Geldanlage Chancen und Risiken der Dax-30-Werte

Es war der rasanteste Jahresstart aller Zeiten, den der Dax Anfang 2012 hinlegte. Treiber Nummer eins: das billige Geld der Notenbanken. Doch das birgt Gefahren. Die Geschäfte der Unternehmen laufen nicht alle rund. Bei welchen Aktien Anleger dabeibleiben, welche Papiere verkauft werden sollten, wo sich auch Zertifikate lohnen.

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Dax-Kurve Quelle: dpa

Schuldenkrise, Konjunkturflaute – das alles ficht die deutschen Unternehmenslenker nicht mehr an. Als am Donnerstag der ifo-Index, das wichtigste deutsche Konjunkturbarometer, nicht nur den vierten Monat in Folge gestiegen war, sondern deutlich bessere Perspektiven für die deutsche Wirtschaft signalisierte, rieben sich Experten die Augen. „Das ist ein fulminanter Anstieg, der in dieser Größenordnung nicht zu erwarten war“, gab Christian Melzer, Konjunkturexperte der Dekabank, die Jubelstimmung unter den Volkswirten wieder. Börsianer aber zögerten. Der Dax knickte nach den ifo-Zahlen um 100 auf 6800 Punkte ein.

Diagramm: Starker Jahresauftakt

Ist also womöglich schon alles Positive drin in den aktuellen Kursen?

16 Prozent hatte der Dax seit Jahresanfang zugelegt. So stark lief die Börse zu Jahresbeginn zuletzt, als Willy Brandt Bundeskanzler war und Mittelfeld-Ass Lothar Kobluhn von Rot-Weiß Oberhausen sich anschickte, vor einem gewissen Gerd Müller Torschützenkönig der Fußballbundesliga zu werden, nämlich 1971.

Neun Wochen in Folge wie von Mitte Dezember 2011 bis Mitte Februar legte der Dax vor knapp 14 Jahren zu. „Liquidität, Konjunkturtrend und vernünftige Bewertungen. In den letzten Monaten waren alle drei Faktoren auf der ,richtigen‘ Seite“, so erklärt Hans Peterson, Chef-Stratege der SEB Bank, den Aufschwung.

Im Durchschnitt ein starkes Ergebnis, von dem aber längst nicht alle im Dax engagierten Anleger profitieren. Daimler-Aktionäre etwa freuen sich über ein Drittel Kurszuwachs, Merck-Anleger über ein leichtes Plus, die von Fresenius Medical Care liegen seit Jahresbeginn dagegen nur auf der Nulllinie.

Diagramm: Nicht alle über einen Kamm Quelle: Bloomberg

Die Differenz zwischen starken, mittelmäßigen und schwachen Performern im Dax ist 2012 so ausgeprägt wie selten. Das dürfte auch für die kommenden Monate gelten.

Unangenehme Überraschung schlummert in mancher Dax-Bilanz

Erst knapp die Hälfte der 30 Dax-Unternehmen hat bisher Zahlen für das letzte Quartal und das Geschäftsjahr 2011 vorgelegt. Die Jahresbilanzen, die echte Rechenschaft, wie es um die Unternehmen bestellt ist, folgen zum größten Teil erst im März.

Schon jetzt aber gibt es erste Fingerzeige. Und die sind nicht unisono positiv. Beim Lkw-Bauer MAN etwa drittelte sich der Jahresüberschuss 2011 auf nur noch 247 Millionen Euro. Die Deutsche Bank rutschte vor Steuern im vierten Quartal in die roten Zahlen – und verfehlte die Analystenprognosen mal eben um 1,6 Milliarden Euro. Auch ThyssenKrupp, dessen neues Geschäftsjahr bereits am 1. Oktober begonnen hatte, legte tiefrote Zahlen vor: Je Aktie schrieb der Stahlkonzern im Schlussquartal 2011 30 Cent Verlust – nach 29 Cent Gewinn im Vorjahreszeitraum. Vergangenen Mittwoch enttäuschte der Gesundheitskonzern Fresenius mit der Umsatzprognose für 2012, während zeitgleich die Tochter Fresenius Medical Care auch nur so eben die Schätzungen traf. Die Telekom schockte am Donnerstag mit einem Jahresüberschuss 2011, der um mehr als 80 Prozent unter den Analystenprognosen lag. Wenig besser die Allianz, deren Jahresnettogewinn um mehr als 40 Prozent absackte. Und selbst beim erfolgsverwöhnten Autobauer VW wird gebremst: Man sei zwar „erfreulich ins neue Jahr gestartet, aber 2012 wird herausfordernd“, dämpfte Vertriebsvorstand Christian Klingler die Euphorie.

