Heißer Herbst an den Märkten Schmerzensgeld für Börsianer

Die Warnungen vor einem heißen Börsenherbst werden lauter, Kursverluste sind nicht ausgeschlossen. Wenn Anleger jedoch das tägliche Auf und Ab aushalten, machen sie ihre Verluste oft schneller wett als gedacht.

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Ein Börsenhändler schaut stirnrunzelnd auf sein Tablet. Der Herbst wird nicht leicht für Anleger. Quelle: dpa

Mit dem September steht der traditionell schwächste Börsenmonat bevor. Experten warnen schon seit einigen Wochen vor einem schwierigen Herbst. Nach den eher beschaulichen Sommerwochen mit einem seitwärts pendelnden Dax könnte es wieder turbulenter zugehen. Zumal die meisten Indizes trotz leichter Rücksetzer noch immer nahe ihrer Allzeithochs notieren. „Bei den aktuellen Bewertungen sind Renditen keine Selbstläufer mehr“, sagt deshalb Andreas Beck vom Institut für Vermögensaufbau. Und auch Tilmann Galler rät Anlegern, sich in den kommenden Monaten auf stärkere Schwankungen einzustellen. Schließlich seien Phasen extrem niedriger Volatilität an den Märkten in der Regel nicht von Dauer, so der Anlagestratege von JP Morgan Asset Management.

Schwankungen an der Börse gehören eben dazu. Und Kursrücksetzer sind nicht selten Einstiegsgelegenheiten. Das wusste auch schon der legendäre André Kostolany. Der Börsenaltmeister sagte einst: „Börsengewinne sind Schmerzensgeld. Erst kommen die Schmerzen, dann das Geld.“ Ein Spruch dem Anlageexperten viel abgewinnen können, denn er verdeutlicht, dass Anleger das tägliche Auf und Ab aushalten können müssen, um letztendlich langfristig auf der Gewinnerseite zu stehen. „Verluste – ausgedrückt durch schwankende Märkte – bedeuten immer Schmerzen. Niemand verliert gerne“, bringt es Andreas Telschow von Fidelity International auf den Punkt.

Diese Verluste sind aber oft schneller wettgemacht, als Anleger glauben. Eine Betrachtung über längere Zeiträume zeigt, dass Aktienmärkte in vielen Jahren trotz unterjähriger Schwankungen ein positives Ergebnis geliefert haben. Weil die Rückgänge schwer zu prognostizieren sind, müssen Anleger auch schon mal mit zweistelligen Kursstürzen rechnen. „Volatilität an den Finanzmärkten ist normal und Anleger sollten sich im Voraus auf diese Schmerzen einstellen, anstatt in einer schwierigen Marktphase emotional zu reagieren“, sagt Galler. Die Schmerzen auszuhalten, zahlt sich nämlich oft aus. Aktienmärkte erholen sich in der Regel schnell. „Da heißt es Ruhe bewahren: Nicht selten stellt eine Schwächephase am Aktienmarkt eine Chance dar und keinen Grund, zu verkaufen“, so Galler. Im MSCI Europe gab es zumindest seit 1980 immerhin in 29 von 37 Jahren trotz unterjähriger Verluste ein positives Ergebnis – also in 78 Prozent der Jahre.

Das gilt natürlich nur für breite Märkte, nicht für einzelne Aktien. Die Risikostreuung über viele Einzeltitel, Branchen und Länder ist deshalb das oberste Gebot der Geldanlage. „Einzelne Investments können dann allenfalls kleine Nadelstiche verursachen“, sagt Lutz Neumann, Leiter Vermögensberatung der Sutor Bank. Doch auch ein gut diversifiziertes Depot kann in Krisenzeiten 40 Prozent verlieren. Wenn die Verluste wie in der Finanzkrise relativ schnell wieder aufgeholt werden, können Anleger mit starken Nerven das locker aussitzen. Aber es kann auch anders laufen. Beck nennt den japanischen Aktienmarkt als Beispiel, der seine Verluste auch nach Jahrzehnten noch nicht wettgemacht hat. „Der Spruch stimmt also leider nicht immer, manchmal kommt nach dem Schmerz nur noch mehr Schmerz“, sagt Beck.

Mitunter kann es auch ziemlich lange dauern, bis Anleger ihr Schmerzensgeld endlich kassieren können. Von geringen Verlusten erholen sich die Märkte natürlich schneller als von großen. Wenn ein Index oder eine Aktie um zehn Prozent abstürzt, muss er elf Prozent steigen, um den Verlust auszugleichen. Geht es aber um 60 Prozent abwärts, dann braucht es einen Anstieg von stolzen 150 Prozent, um den Verlust zu kompensieren. Und das kann dauern.


