Hendrik Leber, Dirk Müller, Max Otte „Der Markt ist ein harter Gegner“

Die Märkte zittern vor Griechenland, die neue Börsenwoche startet mit heftigen Abschlägen. Gut, dass es unterbewertete Aktien immer gibt. Welche Wertpapiere Value-Anleger Dirk Müller, Hendrik Leber und Max Otte kaufen.

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Die Folgen eines „Grexits“
Das Nationalgetränk der Griechen droht für einen normalen Arbeiter zum unbezahlbaren Luxusgut zu werden: Ein Frappé, also eine Nescafé mit Milch, Eiswürfeln und einem Strohhalm kostete kurz vor der Einführung des Euro etwa 100 Drachmen. Das entsprach damals rund 30 Euro-Cent. Als die Griechenland-Krise ausbrach, vor etwa sieben Jahren, kostete ein Frappé bereits zwischen 2,50 und drei Euro. Quelle: dpa
Noch im Laufe des Aprils muss Griechenland zwei Staatsanleihen im Wert von 2,4 Milliarden Euro an seine Gläubiger zurückzahlen. Im Mai werden weitere 2,8 Milliarden Euro fällig, von Juni bis August muss Athen noch einmal mehr als zwölf Milliarden Euro an Schulden zurückzahlen. Woher das Geld kommen soll, ist völlig unklar. Quelle: dpa
Die sozialen Probleme sind groß, die Renten wurden gekürzt, die Arbeitslosigkeit ist hoch. Die Regierung Tsipras plant deshalb Steuererleichterungen und die Wiedereinstellung von Beamten. Allein diese Maßnahmen werden im laufenden Jahr nach Berechnungen der griechischen Regierung mindestens zwölf Milliarden Euro zusätzlich kosten. Quelle: dpa
Schon seit Wochen ist von einem „Grexit“ die Rede, dem Austritt Griechenlands aus der Währungsunion, vielleicht sogar verbunden mit einem drastischen Schuldenschnitt. Hinter der öffentlichen Spekulation könnte Absicht stecken. Quelle: ap
Würde eine neu eingeführte Drachme gegenüber dem Euro abwerten, könnte sich die griechische Regierung nach und nach leichter entschulden. Ein Austritt der Griechen aus dem Euro böte auch noch andere Vorteile: So würde die griechische Export-Wirtschaft von einer Abwertung der Landeswährung profitieren. Quelle: dpa
Besonders teuer würde ein „Grexit“ für Menschen mit geringem Einkommen und den Mittelstand mit Sparguthaben auf  griechischen Bankkonten, während das Geld reicher Griechen im Ausland unangetastet bliebe. Quelle: dpa
Die Gläubiger werden so oder so auf Reformen beharren. Für Tsipras kommt es deshalb eigentlich nur darauf an, seinen eigenen Wählern gegenüber eine möglichst gute Figur in den Verhandlungen abzugeben. Das gilt allerdings auch für seine europäischen Partner auf der anderen Seite des Verhandlungstisches. Für alle Beteiligten ist es wichtig, dass eine Lösung der griechischen Haushaltsprobleme möglichst wenige Kollateralschaden verursacht. Quelle: dpa

Das aktuelle Marktgeschehen wird vom Schuldendrama um Griechenland bestimmt. Der Dax schwankt kräftig. Doch die Entwicklung des Gesamtmarktes interessiert Value-Investoren weniger. Fondsmanager wie Max Otte, Hendrik Leber und seit einigen Monaten auch Dirk Müller suchen nach werthaltigen Einzelwerten. In der edlen Zigarrenlounge Cigarrum des Steigenberger Parkhotels in Frankfurt diskutieren sie bei einem Roundtable darüber, was Value heute ausmacht, wo sie jetzt zugreifen, welche Branchen interessant sind und wovon sie lieber die Finger lassen.

Herr Leber, Herr Müller, Herr Otte, gibt es nach der Rally der vergangenen Jahre überhaupt noch Schnäppchen für Value-Investoren?
Max Otte (schmunzelt): Das kommt auf den Risiko-Appetit an. Es gibt immer Schnäppchen. In Griechenland, in Russland, in Brasilien gibt es welche.

