Hedgefonds Die Ambivalenz der Shortseller

Seite 2/2

Leerverkäufer als Korrektiv

Das Geschäftsmodell des gezielten Streuens unseriöser Negativmeldungen über Unternehmen, die man selbst leerverkauft hat, ist damit verboten. Dem von einer solchen „Short-Attacke“ betroffenen Unternehmen hilft dies jedoch zumindest kurzfristig eher wenig: Der Aktienkurs stürzt ab und die gegebenenfalls gebotenen Gegendarstellungen binden wichtige Ressourcen. Der Staat steht in solchen Fällen häufig vor einem Dilemma: Entweder liegt der Negativmeldung eine Straftat zugrunde oder beim betroffenen Unternehmen liegt tatsächlich einiges im Argen. Ermittlungen werden daher oft in mehrere Richtungen erforderlich sein. Aus kriminalistischer Sicht kann es zweckmäßig sein, erst gegen den Analysten/Leerverkäufer zu ermitteln. Rechtlich ist für die initiale Ermittlungsrichtung jedoch ausschlaggebend, in welche Richtung ein Anfangsverdacht führt.

Interessenkonflikte und Offenlegung

Sollte die Verbreitung von negativen Finanzanalysen generell verboten sein, wenn der Analyst bei Veröffentlichung selbst „short“ ist? Hier würde der Analyst von seiner eigenen Analyse profitieren und daher bei deren Erstellung einem Interessenkonflikt unterliegen – selbst wenn die Analyse seriös ist. So war Viceroy Research bei Veröffentlichung ihrer Finanzanalyse zu Grenke tatsächlich „short“.  Nach der EU-Marktmissbrauchs-Verordnung ist ein solches Vorgehen zulässig, wenn die Shortposition in der Finanzanalyse vermerkt ist. Dadurch soll der Interessenkonflikt offengelegt und Lesern ermöglicht werden, diesen in ihre Meinungsbildung über die Qualität der Analyse einfließen zu lassen.

Das EU-Recht sieht in dem Vorgang also nur dann eine strafbare Marktmanipulation, wenn auf den Interessenkonflikt nicht hinreichend hingewiesen wird. Diese Wertung ist nachvollziehbar: Überall an den Kapitalmärkten werden dort Überrenditen erzielt, wo sich jemand überlegenes Marktverständnis und -wissen erarbeitet hat – Warren Buffett lässt grüßen.

Bewertung und Fazit

Gleichwohl wird das „Wetten gegen Unternehmen“ per Leerverkauf in Teilen der Öffentlichkeit als anrüchige Geldgier zu Lasten Dritter empfunden. Es scheint, als prägten die oben erwähnten schwarzen Schafe das öffentliche Bild des Shortselling allgemein.  Das positive Narrativ zu diesem „Geschäftsmodell“ klingt dagegen wie folgt: Indem sie mit Sachverstand sowie unter hohem persönlichen Einsatz Leichen in den Kellern windiger Unternehmen aufspüren, schaffen Analysten Transparenz, wirken der Blasenbildung entgegen und nehmen damit eine Schlüsselrolle am Kapitalmarkt ein – von der sie als Leerverkäufer selbst profitieren können. Nicht nur Investoren wie Warren Buffett vertreten diese Ansicht und verweisen auf die wichtige Rolle von Leerverkäufern bei der Aufdeckung von Bilanzskandalen wie beim Energiehändler Enron oder dem chinesischen Starbucks-Imitat Luckin Coffee. 

Auch die wissenschaftliche Forschung stützt mehrheitlich dieses positive Bild. So reduziert Shortselling zukünftige positive Überrenditen, wirkt also als Korrektiv für Preisübertreibungen in Bullenmärkten. Regulatorische Einschränkungen von Shortselling unterdrücken diesen Effekt und tragen dementsprechend zu überhöhten Aktienkursen bei. Besonders interessant ist in diesem Zusammenhang ein Feldexperiment der US-Börsenaufsicht SEC. Diese hatte 2005 in einem Pilotprogramm (Regulation SHO) Shortselling-Einschränkungen für eine zufällig ausgewählte Gruppe von Aktien aufgehoben, um aussagekräftige wissenschaftliche Studien zur Wirkung von Shortselling zu ermöglichen – ein bis heute nahezu einmaliger Vorgang. Wie zahlreiche Studien nahelegen, hatte die Deregulierung positive Effekte, u.a. auf die Preiseffizienz, und löste kein missbräuchliches Shortselling aus.


Das interessiert WiWo-Leser heute besonders


Douglas ist kein Einzelfall

So schummels sich Ikea, Karstadt & Co. am Lockdown vorbei


„Doppelt so lang schwätzen, halb so viel verdienen“

Warum VW-Händler keine E-Autos verkaufen wollen


Curevac-Gründer Ingmar Hoerr

„Ich dachte, der KGB hätte mich entführt“


Was heute wichtig ist, lesen Sie hier



Besser als ihr Ruf?

Sind Leerverkäufer also besser als ihr Ruf? Wir meinen ja. Von schwarzen Schafen abgesehen tragen Leerverkäufer auf der Basis fundierter Analysen zur Korrektur übertriebener Aktienkurse bei. Der bestehende regulatorische Rahmen erscheint im Großen und Ganzen hinreichend und wirksam – auch wenn missbräuchliches Shortselling im Einzelfall erheblichen Schaden anrichten kann.

Mehr zum Thema: Tesla, Nikola, Grenke: Spekulanten, die auf fallende Kurse wetten, sind das neue Feindbild von Managern und Anlegern – dabei halten sie die Börse sauber. Ein Inside-Report.

Inhalt
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%