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Die Börsen stehen unter Druck, besonders in Europa. Quelle: imago images

Die Kapitalmärkte der Welt blicken sorgenvoll auf Europa

Die Belastungen für Konjunktur- und Kapitalmärkte verschärfen sich. Der Sturm aus Inflation, Leitzinserhöhungen, Energieknappheit und Ukraine-Krieg droht Europas Konjunktur und Kapitalmärkte zu entwurzeln.

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Die internationalen Kapitalmärkte und die europäischen im Besonderen werden momentan von einer ganzen Reihe von Faktoren unter Druck gesetzt. Diese sind nicht neu, ich habe in diesem Jahr schon öfter auf die hohe Inflation, über die Notwendigkeit einer Kurskorrektur von Notenbanken, den Angebotsschock auf der Energieseite und deren negativen Impuls für die Konjunktur geschrieben. Hinzu kommt der nicht endende, sondern sich kontinuierlich verschärfende Krieg in der Ukraine, der mit der impliziten Drohung des Einsatzes von Nuklearwaffen eine neue negative Qualität erreicht hat.

Gehen wir die Komponenten des aktuellen Sturms einfach mal durch. Da ist die Inflation. Der Inflationsdruck ist beispiellos. Der Inflationsdruck steigt weltweit, und in Europa und Deutschland besonders, weil wir hier die größte Energiekrise seit dem zweiten Weltkrieg erleben, größer als die erste oder die zweite Ölkrise. Dazu gibt es zwei schlechte Nachrichten: Das Ende der Fahnenstange ist noch nicht erreicht und der tatsächliche Inflationsdruck ist noch viel höher, als wir ihn bei den Konsumentenpreisen sehen. Auch wenn der Inflationsdruck aus den Produzentenpreisen fast nie vollständig bei den Verbrauchern ankommt, dann zeigt doch die jüngste Jahresrate in Deutschland von ungefähr 45 Prozent den Druck im Kessel an – wir müssen uns auf zweistellige Raten bei den Konsumentenpreisen Richtung Jahresende einstellen, es sei denn, der Staat übernimmt die Kosten jenseits eines bestimmten Preisanstieges.

Die beispiellose Inflation erzwingt eine in dieser Dynamik beispiellose Verschärfung der Notenbankpolitik. Das verbliebene Vertrauen in die Institutionen steht auf dem Spiel. Noch sind die längerfristigen Inflationserwartungen nicht entankert, dass heißt noch ist ein Vertrauensvorschuss da, dass wir auf Sicht von einigen Jahren wieder in die Schiene einer Inflation um die zwei Prozent zurückkommen. Die Schlacht um die kurze Frist ist schon verloren, die Notenbanken müssen jetzt die lange Frist fest verankern.

Das bedeutet, dass, wie Fed-Chef Jerome Powell gesagt hat, die Chancen für ein Soft Landing, also eine konjunkturelle Abschwächung ohne Rezession, geringer werden. Denn die Notenbanken sind zu spät – der EZB und der US-Notenbank Fed bleibt jetzt nichts anderes übrig, als das „Frontloading“ ihrer Zinserhöhungen mit Jumboschritten fortzusetzen, ich rechne mit weiteren entschiedenen Schritten von beiden Notenbanken noch vor Weihnachten. Der Zinserhöhungszyklus sollte in seiner Dynamik der aggressivste in der (kurzen) EZB-Geschichte sein und bei der Fed immerhin rascher als der von 1994 – es würde mich nicht wundern, wenn wir in das kommende Jahr gehen und Fed-Zinsen schon eine vier, EZB-Zinsen eine zwei vor dem Komma haben.

Der Energieschock trifft Europa mit einer anderen Kraft als die USA und sorgt dafür, dass wir hier eine Rezession kaum vermeiden können werden. Gaspreise, die an den Rohstoffmärkten zum Teil mehr als zehnmal höher waren als vor ein bis zwei Jahren, Unsicherheit über mögliche Rationierungsnotwendigkeiten im Winter, hohe Kosten für Rückfalllösungen. All dies überrollt die europäische Industrie und wird Länder mit einem hohen Industrieanteil und einem hohen Anteil an russischen Gasimporten in der Vergangenheit besonders treffen. Hier sind insbesondere Deutschland und Italien zu nennen. Hohe Preise haben nun mal eine Allokationsfunktion. Sie drücken den Verbrauch.

