Geldanlage global
Charts auf einem Monitor Quelle: imago images

An der Börse gibt es bereits ein Medikament gegen Corona

Auch wenn Corona in kürzester Zeit die größte globale Rezession der Nachkriegsgeschichte ausgelöst hat, haben die Kapitalmärkte zuletzt viel Optimismus gezeigt. Doch Vorsicht: Die Situation bleibt sehr speziell und mit einer hohen Ungewissheit behaftet.

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Das dritte Jahrzehnt des neuen Jahrtausends ist mit einem Halbjahr eröffnet worden, das in die Geschichtsbücher eingehen wird: die ökonomischen, die der Kapitalmärkte, aber auch die medizinischen. Es war, wie man schon jetzt sagen kann, in jeder Hinsicht historisch. Die Folgewirkungen sind bislang noch nicht absehbar.

Zu den medizinischen Aspekten sich tiefgehend zu äußern, ist nicht Gegenstand dieses Artikels. Wichtig für Wirtschaft und Kapitalmärkte war, dass die deutlich höhere Mortalität und Ansteckungsrate von Corona im Vergleich zur Influenza in einer Vielzahl von Ländern zunächst mit „Lockdowns“ bekämpft wurde, also großflächigen und breitgefächerten Schließungen, die die wirtschaftliche Aktivität zum Erliegen brachten und Kapitalmärkte, aber auch Geld- und Fiskalpolitik mit nie dagewesenen Herausforderungen konfrontierten.

Corona hat die größte globale Rezession der Nachkriegsgeschichte ausgelöst. In die Geschichte wird auch die ungeheure Geschwindigkeit dieser Abwärtsbewegung eingehen. Das lässt sich an einigen Zahlen verdeutlichen: Die USA verloren im April über 20 Millionen Arbeitsplätze, Chinas Sozialprodukt fiel im 1. Quartal um über 6,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahresquartal, Japans Industrieproduktion fiel im Mai um über 25 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Die deutsche Kurzarbeiterzahl erreichte im April einen historischen Rekord mit einem Wert von über acht Millionen, die Einzelhandelsumsätze in Frankreich sanken in der Spitze um über 30 Prozent und die Autozulassungen in Italien lagen im April um über 95 Prozent unter dem Vorjahreswert.

In der historischen Rückschau auf die Kapitalmärkte bleibt die Achterbahnfahrt zwischen zwei Quartalen im Gedächtnis. Zunächst erinnerte die Abwärtsbewegung in ihrer Dynamik auf Monatssicht an die Werte von 1987, dann erholten sie sich aber mit hoher Geschwindigkeit. Besonders erfolgreich schnitten dabei US-Technologiewerte ab, deren Barometer Nasdaq seit Jahresanfang mittlerweile im Plus ist. Extreme Marktverspannungen lassen sich auch mit der Tatsache illustrieren, dass der Future auf WTI-Öl kurzzeitig sogar negativ wurde. Doch gerade risikoreiche Assetklassen wie Aktien erholten sich im zweiten Quartal, ohne dass es jenseits eines kurzen Rücksetzers zu einer längeren Korrektur kam.

Aus Kapitalmarktsicht lassen sich aus dieser Corona-Erfahrung einige Lektionen ableiten:

  1. Das Vertrauen in die Notenbanken und deren Bereitschaft, eine „Whatever it takes“-Politik zu verfolgen, ist ungebrochen. Dies ist offenbar eine wirksame Corona-Medizin – zumindest für die Märkte. Allerdings hat es den Effekt, den Drogen beziehungsweise Medikamente bei einem Süchtigen haben: Er braucht immer mehr.
  2. Der Konsens am Markt erwartet eine wirtschaftliche Erholung im 2. Halbjahr 2020 und weiterhin in 2021. Kapitalmärkte setzen in der Einpreisung der Zukunft auf diese Konsenserwartung, nicht auf die aktuell veröffentlichten negativen Zahlen. Das wiederum heißt, dass allein die Tatsache, dass ökonomische Zahlen besser werden, schon weitgehend eingepreist sein dürfte, sie müssen nun auch überzeugen. Alleine eine Verbesserung wird nicht ausreichen. Insofern ist die Frage für die kommenden Monate nicht, ob eine Erholung stattfindet, sondern ob eine Erholung stattfindet, welche die überaus positive Erwartung der Märkte befriedigt. Andernfalls drohen zumindest temporäre Rücksetzer.
  3. Kapitalmärkte fokussieren auf die Erholung in 2020/21, nicht auf die langfristigen Herausforderungen. Eine Diskussion über die Frage, wie nach einem Abklingen oder dem Ende der Covid-19-Pandemie mit den überbordenden Staatsschulden umzugehen ist und wie aus der massiv expansiven Geldpolitik wieder ausgestiegen werden kann, findet derzeit nicht statt. Sie ist allerdings auf längere Sicht unvermeidbar und wird hohe Herausforderungen für die Märkte mit sich bringen.

Insgesamt verfestigt sich durch die aktuelle Krise der Eindruck, dass Kapitalmärkte im neuen Jahrtausend in vielfacher Hinsicht an einer Spielart des Pawlowschen Hundes festzumachen sind.

Früher haben Kapitalmärkte die ökonomische Erholung vorweggenommen. In den letzten Jahren haben sie festgestellt, dass es weder für den monetären noch den fiskalischen Stimulus eine Grenze zu geben scheint, insbesondere nicht für den monetären Stimulus. Monetärer Stimulus wird gleichgesetzt mit erhöhter Assetpreisinflation, falls sich die Konjunktur nicht erholt, wird davon ausgegangen, dass die Forderungen nach noch mehr Stimulus erhört werden – die inhaltliche Wende des neuen Fed-Chefs Jerome Powell mag hier als erneuter Beleg dienen. Bislang hat dieser Reflex im neuen Jahrtausend immer wieder funktioniert: nach der Dotcom-Blase, nach der Lehman- und der Euro-Krise und im Ansatz auch jetzt. Das Zauberwort ist also nicht mehr konjunkturelle Erholung, sondern, wie bei einer Glocke der (geldpolitische) Stimulus, von Draghi im Klang perfektioniert mit dem Begriff „Whatever it takes“.

Doch die momentane Situation bleibt sehr speziell und mit einer hohen Ungewissheit behaftet.

In den USA ohne New York/New Jersey/Connecticut explodieren die Corona-Fälle, wie auch in Lateinamerika. Viele kleinere Betriebe werden trotz der Staatshilfen aufgeben müssen. Der Preis von Öl, der trotz der Rally im zweiten Quartal um über 30 Prozent unter Jahresanfangsniveau liegt, mag eine Indikation über die Marktpreisfindung geben, wenn Notenbanken nicht kaufen. Alles in allem sind wir in einer Situation, in der die Früchte nicht niedrig, sondern hoch hängen. Risikomanagement sollte in der Kapitalanlage die absolute Priorität eingeräumt werden.

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