Die EZB greift erneut tief in die Tasche


Europäische Zentralbank Quelle: dpa

Auch in den USA startete die Berichtssaison so mau wie seit vier Jahren nicht mehr. Mehr als die Hälfte der Unternehmen schaffte es nicht, die Markterwartungen zu übertreffen, oder unterschritt diese sogar.

Treiber der Börse sind also weniger Top-Unternehmensergebnisse quer durch alle Branchen als externe Faktoren. Vor allem die sich immer weiter öffnenden Schleusen der Notenbanken, die Geld in die Welt pumpen, das rentierlich angelegt sein will. Die Bank of England hat gerade den Ankauf von britischen Staatsanleihen um 50 auf 325 Milliarden Pfund Sterling erhöht. Schon seit fast einer Generation gibt es den japanischen Yen über Darlehen nahezu zinslos. China senkte jüngst die Einlagenforderung an seine Banken, was wiederum Liquidität schafft. Die US-Notenbank Fed pumpt Geld zum Nulltarif in die Märkte, schon seit 2009. Das neueste Versprechen von Fed-Chef Ben Bernanke, die Nullzinspolitik nun sogar bis 2014 durchzuhalten, trieb den Dow Jones auf das höchste Niveau seit vier Jahren; der Nasdaq-Index, in dem Technologieaktien wie Apple notiert sind, erreichte sogar ein Elfjahreshoch.

Welche rein, wo raus? - Die Perspektiven der DAX-30 A-C

Hauptgrund: Großinvestoren, die Anlegern mehr als die zwei Prozent Rendite versprochen haben, die relativ sichere Staats- oder Unternehmensanleihen derzeit nur bringen, haben kaum eine andere Wahl, als an der Börse ihr Glück zu suchen.

Und zur Geldschwemme trägt zunehmend auch die einst eher zurückhaltende Europäische Zentralbank (EZB) bei. 489 Milliarden Euro hat sie Banken für bis zu drei Jahre geliehen, zum Minizins von einem Prozent. „Mit den Milliarden sind die Ausfallrisiken bei Banken gesunken, das stützt den Markt“, sagt Stefan Schilbe, Chefvolkswirt von HSBC Trinkaus & Burkhardt. „Geht es den Banken besser, sollte sich das in nächster Zeit auch positiv bei den Konjunkturindikatoren bemerkbar machen.“

Zumal die EZB von Mittwoch an erneut tief in die Tasche greifen wird. Daniel Hartmann, Analyst beim Schweizer Anleihemanager Bantleon, erwartet, dass die EZB den Banken erneut rund 500 Milliarden Euro billig über drei Jahre leihen wird. Binnen Kürze hätte Europas Finanzwirtschaft damit eine Billion Euro hinterhergeworfen bekommen, rund zehn Prozent des Bruttoinlandsprodukts der Euro-Zone. „Das überschüssige Zentralbankgeld dürfte in noch stärkerem Maße als bislang für Wertpapierkäufe verwendet werden“, so Hartmann. Mit der Entspannung der Euro-Krise müssten die Banken eben weniger Liquidität halten.

"Die Branche verschweigt die Gefahren"


RWE will und muss sich gesundsparen. Die Werte an der Börse sind zu teuer Quelle: dpa

Was kurzfristig heilsam für die Börsenkurse sein könnte, wäre langfristig möglicherweise Gift. „Die Gefahr einer Vermögensblase ist nicht von der Hand zu weisen“, sagt Hartmann. Die zusätzliche Liquidität „dürfte den Kursen zunehmend die realwirtschaftliche Bodenhaftung nehmen“. Am Ende könnte die Finanzwelt wieder dort ankommen, wo sie schon einmal vor dem Lehman-Crash 2008 stand – auf Kurs- und Preisniveaus aller Vermögensklassen, die keinerlei Puffer mehr für Risiken beinhalten. Konkret: „Bei einem Dax über 8000 Punkten und einem Ölpreis jenseits der 150 Dollar“, so Hartmann.

Die Angstbarometer der Börse signalisieren schon jetzt, dass Investoren sorglos sind. Der US-Börsen-Volatilitätsindex VIX, der Schwankungsintensität und Risikoappetit der Anleger misst, hat sich seit Herbst von 48 auf derzeit 18 Punkte fast gedrittelt.

Wo rein, wo raus? - Die Perspektiven der DAX-30 D-H

Weiteres Warnzeichen: Die Anzahl der Optimisten ist parallel zu den seit Jahresbeginn deutlich gestiegenen Aktienkursen massiv nach oben geschnellt. Wer optimistisch ist, hat schon gekauft und fällt als weiterer Nachfrager aus.