Sprunghaft steigende Preise stören aber Abnehmer-Lieferantenbeziehungen. Preisanstiege an nur einem Standort führen dazu, dass Standortverlagerungen wahrscheinlicher werden. Und hier ist Europa ganz anders betroffen als die USA. Natürlich hatten die USA durch den internationalen Preiszusammenhang auch deutliche Anstiege beim Gaspreis, aber ein vollständiger Preiszusammenhang existiert nun mal nicht, weil Gas ja noch über den Atlantik oder den Pazifik exportiert werden muss. Und die USA sind großer Öl- und Gasproduzent, mit Saudi-Arabien und Russland der größte der Welt, auch wenn sie nicht so viel exportieren wie die anderen. Windfall Profits gibt es zur Genüge in der US-Industrie und die werden natürlich auch wieder in den dortigen Wirtschaftskreislauf recycelt. Für europäische Industrieunternehmen müssen die USA wie das gelobte Land aussehen: Energiesicherheit, rechtliche Unabhängigkeit, ein Bruchteil der Kosten – es würde mich nicht wundern, wenn es zu einem Exodus europäischer Produzenten Richtung USA käme.
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Wie sieht es denn mit dem Winter aus? Nun, beim Gas muss man sagen, dass wir im gegenwärtigen Setup wahrscheinlich von der Gnade des Wetters abhängen, ob es in Europa zu temporären Ausfällen oder Abschaltungen kommen wird. Beim Öl waren ja die Preise zuletzt stark gesunken, getrieben von den Konjunkturängsten weltweit und auch, weil Chinas Zero-Covid-Politik zu immer niedrigeren Wachstumserwartungen im Reich der Mitte beiträgt. Aber der beschlossene Preis-Cap für russisches Öl dürfte die Preise weiter steigen lassen. Nimmt man die angekündigte Reaktionsfunktion Russlands ernst, dürften „Preis-Caps“ auf russisches Öl zu russischen Produktionskürzungen führen und das Gegenteil der beabsichtigten Reaktion herbeiführen (nicht von ungefähr hat Japan eine Ausnahme für seine Energie-Importe aus Sachalin durchgesetzt).

Inflation, restriktive Notenbanken und Energiekrise stellen einen vehement negativen Cocktail für die Konjunktur dar, und wegen der von ihnen ausgelösten stagflationären Impulse auch für die Kapitalmärkte insgesamt. Zudem ist das Zauberinstrument der vergangenen zehn Jahre stumpf geworden: immer höhere Staatsausgaben. Die wirken, wenn die Inflation sehr niedrig und die Zinsen nahe Null sind, aber wenn man auf staatlicher Seite mehr Kredite braucht und die Inflation weiter befeuert, die gerade die Notenbanken zur Verzweiflung treibt, kann das kontraproduktiv sein. Die neue britische Regierungschefin Liz Truss hatte das Freitag letzter Woche erfahren, als ihr extrem großes Fiskalpaket einen Mini-Crash an den Bondmärkten auslöste und Spekulationen, ob die Bank of England nicht einen sogenannten „Zwischen den Meetings“-Zinsschritt einschiebt.

Es ist noch immer nicht vorbei. Im Juni schrieb ich, dass es noch nicht vorbei ist. Es ist das befürchtete herausfordernde dritte Quartal geworden, obgleich das Quartal mit einer kurzen Erholung im Juli und sinkenden Zinsen startete, als ob es mich widerlegen wollte. Am Ende ist es aber nur schlimmer gekommen, und ich kann mich leider nur wiederholen: Es ist noch immer nicht vorbei – die Risiken sind vielmehr noch größer geworden, nicht zuletzt, weil wir jetzt vom Winter abhängen. Die schwierige Periode für die Kapitalmärkte sollte zunächst weitergehen. Es ist noch nicht unsere Erwartung, aber das Risikoszenario einer eskalierenden Energiekrise verbunden mit einer sehr tiefen Rezession nimmt momentan täglich an Wahrscheinlichkeit zu. Selten, dass ich sagen muss, dass ich mir grüne Weihnachten wünsche. Zwar werden aktuell die Bewertungen von risikoreichen Assets immer günstiger, das ist langfristig ein Zeichen, dass es auch wieder attraktive Einstiegsmöglichkeiten geben wird, aber das wird erst relevant, wenn mehr Konfidenz in die Zukunft da ist.

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Auch ein Wegfall der Drohgebärden in Richtung Atomkrieg wäre hilfreich, und ein Frieden in der Ukraine das beste Weihnachtsgeschenk, was sich nicht nur der Normalbürger, sondern auch der Börsianer wünscht. Im Wettlauf zwischen USA und Europa allerdings gibt es kaum etwas zu wetten: Europa ist im Auge des Sturms und hat an relativer Attraktivität zu US Assets weiter eingebüßt. America first, das ist fast zwei Jahre nach Ende von Trumps Amtszeit jetzt die Ansage.

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