Schmerzen sind keine Garantie für den Erfolg

Die Finanzkrise und der Börsen-Crash von 2008 ließen die Aktienmärkte massiv einstürzen. Der Dax halbierte sich und brauchte bis zum Jahr 2013, um seinen Vorkrisenstand von 8.000 Punkten wieder zu erreichen. Auch ein Anleger, der am Hoch des Marktes zu 100 Prozent in US-Aktien investiert war, musste immerhin viereinhalb Jahre warten, bis er wieder den Break-Even erreicht hat. Mit einem Portfolio aus 60 Prozent Aktien und 40 Prozent Renten musste ein Anleger nur drei Jahre warten und mit einer Mischung aus 40 Prozent Aktien und 60 Prozent Renten nur zwei Jahre. „Inzwischen wird aber auch deutlich, dass die konservative 40/60 Strategie in den letzten Jahre deutlich in der Wertentwicklung gegenüber den eher aktienlastigen Strategien hinterherhinkt“, sagt Galler. „Das Limitieren der zwischenzeitlichen Verluste hat eben einen Preis.“

Für Aktieninvestoren gilt aber: „Je länger der Zeithorizont des Investors ist, desto mehr verlieren Aktienrisiken ihren Schrecken“, so der JP-Morgan-Experte. In den vergangenen 66 Jahren habe es keine Periode gegeben, in der ein Investor nach 20 Jahren einen Verlust mit seinem Investment in den S&P 500 erlebt habe – trotz Ölkrise, Internetblase und Finanzkrise.

Der zugegebenermaßen etwas abgedroschene Spruch „Die Zeit heilt alle Wunden“ trifft also auch an den Finanzmärkten zu. „Denn zum einen ist die Zeit – also das langfristige Anlegen – wichtiger als der optimale Zeitpunkt der Geldanlage“, so Telschow. „Und zum anderen werden Wertschwankungen mit den Jahren geringer.“ Kapitalmarktanleger werden mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit positive Rendite erzielen – vorausgesetzt sie bleiben langfristig investiert. Die Crux sei allerdings, wie viel Zeit es brauche, bis die Wunden heilen. „Neben der Diversifikation ist der Faktor Zeit eine Art Heilmittel - allerdings kein Zaubertrank wie bei Asterix und Obelix“, sagt Neumann. Es gibt eben auch Investments, die sich über sehr viele Jahre hinweg nicht mehr erholen, und vielleicht sogar nie.

Wie viel Leidensfähigkeit braucht ein Anleger also? Wie viele Schmerzen muss er erleiden, um ein üppiges Schmerzensgeld zu bekommen? Und bedeute größere Schmerzen auch ein höheres Schmerzensgeld? „Wenn man Schwankung als Messzahl für die Leidensfähigkeit anzieht, gibt es eine positive Korrelation von Leidensfähigkeit und Rendite“, sagt Fidelity-Experte Telschow. Je höher die Schwankung, desto höher muss die Leidensfähigkeit sein – aber desto höher ist auch die mögliche Rendite. Neumann gibt allerdings zu bedenken, dass nicht jeder Schmerz ausreichend belohnt wird. „Schmerzen sind also keine Garantie für den zukünftigen Erfolg“, sagt er. Den Terminus Schmerzensgeld sollten Anleger auch nicht zu wörtlich nehmen, warnt Sascha Werner, Anlagestratege bei Moventum. Investoren sollten sich bewusst sein, dass es sich bei Börsengewinnen lediglich um die geldwerte Kompensation für das in Kauf genommene Risiko handelt und das Eine somit die Voraussetzung des Anderen ist. Die Inkaufnahme von mehr Risiko sollte deshalb auch mit mehr Gewinn goutiert werden.

Ob der Herbst wirklich so schmerzhaft wird, wie viele erwarten, wird sich zeigen. Grundsätzlich sieht Galler von JP Morgan weiter optimistisch auf die Aktienmärkte. „Zinserhöhungsrisiken sind weiter moderat, die Unternehmensgewinne sollten auch in den kommenden beiden Quartalen weiter steigen, jedoch mit geringerer Dynamik als in den ersten beiden Quartalen des Jahres – und eine Rezession in den USA ist weiterhin nicht in Sicht“, sagt er. Vor allem Trumps Wirtschaftspolitik dürfte die Richtung an den Märkten vorgeben, glaubt Werner. „Wenn die Trump-Regierung nicht langsam liefert, besteht durchaus die Möglichkeit, dass die Stimmung umschwenkt und zunächst einmal die Bären das Sagen haben“, sagt er. „Andererseits könnte die Mehrheit der Republikaner im Kongress dafür sorgen, dass wirtschaftsfreundliche Maßnahmen der US-Regierung relativ schnell und geräuschlos in Gesetze gegossen werden. Dies würde weiterhin freundliche Börsen bedeuten.“ Wie immer, wenn die Politik das Börsengeschehen bestimmt, sollten Anleger auf alles vorbereitet und für verschiedene Szenarien gleichzeitig aufgestellt sein. „Börsengewinne ohne Schmerzensgeld gibt es nicht“, ist Werner überzeugt. Die Börsenweisheit von Altmeister Kostolany stimmt auch heute noch.

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