Dirk Müller: Zu jeder Zeit gibt es Unternehmen, die günstig bewertet sind. Das hat nichts mit dem aktuellen Dax-Stand zu tun. Ich kann ein Unternehmen, seine Bilanz, seinen Cashflow, seine Börsenbewertung analysieren. Wenn ich ein Unternehmen für 30 oder 40 Prozent unter dem errechneten Wert an der Börse bekomme, dann ist das ein Schnäppchen.

Hendrik Leber: Aber so richtig billig ist eigentlich keiner mehr.

Müller: Es gibt schon Unternehmen mit guten Bewertungen, die ich kaufen kann. Abgesehen von einigen Krisenregionen haben wir richtige Schnäppchen, die es beispielsweise nach einem richtigen Ausverkauf am Markt gibt, nicht mehr.

Otte: Vielleicht kann ich vermitteln. Im Qualitätssegment ist wirklich nicht mehr richtig billig, sondern eher schon etwas satt bewertet.

Teuer, aber machbar - Euro ohne Griechenland

Überteuert?
Otte: Nein, das noch nicht. Satt bewertet bedeutet vielleicht, dass es etwas unterdurchschnittliche Renditen gibt. Aber das sind dann immer noch sieben oder acht Prozent. Im Vergleich zum Festgeld ist das bei solch sicheren Aktien wie Nestlé & Co. sicher nicht verkehrt. Richtig billig können nicht nur Schmuddel-Regionen, sondern auch Geschäftsmodelle mit einem Fragezeichen sein. Das sind dann Aktien, die in einer etwas weniger turbulenten Welt zur Normalität zurückkehren. Aber wir leben aktuell in einer Welt mit einem gewissen Endspielcharakter, weil so viel Geld im Umlauf ist und wir diese Zwangspolitik der Notenbanken haben. In einer solchen Zeit scheitern auch größere Unternehmen öfter als früher. Es sind also auch mehr Totalabstürze möglich. Das heißt, dass bei Geschäftsmodellen mit einem oder zwei Fragezeichen die Schnäppchenpreise zum Teil auch gerechtfertigt sind. Da gehe ich im Vergleich zu früher dann ein höheres Risiko ein.

Leber: An wen denken Sie da?

Otte: Ich denke beispielsweise an Einzelhändler, die schneller verschwinden können. Wir leben immer mehr nach dem Motto „The winner takes it all“, monopolartige Unternehmen setzen sich durch. Es gibt also immer mehr Monostrukturen oder auch Kartelle. Manche bestehen schon lange wie in der Öl- oder Pharmabranche, andere entstehen in kurzer Zeit wie bei High-Tech. Diese Kartelle vereinen immer mehr der Wertschöpfung auf sich. Dann gibt es noch eine Vielzahl von Start-ups im High-Tech-Bereich, die sich dann wiederum an die Kartelle verkaufen. Der Druck durch die Kartelle und monopolartigen Strukturen wird stärker, darauf werden Unternehmen reagieren müssen.

Leber: Ich schaue mir gerade Australien näher an, da breiten sich Aldi und Lidl aus. Das passt dazu. In England haben wir schon gesehen, wie die beiden Tesco das Leben richtig schwer gemacht haben. Das Billigheimer-Geschäftsmodell setzt sich weltweit durch. Auch in den USA sind die beiden präsent. Interessant, wie ein Geschäftsmodell testweise irgendwo implementiert wird und sich dann rasant ausbreitet.

Otte: Das ist genau die neue Welt, in der wir dann wirklich explosionsartiges Wachstum haben. Natürlich angefeuert durch den Turbolader Silicon Valley mit seinen Internetfirmen. Wir sehen, dass im Einzelhandel und auch in anderen Bereichen die Zyklen schneller werden – und damit die Möglichkeit eines rasanten Aufstiegs, aber auch Absturzes.

