Historiker zum Anlageverhalten „Spare was, dann haste was“ - das war einmal

Die Zinsen sind niedrig wie nie und viele Vermögen groß. Den Deutschen sitzt das Geld deshalb lockerer als früher. Doch das ist nicht ohne Risiko, wie die Geschichte zeigt.

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Plakat: „Wenigstens einen Notgroschen!“, 1953. Quelle: Deutsches Historisches Museum

Berlin/Bonn Vom eisernen Sparer zum Genussmensch: Das Verhältnis der Deutschen zum Sparen hat sich in den vergangenen Jahrzehnten deutlich verändert. Das beobachtet der Bonner Historiker Günther Schulz. „Wir haben in Deutschland vor allem durch die beiden Inflationen und die Nachkriegssituation mit großer Armut keinen unbeschwerten Umgang mit dem Sparen“, sagte der Professor der Deutschen Presse-Agentur. Heute gelte jedoch vielfach die Devise: „Du kannst Dir alles leisten.“ In Zeiten extrem niedriger Zinsen steige aber die Gefahr, dass das Geld falsch ausgegeben werde.

„Der Zins ist wie Miete für das Geld“, erklärte Schulz vor einer Tagung zur Geschichte des Sparens in Berlin, die in der kommende Woche auf eine Ausstellung im Deutschen Historischen Museum einstimmen soll (6. und 7. April). „Wenn ich keine Miete mehr zahlen muss, gönne ich mir mehr - so wie wenn ich mir eine größere Wohnung nehme, die ich mir normalerweise gar nicht leisten kann.“ So werde beispielsweise die Ressource Wohnraum verschwendet.

Was billiges Geld auslöse, sei während der Inflation in den zwanziger Jahren zu beobachten gewesen: Unternehmen stellten viele Arbeitskräfte auf Vorrat ein, der Staatsdienst wuchs. „Man ging ohne den Druck des Zinses freudig in eine Ausgabensituation hinein.“ Nach der Währungsreform gab es dann Massenentlassungen. Die aktuelle Niedrigzinsphase sei historisch jedoch ohne Beispiel.

„Der klassische Zins lag immer bei drei bis vier Prozent. Daran sind die Deutschen gewöhnt“, sagte Schulz. Bis in die späten sechziger Jahre habe die Bürger der Grundsatz geleitet: „Spare was, dann haste was.“ Mit wachsendem Wohlstand sei aber die Bereitschaft gestiegen, sich etwas zu gönnen. „Hedonismus und Genuss ist nichts Schlechtes“, sagte der Historiker. „Es macht das Leben angenehmer und hält den Konsum am Laufen.“ Gefährlich werde es nur, wenn man mehr ausgebe als man einnehme.

Nach Zahlen des Statistischen Bundesamts sparten die Deutschen im vergangenen Jahr 9,7 Prozent ihres Einkommens, 1990 waren es noch 13,7 Prozent. Die Kauflaune der Bürger stützt nach Angaben von Ökonomen seit Jahren das Wirtschaftswachstum.

Für den Staat sei Sparen wünschenswert, sagte Schulz. „Es bedeutet ein Sich-Einlassen auf das politische System.“ Denn politische Umbrüche bedeuteten oft den Verlust des Ersparten. Es gebe das einprägsame Diktum: „Von den Revolutionären auf den Barrikaden 1848 hatte niemand ein Sparbuch“.

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