzutreiben. Aber im Grunde geht es Euch mit Euren Kleinbeträgen in der App doch um genau das gleiche wie den Großen: Ihr wollt Geld verdienen – und seid scharf auf den Kick im Gehirn, der sich einstellt, wenn ich Recht behalten habe und dafür belohnt werde. Aber stilisiert Euch bitte nicht hoch zu den Rächern aller Enterbten, zu den Altruisten der Märkte. Mutter Theresa zockt nicht an der Börse, den Jesus der Kapitalmärkte gibt es nicht. Auch nicht bei Euch. Aus der Blase um die Videospielkette Gamestop eine moralisierende, antikapitalistische Kiste zu machen, das geht mir zu weit. Shortseller sind keine Helden. Sie sind aber weder böse noch überflüssig. 

In einer früheren Titelgeschichte haben wir sie als Aasgeier der Börse beschrieben. Mit Leuten, die am Niedergang anderer verdienen, will niemand zu tun haben – aber brauchen wir deshalb keine Beerdigungsunternehmer? 

Klar macht es mehr Spaß, die Welt in rosa zu sehen: Manager sind klug, Bilanzen stimmen, Kurse steigen, alle sagen die Wahrheit und Aufsichtsbehörden und Presse erledigen einen Superjob. Weil das aber nicht stimmt, brauchen wir die Geier. Die in der Hoffnung auf Beute nach kranken oder toten Viechern suchen, über ihnen kreisen, andere darauf aufmerksam machen – und am Ende die Kadaver abnagen. 

Wenn die Geier ausgerottet sind, liegt am Ende die Wüste voller Kadaver. Dann stinkt es, und alle werden alle krank. Der Milliarden-Energiekonzern Enron, der gigantische Fake um den chinesischen Bambuspflanzer Sino Forest und der deutsche Zahlungsdienstleister Wirecard sind nur die berühmtesten Fälle, in denen Shortseller als erste über Unternehmen kreisten – und dann Journalisten und Aufseher auf die Spur brachten. 

Wer soll es sonst tun? Aufsichtsbehörden, deren Mitarbeiter munter mit Wirecard-Aktien zockten? Long only Fondsmanager und Sellside-Analysten, die sich mit Kurszielen gegenseitig überboten? Betrügerische Unternehmen können enorme Mittel aufwenden, um sich reinzuwaschen. Auch Wirecard hat das immer wieder geschafft. Wer dagegenhält, braucht Mut und gute Anwälte, oder viel Geld. Wirecard hatte Millionen Fans. Menschen, die gut an der Aktie verdient hatten, so wie Ihr jetzt an Gamestop. Journalisten, die kritisch über Wirecard geschrieben haben, können viel erzählen über so manchen Shitstorm, der im Netz über sie hinweggefegt ist. 



Was aber wäre gewesen, wenn die Shorties Wirecard nicht entdeckt hätten? Dann wäre die Aktie womöglich noch viel weiter gestiegen – und Privatanleger wie Fonds hätten noch viel mehr verloren. „Wir haben sicherlich das Potenzial, den Börsenwert in den kommenden Jahren auf mehr als 100 Milliarden Euro zu bringen,“ tönte Wirecard-Chef Markus Braun 2018 im „Handelsblatt“. Fast alle haben es ihm geglaubt. 

Wenn niemand short geht, immer mal wieder verkauft, das zeigen die Erfahrungen am Neuen Markt (das war die Gamestop-Ära der Babyboomer, als es viel zu wenig Shortseller in Deutschland gab), dann steigen die Kurse immer weiter, wird der Crash um so schlimmer.

Ihr seht immer nur die Hedgefonds-Milliardäre, die Shortseller, die erfolgreich waren. Dass sich unzählige dabei ruinierten, dass Hedgefonds im Schnitt der letzten Jahre grottig abgeschnitten haben, das seht Ihr nicht, wenn Ihr gegen die reichen Hedgies wütet. Von denen, das gebe ich zu, viele obszön zu viel kassieren. Weil man sie lässt, weil ihre Geldgeber, die Pensionsfonds und Versicherer, die Eure Altersvorsorge managen, ihren Job nicht machen, ihnen nicht die Gebühren kürzen. 

Ich bleibe dabei: Shortselling ist die Königsdisziplin der Börse. Der Shortseller muss sich seiner Sache absolut sicher sein. Er hat ein theoretisch unbegrenztes Verlustrisiko (was der Aufstieg von Gamestop von 10 auf 400 bewiesen hat). Aktien können unbegrenzt steigen, aber nur auf null fallen. Ihr verliert nur die 100, 500 oder von mir aus 5000 Euro, die Ihr gesetzt habt. Shortseller tragen das Risiko, sich selbst bei kleinem Einsatz komplett zu ruinieren – wenn die Aktie, auf deren Kursverfall sie setzen, schnell steigt. Deshalb recherchieren viele akribisch, ob sie mit ihrer Einschätzung richtig liegen - viel aufwendiger, als es sich die meisten Journalisten leisten können. Ich wage die Behauptung, dass die meisten von Euch, die Gamestop spät gekauft haben, überhaupt nicht recherchiert haben. Kann jeder handhaben, wie er will – aber dann beschwert Euch nicht, wenn es schief geht. 

Bitte nicht falsch verstehen: Ich habe kein Mitleid mit Melvin Capital und Citron Research. Sie haben gezockt, waren zu gierig und haben verloren. So ist das Spiel. Sollten sie oder ihre Verbündeten mit unfairen Mitteln gekämpft haben – auf Broker eingewirkt, dass diese weitere Gamestop-Käufe verweigern – so ist das ungesetzlich. Dass Anleger nicht handeln können, weil ihr Broker nicht genug Kapital für Sicherheitsleistungen hat, ist schlimm genug. Sollte es noch andere Gründe für den Handelsstopp geben, wäre dies kriminell. Schuldige müssten dann bestraft und wer deswegen Geld verloren hat, muss entschädigt werden. Deshalb ist es richtig, dass sich US-Behörden die Vorgeschichte der Handelsstopps genau anschauen.  

Was Ihr Euch noch anschauen solltet, sind Eure Verbündeten in dem Kassen-Kampf gegen die Wall Street: Eure Neobroker, allen voran Robinhood, können nur aus einem einzigen Grund auf Provisionen verzichten: Weil sie Eure Aufträge an Citadel (das sind die, die Melvin Capital gestützt haben) und andere Hedgefonds weiterleiten, die sie gegeneinander verrechnen und die Spanne zwischen Kauf- und Verkaufskurs einstreichen – und nebenher noch schöne Informationen darüber bekommen, was von Euch demnächst so an den Börsen anrollt.  

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Aber was habt Ihr geglaubt? Es gibt keinen Free Lunch, auch nicht an der Börse. Das ist wie bei Google und Facebook: Wenn Ihr ein Produkt umsonst bekommt, dann seid Ihr das Produkt. Aber dass Robinhood irgendetwas mit dem „Reich-an-Arm-Geber“ vom Sherwood Forest gemein hat, habt Ihr Euch vermutlich ohnehin schon abgeschminkt. 


Clubhouse-Talk am 2.2.2021 um 18 Uhr: Bei dem Hype um Gamestop wurden vergangene Woche milliardenschwere Hedgefonds in Schieflage gebracht. Übernehmen Handy-Trader jetzt die Macht an den Börsen? Darüber sprechen die WiWo-Redakteure Lukas Zdrzalek und Saskia Littmann heute Abend gemeinsam mit Erik Podzuweit (Gründer Scalable Capital) auf Clubhouse. Zuhören und mitdiskutieren erwünscht.

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