Macht es das für Value-Investoren schwieriger oder einfacher?
Otte: Das Spiel, auf die Normalisierung von Bewertungen zu setzen, funktioniert nicht mehr so einfach. Wir haben beispielsweise vor ein paar Jahren Metro zum halben Preis gekauft, also völlig unterbewertet. Die Aktie ist dann schnell gestiegen und wir sind mit 50 Prozent plus wieder ausgestiegen. Das wird immer schwieriger. Im Falle von Metro weiß man nicht, wo der Konzern jetzt steht. Vor allem nach dem Kaufhof-Verkauf.


Finger weg von allem, was mit Öl und Gas zu tun hat

Also wird Value-Investing schwieriger?
Otte: Das würde ich so nicht sagen. Value-Investing kann ja auch alles Mögliche heißen. Es kann Qualität heißen, also Wachstum zum vernünftigen Preis. Es kann Deep Discount heißen, also Unterbewertung. Letzteres, also Unternehmen zu kaufen, die an der Börse weniger wert sind als in ihrer Bilanz steht, wird schwieriger.

Müller: Deshalb ist es auch wichtig, auf Qualität und die großen Marktführer zu setzen. Auf Unternehmen, die möglichst ein Monopol oder ein Oligopol haben. Da gibt es in vielen Bereichen interessante Werte, die man vielleicht gar nicht im Fokus hat. Beispielsweise Mettler Toledo.

Noch nie gehört.
Müller: Genau das ist der Punkt. Als Value-Anleger muss man sich auf die Suche nach Unternehmen machen, die nicht jedem sofort einfallen. Mettler Toledo sitzt in der Schweiz und ist weltweit die Nummer eins, wenn es um Präzisionswaagen geht – von Nanogramm bis hin zu tausend Tonnen. Die haben eine Marktmacht, ihre Technologie ist nicht so schnell durch das Internet zu ersetzen. Die haben sensationelle Zahlen, die Cashflow-Bewertung ist wunderbar. Die Aktie ist immer noch fair bewertet und läuft und läuft und läuft. Sie als Schnäppchen zu bezeichnen, wäre allerding trotzdem übertrieben, aber man bekommt sie immer noch zu einem fairen Preis.

Leber: Eine wunderbare Aktie. Sie bringt so zehn Prozent Rendite pro Jahr über einen langen Zeitraum.

Aktien, die jetzt Krisen trotzen und Chancen bieten

Was würde denn Warren Buffett, der wohl bekannteste Value-Anleger der Welt, jetzt kaufen?
Leber: Deutschland! Das hat er ja gesagt.

Aber was?
Müller: Buffett setzt jetzt auf erneuerbare Energien. Das ist ein ganz spannendes Thema. Ich würde im Moment tunlichst von allem die Finger weglassen, was mit Öl und Gas zu tun hat.

Aber da gibt es doch herrliche Schnäppchen.
Müller: Für mich war der Ausspruch von G7 entscheidend, bis 2050 die Energieversorgung auf 100 Prozent erneuerbare Energien umgestellt haben zu wollen. Ich bin seit einigen Monaten der Überzeugung, dass die Entscheidung der westlichen Großmächte für den kompletten Wandel hin zu erneuerbaren Energien irgendwann in den vergangenen 24 Monaten hinter den Kulissen gefallen ist. Das ist aus geopolitischer Sicht eine dramatische Veränderung und bringt Russland in eine ganz schwierige Situation. Gleiches gilt für viele Staaten in Nah- und Mittelost. Es gab viele Vorboten. Erst war es im Herbst 2014 die Rockefeller Fundation, die sich im dreistelligen Millionenbereich von Öl- und Gas-Investitionen getrennt hat und nun auf erneuerbare Energien setzt. Und es war Apple, das in Kalifornien angekündigt hat, große Solarfelder zu bauen und zu 100 Prozent auf Erneuerbare zu gehen. Die westliche Welt hat Libyen zerbombt, aber nicht wieder aufgebaut. Früher hätten wir die Quellen sofort wieder angeschlossen und genutzt.

Otte: Ich stimme Ihnen zu 100 Prozent zu. Die Geopolitik wird immer wichtiger. Wir sind nicht mehr in dieser schönen, freien Marktwirtschaft. Es sind Verteilungskämpfe zwischen den Machtblöcken. Amerika rüstet sich für den Endkampf mit China. Es geht um die Verteilung der Welt.

