Hendrik Leber, Dirk Müller, Max Otte „Der Markt ist ein harter Gegner“

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Der Treiber ist immer mehr das Wachstum und weniger die Substanz

Sind die alten Growth-Werte, also die Wachstumswerte aus der Zeit der Internetblase heute Value?
Müller (lacht): Ganz so ist es natürlich nicht.

Früher waren eher die Waschmittel- oder Lebensmittelkonzerne Value-Aktien, also klassische Konsumwerte.
Otte: Das ist vorbei. Mich fragte übrigens neulich ein sehr bekannter Talkshow-Moderator, ob das eine gute Idee wäre, wenn er Apple, Amazon, Google und Microsoft kaufen und ganz lange liegen lassen würde. Ja, das ist eine gute Idee. Das sind die neuen Konsumwerte.  Aber wenn das natürlich schon wieder jeder kauft, wird es auch gefährlich.

Leber: Das ist ein Zeichen dafür, dass der Boom ganz langsam wieder anfängt. Ich habe zwar noch keine Tipps von Taxifahrern gehört, aber die kommen auch noch.

Altes Value, neues Value – definieren Sie bitte Value.
Leber: Value ist relativ einfach. Ich mache Barwertberechnungen über die nach Investitionen verbleibenden Cashflows und schaue dann, ob eine Überrendite für mich übrig bleibt.

Sie schauen also, ob in der Bilanz mehr steckt, als das Unternehmen an der Börse wert ist?
Leber: Das ist bei uns allen immer die Frage. Nur welche Parameter sind für uns entscheidend?  Der Treiber wird hier mehr und mehr das Wachstum ...

Otte: So ist es.

Leber: ... und weniger die Substanz, weil die immer unwesentlicher wird.

Otte: Früher war es die Normalisierung der Börsenbewertung. Also quasi vom Tief eines Zyklus geht es wieder rauf, dann wieder runter. Aber diese zyklischen Bewegungen kann man an der Börse immer weniger spielen.

Leber: Schaue Sie sich Visa an. Da gibt es keine Fabriken, die können mit dem Geld gar nichts anfangen. Ob ich das Eigenkapital aus der Bilanz streiche oder nicht, macht überhaupt nichts aus, weil die nur geistiges Know-how haben. Das verändert die Geschäftsmodelle. Bisher konnte man noch Banken billig kaufen. Das ist sozusagen klassisches Value, also unter Buchwert.

Bankaktien?
Leber: Value muss auch die Schmuddelkinder anfassen. Aber die Frage ist, ob hier die Substanz wirklich da ist.

Müller: Bei Investmentbanken mag das fraglich sein. Wir haben in die schwedische SEB investiert, die einzige von einer Frau geführte Bank übrigens. Die haben ein ganz klares und erfolgreiches Geschäftsmodell mit Fokus auf Privatkunden- und im Firmenkundengeschäft, also nicht im Investmentbanking. Die Bank hat auch sensationelle Zahlen, bessere als andere europäische Banken und auch die Amerikaner wie Wells Fargo. Man muss ja nicht in die heftig zockenden Hedgefonds investieren. Im klassischen Bank- oder Versicherungsbereich gibt es schon noch interessante Dinge.

Leber: Klassiker findet man auch unter italienischen Banken. Unicredito ist interessant. Commerzbank notiert auch unter Buchwert.

Da haben viele Aktionäre lange gelitten.

Leber: Das ist genau der Punkt, wo es für den Value-Investor interessant wird: dann, wenn alle genug gelitten haben und ausgestiegen sind. Die Depfa, die aus einem schmutzigen Umfeld heraus an die Börse kommt und sich jetzt wieder weiß wäscht – das sind Titel, wo man mal hingucken sollte. Bei solchen Aktien kann man Substanz noch billig einkaufen. Das soll aber keine Empfehlung sein.

Welche Kennzahlen schauen sich Value-Anleger also heute an?
Otte: Das kommt auf den Stil an. Wenn ich Wachstum zu einem vernünftigen Preis habe, dann ist das etwas ganz anderes, als wenn ich Deep Value mache. Für Privatanleger ist sicher die erste Variante einfacher.

Und worauf muss ich dann genau achten?
Müller: Ganz wesentlich ist der Free Cashflow. Aber allein schon bei der Berechnung dieser Kennziffer gibt es unglaublich viele verschiedene Ansätze. Was verstehe ich darunter? Was packe ich mit rein? Da muss man schon sehr genau in die Bilanzen reinschauen. Diese Analyse ist für einen Privatanleger natürlich schwer.



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