Hauptversammlungen Der wachsende Einfluss der Stimmrechtsberater

Stimmrechtsberater verdienen ihr Geld damit, großen Anlegern Empfehlungen zu geben, wie sie auf Hauptversammlungen abstimmen sollen. Quelle: dpa

Unternehmenslenker zittern um die Gunst der Aktionäre, denn auf Hauptversammlungen wackeln immer öfter die Mehrheiten. Der Grund liegt im wachsenden Einfluss von Beratern, auf deren Urteil viele Aktionäre vertrauen.

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Spannend waren deutsche Hauptversammlungen für die Vorstände und Aufsichtsräte auf dem Podium selten, eine Herausforderung waren sie jahrzehntelang allenfalls für das Sitzfleisch. Doch das war einmal. Galten bis vor wenigen Jahren Zustimmungsquoten unter 95 Prozent zu den Beschlussvorschlägen schon als Ohrfeige, müssen Unternehmenslenker heute um die Mehrheiten bangen, egal ob es um Kapitalerhöhungen, die Bonusregeln für den Vorstand oder um ihre eigene Entlastung geht. Bayer-Chef Werner Baumann kann am kommenden Freitag der erste amtierende Vorstandschef eines Dax-Konzerns werden, dem die Aktionäre das Vertrauen entziehen – hauptsächlich wegen der Milliardenrisiken nach der Übernahme von Monsanto. Grund für die Zitterpartien sind vor allem kaum bekannte Firmen, die ISS, Glass Lewis oder Ivox heißen.

Sie verdienen ihr Geld damit, großen Anlegern Empfehlungen zu geben, wie sie auf Hauptversammlungen abstimmen sollen. Nach ihren Ratschlägen richten sich vor allem viele ausländische Investoren, in deren Händen mittlerweile eine deutliche Mehrheit der Aktien im Dax liegt. „Selbst die großen ausländischen Fonds setzen sich nur noch in Ausnahmefällen selbst mit den Beschlussvorschlägen auseinander“, sagt Christiane Hölz, Landesgeschäftsführerin des Aktionärsvereins DSW, der selbst mit ISS zusammenarbeitet. Meist verließen sie sich auf die Empfehlungen der Berater. Gegen die Ansichten von ISS und Glass Lewis lassen sich daher kaum Beschlüsse durch die Hauptversammlung bringen. Beide haben empfohlen, dem Bayer-Chef die Entlastung zu verweigern.

Die selbst entworfenen Richtlinien der Stimmrechtsberater seien in den vergangenen Jahren immer strenger geworden, sagt Hölz. Franz-Josef Leven, stellvertretender Geschäftsführer des Deutschen Aktieninstituts (DAI), sieht das durchaus kritisch: „Die müssen ihre Existenz eben auch damit rechtfertigen, dass sie nicht immer den Vorschlägen des Unternehmens zustimmen. Die Ergebnisse lassen nicht den Schluss zu, dass die Vorstandschefs schlechter geworden sind.“

Doch es sind nicht nur die Berater, die die Möglichkeiten der Aktionärsdemokratie nutzen. „Institutionelle Anleger bilden sich zunehmend eine eigene Meinung und nicken nicht mehr alles ab“, sagt Ingo Speich, seit diesem Jahr Leiter Nachhaltigkeit und Corporate Governance der Dekabank und vorher für Union Investment auf zahllosen Hauptversammlungen unterwegs. „Daher kommen wir immer öfter weg von den lange Zeit üblichen 'kommunistischen' Abstimmungsergebnissen. Und das wird in dieser Richtung auch weitergehen.“

Die Münchener Rück bekam die Macht der Aktionäre schon vor zwei Jahren zu spüren: Der Routine-Beschluss, das Kapital um 50 Prozent aufstocken zu können, ohne die Aktionäre eigens um Zustimmung zu bitten, drohte plötzlich durchzufallen. Denn viele Anleger ärgerte, dass sie selbst bei Mega-Fusionen wie der von Linde und Praxair praktisch nicht gefragt wurden. Erst als der Rückversicherer auf der Hauptversammlung versprach, diesen Rahmen nicht ganz auszuschöpfen, reichte es knapp zur Mehrheit.

„Die Anleger wollen verstehen“

Inzwischen haben ISS & Co die Daumenschrauben weiter angezogen. Kapitalerhöhungen ohne Bezugsrecht lassen sie 2019 nur noch bis zu zehn Prozent zu, bisher waren 20 Prozent üblich. Die großen Konzerne haben sich darauf eingerichtet. „Kleinere Firmen werden davon mitunter überrascht“, sagt DSW-Vertreterin Hölz. Der Hinweis auf das Aktienrecht lässt ausländische Berater dabei oft kalt – sie machen ihre eigenen Regeln.

Die Corporate-Governance-Kommission, die die Gesetzeslücken in Sachen guter Unternehmensführung füllen soll, kann da oft nur nachziehen. Sie schlug kürzere Amtszeiten für die Aufsichtsräte erst vor, als diese im Forderungskatalog der Stimmrechtsberater auftauchten.

SAP-Gründer und Aufsichtsratschef Hasso Plattner schrammte 2017 nur um Haaresbreite an seiner Nichtentlastung vorbei, unter anderem weil sich Investoren ärgerten, dass ihnen die Vergütungsregeln nicht zur Abstimmung vorgelegt wurden. Der Softwarekonzern habe aus diesem Warnschuss gelernt, sagt Hölz. Die Bonusregeln wurden angepasst, der Aufsichtsrat verjüngt. Vor dem diesjährigen Aktionärstreffen hat Plattner die Maßnahmen in einem offenen Brief an die Anteilseigner erklärt. „Die Anleger wollen verstehen, warum etwas so ist, wie es ist“, sagt Hölz.

DAI-Geschäftsführer Leven sieht einen weiteren Grund für die wachsende Opposition paradoxerweise im Vormarsch der Indexfonds, die doch als passive Investoren gelten. Sie können nicht einfach ihre Aktien verkaufen, wenn sie mit dem Vorgehen des Vorstands nicht einverstanden sind, weil sie den jeweiligen Aktienindex abbilden müssen. „Das erhöht die Bereitschaft, sich zu Wort zu melden, auch im Interesse der Anleger.“

Für Bayer-Chef Baumann wird es eng. Nicht nur der Verfall des Aktienkurses ärgert die Investoren, auch der Umgang mit den Risiken der Monsanto-Unkrautvernichter für Mensch und Umwelt. „Bei der Entlastung spielen heute auch nicht-finanzielle Größen eine Rolle“, erklärt Speich. Milliarden werden in Fonds investiert, die sich nur an nachhaltig wirtschaftenden Konzernen beteiligen. Um eine Schlappe für Baumann zu vermeiden, bleibe Bayer wohl nur ein bewährter Ausweg, rät die DSW: „An Bayers Stelle würde ich sagen: Lasst uns die Entlastung verschieben, bis man bei den Monsanto-Klagen klarer sieht.“

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