Leber: Das erklärt auch die Rolle Griechenlands. Griechenland ist zwar ökonomisch nicht bedeutsam, aber geopolitisch.



Investoren müssen auf die Gewinner auf den Weltmärkten setzen

Endspiel, Endkampf – klingt gefährlich, Herr Otte. Kracht es demnächst mal ordentlich an der Börse?

Otte: Ich glaube nicht. Die Sachwerte sind ja wichtig. Aber es gibt momentan ein hartes Ringen um die Weltmacht zwischen den USA, China und Russland.

Müller: Das sehe ich genauso. Und wir sind mitten drin. Es geht um den eurasischen Kontinent. Wir sehen, dass die Chinesen sehr, sehr zielgerichtet dieses eurasische Zusammenspiel wollen – natürlich unter ihrer Dominanz. Wir sehen, dass sie die Seidenstraße sehr progressiv wieder vorantreiben.

Otte: Das wird die neue Bagdad-Bahn.

Leber: Sie investieren auch im Hafen von Piräus.

Müller: Und sie wollen sich am europäischen Strukturfonds mit 360 Milliarden Euro beteiligen. Da fragt man sich natürlich, warum. Wenn man sich aber darüber im Klaren ist, was der geostrategische Plan ist, nämlich die Seidenstraße, dann ist das durchaus sinnvoll.

Leber: Das alles lässt sich aber auch mit ganz normaler Betriebswirtschaft erklären.

Die Globalisierung läuft auf Hochtouren. Wer den Wettlauf gewinnt, wird die Zeit zeigen.
Leber: The Winner takes it all. Dazu passt auch, dass das durchschnittliche Wachstum in meinem Portfolio dauernd steigt. Das heißt, ich setzte mehr und mehr auf Gewinner-Geschäftsmodelle. Wir müssen wirklich globaler denken. Beispielsweise der alternative Taxidienst Uber, der derzeit 300 Zentren auf der Welt bedient. Ob da Deutschland dabei ist, ist denen vollkommen wurscht. Die denken einfach nur geopolitisch. Facebook-Chefin Sheryl Sandberg sagte neulich, sie möchte weltweit vier Milliarden Nutzer haben. Da werden also praktisch Weltmärkte aufgemacht. Als Investor muss ich auf die Gewinner auf diesen Weltmärkten setzen. Und am besten auf die, die Geld verdienen.

Und welche wären das?
Leber: Mein Lieblingssektor ist im Moment Technologie. Ein Kollege hat mir gerade einen Shakespeare-Text geschickt, der von einem Computer geschrieben wurde. Der Computer hatte alles von Shakespeare gelesen und kann nun selber Texte bauen. Das Ergebnis klang ziemlich gut.

Das sollten wir beim Handelsblatt vielleicht auch mal versuchen.
Leber (lacht): Da ist enorme Rechenpower dahinter. Alle Daten müssen gespeichert und ausgewertet werden. Ich brauche also Datenbanken, ich brauche Leitungen für den Datenverkehr – also all die Netzbetreiber, die Datenspeicherbetreiber, die Softwareanbieter.  Das sind eigentlich die Gewinner, bei denen Investoren abschöpfen können. Ob Facebook morgen noch dieselben Nutzerzahlen hat, das weiß ich nicht. Aber alle Internetunternehmen brauchen Daten. Und die müssen hin- und hergeschaufelt werden.

Die Investmentideen der Anlagegurus

Müller: Beim Netzausbau haben wir praktisch ein Oligopol. Es gibt noch drei Spieler, nämlich Ericsson, Nokia und Huawei. Natürlich hatten die ein schwaches erstes Quartal. Das lag aber daran, dass in den USA Frequenzen versteigert wurden und die Telefongesellschaften sehr viel Geld dafür ausgeben mussten. Deshalb hatten sie in dieser Zeit weniger Geld, das sie in ihre Infrastruktur hätten investieren können. Aber die kommen an den großen Drei nicht vorbei. Am Ende geht es immer darum, wer das schnellste Netz hat. Das vernetzte Auto wird kommen, da brauche ich Daten in einer unglaublichen Geschwindigkeit. Wir haben einen wahnsinnigen Bedarf an Daten – Stichwort Industrie 4.0. Egal was passiert, welche Technologie sich durchsetzt: Die Netzbetreiber profitieren. Das ist wie im Goldrausch. Ich kaufe nicht das Gold, sondern die Schaufeln.