„Einen Katapultstart, wie wir ihn derzeit erleben, hatte niemand auf der Rechnung. Umso interessanter ist nun, dass die Investmentbranche mögliche Rückschlagsgefahren totschweigt“, sagt Eugen Keller, Leiter der Renten- und Devisenstrategie des Bankhauses Metzler in Frankfurt. Keller mahnt, dass die Konjunkturindikatoren in den Südländern der Euro-Zone sich in einem ungebrochenen konjunkturellen Abwärtstrend befinden. Dies werde „wirtschaftliche Kontraktion und massive soziale Spannungen als unliebsame Folgen“ nach sich ziehen. Nachdem der Dax das Kursziel von 7000 Punkten, das die Metzler-Experten optimistisch zu Jahresbeginn ausgerufen hatten, „viel schneller als gedacht nahezu erreicht hat und hier auf Widerstände trifft“, rät Keller Anlegern „zu Gewinnmitnahmen“, sprich: Verkäufen.

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Dass trotz Liquiditätsschwemme nicht alles in Butter ist, signalisieren Risikoindizes auf Banken, die von ihren Jahrestiefs Anfang Februar um 14 Prozent zugelegt haben. Kein Wunder: In Spanien etwa liegen die faulen Privatkredite mit knapp 136 Milliarden Euro auf dem höchsten Stand seit 1994. Auch ein weiter steigender Ölpreis könnte der Börse „Probleme bereiten“, so Trinkaus-Chefsvolkwirt Schilbe.

Immerhin haben sich die Konjunkturperspektiven für die Weltwirtschaft insgesamt seit Jahresbeginn zwar etwas gebessert. Sie verdienen aber, sagt Eberhardt Unger, Chefvolkswirt von Fairesearch, nicht mehr als die Einschätzung „Stagnation“.

Die Favoriten für 2012


SAP Logo Quelle: dpa

Nahezu stagnieren dürften dieses Jahr auch die Gewinne der 30 Dax-Unternehmen gegenüber dem Vorjahr. Prognosen gehen derzeit von einem Ertragszuwachs von sechs Prozent aus. Die ein oder andere Abschreibung auf Staatsanleihen hier, nicht kalkulierte Abwertungen auf zu teuer gekaufte Töchter dort – der unterstellte leichte Zuwachs könnte schnell dahinschmelzen. So lag etwa das erwartete Kurs-Gewinn-Verhältnis der Deutschen Telekom 2011 am vergangenen Mittwoch noch bei 13; nach der Veröffentlichung der echten Zahlen am Tag darauf schnellte es auf sagenhaft teure 68.

Selbst wenn man die wackligen Prognosen für Gewinne und Mittelzuflüsse für bare Münze nimmt, so bewegen sich die Dax-Unternehmen derzeit nur auf dem Schnitt der vergangenen Jahre. Gemessen am durchschnittlichen Kurs-Gewinn-Verhältnis seit 2006, hat der Dax noch acht Prozent Luft, so denn 2012 die Analystenschätzungen im Durchschnitt besser zutreffen sollten als 2011; gemessen am Verhältnis von Barzuflüssen aus den laufenden Geschäften der Unternehmen, stößt der Dax schon an seine Grenze: Diese geben nur noch einen Kurszuwachs von drei Prozent her.

Wo rein, wo raus? - Die Perspektiven der DAX-30 R-V

Das sind die Durchschnittswerte. Bei einzelnen Papieren jedoch lohnt es sich, auf weitere höhere Zuwächse zu setzen. Favoriten bleiben SAP oder Daimler, deren Kursanstiege von deutlich verbesserten Geschäftsaussichten untermauert sind. Das ist längst nicht bei allen Dax-Werten der Fall – bei den Versorgern zum Beispiel nicht.

SAP schrieb 2011 Rekorde: Gewinn plus 90 Prozent auf gut 3,4 Milliarden Euro, bei einem Umsatzplus von 14 Prozent auf 14,2 Milliarden Euro. Trotz der konjunkturellen Unsicherheiten winkt Wachstum, weil neue Produkte, wie etwa die Datenbank Hana, einen Extraschub geben dürften. Auch Daimler schaffte mit einem Jahresüberschuss von mehr als sechs Milliarden Euro einen Rekord – den die Stuttgarter in diesem Jahr zumindest halten dürften.

BASF, Henkel oder Linde sind vor allem langfristig aussichtsreich, ihren Anteil im Depot jetzt schon weiter zu erhöhen macht aber wegen schon überdurchschnittlicher Bewertung erst bei Kursrückschlägen Sinn.

Zum Teil können Investoren über Zertifikate mehr verdienen als mit den Aktien selbst, besonders dann, wenn Aktien sich wenig bewegen dürften, wie etwa eine Siemens. Anleger bauen mit Zertifikaten auch ein Sicherheitspolster auf – für den Fall, dass die plötzlich aufgeflammte Euphorie für Aktien nachlassen sollte und die Tausende an Milliarden der Notenbanken von den Märkten zurück auf die Bilanzen geholt würden.

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