Sie fragen nach Value, wir sagen Growth

Und welcher der drei Betreiber gehört in mein Depot?
Müller: Wir haben uns für Ericsson entschieden.

Leber: Wir halten Nokia und Ericsson.

Otte: Wir haben diese Aktien nicht, sondern schauen uns eher die Unternehmen an, die auf Endkunden setzen. Wir haben Google, auch wenn sie nicht billig sind. Microsoft haben wir auch. Die schaffen das ganz gut mit der Cloud. IT-Unternehmen sind die neuen Konsumgüteraktien.

Apple haben Sie teilweise auch in Ihren Fonds. Ich würde diese Aktie spontan nicht als Value-Aktie bezeichnen, ebenso wie eine Google.
Leber: Schauen Sie sich nur den Kassenbestand von 190 Milliarden Dollar bei Apple an. Ein bisschen Value ist da schon vorhanden.

Müller: Es ist ja die Frage, wie ich Value definieren. Value oder Growth? Das ist die falsche Entscheidung. Wir haben uns für ‚sowohl als auch‘ entschieden. Ich möchte Value-Aktien, die eine Substanz haben, Unternehmen, die über viele Jahre bewiesen haben, dass sie es können. Die Stärke gezeigt haben. Die aber gleichzeitig auch eine Story haben, die noch wachsen, die ihr Geld noch reinvestieren statt es auszuschütten. Die also nicht die Zigarre auf dem letzten Zentimeter rauchen. Diese Kombination ist für mich viel spannender als nur Wachstum oder nur Value.

Leber: Das interessante an diesen Firmen ist, dass sie kein Kapital brauchen. Sie müssen nicht investieren, es gibt nichts, was sie kaufen könnten. Apple braucht keine Fabriken. Das Geld kommt mir als Aktionär direkt zu Gute. Da ist Cashflow eigentlich gleich Gewinn. Das ist in anderen Branchen nicht so. Da müssen beispielsweise Kraftwerke gebaut werden oder teure Investitionen getätigt werden.

Und Google?
Müller: Google ist ein super Unternehmen. Aber für mich ist es zu komplex, zu sehr zum Konglomerat geworden. Ich versuche, mich auf Unternehmen zu konzentrieren, die relativ monothematisch aufgestellt und führend in ihrem Bereich sind.

Die alte Buffett-Aussage, nur zu kaufen, was man versteht. Klare Geschäftsmodelle also.
Müller: Das ist das eine. Es hat aber auch einen ganz praktischen Grund. Bei einem Unternehmen mit verschiedenen Geschäftsbereichen sind diese natürlich auch unterschiedlich rentabel. Ich werde Geld also immer nur in Bereiche investieren, wo ich eine höhere Rendite für mein Unternehmen erzielen kann. Also werden andere Sparten immer ein bisschen stiefmütterlich behandelt.  Die könnten vielleicht separat viel erfolgreicher sein. Weil sie generiertes Geld auch wieder hier investieren könnten.

Otte: Im Prinzip stimme ich zu. Bei Google aber nicht. Das ist nämlich kein klassischer Mischkonzern, sondern die haben dieses Suchmaschinenmonopol. Auch wenn sie natürlich hausintern diverse Start-ups gründen, um irgendwann daraus ihr nächstes Geschäftsmodell zu basteln. Sie suchen ihr nächstes Monopol.

Müller: Aber alles, was sie jetzt machen, hat geringere Renditen und verwässert die alte, hervorragende Profitabilität der Suchmaschine. Und das macht sich am Aktienkurs auch bemerkbar.

Otte: Wenn Google autonomes Fahren oder Smart Home hinbekommt, ist das das nächste Monopol.

Leber: An eBay kommen wir auch nicht vorbei. Denn zu eBay gehört das rasant wachsende Zahlungsverkehrssystem Paypal, das ja im Herbst wahrscheinlich abgespalten wird. Wir erleben bei Unternehmen wie Paypal, Visa oder Lendingclub, dass die Geschäftsmodelle der Banken zerstört werden. Ein weiteres Beispiel ist Kredit ohne Bank, also Peer to Peer Lending. Auch da ist rasantes Wachstum zu erwarten. Diesen Bereich finde ich auch hoch interessant.

Müller: In diesem Bereich haben wir auch investiert. Mobile Bezahlsysteme werden ein ganz großes Thema werden und viele andere Systeme zerstören.  Wir haben Wirecard gekauft, eines der wenigen deutschen Unternehmen im Fonds, und Mastercard.

Otte: Sie fragen nach Value, wir sagen immer Growth. Aber das muss gar kein Widerspruch sein.



Der Treiber ist immer mehr das Wachstum und weniger die Substanz

Sind die alten Growth-Werte, also die Wachstumswerte aus der Zeit der Internetblase heute Value?
Müller (lacht): Ganz so ist es natürlich nicht.

Früher waren eher die Waschmittel- oder Lebensmittelkonzerne Value-Aktien, also klassische Konsumwerte.
Otte: Das ist vorbei. Mich fragte übrigens neulich ein sehr bekannter Talkshow-Moderator, ob das eine gute Idee wäre, wenn er Apple, Amazon, Google und Microsoft kaufen und ganz lange liegen lassen würde. Ja, das ist eine gute Idee. Das sind die neuen Konsumwerte.  Aber wenn das natürlich schon wieder jeder kauft, wird es auch gefährlich.

Leber: Das ist ein Zeichen dafür, dass der Boom ganz langsam wieder anfängt. Ich habe zwar noch keine Tipps von Taxifahrern gehört, aber die kommen auch noch.

Altes Value, neues Value – definieren Sie bitte Value.
Leber: Value ist relativ einfach. Ich mache Barwertberechnungen über die nach Investitionen verbleibenden Cashflows und schaue dann, ob eine Überrendite für mich übrig bleibt.

Sie schauen also, ob in der Bilanz mehr steckt, als das Unternehmen an der Börse wert ist?
Leber: Das ist bei uns allen immer die Frage. Nur welche Parameter sind für uns entscheidend?  Der Treiber wird hier mehr und mehr das Wachstum ...

Otte: So ist es.

Leber: ... und weniger die Substanz, weil die immer unwesentlicher wird.

Otte: Früher war es die Normalisierung der Börsenbewertung. Also quasi vom Tief eines Zyklus geht es wieder rauf, dann wieder runter. Aber diese zyklischen Bewegungen kann man an der Börse immer weniger spielen.

Leber: Schaue Sie sich Visa an. Da gibt es keine Fabriken, die können mit dem Geld gar nichts anfangen. Ob ich das Eigenkapital aus der Bilanz streiche oder nicht, macht überhaupt nichts aus, weil die nur geistiges Know-how haben. Das verändert die Geschäftsmodelle. Bisher konnte man noch Banken billig kaufen. Das ist sozusagen klassisches Value, also unter Buchwert.

Bankaktien?
Leber: Value muss auch die Schmuddelkinder anfassen. Aber die Frage ist, ob hier die Substanz wirklich da ist.

Müller: Bei Investmentbanken mag das fraglich sein. Wir haben in die schwedische SEB investiert, die einzige von einer Frau geführte Bank übrigens. Die haben ein ganz klares und erfolgreiches Geschäftsmodell mit Fokus auf Privatkunden- und im Firmenkundengeschäft, also nicht im Investmentbanking. Die Bank hat auch sensationelle Zahlen, bessere als andere europäische Banken und auch die Amerikaner wie Wells Fargo. Man muss ja nicht in die heftig zockenden Hedgefonds investieren. Im klassischen Bank- oder Versicherungsbereich gibt es schon noch interessante Dinge.

Leber: Klassiker findet man auch unter italienischen Banken. Unicredito ist interessant. Commerzbank notiert auch unter Buchwert.

Da haben viele Aktionäre lange gelitten.

Leber: Das ist genau der Punkt, wo es für den Value-Investor interessant wird: dann, wenn alle genug gelitten haben und ausgestiegen sind. Die Depfa, die aus einem schmutzigen Umfeld heraus an die Börse kommt und sich jetzt wieder weiß wäscht – das sind Titel, wo man mal hingucken sollte. Bei solchen Aktien kann man Substanz noch billig einkaufen. Das soll aber keine Empfehlung sein.

Welche Kennzahlen schauen sich Value-Anleger also heute an?
Otte: Das kommt auf den Stil an. Wenn ich Wachstum zu einem vernünftigen Preis habe, dann ist das etwas ganz anderes, als wenn ich Deep Value mache. Für Privatanleger ist sicher die erste Variante einfacher.

Und worauf muss ich dann genau achten?
Müller: Ganz wesentlich ist der Free Cashflow. Aber allein schon bei der Berechnung dieser Kennziffer gibt es unglaublich viele verschiedene Ansätze. Was verstehe ich darunter? Was packe ich mit rein? Da muss man schon sehr genau in die Bilanzen reinschauen. Diese Analyse ist für einen Privatanleger natürlich schwer.



Die wichtigste Lehre aus der Börse ist die Demut

Viele Privatanleger schauen auf das Kurs-Gewinn-Verhältnis.
Müller: Das hat so gut wie keine Aussagekraft. Wenn ich ein KGV von 25 habe, mag das sehr hoch klingen. Hat das Unternehmen kein Wachstum, dann ist das auch hoch. Wächst das Unternehmen pro Jahr aber um zehn, 20 oder 30 Prozent, dann ist ein KGV von 25 lächerlich niedrig. Denn es schrumpft natürlich mit den Jahren.

Otte: Trotzdem stellt für uns aber 25 die Obergrenze dar, auch bei stark wachsenden Unternehmen. Da muss die Wachstumsphantasie dann wirklich zu groß sein.

Leber: Ja, aber da muss ich manchmal über meinen Schatten springen.

Müller: Ein guter Richtwert ist auch die PEG-Formel, also das Kurs-Gewinn-Verhältnis in Verbindung mit dem Wachstum. Unter eins ist super. Das bezieht sich zwar nur auf das nächste Jahr, gibt aber schon mal einen Anhaltspunkt. Das reine KGV ist mir zu statisch. Aber natürlich reicht es nicht aus, ein Unternehmen aufgrund einer Kennzahl zu bewerten, dann bräuchten wir alle den Job nicht zu machen.

Leber: Trotz all unserer Instrumente sind wir aber nicht unfehlbar. Mal schlagen wir den Markt, mal schlagen wir ihn nicht. Der Markt ist ein harter Gegner. Im Markt ist eben die gesammelte Intelligenz aller Teilnehmer versammelt…

Otte: …aber auch die gesammelte Dummheit.

Genau das macht es doch interessant.
Leber (lacht): Die Frage ist, auf welcher Seite bin ich gerade.

Müller: Die wichtigste Lehre aus der Börse ist die Demut. Die Demut, dass man dann am meisten auf die Nase bekommt, wenn man sich zu sicher ist. Wer sich für unfehlbar hält, wird Schiffbruch erleiden. Man muss seine eigenen Entscheidungen immer wieder hinterfragen.

Leber: Das typische am Value-Investor ist, dass er die Firmen auch haben möchte. Er ist kein Spekulant. Die entscheidende Frage ist: Wird meine Firma noch ein Geschäftsmodell haben, wenn die Welt zusammenbricht? Wird sie weiter Waagen produzieren, Software anbieten und so weiter? Wenn man sich anschaut, was im vergangenen Jahrhundert alles schief gegangen ist und wer alles durchgehalten hat, dann wissen Sie was ich meine. Man muss die Aktien mögen, die man als Value-Investor kauft. Auch wenn die Rendite nicht maximal ist. Wenn die Firma etwas taugt, dann trägt die mich durch jede Krise.

Müller: Man muss als Unternehmer denken, nicht als Anleger.

Als Unternehmer wie als Fondsmanager muss man auch Rückschläge einstecken. Wie laufen Ihre Fonds?
Otte: Mein Fonds ist in den letzten Monaten des vergangenen Jahres schlechter gelaufen als der Markt. Das hat auch zu einer Strategieänderung geführt. Wir haben mit den Zyklikern, den temporär unterbewerteten Aktien 2013 und 2014 sehr gutes Geld verdient, aber wir steuern jetzt auf eine etwas andere Welt um. Wir haben die Korrektur genutzt, um solche Positionen wie Fuchs oder Google aufzubauen, die dann auch sehr schnell wieder an ihr altes Bewertungsniveau rangekommen sind. In den letzten vier Monaten 2014 hat uns das aber erstmal richtig Rendite gekostet, die wir aber wieder aufgeholt haben. Jetzt sind wir wieder auf Kurs.

Herr Müller, Ihren Fonds gibt es ja erst seit April. Er ist leicht im Minus, läuft aber besser als der Vergleichsindex MSCI World Value.
Müller: Wir stehen momentan sehr gut da. Nach acht Wochen hat das natürlich noch keine Aussagekraft. Wir sind etwa 3,5 Prozent im Minus, der Dax hat in der gleichen Zeit zehn Prozent verloren und unser Vergleichsindex sieben Prozent.

Leber: Sie waren aber nicht voll investiert, man merkt die Kasse.

Müller: Wir haben ganz bewusst nicht voll investiert, weil ich davon ausgegangen bin, dass wir noch mal auf 10.800 Punkte im Dax zurückfallen. Deshalb hatten wir eine relativ hohe Cash-Quote von 30 Prozent. Das haben wir jetzt aber auf zehn Prozent reduziert. Aber wir spielen immer sofort die Absicherung bei zehn bis 15 Prozent unter dem jeweiligen Kaufkurs. Das machen wir über Optionen auf Indizes in den jeweiligen Bereichen. Und wir sichern mögliche Währungsschwankungen ab. Diese Absicherung ist mir sehr wichtig: Ich möchte an den Unternehmen beteiligt sein und nicht die Währungswetten mitgehen.

Absicherungen kosten aber und das geht auf Kosten der Rendite.
Müller: Die Optionen kosten uns ungefähr drei Prozent, dafür machen wir aber Abwärtsbewegungen nicht voll mit.  Wenn ich sehe, welche Schwankungen wir heute ertragen müssen, ist das überschaubar und es schläft sich dabei gut. Ob meine Strategie aufgeht, sehen wir dann in zehn oder 20 Jahren, aber sicher nicht nach acht Wochen.

Herr Leber, Ihr Fonds hat eine deutlich längere Historie.
Leber: Den Fonds gibt es seit 18 Jahren und er hat sich mehr als verfünffacht. Und natürlich hat es ziemliche Wellenbewegungen gegeben. Das zeigt, dass das langfristige Durchhalten trotz zwischenzeitlichem Stress sehr sinnvoll ist.

Value ist also nichts für schwache Nerven?
Otte: Überhaupt nicht. Börse insgesamt ist nichts für schwache Nerven. Uns treffen Krisen natürlich auch.

Leber: Seit 2008 läuft Value nicht mehr so gut. Wir Value-Leute liegen tendenziell hinter dem Markt. Das gilt auch für meinen Fonds. Letztes Jahr waren wir zwei Prozent schlechter als der Markt. Mittlerweile laufen wir besser. Das liegt auch daran, dass wir letztes Jahr unsere Strategie ein wenig angepasst haben und jetzt stärker nach Gewinnern suchen und Verlierer vermeiden. Wir haben das ganze Portfolio durchgesucht und nach auffälligen Kennzahlen gesucht. Bei Zweifeln flogen die Werte raus. Wir schauen jetzt nach den besten Spielern in jeder Branche.

Herr Leber, Herr Otte, Herr Müller, danke für das Gespräch.

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